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Verschärfte Repression gegen die kurdische Bewegung in Deutschland

Dr. Peer Stolle
Einleitung

Die Repression gegen kurdische Aktivist*innen und Organisationen in Deutschland hat eine lange Tradition. Auch nachdem die kurdischen Milizen YPG1 und YPJ2 in Nordsyrien die Einnahme der Stadt Kobanê durch den ›Islamischen Staat‹ verhindert und sich dadurch weltweit viel Sympathie erworben haben, blieb der Kurs der deutschen Behörden derselbe. Noch nie wurden so viele Verfahren gegen vermeintliche oder tatsächliche Kader der PKK3 wegen § 129b StGB geführt, wie in den letzten Jahren. Dieser ohnehin schon harte Kurs wurde jetzt nochmals verstärkt.

  • 1Yekîneyên Parastina Gel / Volksverteidigungseinheiten
  • 2Yekîneyên Parastina Jin / Frauenverteidigungseinheiten
  • 3Partiya Karkerên Kurdistanê / Arbeiterpartei Kurdistans
Foto: Kurdishstruggle; CC BY 2.0

Deutsche Behörden zeigen viel Kreativität, wenn es um die Kriminalisierung der kurdischen Bewegung geht. Auch wenn sich Teile von ihr ändern oder politische Schwerpunkte verlagern, rücken diese nicht von ihrer 1993 getroffenen Bewertung der PKK als „terroristisch“ ab und kriminalisieren weiter jede politische Äußerung, die eine ideologische oder politische Nähe zu dem zeigt, was von den politischen Behörden als PKK angesehen wird. In Deutschland wird die PKK – anders als in anderen europäischen Ländern – nicht nur als „terroristische Organisation“ angesehen und ihre vermeintlichen Mitglieder nach §129b StGB1 verfolgt, sondern hier gilt auch seit 25 Jahren ein Verbot der PKK als Organisation.

Eine Betätigung für die PKK, in welcher Form auch immer, ist somit auch nach dem Vereinsgesetz strafbar. So ist z.B. das Verwenden sämtlicher Kennzeichen dieser Organisation strafbar. Ferner gibt es Möglichkeiten, das Verbot versammlungsrechtlich umzusetzen, weil eine verbotene Organisation keine Versammlung durchführen darf. Für eine verbotene Versammlung darf auch nicht auf Veranstaltungen geworben und ihre Kennzeichen verwendet werden. Es gibt also über das Versammlungsrecht und das Vereinsgesetz weitere Einfallstore für staatliche Behörden, Kurd*innen zu kriminalisieren.

Verschärft hatte sich dieses Vorgehen nach dem Kampf von YPG und YPJ in Zusammenarbeit mit der internationalen Koalition gegen den IS um Kobanê 2014 und gegen den „Islamischen Staat“. Dies führte europaweit zu einer anderen Diskussion über die kurdische Bewegung und über deren bewaffnete Einheiten. Auf einmal wurden diese zu Verteidiger*innen von Errungenschaften der westlichen Gesellschaft gegen die islamistische Barbarei. Es war en vogue, die kurdische Bewegung zu unterstützen oder Sympathie zu zeigen. Dies führte in Deutschland aber nicht zu einer Änderung der Sichtweise der Behörden. Denn diese haben ein ureigenes Interesse und auch eine lange Tradition, linke emanzipatorische Bewegungen als staatsfeindliche Bedrohung anzusehen und zu kriminalisieren. Noch während die internationale Koalition in Zusammenarbeit mit den Kurd*innen den IS bekämpfte, wurden vom Generalbundesanwalt Strafverfahren wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung gegen Personen aus Deutschland eingeleitet, die in syrischen Gebieten auf der Seite der YPG/YPJ gekämpft haben sollen. Diese wurden mit der Behauptung begründet, YPG/YPJ seien eine Teilorganisation der PKK. Deshalb würden sich Personen, die dort gekämpft haben, grundsätzlich nach §129b strafbar machen.

