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Rechtsstaat in der Warteschleife

Rechtsanwalt Sven Richwin
Einleitung

Keine kriminelle Vereinigung am Telefon

Anfang des Jahres 2011 stand das säch­sische Landesamt für Verfassungsschutz zumindest bei den Dresdener Ermittlungsbehörden noch in dem Ruf einer seriösen Informationsquelle. Findige Agenten meinten eine Telefon­nummer ermittelt zu haben, über welche am 19. Februar 2011 Mitglieder einer mutmaßlichen »kriminellen Vereinigung« ihre Aktionen gegen Europas ehemals größte Neonazidemonstration in Dres­den koordinieren würden. 

Und während am Nachmittag die Neonazis am Bahnhof festsaßen und die Polizei langsam Überblick und Kontrolle über das Geschehen in der Stadt verloren hatte, wurde ein »Schul­diger« für das Einsatz-Desaster gesucht, eine geheime »Koordinierungsstelle«, »von wo aus die Gewalttaten geplant und verabredet wurden«.

Bei der Hausnummer war man sich nicht so sicher, aber das »Haus der Begegnung« sollte es sein und den Durchsuchungsbeschluss gab es kurzerhand »mündlich«. Die Neonazis hatten die Stadt bereits wieder verlassen, der letzte Polizeikessel war aufgelöst worden, da stürmten 120 Polizisten das Gebäude in der Großenhainer Straße 93 in Dresden. In dem Gebäudekomplex befinden sich neben Räumen des Vereins »Roter Baum« auch ein Büro der Linkspartei sowie eine Anwaltskanzlei und eine Privatwohnung. Das Einsatz-Setting sah aus wie ein Schlag gegen das organisierte Verbrechen, und sollte es wohl auch.

Filmreif schildert die Sächsische Zeitung zwei Tage später den Einsatz: »Ein Spezialeinsatzkommando (SEK) stürmt die Gebäude. Die schwarz gekleideten, vermummten Beamten halten sich nicht mit Klingeln auf. Sie treten alle Türen ein, selbst unverschlossene. Manchmal nehmen sie die Kettensäge zur Hand. Schnell sind die Räume unter ihrer Kontrolle.« Die folgende Durchsuchung dauert mehr als fünf Stunden, vor der Privatwohnung wird dabei ebenso wenig Halt gemacht wie vor der Anwaltskanzlei. Beschlag­nahmt werden Computer und Telefone, selbst ein Laptop in der Privatwohnung, 20 der angetroffenen 21 Personen werden zunächst zur erkennungsdienstlichen Behandlung mitgenommen - Vorwurf: Verdacht der Bildung einer kriminellen Vereinigung. Der angerichtete Sachschaden von 5600 EUR musste später vom Land Sachsen erstattet werden. Der Umgang mit den angetroffenen Personen, darunter eine Gruppe Sanitäter und teilweise ältere Mitarbeiter der Linken war ähnlich rücksichtslos. Ein 25jähriger, der selbst abgeführt wurde, sagte der taz: »Die Beamten schlugen einige mit Schlagstöcken in die Knie, manche mussten mit gefesselten Händen auf dem Boden sitzen, andere sich fast ganz ausziehen und gefesselt liegen bleiben«. Ein Betroffener erlitt einen Kreislaufzusammenbruch, Anwälten wurde der Zugang zunächst verweigert. Von Anfang an wirkte der Einsatz irgendwo zwischen unverhältnismäßig und Rachefeldzug. Bundesweit geriet die Dresdner Polizeiführung in die Kritik. »Am Ende wirkte der Einsatz, als wollte der Staat Menschenhändler, Autoschie­ber und Islamisten auf einmal bezwingen« ätzte Der Spiegel.

Es war der fulminate Auftakt einer Skandalserie, in der der Rechtsstaat in Dresden verblasste. Immer mehr Details über erhobene Mobilfunkdaten kamen ans Licht, am Ende waren es wohl mehr als eine Million Datensätze - Telefonnummern, Uhrzeiten und Dauer der Anrufe, Standorte von Gegendemonstranten und Anwohnern, Anwäl­te und Abgeordnete inklusive. Alles im Sinne der Fahndung nach der »kriminellen Vereinigung«. Der sächsische Datenschutzbeauftragte Andreas Schu­ring verurteilte diese Maßnahmen als Verstöße gegen geltende Gesetze. Weiter ausgewertet wurde trotzdem.

