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Tod eines Spitzels

Einleitung

Anfang Oktober 2015 veröffentlichte die „Autonome Antifa Freiburg“ ein Communiqué unter dem Titel „Hammerskin Roland: Tod eines Spitzels“. Diesem Text liegt offenbar der E-Mail-Verkehr zwischen dem Ende September verstorbenen Neonazi Roland Sokol aus Karlsbad bei Karlsruhe und Geheimdienstlern zugrunde. Nach Recherchen von „die tageszeitung“ (taz) hielt Sokol seit mindestens 2009 regelmäßigen Austausch mit einer Kontaktperson, die sich als „Michael W.“ ausgab. An dessen GMX-E-Mail-Adresse schickte er umfassende Informationen aus Neonazi-Kreisen. Metadaten aus dem E-Mail-Verkehr, die die taz ausgewertet hat, führen von „Michael W.“ zurück auf Serverstrukturen der Landesverwaltung Baden Württemberg.1  Nach Sokols Outing als V-Mann sollen sich Neonazis aus den Kreisen der „Hammerskins“ Zutritt zu Sokols Wohnung verschafft haben, um diese nach Beweisen für dessen Spitzel-Tätigkeit zu durchsuchen. Laut eigenen Angaben haben sie dabei entsprechende Belege gefunden. Kurz danach kursierten auf diversen Hammerskin-Facebook-Pinnwänden, auf denen vorher noch pathetische Nachrufe standen, hass­erfüllte Postings. Da das Communiqué  der AAF das problematische Verhältnis zwischen Neonazis und Verfassungsschutz dokumentiert, wollen wir es in diesem Artikel zusammenfassen.

  • 1taz vom 4.10.2015: „Abschied eines Spitzels“ von Konrad Litschko und Martin Kaul
Foto: Autonome Antifa Freiburg

v.l.n.r.: Die Neonazis Dirk M., Steffen H., Klaus H. und Malte Redeker tragen den Sarg des V-Mannes Roland Sokol.

Ein Vollzeit-Neonazi

Roland Sokols Neonazi-Laufbahn verlief über seine Sozialisation im Neonaziskin­head-Milieu der frühen 1990er Jahre und als Bassist der RechtsRock-Band „Triebtäter“, über Hooliganaktivitäten von „Destroyers Karlsruhe“ bis HoGeSa, als Besucher und teilweise Organisator von hunderten Rechts­­Rock-Konzerten im In- und Ausland, Aktivitäten bei der „Kameradschaft Karlsruhe“, bei „Blood & Honour“ und der „Endstufe-Crew“ bis hin zu seiner Mitgliedschaft bei den „Hammerskins“. Sokol pflegte regen Kontakt zu hunderten von Bekanntschaften auch überregional und international, darunter dutzende Szenegrößen in ganz Deutschland und war stets auf dem aktuellen Stand der Entwicklungen und Diskussionen der Neonazi-Kameradschafts-Szene.

Mittendrin statt nur dabei

Am 25. März 1995 sollten die RechtsRock-Bands „Triebtäter“, „Feuerstoß“, „Legion Ost“ und „Sturmtrupp“ bei einem größeren bundesweiten Neonaziskinhead-Treffen bei Gera auftreten. 231 Neonazis wurden vorübergehend verhaftet und Dutzende Ermittlungsverfahren eingeleitet. Roland Sokol befand sich unter den Verhafteten, gegen ihn wurde wegen der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen ermittelt. Unter den bei Gera Verhafteten befand sich zudem der später untergetauchte Neonaziterrorist Uwe Mund­los. Über weitere Kontakte zu Mundlos ist nichts bekannt, wohl aber zu anderen Neonazis, die von Sicherheitsbehörden als gefährlich eingestuft wurden. So zu Michael K. aus NRW1 , der vor den deutschen Strafverfolgungsbehörden in die Niederlande floh und in Terror-Gedanken schwelgte.

Über Jahre hinweg kommunizierte Roland Sokol auch regelmäßig mit Mark T., der sich aus Karlsruhe in die USA abgesetzt hatte. Mark T. hatte auch in den USA Ärger mit den Strafverfolgungsbehörden und schrieb Sokol: „habe mir aber in den USA ein paar sachen zu schulden kommen lassen und die Kripo in der BRD weiss auch das ich im KKK und den Nationale Alianz war usw“. Auch über den ehemaligen Neonazikader und Kroatiensöldner Michael „Homes“ H. sammelte Roland Sokol Informationen. So stieß bei ihm auf Interesse, dass Michael H. plante, einen französischen Ex-Kroatiensöldner und mutmaßlichen Kriegsverbrecher an seinem neuen Wohnort im Allgäu unterzubringen. Seine internationale Kontakte reichten auch nach Skandinavien. So trat bei der Feier zu Sokols 40. Geburtstag im Juni 2012 der Neo­nazi-Liedermacher Mirko „Barny“ Szydlowski aus Jena (inzwischen Dresden/ Chemnitz) auf. Der Liedermacher „Barny“ ist für gute Kontakte zur schwedischen Neonazi-Szene bekannt, da er dort längere Zeit lebte.

