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Verfassungsschutzberichte - Irreführung der Öffentlichkeit

Einleitung

Die Öffentlichkeit ist auf Informationen über Rechtsextremismus angewiesen. Die Verfassungsschutzberichte gelten als Zusammenfassung amtlicher und daher sicherer Informationen. Trotzdem sind sie ungenau und manchmal sogar falsch. Denn die Ämter für Verfassungsschutz sind Geheimdienste, ihre Informationen entziehen sich einer kritischen und wissenschaftlichen Prüfung.

Bild: flickr.com/strassenstriche/CC BY NC 2.0

Werbung für eine Verfassungsschutz-Ausstellung in Köln.

Insbesondere die viel zitierten Zahlen über rechtsextrem motivierte Straf- und Gewalttaten sind irreführend. Die Daten basieren auf den Meldungen der Landeskriminalämter und Polizeidienststellen. Viele Opfer rechtsextremer Gewalt trauen sich aber gar nicht Anzeige zu erstatten, weil sie Angst vor Racheakten der Neonazis haben. In vielen Fällen rät die Polizei auch von einer Anzeige ab. Doch selbst wenn ein Delikt verfolgt wird, geht es nur dann in die Statistik ein, wenn eine rechtsextreme Motivation zumindest vermutet wird.

Das ist immer dann nicht der Fall, wenn zum Beispiel ein neonazistischer Angriff auf ein Jugendzentrum als »Schlägerei unter Jugendlichen« gewertet wird, oder die Polizei nach Anschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte einen »politischen Hintergrund« der Tat schon vor Beginn der Ermittlungen ausschließt. So weisen die Zahlen im Verfassungsschutzbericht nur einen Bruchteil der tatsächlichen neonazistischen Gewalttaten aus. Die Anlaufstelle für Opfer rechtsextremer Gewalt in Cottbus schätzt etwa, dass »weniger als ein Zehntel aller rechtsextrem oder rassistisch motivierten Gewalttaten als solche an die Öffentlichkeit« gelangen.

Der Direktor des Moses-Mendelssohn-Zentrums, Julius Schoeps, geht davon aus, dass jüdische Friedhöfe in Deutschland zwei bis dreimal so häufig geschändet werden, als von den Verfassungsschützern angegeben. Schoeps kritisierte, die meisten Schändungen würden von der Polizei als »unpolitische Tat klassifiziert«. Vor allem die Angaben über rechtsextrem motivierte Tötungsdelikte sind falsch. In der Zeit vom Oktober 1990 bis Ende 1999 forderte rechtsextreme Gewalt nach Recherchen der PDS-Bundestagsfraktion 110 Todesopfer. Der Rechtsextremismusexperte Bernd Wagner spricht von 136 Toten in den letzten zehn Jahren.

In der Statistik der Bundesregierung wurden nur 24 davon erfasst. Demnach gilt der Mord an dem Magdeburger Punk Frank Böttcher 1997 ebenso wenig als »rechtsextrem motiviert« wie die Hinrichtung des 27jährigen Timo Kählke durch die rechtsextreme Wehrsportgruppe »Werwolf- Jagdeinheit-Senftenberg« 1990 oder der Polizistenmord von Kay Diesner 1997. An dieser Praxis von Desinformation änderte auch die rotgrüne Regierung nichts.

Falsche Zahlen für die Politik

Die Informationen der Behörden und Geheimdienste sind weniger einer sachgerechten Aufklärung verpflichtet als dem politischen Ziel, dem sie gerade dienen. Geht es darum, schärfere Gesetze im Bereich der inneren Sicherheit einzufordern, kann die Situation zum Beispiel durch Informationen über Aufsehen erregende Waffenfunde dramatisiert werden. Wollen Behörden das Image ihrer Region oder das viel zitierte Ansehen der Bundesrepublik im Ausland nicht gefährden, frisieren sie die Zahlen. Über die Informationspolitik der sächsischen Innenbehörden beschwerten sich Medienvertreter Ende 1998.

Ein offener Brief der »Chemnitzer Morgenpost« an das Landeskriminalamt kritisiert, wiederholt sei über erfolgreiche Ermittlungen der »Soko REX« berichtet worden, ohne zuvor über die Straftat zu informieren. Wenn nur die Erfolge im Kampf gegen den Rechtsextremismus gefeiert würden, über das gesamte Ausmaß der Straftaten aber nicht informiert werde, entstehe der fälschliche Eindruck, die Regierung habe die Lage fest im Griff. Nach Informationen der Zeitung wurde den Pressestellen der Polizeidirektionen und Polizeipräsidien per Dienstanweisung untersagt, Informationen über rechtsextreme Straftaten herauszugeben.