Die Verfahren wurden in der Regel eingestellt, weil es auch dem Generalbundesanwalt damals absurd erschien, Anklage gegen Personen zu erheben, die Teil einer von NATO-Staaten geführten internationalen Koalition sind und von diesen Staaten auch Waffen erhielten. Die Verfahren dienten eher dazu, der weit verbreiteten Sympathie gegenüber den syrischen Kurd*innen entgegen zu wirken, indem sie in die Nähe terroristischer Organisationen gerückt wurden.

2017 gab das Bundesinnenministerium einen neuen Runderlass an sämtliche Sicherheitsbehörden mit dem Inhalt heraus, wie die PKK aktuell aufgestellt sei, die dazugehörigen Organisationen bezeichnet werden und welcher Kennzeichen sich die PKK bedienen soll. In der Anlage befand sich eine mehrseitige Darstellung von Symbolen angeblich PKK-naher Organisationen, darunter auch PYD, YPG und YPJ als angebliche PKK-Ableger-Parteien. Was das genau zu bedeuteten hatte, wurde nicht gesagt. Indirekt bedeutete das, dass nicht nur originäre Vereinskennzeichen der PKK unter das Verbot fallen, sondern auch solche, derer sich die PKK möglicherweise als Ersatz bedient. Das führte dazu, dass absurde Strafverfahren eingeleitet wurden. So am 1. Mai 2017 in Frankfurt am Main wegen eines Transparents „Wir danken den Volksverteidigungseinheiten und Fraueneinheiten für den Kampf gegen den IS“, darauf Symbole von YPG und YPJ. Es gab keinen PKK-Bezug, dennoch wurde erstmals ein Strafverfahren eingeleitet. Weiter gab es Auflagen, die das Zeigen dieser Symbole auf Versammlungen untersagten. Die rechtliche Grundlage war völlig unklar, weil der Erlass nicht beinhaltete, dass YPG und YPJ mit der PKK gleichzusetzen seien. Wenn nun ihre Symbole verboten wurden, bedeutet das auch, dass das PKK-Verbot auf sie ausgeweitet wird und sie als Terrororganisation gelistet würden? Auf Grund einer Kleinen Anfrage der Bundestagsfraktion der Linkspartei, wie das zu verstehen sei, äußerte sich die Bundesregierung: Grundlage des Erlasses sei eine Auswertung des aktuellen Versammlungsgeschehens, bei dem festgestellt worden sei, dass sich die PKK der in der Anlage gelisteten Symbole für ihre Anliegen bediene. YPG und YPJ seien nicht verboten und auch nicht grundsätzlich das Verwenden ihrer Symbole, sondern nur, wenn sie in einem PKK-Kontext als Ersatzsymbole für Sympathiekundgebungen mit oder als Werbung für die PKK verwendet würden. Diese Regierungsauffassung setzte sich zwar nur zum Teil in den Behörden durch, führte aber zu einer enormen Verunsicherung und zu einem regional unterschiedlichen Umgang mit diesen Symbolen.

Verschiedene Verfahren endeten mit Freisprüchen bzw. Einstellungen. Auch verwaltungsgerichtliche Entscheidungen verwarfen ein generelles Verbot von PYD, YPG/YPJ-Symbolen als Versammlungsauflage. Möglich sei dies nur, wenn damit Sympathiekundgebungen für die PKK bezweckt seien. Es gab aber auch andere Entscheidungen. Vor allem in Bayern wird sehr rigoros vorgegangen.