Der Verfassungsschutz und „Blood & Honour“ ?

Im März 2006 kam es zu Razzien gegen Nachfolgestrukturen der verbotenen Neonazi-Skinhead-Organisation „Blood & Honour“ (B&H) bei dutzenden Neonazis auch in Karlsruhe und Umgebung. Auch Roland Sokol und seine Ex-Frau Stefanie S. waren davon betroffen und wurden als Beschuldigte geführt. Der Grafikdesignerin Stefanie S. wurde vorgeworfen, am Layout von „Blood & Honour“-CDs mitgearbeitet zu haben. Heute arbeitet sie als Tätowiererin in ihrem Studio „Mystic Tattoo Karlsruhe“. Bei dem auf die Ermittlungen folgenden Prozess im Jahr 2011 soll Roland Sokol nicht mit vor Gericht gestanden haben. Ob hier der Verfassungsschutz eingegriffen hat ist nicht bekannt. Unbeeindruckt von den Ermittlungen war Sokol in der RechtsRock-Szene weiterhin aktiv unterwegs. Mitte April 2010 trat die rechte Skinheadband „Endstufe“ gemeinsam mit „Kommando Skin“ vor über 300 Neonazis im Neonazi-Treffpunkt „Rössle“ in Rheinmünster-Söllingen auf. Sokol war an der Organisation des Konzertes beteiligt. Kaum verwunderlich, schließlich war er gemeinsam mit Dirk „Buddy“ M. Mitglied der „Endstufe Crew Baden“.2  

Ende Juni 2013 war Sokol federführend bei der Organisation eines „Hammerskin“-Konzertes mit „Division Germania“ und „Kommando Skin“ dabei. Auch in die Durchführung eines RechtsRock-Konzertes Ende Dezember 2010 im „Rössle“ mit „Bunker 16“ (Bremen), „I.C.1“, und „Sturmtrupp“ war Sokol eingebunden. Er traf sich mehrfach mit dem „Rössle“-Eigentümer Günter Sick. Insbesondere Ende 2013 versuchte er ihn immer wieder zu überzeugen, das „Rössle“ den Neonazis zu überlassen. So z.B. im Vorfeld eines von ihm mitorganisierten Neonazi-Konzertes Mitte November 2013 mit Michael „Lunikoff“ Regener. Der Verfassungsschutz war durch seinen V-Mann Sokol damit direkt in die Aufrechterhaltung des Neonazibetriebs im „Rössle“ involviert, obwohl der Geheimdienst in der Öffentlichkeit stets behauptete, alle Anstrengungen zur Schließung des größten und wichtigsten Neonazizentrums in Baden-Württemberg zu unternehmen. Das Ende des „Rössle“ besiegelten nicht etwa die nahezu lückenlosen Informationen des Verfassungsschutzes, sondern öffentlicher Druck nach antifaschistischen Recherchen und überregionaler Presseberichterstattung.

Erfolgloser „Patria“-Versand

Ende November 2011 erhielt der damalige Betreiber des neonazistischen „Patria“-Versands, Franz Glasauer, eine DVD mit dem  Bekennervideo des NSU. Kurz darauf wurde der Neonazi-Onlineshop durch den V-Mann Sokol übernommen. Er plante die Übernahme jedoch schon in den Wochen zuvor gemeinsam mit seinem langjährigen Kameraden Bernd Christoph aus Ulm, der die Neonazidruckerei „Lithographix“ betreibt. Bernd Christoph hatte bereits seit den 1990er Jahren durch seinen „Blood & Honour“ nahestehenden Rechtsrock-Vertrieb „Clockwork Records“ Erfahrung in diesem Bereich und sollte für den Ausbau der Musik­sparte zuständig sein. Sokol sprach ge­gen­über seinen „Kameraden“ vom Aufbau einer Existenzgrundlage mittels des Versands, der allerdings kaum Gewinn abwarf. Ende 2013 gab Sokol den „Patria-Versand“ auf.