Verharmlosung und Relativierung des Rechtsextremismus

Zwar soll der Verfassungsschutz nach offizieller Diktion die Öffentlichkeit über verfassungsfeindliche Bestrebungen informieren. Diese Information fällt jedoch im Bereich des Rechtsextremismus ausgesprochen dürftig aus. Gerade jene Organisationen, die in der Grauzone zwischen Rechtsextremen und einem breiten konservativen Spektrum agieren, fehlen im Verfassungsschutzbericht 1999 völlig.

Ein Beispiel dafür sind die »Junge Landsmannschaft Ostpreußen«, der »Witikobund« oder die Zeitschrift »Der Schlesier«, die im Bereich der Vertriebenenorganisationen agieren. Ein anderes sind die militaristischen Traditionsverbände, wie der »Verband deutscher Soldaten«, der »Ring deutscher Soldaten«, die »Ordensgemeinschaft der Ritterkreuzträger« oder Zeitschriften wie die »Deutsche Militärzeitschrift«, die auch mit den Reservisten und aktiven Soldaten der Bundeswehr zusammenarbeiten und dort neue Anhänger suchen.

Im Hochschulbereich sind Studentenverbindungen wie die »Deutsche Burschenschaft« oder die »Deutsche Gildenschaft« nicht genannt. Einer unseriösen Verharmlosung kommt die Beschreibung der militanten Neonaziszene und rassistischen Alltagsgewalt im Osten gleich. Kaum Erwähnung findet die Tatsache, dass Teile der neuen Länder für Flüchtlinge, MigrantInnen, Punks und andere Opfergruppen der Neonazis längst zu »no go areas« geworden sind.

Sinnentstellend wird die Umsetzung des Konzeptes der »nationalbefreiten Zonen« dargestellt. Zum Neonaziterrorismus heißt es, trotz der Hinweise auf Waffen und Sprengstoffe, fehle »bisher die Absicht, diese gezielt zu Anschlägen einzusetzen«. Ebenso falsch wird über die Anti-Antifa- Aktivitäten berichtet, deren Ziel es lediglich sei, »Gegner verbal anzugreifen und durch Aktionen wie Telefonanrufe zu verunsichern.« Diese Verharmlosung ist auch Ergebnis der Anwendung der Totalitarismustheorie. Die Analyse gilt nicht dem spezifischen Phänomen Rechtsextremismus, sondern dem Vergleich mit dem Linksextremismus. Schon die immer wieder geäußerte Formel der Verfassungsschützer, es gäbe keine Hinweise auf die Bildung einer »braunen Armeefraktion« zeigt, wie diese Doktrin auch in die Öffentlichkeit vermittelt wird.

Neonazistische Gewalt ist schließlich ganz anders strukturiert als die Angriffe der RAF. Sie findet überwiegend im Alltag statt, sie richtet sich fast ausschließlich gegen Schwächere und agiert kaum konspirativ. Der Vergleich mit dem »Linksextremismus« stellt vielmehr eine Relativierung neonazistischer Gewalt dar. Drastisches Beispiel für diese demagogische Gleichsetzung ist das Titelbild der 1999 herausgegebenen Verfassungsschutzbroschüre »Extremistische Bestrebungen im Internet«. In einer Reihe sind dort die Leitseiten der »Hammerskins«, der »Hizbollah« und der emanzipativ – gewaltfreien »Graswurzelrevolution« abgebildet.

Diffamierung des Antifaschismus und linker Kritik

Entgegen der behaupteten Objektivität des Verfassungsschutzes werden Rechts und Links nach sehr unterschiedlichen Maßstäben bewertet. Reicht auf der linken Seite bereits die Teilnahme vermeintlicher Extremisten an Veranstaltungen oder Demonstrationen, um diese in den Verfassungsschutzbericht aufzunehmen, werden auf rechter Seite ganze Kampagnen, wie etwa die von Neonazis und Konservativen gegen die „Wehrmachtsausstellung“, nur am Rande erwähnt. Würde der Bericht beim Rechtsextremismus die gleichen Kriterien verwenden, würde er mehrere Bände umfassen.

