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Terroristische Bedrohung durch Reichsbürger ?

Jan Rathje
Einleitung

Seit dem letzten Jahr häufen sich in der überregionalen Presse die Meldungen über sogenannte „Reichsbürger“. Maßgeblicher Anlass hierfür waren die tödlichen Schüsse Wolfgang Plans auf einen Beamten des SEK im fränkischen Georgensgmünd im Oktober 2016. Derzeit ermittelt die Bundesanwaltschaft gegen eine „Reichsbürger“-Gruppe wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung. Zwar scheint das Phänomen der „Reichsbürger“ in Deutschland ein neues zu sein, es handelt sich dabei jedoch um eine Neuauflage völkischer Weltverschwörungsideologien.

Bild: Screenshot YouTube.de

Der Reichsbürger Adrian Ursache posiert bei YouTube.

„Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“  in Deutschland

Das Milieu der „Reichsbürger“ ist sehr heterogen. Unter dem Label werden aktuell sehr unterschiedliche Gruppierungen und Einzelpersonen gefasst, die davon überzeugt sind, dass eine Weltverschwörung gegen das deutsche Volk durchgeführt würde. Instrumente dieser Verschwörung seien die Bundesrepublik Deutschland, die eine Fremdherrschaft darstelle („Volksverräter“), wie auch die Mainstream-Medien („Lügenpresse“). Anstelle der BRD, die von manchen als „GmbH“ imaginiert wird, glauben „Reichsbürger“ an die Fortexistenz eines Deutschen Reiches. Andere, sogenannte „Selbstverwalter“, sind davon überzeugt aus der BRD austreten zu können, erklären sich als „lebend“, freie Menschen oder gründen eigene Scheinstaaten. Ihre verschwörungsideologisch geleitete Kritik der gesellschaftlichen Verhältnisse beinhaltet antisemitische, rassistische und andere menschenfeindliche Elemente, die dieses Milieu mit den aktuellen rechtspopulistischen und Querfrontbewegungen verbindet. Ihr völkisches Gesellschaftsbild deckt sich mit dem von AfD, Pegida und der „Neuen Rechten“, während die in der Partei und den Bewegungen geäußerten Verschwörungsideologien innerhalb des Milieus seit Jahrzehnten verbreitet werden. Inzwischen hat sich innerhalb des „Reichsbürger“-Milieus ein radikaler Kern herausgebildet, der als terroristischer Teil der aktuellen, rechten außerparlamentarischen Opposition gewertet werden kann.

Der aktuelle Rechtsterrorismus

Dies zeigte sich deutlich im letzten halben Jahr. In Sachsen-Anhalt schoss im August 2016 das „Staatsoberhaupt“ des „Staates Ur“, Adrian Ursache, im Zuge einer Zwangsräumung auf mitangerückte Polizeibeamte. Im Vorfeld der Schießerei waren deutschlandweit andere Aktivist_innen aus dem Milieu angereist, um die Räumung zu verhindern. Unter ihnen war ebenfalls Wolfgang Plan,1 der Ende Oktober 2016 im Fränkischen Geor­gens­gmünd einen SEK-Beamten erschoss, als dieser mit Kollegen versuchte, ihm auf Grund seiner reichsideologischen Überzeugungen die Waffen abzunehmen.

Am 25. Januar 2017 veranlasste die Bundestaatsanwaltschaft Hausdurchsuchungen in sechs Bundesländern. Sie sind Teil eines Ermittlungsverfahrens wegen Bildung einer rechtsterroristischen Vereinigung gegen Karl Burghard Bangert, besser bekannt als Druide „Burgos von Buchonia“, und sechs weitere Personen.2 Die Gruppe soll Anschläge auf Jüdinnen und Juden, Polizist_innen wie auch auf Asylsuchende geplant haben. Bei den Durchsuchungen wurden Waffen, Munition und Sprengstoff sichergestellt. Bangert war bereits seit Jahren durch seine antisemitischen und rassistischen Gewaltaufrufe in sozialen Netzwerken aufgefallen. Er beteiligte sich an verschiedenen rechtsextremen und (rechts)­populistischen Veranstaltungen, wie PEGIDA Frankfurt und den Querfrontprotesten gegen das Treffen der Bilderberg-Gruppe im Juni 2016 in Dresden. Dort verbreitete er nicht nur in Reden antisemitische Weltverschwörungsmythen, sondern stellte auch Material der antisemitischen, revisionistischen und reichsideologischen Gruppe "Europäische Aktion" an seinem Stand zur Verfügung.3 Im Jahr 2015 war Bangert bei einem Gerichtsprozess gegen die Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck zugegen4 , die das verbotene revisionistische "Collegium Humanum" leitete und dort mit dem Antisemiten, Holocaustleugner und „Reichs­bürger“ Horst Mahler zusammenarbeitete.

