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Rechtskonservativ bis ordoliberal – Die Zeitschrift Criticón

Einleitung

Die Zeitschrift Criticón war bis Ende der 1990er Jahre eines der wichtigsten rechtskonservativen Theorieorgane in Deutschland. Die inhaltliche Neuausrichtung nach einem personellen Wechsel führte zu einem kontinuierlichen Verlust von Ansehen und Bedeutung und letztendlich zur Einstellung des Erscheinens im Jahre 2005. Nun hat die Zeitschrift NeueNachricht und der gleichnamige Nachrichteninternetdienst die Nachfolge der Criticón angetreten.

Bild: Screenshot der Homepage theeuropean.de/gunnar-sohn

Gunnar Sohn tritt als Chefredakteur von "NeueNachricht" auf.

Rechtes Bindeglied

Criticón wurde 1970 von Caspar Freiherr von Schrenck-Notzing gegründet und war ursprünglich als reines Rezensionsorgan geplant. Neben dem langjährigen Herausgeber Schrenck-Notzing prägte vor allem Armin Mohler bis in die Mitte der Neunziger Jahre die inhaltliche Ausrichtung des Heftes. Er bezog sich hierbei unter anderem auf die französische Nouvelle Droite (»Neue Rechte«) und deren Chefideologen Alain de Benoist. Ein weiterer Bezugspunkt waren die verschiedenen Vordenker der Konservativen Revolution wie beispielsweise Arnold Gehlen, Ernst Jünger und Carl Schmitt. Die protestantisch-konservative Zeitschrift »konservativ heute« von Klaus Motschmann fusionierte im Jahr 1980 mit der Criticón. Insgesamt zeigte sich die Criticón vor allem auf eine »Revitalisierung des Konservatismus« ausgerichtet und wurde zum strömungsübergreifenden Theorieblatt der »Neuen Rechten«. Als Autoren fanden sich zahlreiche Protagonisten der intellektuellen Rechten, die überwiegend auch in der rechten Wochenzeitung Junge Freiheit (JF) aus Berlin publizierten. In dieser Phase zeigte sich das Projekt Criticón als ein wichtiges Bindeglied zwischen der extremen Rechten und Konservativen.

Inhaltliches Wechselspiel

1998 überließ der damals 70-Jährige Caspar von Schrenck-Notzing die redaktionelle Verantwortung für die Criticon dem langjährigen Autoren Gunnar Sohn. Ab 2000 erfolgte schließlich die Herausgabe im eigenen GES-Verlag in Bonn. Zunächst wurde die inhaltliche Ausrichtung der Zeitschrift beibehalten, aber durch den neuen Herausgeber Sohn und den Chefredakteur Ansgar Lange erhielt die Criticón eine zunehmend wirtschaftsliberale Ausrichtung. Im Sinne eines antistaatlichen »Anarchokapitalismus«1 und durch Bezugnahme auf den Ordoliberalismus Ludwig Erhards, wurde der unkontrollierten Marktwirtschaft die Fähigkeit zugesprochen, die besten und effektivsten Ergebnisse zu erzielen. Der Staat sollte nur noch die Rahmenbedingungen für ein Funktionieren des Marktes garantieren. Es wurde versucht mehr thematische Hintergrundberichte und Interviews zu liefern, um öffentlichkeitswirksam in anderen Medien zitiert zu werden. Dies gelang jedoch nur teilweise.

Criticón verstand sich als »Sprachrohr des Mittelstandes«2 und wollte die Freiheit der/des UnternehmerIn gegen den Willen des Staates und der Großkonzerne durchsetzen. Dafür seien Privatisierung, der Abbau von Bürokratie und die Schwächung von Gewerkschaften geeignete Mittel.

Ab Frühjahr 2000 begann die Criticón eine »Konservatismus-Debatte«. Traditionen, konservative Werte und Tugenden und die Rückbesinnung auf Religion sollten im Sinne einer »Volksgemeinschaft« eine neue nationale Identität schaffen. Diese Argumentation sollte durch häufige Bezüge auf Intellektuelle der Konservativen Revolution untermauert werden.

Die Autoren sahen sich als Gegner des deutschen »Parteienstaats«. Seit dem Regierungsantritt der rot-grünen Koalition, die als »linke[n] Kontrolleure« bezeichnet wurde, herrsche ein »Antifa-Mainstream« und eine »scheinheilige Diktatur der Moral«. Die rot-grüne Regierung sei »linksextrem infiziert« und forciere eine »Gleichschaltung« der veröffentlichten Meinung zur »Disziplinierung des Einzelnen« im Sinne einer linken »Umerziehung«. Auch die Unionsparteien wurden kritisiert, da sie keine »genuin konservative« Parteien3 seien und es in der BRD auch keine geben könne, aufgrund der angeblichen Dämonisierung der Konservativen nach dem Nationalsozialismus. Die Criticón-RedakteurInnen warben für ein Engagement außerhalb von Parteien und für den Aufbau konservativer Denkfabriken nach amerikanischem Vorbild in der BRD. Hier vermischte sich antistaatliche Demokratiefeindlichkeit mit eindeutig geschichtsrevisionistischen Vorstellungen, wie der »Umerziehung« der Deutschen. Die Rechten werden zu Opfern stilisiert, zum Teil mit an den NS angelehnten Begriffen. Die Criticón stellte sich nicht mehr wie zuvor zögerlich hinter rechte Parteien aus der BRD, sondern hinter den österreichischen Rechtspopulisten Jörg Haider und dessen FPÖ. Von Seiten der EU habe eine »Pogromstimmung« gegen Österreich geherrschts.