HoGeSa-Gründung unter VS Aufsicht

Nach dem Tod von Roland Sokol erschien in einer Lokalzeitung eine gedruckte Anzeige: „Wir nehmen Abschied von unserem Freund und Kameraden. In stiller Trauer, Hooligans Karlsruhe“. Bereits in den frühen 1990er Jahren war Roland Sokol Teil der gewalttätigen rechten Hooligan-Szene in Karlsruhe. Er fuhr regelmäßig zu Auswärtsspielen und rühmte sich noch Jahre später mit seiner Mitgliedschaft bei den 1993 aufgelösten „Destroyers Karlsruhe“ und trauerte den Zeiten der „Süddeutschen Front“ hinterher, eines Zusammenschlusses von Hooligans aus Karlsruhe und Stuttgart. Sokol war Teilnehmer einer der ersten Vorläufer-Demonstrationen der „Hooligans gegen Salafisten“ (HoGeSa) Ende März 2014 in Mannheim. Im Vorfeld des HoGeSa-Großaufmarschs in Köln schrieb er an den Hamburger Neonazi und Hooligan Thorsten de Vries3 : „es ist so eine grosse Chance, dazu braucht es aber intelligente Leute, die das lenken. Am besten Unsere Leute, die national sind....KC spielt ja schein­bar, das ist mal ein Anfang, die haben sich gut entwickelt. (...) es ist ganz wichtig, dass viele politische leute dort sind. ich habe schon etliche Leute angetrieben, hinzufahren“. Sokol stand in Kontakt zu Ralf „Schüttler“ Schütthelm und Marc H., welche Exponenten bzw. Gründer des HoGeSa-Vorläufers aus der facebook-Gruppe „Weil Deutsche sich’s noch trau’n!“ waren.4 Laut Spiegel-Online saß Sokol sogar mit am Tisch, als sich im Herbst 2013 eine Handvoll Hooligans und Neonazis in einer Kneipe im Südwesten trafen, um das Netzwerk zu gründen, das später unter dem Namen HoGeSa bekannt werden sollte.5

Somit dürfte der Verfassungsschutz entgegen seiner öffentlichen Behauptungen genau gewusst haben, was Ende Oktober 2014 in Köln zu erwarten war, als rund 4.500 rechte Hooligans demonstrierten und randalierten.

„Hangaround“, „Prospect“, „Hammerskin“

Roland Sokol suchte und fand 2012 Anschluss an das „Chapter Westmark“ der „Hammerskins“, das im nördlichen Baden, in Rheinland-Pfalz, in Südhessen und im Saarland verankert war. Er durchlief die üblichen Stationen vom „Hangaround“-Anwärter über die „Prospect“-Probezeit bis zur Aufnahme als Vollmitglied. Bereits nach kurzer Zeit war Sokol direkt in die Organisation eingebunden. Für Anfang November 2012 planten das „Chapter Westmark“ ein großes, konspirativ organisiertes Konzert in Frankreich. Da Sokol einen Bus zum Konzert plante, erhielt er bereits im Vorfeld den geplanten Ort des Konzerts von dem europäischen „Hammerskin“-Chef Malte Redeker: „die adresse bitte NIEMANDEN vor 17 geben. auch nicht dem besten freund, dem hund, nachbars katze oder sonstwem ;-)“. Sokol reichte diese Infor­mation zwar direkt an den Verfassungsschutz weiter, doch wie später beim „Rössle“ führte erst eine antifaschistische Intervention zum Verlust der Konzert-Loca­tion direkt hinter der deutsch-französischen Grenze.

Der deutsche „Hammerskin“-Führer Malte Redeker hielt laut der „Autonomen Antifa Freiburg“ große Stücke auf den VS-Spitzel Roland Sokol: „einen gewissen Level an Anstand und Aktivitäten halten, das kann nicht jeder, und Roland hält seit 27 Jahren dieses Level (…) und da sind praktisch alle im chapter noch meilenweit davon entfernt. roland hat seine bewährungszeit vor meinen augen zig mal mehr bewiesen, als jemand der mit mitte 20 2,3 gute jahre hat. wenn der in 10 oder gar 15 jahren noch ähnliches level fährt, dann ziehe ich meinen hut.

Sokol fuhr regelmäßig zu deutschlandweiten Treffen der „Hammerskins“, den „National Officers Meetings“ (NOM). Etwa im Juli 2014 nach Berlin oder im November 2014 nach Anklam. Auch an europaweiten Vernetzungstreffen der „Hammerskins“, genannt „European Officers Meeting“, nahm Sokol teil, beispielsweise im Mai 2013 im südfranzösischen Béziers.