Historischer Werdegang

Diese Kontaktgesuche sind kein Zufall. Die Reichsideologie ist eine Konstante der deutschen extremen Rechten seit der Weimarer Republik.5 Die Überzeugung, das "Deutsche Reich" wäre der rechtmäßige Staat der Deutschen, überdauerte die Niederlage des Nationalsozialismus und die Gründung der Bundesrepublik Deutschland. Der Politikwissenschaftler Richard Stöss identifiziert innerhalb der organisierten extremen Rechten eine Kampagne zur Wiederherstellung des Deutschen Reiches seit dem Jahr 1945.6

Ihre erste postnazistische Form erhielt die Reichsideologie in der von Nationalsozialisten 1949 gegründeten Sozialistischen Reichspartei (SRP). Der SRP galt die Bundesrepublik als Besatzungsinstrument der Westalliierten, während das Deutsche Reich weiterbestehen würde. Am 23. Oktober 1952 wurde die SRP als erste Partei der Bundesrepublik Deutschland vom Bundesverfassungsgericht verboten. Die Idee hielt sich jedoch innerhalb der organisierten extremen Rechten Deutschlands.7
Der Rechtsterrorist und Holocaustleugner Manfred Roeder spielt eine wichtige Rolle in der Verbreitung reichsideologischer Aktionsformen. Er verband sehr prominent antisemitische Verschwörungsmythen und die Idee der Wiedererrichtung des Deutschen Reiches. Am 23. Mai 1975 veranstaltete seine "Freiheitsbewegung Deutsches Reich" einen „Reichstag zu Flensburg“, auf dem sich Roeder zum „Reichsverweser“ ernennen ließ.8

Der spätere Rechtsterrorist war nicht der einzige, der die Reichsideologie mit Revisionismus, Holocaustleugnung und Antisemitismus verband. Reinhold Oberlercher und Horst Mahler suchten die Errichtung eines „Vierten Reiches“ in ihrem 1994 gegründeten Gruppe "Deutsches Kolleg" durch Kaderschulungen innerhalb der extremen Rechten voranzutreiben. Mahler verließ nach Meinungsverschiedenheiten im Jahr 2003 das Deutsche Kolleg und gründete eine Gruppierung namens Reichs­bürgerbewegung,9 die für die Namensgebung der aktuellen Phänomene verantwortlich zu sein scheint.

„Reichsregierungen“

Für die aktuellen Erscheinungsformen, die nicht der klassischen extremen Rechten zugeordnet werden, spielt die "Kommissarische Reichsregierung" (KRR) des ehemaligen Westberliner Reichsbahnmitarbeiters Wolfgang Gerhard Günter Ebel eine besondere Rolle. Mitte der 1980er Jahre will Ebel von den Alliierten erfahren haben, dass das "Deutsche Reich" fortbestehen würde, aber handlungsunfähig sei. Ebel ernannte sich, mit vermeintlicher Anerkennung der Siegermächte stückweise zum „Reichsverkehrsminister“ und schließlich zum „Reichs­kanzler“. Im Laufe der Jahre sammelte Ebel eine Gruppe von Menschen um sich, die kommissarisch, also den Alliierten untergeordnet, eine „Reichsregierung“ gründeten. Ihre „Regierungsgeschäfte“ bestanden vornehmlich daraus, juristische Auseinandersetzungen mit der Bundesrepublik zu führen, Lehrgänge in der Reichsideologie abzuhalten und Ausweisdokumente zu verkaufen. Auch Ebel griff auf antisemitische Verschwörungsmythen zurück, wenn er die Existenz der BRD als Verschwörungs­instrument erklärte. Innerhalb der Ebelschen „Regierung“ kam es immer wieder zu Streitereien, die zu Abspaltungen führten. So entstanden eine Vielzahl von „Reichsregierungen“, die ihre Ideologie weit über das Internet verteilten.