Bereits linke Kritik an staatlichem Handeln gilt als verfassungsfeindlich. So etwa die im Verfassungsschutzbericht 1999 zitierte Meinungsäußerung von GegnerInnen des Weltwirtschaftsgipfels in Köln, die EU und die führenden Industrienationen seien »Instrumente im Dienste eines schrankenlosen Kapitalismus, der soziale Ungerechtigkeiten verschärfe, die Länder der Dritten Welt ausbeute und die Umwelt zerstöre.« Verfassungsbruch ist demnach auch eine antimilitaristische Einstellung, sofern »nicht in erster Linie pazifistische Motive das Handeln« prägen. Die geheimdienstliche Beobachtung des Bundesausschuss Friedensratschlag begründete der Staatssekretär im Innenministerium Fritz Rudolf Körper damit, dass die Aktivitäten der Gruppe »keineswegs mit der von uns politisch verantworteten aktiven Friedenspolitik« in Einklang stehen würden.

Eine systematische Diskriminierung erfahren Antifagruppen. Die VVN etwa wurde 1999 in den Bericht aufgenommen, weil sie der Bundesrepublik »eine kontinuierliche Entwicklung nach rechts« unterstelle und dem Rechtsextremismus bei der Rechtsentwicklung der letzten Jahre eine »Funktion im politischen System der Bundesrepublik« zuschreibe. Beim BdA wird eine Verfassungswidrigkeit schon deshalb festgestellt, weil der Verband nicht beabsichtige, sich an das »antitotalitäre Demokratiekonzept« anzunähern.

Als linksextrem und verfassungsfeindlich gilt auch die Analyse, wonach »‚Faschismus’ und ‚bürgerliche Demokratie’ gleichermaßen der Sicherung der Herrschaft des Kapitals« dienen. Diese rein analytische Aussage war im Grundsatz selbst im Nachkriegsprogramm der CDU enthalten. Dort wurde die Verantwortung des Kapitalismus für die Verbrechen des Faschismus benannt und als Konsequenz daraus eine weitgehende Sozialisierung der Schlüsselindustrien gefordert.

Verzichtbarer Verfassungsschutz

Rechtsextremismus und neonazistische Gewalt spielt sich ganz überwiegend in der Öffentlichkeit ab. Die Gesellschaft wäre gut beraten, die Auseinandersetzung darüber transparent und offen zu führen. Letztlich wertet auch der Verfassungsschutz überwiegend öffentlich oder halböffentlich zugängliche Quellen aus. Er betreibt damit aber eine selektive Informations- und Desinformationspolitik, je nach politischem Bedarf. Heimlichtuerei verhindert dabei lediglich die sachliche Überprüfung, Diskussion und Auseinandersetzung.

Auswertung und Information über Rechtsextremismus könnte genauso gut unter Beteiligung von Archiven, Wissenschaft und Fachjournalismus von einer transparenten und öffentlichen Stelle geleistet werden. Deren Ergebnisse sind schon heute meist besser, wissenschaftlich fundiert, transparent und nachprüfbar. Der Verfassungsschutzbericht gilt vielen JournalistInnen, Multiplikatoren der Bildungsarbeit, LehrerInnen, SozialarbeiterInnen oder Behörden als offizieller Leitfaden. Die Verharmlosung des Rechtsextremismus hat entscheidende Wirkung auf das Problembewusstsein in der Öffentlichkeit.

Die Diskriminierung von Antifaschismus hat Auswirkungen auf die Bündnisarbeit oder auf die öffentliche Darstellung in den Medien. Der Antifaschismus der »Linksextremen«, so heißt es im Verfassungsschutzbericht, sei nämlich nur »vordergründig« auf die Bekämpfung rechtsextremistischer Bestrebungen ausgerichtet und habe nur »instrumentellen Charakter«. »Letztlich« ziele er darauf ab, »die freiheitlich verfasste demokratische Gesellschaftsordnung zu beseitigen«. Derartige Einschätzungen der neuen Bundesregierung gehen noch immer auf den Extremismusforscher Hans-Helmuth Knütter zurück. Knütter, der die Ideologie des Innenministeriums in diesem Bereich wesentlich mitgeprägt hat, zeigte selbst mangelnde Distanz zu rechten Kreisen.