Die Autoren, die nach dem redaktionellen Wechsel für die Criticón schrieben, waren in rechtskonservativen und extrem rechten Kreisen meist einschlägig bekannt. Viele publizierten auch in anderen Zeitschriften, vor allem in der »eigentümlich frei«, in der Jungen Freiheit, in der »Gegengift« oder auch in der Preußischen Allgemeinen Zeitung, wie auch Sohn und Lange selbst. Zu den bekannteren Autoren der Criticón gehörten der Historiker Joachim Fest, die Meinungsforscherin Elisabeth Noelle-Neumann, der langjährige JF-Autor Heimo Schwilk, der Verleger Axel Matthes und der Gründer und Herausgeber der »eigentümlich frei« André F. Lichtschlag, der Gründer des rechtskonservativen Mediendienstes »Rundy« Reginald Rudorf. Artikel der CDU-Politikerin Vera Lengsfeld lassen sich ebenso in der Zeitschrift finden wie solche von Alfred Mechtersheimer und dem Anti-Antifa-Professor Hans-Helmuth Knütter aus Bonn. Zunehmend fanden auch konservative Experten aus der Wirtschaft Zugang zum Autorenkreis, vor allem Mario Ohoven, der Präsident des Bundesverbands Mittelständische Wirtschaft (BVMW), aber auch der »Trend- und Zukunftsforscher« Matthias Horx.


Nach dem 11. September 2001 stellten sich die Autoren auf die Seite der USA und machten es sich zur Aufgabe, Antiamerikanismus und Antisemitismus entgegen zu wirken. So wurde auch der Irakkrieg befürwortet, da hier der »islamische Terror« bekämpft werde. An der Frage des Irakkrieges spaltete sich die rechtskonservative Presse. Die Junge Freiheit und die Preußische Allgemeine Zeitung (PAZ) lehnten den Krieg ab, während Die Welt, die Frankfurter Allgemeine Zeitung und die Criticón dem Krieg positiv gegenüberstanden. Jahrelange Allianzen der Criticón mit der JF und der PAZ zerbrachen zunehmend. Als politischer Nachfolger der konservativen Criticón kann die Zeitschrift Sezession des Institut für Staatspolitik (IfS) angesehen werden. Das IfS wurde maßgeblich von den Mohler-Schülern und Criticón-Autoren Karlheinz Weißmann und Götz Kubtischek im Jahr 2000 gegründet.

Politische Neuverortung?

Seit dem redaktionellen Wechsel und der Neuausrichtung nahm die Bedeutung der Criticón in der »Neuen Rechten« kontinuierlich ab, da die intellektuelle Auseinandersetzung mit dem Konservatismus immer stärker zum Randthema wurde. Die Criticón verkomme »zu einem beliebig libertären, unpolitischen Blatt«, urteilte die ehemalige Weggefährtin Junge Freiheit.4 Überschneidungen mit extrem rechten Ansichten waren kaum noch gegeben, da sich die Criticón pro-amerikanisch und pro-israelisch positionierte, einen »Anarcho-Kapitalismus« vertrat und sich positiv auf die Globalisierung bezog. So sah die Deutsche Stimme (NPD) Criticón als ein Magazin, »das inzwischen, nach einem Wechsel der Redaktion, einen antinationalen und neoliberalen Marktextremismus predigt«.5

Trotzdem fanden sich immer wieder rechte Argumentationsmuster und rechtsintellektuelle Autoren in der Criticón, vor allem wenn geschichtsidentitäre Fragen Deutschlands oder die Politik der Parteien thematisiert wurden. Die Gefahr bestand darin, dass rechtsextreme Versatzstücke unbemerkt an die neue wirtschaftsorientierte Zielgruppe transportiert werden könnten. Zuletzt unterstrich der Herausgeber und ehemalige Pressesprecher des Dualen Systems Deutschlands Gunnar Sohn, die Criticón »ordoliberal geschärft« zu haben.6 Die Umbenennung der Criticón in NeueNachricht im Jahre 2005 war die logische Konsequenz dieser Entwicklung und der endgültige Abschied vom ursprünglichen Profil. Ergänzend zur Printausgabe wird im Internet eine Datenbank und Recherchen zu Themen wie Wirtschaft, Umwelt und Technik vor allem Journalisten angeboten. Wie weit sich der Nachrichtendienst entwickelt, dürfte abzuwarten sein, seine zahlreichen Kontakte in die Wirtschaft weiß Sohn jetzt schon zu nutzen. So zum Beispiel als Moderator einer Diskussionsveranstaltung zum Thema Telekommunikation auf der cebit 2006 in Hannover. 

  • 1Kastner, Michael: Anarcho-kapitalistische Theorie. Der Staat ist die eigentliche Utopie. Criticón Nr. 181, Frühling 2004, S. 21f.
  • 2Sohn, Gunnar: Editorial. Müntefering und das Ancien Régime. Criticón Nr. 176, Winter 2002/2003, S. 5
  • 3Alle Zitate aus der Criticón Nr. 165, Nr. 169, Nr. 177 und Nr. 178/179
  • 4Dieter Stein in einem Brief an die Leser der JF vom 12. Oktober 2002
  • 5Deutsche Stimme, 12.10.2004
  • 6Neue Nachricht, Erstausgabe, S. 12