Der Versuch, die gewonnenen Daten praktischerweise auch bei der Verfolgung mutmaßlicher Sitzblockierer zu nutzen scheiterten dann doch an der mangelnden strafrechtlichen »Erheblichkeit«, verriet aber, dass es vor allem das Konzept offensiver Blockaden war, dem die sächsischen Behörden ein Ende bereiten wollten. Mit gleicher Zielrichtung wurde bereits im Vorfeld versucht, Plakatierer und Aufrufer des Bündnisses »Dresden-Nazifrei« zu kriminalisieren, letztlich erfolglos. Zwischenzeitlich musste der Dresdener Polizeipräsident seinen Hut neh­men, jedoch nicht wegen der Maßnahmen, sondern weil sich der sächsische Innen­minister »schlecht informiert fühlte«. Gegen Kritik von Juristen und Politik zeigte man sich weiter resistent. »Im Südosten der Republik gelten offenbar auch zwei Jahrzehnte nach dem Untergang der DDR eigene Regeln. Immer wieder werden eklatante Fälle staat­lichen Machtmissbrauchs und polizeilicher Willkür bekannt, ohne dass sich die Verhältnisse grundlegend bessern würden« bilanzierte Der Spiegel treffend.

Bereits vor einem Jahr erklärte das Amtsgericht Dresden das Ausmaß der Razzia für rechtswidrig. Das angebliche »Gewalt-Handy« tauchte im weiteren Verfahren nicht mehr auf, weder bei den Beschuldigten, noch im Haus selber. Nach 16 Monaten erhielten die Beschuldigten jetzt Post von der Staatsanwaltschaft und mit einem Einzeiler die Mitteilung, dass ihr Verfahren eingestellt wurde. Was bleibt ist die Erkenntnis, dass auch Sachsen keine Ausnahme zur Regel bildet, den § 129 StGB als reinen Schnüffelparagraphen anzuwenden.

Gegen mindestens zwanzig weitere Personen, die sich zwar nicht im Haus der Begegnung aufhielten, aber sachsen­weit als »Antifa-Sportgruppe« Straftaten gegen Neonazis begangen haben sollen, wird weiterhin als kriminelle Vereinigung ermittelt. Ein Ende ist nicht abzusehen; auch nicht bei den sog. Blockadeverfahren rund um die Kundgebung von Neonazi-Gegner auf der Fritz-Löffler Straße am 19. Februar 2011. Der Vorwurf der »Versammlungssprengung« führte in den Verfahren zu ziemlich unterschiedlichen Ergebnissen - je nachdem, welcher Richter die Verhandlung führte: Freisprüche und Verurteilungen zu kleinen Geldstrafen, zuletzt gehäuft Einstellungen der Verfahren. Tatsächlich passt es zum Vor­wurf der Willkür, dass einerseits Ver­fahren ohne Auflagen eingestellt werden, andererseits die Immunitätsaufhebung einiger Abgeordneten betrieben wird, um sie wegen des gleichen Vorwurfs verfolgen zu können.

Weitere Verfahren sind derzeit gegen angebliche »Rädelsführer« der Gegenproteste anhängig, die sich mittels Megafon oder Fahnenschwenkens hervorgetan haben sollen. Soweit die Dresdener Ermittlungsbehörden darauf zielten, mögliche Gegendemonstranten einzuschüchtern, ging der Plan nicht auf. In diesem Jahr demonstrierten erneut rund 10.000 Menschen in Dresden gegen Neonazis und Repression. Das Blockade-Konzept von »Dresden-Nazifrei« machte Schule und bundesweit verhinderten in der Folge breite Bündnisse Neonazidemonstrationen oder schränkten sie zumindest erheblich ein. Wurde zwischenzeitlich noch befürchtet, das Vorgehen der Dresdner Mischung aus Obrigkeitsstaat und politischem Konservatismus gegen soziale Bewegungen könnte Vorbildfunktion für andere Bundesländer haben, blieb Sachsen zumindest bisher jedoch isoliert. Zu offensichtlich war die Miss­achtung rechtsstaatlicher Grundsätze.

Im Juli räumte nun auch Sachsens Verfassungsschutz-Chef, im Rahmen des NSU-Skandals, seinen Posten, weil »ein Referatsleiter sensible Akten vernichtet und ihn monatelang darüber belogen hatte« wusste die Mitteldeutsche Zeitung. Nach dem Skandal ist in Sachsen immer vor dem Skandal.