Skip to main content

Sozialprojekt mit organisierten Neonazis?

Einleitung

Seit dem 1. Januar 1991 gibt es in der Berlin Lichtenberger Pfarrstraße ein Haus, das einer näheren Betrachtung bedarf. Dort läuft durch die Initiative von Michael Heinisch ein Sozialprojekt mit Jugendlichen aus dem Stadtteil. Michael Heinisch beschäftigt sich als Sozialdiakon in der Erlöserkirche schon seit Jahren mit einer Gruppe von »rechtsgefährdeten« Jugendlichen, doch jetzt räumt er auch organisierten Neonazis einen Platz im Projekt ein.

Bild: Screenshot YouTube

Der sozialpädagogisch betreute Ingo Hasselbach trat als Berliner Neonazi-Führer in den Medien auf.

Das »Profihaus«, in der diese Arbeit bis jetzt ablief, mußte auf Grund seines Bauzustandes abgerissen werden. Aus der Überlegung heraus, was sie in der Zwischenzeit machen könnten entstand die Idee der Rekonstruktion eines anderen Hauses. Diese Sanierung, die zwei Jahre dauern soll, schafft 20 ABM-Stellen1 , danach sollen dort diverse Wohnungen und natürlich ein Jugendprojekt für alle Jugendlichen des Stadtteils entstehen. Die Arbeiter an diesem Projekt sind verschiedene Jugendliche aus Heinischs Gruppe, aber auch mindestens ein Jugendlicher, der sich politisch links einordnet. Dieses Projekt soll eine Möglichkeit schaffen, den in Lichtenberg sehr stark organisierten Neonazis nicht allein die politische Beeinflussung der Kids zu überlassen. Daneben stellt es für die Jugendlichen eine Möglichkeit dar, sich etwas Eigenes nach ihren Vorstellungen aufzubauen.

Kopfschmerzen dabei bereitet nur die Tatsache, daß mindestens drei ehemalige Führungskader der Neonazi-Gruppe "Nationale Alternative"(NA)2 dabei sind: Frank Lutz (Frühjahr 1990 Vorsitzender der NA), Ingo Hasselbach-Pfannschmidt (bis Mitte Dezember Vorsitzender der NA und stellvertretender Vorsitzender der DA),  Heiko Baumert (Gründungsmitglied der NA) und Andreas „Hacki“ Hackmann –  wegen schweren bewaffnetem Raubes gegenwärtig im Gefängnis  - sind als Arbeiter aktiv an dem Projekt beteiligt. Das Beispiel Ingo Hasselbach zeigt, daß der Rücktritt von der offiziellen Führungsspitze der NA nur ein taktischer Zug ist. Wenn die Differenzen zwischen ihm und den anderen Mitgliedern der NA wirklich so groß wären oder er tatsächlich aussteigen wollte, dann wäre er auch aus der NA ausgetreten. Das hat er aber bis her noch nicht getan, denn er ist nach wie vor ein aktives Mitglied der Partei.

Unsere Erklärung dafür, warum sich diese drei so aktiv im Projekt engagieren, ist nicht nur der fehlende Job, sondern vielmehr die Erkenntnis, daß ihr bisheriger Weg an die Jugendlichen heranzukommen gescheitert ist und deswegen ein neuer Zugang zu ihnen gefunden werden muß. Sie sind auch nicht, wie vielleicht anzunehmen, schon über längere Zeit in Heinischs Gruppe integriert, sondern erst seit November / Dezember, genau dem Zeitpunkt, als es mit der Pfarrstrasse konkret wurde.

Neuer Rekrutierungsversuch der NA ?

Die ehemaligen von Neonazis bewohnten Häuser in der Berlin-Lichtenberger Weitlingstrasse sind allesamt verlassen, nicht etwa weil sie geräumt wurden, sondern sie wurden von den Neonazis aufgegeben. Die extrem rechten Jugendlichen hatten einfach keinen Bock mehr auf die absolute Hierarchie im Haus, daß Hasselbach sie ständig während seiner „Zimmerrundgänge“ zu Ordnung und Sauberkeit mahnte, daß sie das machen mußten was die Obrigkeit gerne hatte und nicht das, worauf sie Lust hatten. Dieses Disaster hat auch die Führungsspitze erkannt und ist gezwungen, neue Wege auszuprobieren, um an die Jugendlichen heranzukommen. Einer davon ist das Projekt in der Pfarrstrasse. Sie geben sich als Aussteiger aus der Neonaziszene, die Anschluß an andere Jugendliche suchen, probieren dabei aber massiv Leute zu beeinflussen und zu sich herüberzuziehen.

Projekt ja - Neonazis Raus

Es wäre sicher durchaus sinnvoll, daß dieses Projekt weiterläuft aber ohne organisierte Neonazis, zu denen wir Hasselbach, Lutz und Baumert nach wie vor zählen. Diese drei haben ihren Weg gewählt und wenn sie aussteigen wollten, würden sie von ihren alten „Kameraden“ Repressionen zu erwarten haben. Dies wäre bekanntgeworden und ist bis jetzt nicht der Fall.

Deswegen ist alles Aussteigergerede von ihnen bis jetzt noch nicht ernst zu nehmen, wofür auch die Tatsache ein Beweis sein dürfte, daß Hasselbach und Lutz Mitte Februar ein Besetzer aus der Pfarrstrasse mit den Worten »Du linke Sau« attackierten. Das Projekt als solches stellen wir nicht in Frage, weil damit die Jugendlichen nur noch mehr dem Einfluß der Neonazis ausgesetzt werden würden. Michael Heinisch sollte aber endlich ein konkretes, diskussionsfähiges Konzept vorstellen, denn ein dermaßen heikles Projekt, daß auch noch aus öffentlichen Geldern mitfinanziert wird, darf nicht völlig planlos und in der Verantwortung einzelner Personen ablaufen.

Die Konfrontationen, die in der Pfarrstrasse täglich ablaufen, müssen möglichst verhindert werden. Es muß geklärt werden, ob Arbeiter aus dem Projekt z.B. an dem Überfall auf das linke BesetzerInnen-Cafe beteiligt waren, wenn  ja, sind sie nicht länger für das Projekt tragbar.

  • 1 Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) sind bezuschusste Tätigkeiten, um Arbeitssuchenden bei der Wiedereingliederung in eine Beschäftigung zu helfen oder ein geringes Einkommen zu sichern.
  • 2Die neoanazistische Nationale Alternative (NA) wurde in Ostberlin gegründet wurde. Am 5. März 1990 wurde sie, als einzige extrem rechte Partei, in das Parteienregister der DDR aufgenommen.