Dort verbanden sich Ihre Vorstellungen von Reichsgründungen mit anderen Weltverschwörungsideologien und rechter Esoterik eines Jan Udo Holey und Johannes „Jo“ Conrad, die noch immer ein völkisch-esoterisch-verschwörungsideologisches, rechtes Milieu mit Inhalten versehen. Besonders attraktiv ist diese Variante des „Reichsbürgertums“ durch das materielle Angebot, Steuerzahlungen und Abgaben an die „BRD GmbH“ verweigern zu dürfen. Selbiges gilt für „Selbstverwaltungen“. Diese Aktionsformen führen zwangsläufig zu einem, immer häufiger bewaffneten, Konflikt mit dem Staat.

Es zeigt sich, dass hier ein radikalisiertes Milieu vorhanden ist,10 das im aktuellen rechtspopulistischen Klima eine Gelegenheitsstruktur erkennt, mit terroristischen Mitteln einen „Volkskrieg“ gegen die vermeintlichen Verschwörer_innen zu führen. Diese Gefahren haben sich über die letzten Jahre — etwa durch die zahlreichen Waffenfunde bei „Reichsbürgern“ — hinweg angekündigt, sind aber von Bundesbe­hörden bis zu dem Polizistenmord von Georgensgmünd im letzten Jahr ignoriert worden.

1 www.presseportal.de/pm/51580/3497205

  • 1rbb: "Mutmaßlicher Polizistenmörder Wolfgang P. hatte Kontakte zu "Reichsbürger" Adrian Ursache", Rundfunk Berlin-Brandenburg 29.11.2016
  • 2GBA: "Haftbefehl wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz erlassen", 07.02.2017 - 13/2017., GBA: "Durchsuchungen in mehreren deutschen Städten gegen mutmaßliche Mitglieder einer rechtsextremistischen Vereinigung", 25.01.2017 - 8/2017.
  • 3JFDA: "Anti-Bilderberg-Protest: Eine antisemitische und rassistische Querfront gegen die „Elite“", 15.06.2016.
  • 4Julian Feldmann: "Holocaust-Leugnerin Haverbeck verurteilt", Norddeutscher Rundfunk, 12.11.15.
  • 5Heller/Maegerle (2001): Die Sprache des Hasses, Stuttgart, S. 54f.; Begrich, D. (2015): Reichsidee und Reichsideologie der extremen Rechten, in: Ministerium für Inneres und Sport des Landes Sachsen-Anhalt (Hg.): Reichsbürger. Sonderlinge oder Teil der rechtsextremen Bewegung, Magdeburg, S. 9—12.
  • 6Stöss, R. (2010): Rechtsextremismus im Wandel. 3., aktualisierte Aufl. Berlin, S. 31—46.
  • 7Botsch, G. (2012): Sozialistische Reichspartei, in: Benz, W. (Hg.): Handbuch des Antisemitismus. Band 5, Berlin, S. 574—577.
  • 8Mecklenburg, J. (Hrsg.) (1996): Handbuch deutscher Rechtsextremismus, Berlin, S. 514f.; Grumke, T./Wagner, B. (Hrsg.) (2002): Handbuch Rechtsradikalismus. Personen — Organisationen — Netzwerke vom Neonazismus bis in die Mitte der Gesellschaft, Opladen, S. 302—304.
  • 9Mecklenburg (1996), S. 252f., 503, 516f.; Heller/Maegerle (2001), S.167—179; Grumke/Wagner (2002), S. 278—280, 291—294, 373—375.
  • 10Nach letzten Zahlen des Innenministeriums soll es 10.000 Personen umfassen, wobei die Dunkelziffer um einiges höher liegen dürfte.