Die Frage stellt sich, was ein PKK-Kontext überhaupt sein soll. Die Polizei stellt sich – regional sehr unterschiedlich – auf den Standpunkt, dass dies nicht vor Ort feststellbar, sondern Sache der folgenden Ermittlungen sei. De facto wird erst einmal davon ausgegangen, dass eine Straftat vorliegt und Personalien aufgenommen, Demonstrationszüge eng begleitet sowie sämtliche Personen, die solche Fahnen tragen, und deren Umfeld gefilmt. Dieses polizeiliche Vorgehen führt regelmäßig zu Auseinandersetzungen darüber, ob die Verwendung der Symbole erlaubt sei. Ähnlich sieht es bei der Verwendung von YPG/YPJ-Symbolen in den sozialen Medien oder etwa an Hauswänden aus. Es folgen Hausdurchsuchungen bei den Betroffenen. Ob dann wirklich ein PKK-Kontext vorliegt oder nur eine Solidaritätsbezeugung für den Kampf der syrischen Kurd*innen gegen den IS, kann angeblich später ermittelt und entschieden werden. Es ist ein Einfallstor für Strafverfolgungsbehörden, um die kurdische Bewegung zu kriminalisieren und politisch zu paralysieren.

Gerichts- und Auflagenbescheide ergeben folgendes Bild: Jede politische Äußerung aus kurdischen Gebieten, von kurdischen Personen oder Vereinen wird automatisch als PKK zugehörig angesehen. Dabei sind sich die Sicherheitsbehörden völlig uneinig, wie die PKK aufgebaut sein soll oder wer dazugehört. Sind PYD und YPG „Ablegerparteien“ oder nur mit der PKK liiert? Wurden sie von ehemaligen PKK-Mitgliedern gegründet oder gab es eine Anweisung von Öcalan2 , sie zu gründen? Sind sie Teil der PKK? All das wird unterschiedlich bewertet, aber gewollt. Die unklare Rechtslage führt dazu, dass eine Vielzahl von politischen Äußerungen automatisch als Werbung für die PKK angesehen wird. Gerade bei der Person Öcalan und der Auflage, sein Bild auf Versammlungen nicht zeigen zu dürfen, außer es gehe um seinen Gesundheitszustand, zeigt sich die Verworrenheit.

Jüngst hat das Bundesinnenministerium die auf die Verlegung und den Vertrieb von kurdischer Literatur und Musik spezialisierten Mezopotamien Verlag sowie die MIR Multimedia GmbH als angebliche Teilorganisationen der PKK verboten. Die beiden Unternehmen haben sowohl kurdische Literatur und Musik jeglicher Couleur, als auch Übersetzungen von Klassikern der Weltliteratur in die kurdische und türkische Sprache vertrieben. Bei einer Razzia im März 2018 wurden mehr als acht LKW-Ladungen mit Literatur und Musik aus den Verlagsräumen abtransportiert. Betroffen davon waren auch ein komplettes Tonstudios und das wohl größte Archiv an kurdischer Musik in Europa. Begründet wurde dieses Verbot mit der Behauptung, sämtliche betriebswirtschaftliche Aktivitäten würden der PKK zugutekommen. Da beide Gesellschaften defizitär gearbeitet haben, kommen sie als Einnahmequelle der PKK aber gerade nicht in Betracht.

Mit diesem rigorosen Vorgehen steht Deutschland in Europa ziemlich alleine da. Jüngst hat ein belgisches Revisionsgericht entschieden, dass die belgische Anti-Terror-Gesetzgebung nicht auf die PKK anwendbar ist, da es sich um einen bewaffneten Konflikt handelt. Von einer derartigen realistischen Sichtweise sind die Behörden in Deutschland noch meilenweit entfernt.

Dr. Peer Stolle ist Rechtsanwalt in Berlin, Mitglied im Vorstand des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins (RAV) und vertritt die Mezopotamien Vertrieb GmbH und MIR Multimedia GmbH.

  • 1Der §129b StGB stellt die Mitgliedschaft in und Unterstützung von ausländischen „terroristischen“ Vereinigungen unter Strafe.
  • 2Abdullah Öcalan ist Gründungsmitglied der PKK