Aus Angst vor dem im Zuge der NSU-Ermittlungen gestiegenen Ermittlungsdruck wurden Anfang 2013 die Chapter „Westmark“ und „Mecklenburg“ pro forma aufgelöst. Beide wurden unter anderen Namen weitergeführt — analog zum Vorgehen von Rockerclubs wie den „Hells Angels“ bei drohenden Verbotsverfahren. Sokols Chapter „Westmark“ gab sich den Namen „Chapter Westwall“, die hessischen „Westmark“-Mitglieder firmierten zukünftig als „Chapter Kurpfalz“ und „Mecklenburg“ wurde zu „Nordmark“. 

Das Ende einer Spitzel-Karriere

Nachdem Sokol im September 2015 nach  schwerer Krankheit verstarb, wurde seiner von zahlreichen Neonazis in sozialen Netzwerken mit pathetischen Nachrufen und Erinnerungsfotos gedacht. Insbesondere die „Hammerskins“, die für ihn bereits vor seinem Tod ein Erinnerungs-Gruppenfoto angefertigt hatten, erstellten kitschige Bildchen und Fotos von altarähnlichen Aufbauten, auf denen Sokols Bild neben den gekreuzten Hämmern von einer Kerze beleuchtet wird. Malte Redeker postete „schmerzerfüllt“ ein Foto von Sokol samt „Hammerskin“-Logo.

Die Beerdigung wurde maßgeblich von Angela „Gurke“ D. aus Ingolstadt organisiert, die bereits seit etwa 1992 gemeinsam mit Roland Sokol Neonazikonzerte besuchte. Sie fand Anfang Oktober 2015 auf dem Karlsruher Hauptfriedhof statt. Nach einer Trauerfeier zogen um die 200 Neonazis, darunter viele Hooligans, Rocker, Neonazimusiker und „Hammerskins“ zu Sokols Grab. Der Sarg wurde von den Neonazis Dirk M. (ehem. RechtsRock-Band „Feuerstoß“/„Foier­stoss“), Steffen H. (ehem. Rechts­Rock-Band „Noie Werte“), Klaus H. (RechtsRock-Band „I.C.1“) und Malte Redeker zum Grab geschoben.

Verfassungsschutz schützt Neonaziorganisationen

Nach Informationen des antifaschistischen Newsflyers „Gamma“ wurde ein Verbot der „Hammerskins“ im Jahr 2000, als auch „Blood & Honour“ verboten wurde, durch den Verfassungsschutz verhindert und mit Schutz von V-Männern in den Reihen der „Hammerskins“ begründet: „Sämtliche personenbezogenen Informationen stammen aus dem Einsatz von V-Personen — überwiegend der Landesbehörden für Verfassungsschutz. Sie sind dementsprechend als Verschlusssache eingestuft und unterliegen dem Quellenschutz.“ Die Mitgliedschaft von Spitzeln in Neonaziorganisationen kann also dazu führen, dass diese nicht nur vom Geheimdienst aufgebaut, finanziert und unterstützt werden, sondern auch noch staatlichen Schutz genießen.

Einige Gremien kündigten mittlerweile an, den Fall Roland Sokol aufzugreifen. So erklärte ein Sprecher des NRW-Innenministeriums, man werde dem Fall Sokol nachgehen und herausfinden, was der Verfassungsschutz in Baden-Württemberg über die Anmeldung der Kölner HoGeSa-Demo gewusst hat.6  Roland Sokol werde auch im NSU-Untersuchungsausschuss in Baden-Württemberg „eine Rolle spielen“, sagte dessen Vorsitzender Wolfgang Drexler. Auch im Bundestag, wo aktu­ell ein zweiter Untersuchungsausschuss zum NSU-Komplex startet, will man sich laut Petra Pau von der Linksfraktion nun Sokol widmen.7  Doch ob sich die Praktiken des Verfassungsschutzes in der Neonazi-Szene durch diese Gremien aufklären lassen, ist nach den Erfahrungen in der VS-NSU-Aufklärung mehr als fraglich.

  • 1Vgl. AIB Nr. 55: „Neonazi-Fluchtwege“
  • 2Die „Endstufe-Crew“ ist die Support-Gruppe der Bremer RechtsRock-Band)
  • 3Vgl. AIB Nr. 109, Seite 38
  • 4Vgl. AIB Nr. 103: „Patriotisches Menschenmaterial“
  • 5Spiegel Online, 13.10.2015: „Gewalt im Fußball: Hogesa-Gründer war V-Mann“ von Christoph Ruf
  • 6Kölner Express, 13.10.2015: „Ein Jahr nach den Krawallen in Köln: Einer der Hogesa-Gründer war ein V-Mann!“.
  • 7taz, 05.10.2015: „Rechtsextreme beim Verfassungsschutz: Aufklärer widmen sich V-Mann“