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Vienna calling

„…ums Ganze! Kommunistisches Bündnis“
Einleitung

Erfolge und Herausforderungen der antifaschistischen Proteste gegen den Wiener Akademikerball

Foto: Daniel Weber

Der Wiener Akademikerball, vormals der Ball des Wiener Korporationsringes, mutet auf den ersten Blick an wie eine jener harmlosen, meist skurrilen Veranstaltungen der Wiener Tanzsaison. Tatsächlich handelt es sich um eine der größten Zusammenkünfte von Burschenschaftern im deutschsprachigen Raum, Jahr um Jahr abgehalten im symbolischen Zentrum der österreichischen Staatsmacht, der Wiener Hofburg, die zugleich Amtssitz des österreichischen Bundespräsidenten ist. Auch wenn die besten Zeiten des Balls womöglich vorüber sind: Im Gegensatz zur schwindenden Bedeutung des Verbindungswesens in der BRD sind Burschenschafter, Corps und Landsmannschaften in Österreich nach wie vor selbstverständlicher Teil von Kultur und Politik, mit dem Akademikerball als zentralem Event in Sachen Selbstdarstellung, gesellschaftlichem Machtanspruch und rechter Vernetzung. Auf dem Ball kommen rechte Eliten, legal organisierte extreme Rechte und militante Neonazi-Szene in gediegener Atmosphäre zusammen, gewissermaßen als die elegantere Variante des offen revanchistischen Ulrichsbergtreffen in Kärnten.

Der Wiener Korporationsring (WKR) richtet den Ball seit 1953 aus, seit 1968 findet er in der Wiener Hofburg statt. Der WKR besteht aus über zwanzig Wiener Verbindungen, die sich in einem Spektrum zwischen „national-freiheitlich“, völkisch-deutschnational und offen neonazistisch bewegen. In der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ), die den Ball seit 2012 offiziell ausrichtet, fanden die Burschenschafter schon früh einen gewissermaßen natürlichen Partner, auch weil über ein Drittel der Nationalratsabgeordneten der FPÖ selbst „alte Herren“ einer Verbindung sind. Seit Beginn ihrer Regierungsbeteiligung im Jahr 2000 versuchte die FPÖ den WKR-Ball zudem zu einem informellen Vernetzungstreffen der europäischen Rechten auszubauen. 2012 besuchte etwa Marine Le Pen, die Vorsitzende des französischen Front National, den Ball, auch Mitglieder des belgischen Vlaams Belang, der NPD und von Pro Deutschland waren bereits zu Gast. Dass der FPÖ-Vorsitzende Heinz-Christian Strache und der FPÖ-Europaabgeordnete Andreas Mölzer als Teil des offensiv deutschnationalen Parteiflügels dieses Jahr vor Ort waren, unterstreicht die Bedeutung, die die FPÖ dem Ball beimisst. Der Ball steht damit auch im Kontext eines konzertierten europäischen Rechtsrucks, der mit einer gemeinsamen Fraktion im Europaparlament nach den Wahlen im Mai besiegelt werden soll.

Ausgehend von einer Spontandemonstration, die im Jahr 2008 mit wenigen hundert Teilnehmer_innen stattfand, etablierten sich antifaschistische Proteste gegen den Ball. Antinationale Gruppen organisieren sich seit 2008/2009 im NoWKR-Bündnis, seit 2012 ist auch das …ums Ganze!-Bündnis vertreten. Die Proteste waren wiederholt schweren Polizeirepressionen und Demonstrationsverboten ausgesetzt. Ähnlich wie bei den Protesten in Dresden ist es jedoch gelungen, die Veranstaltung dauerhaft zu problematisieren und so den Diskurs zu verschieben. Seit einigen Jahren knüpfen auch parteinahe und zivilgesellschaftliche Akteur_innen an die antifaschistischen Proteste an. So rufen inzwischen die Bündnisse „Jetzt Zeichen setzen“ und „Offensive gegen Rechts“ zu Demonstrationen gegen den Ball auf. Als ...ums Ganze!-Bündnis haben wir vor allem die Rolle des Akademikerballs in einer europaweiten rechten Offensive in der gegenwärtigen Krise betont.1 Auch als internationalistische Antwort auf reaktionäre Krisenlösungsideologien organisierten wir seit 2012 die Busanreise aus deutschen Städten nach Wien und unterstützten italienische Antifaschist_innen bei der Anreise.

Eine breitenwirksame Skandalisierung des Balls mit entsprechender medialer Aufmerksamkeit gelang erstmals 2012, als der WKR den Ball für den 27. Januar ansetzte. Für 2013 sagte die Betreibergesellschaft der Hofburg den Ball ab, die FPÖ sprang daraufhin als Veranstalterin ein, widmete die Veranstaltung jedoch lediglich in „Wiener Akademikerball“ um. 2014 verhängte die Polizei um die Hofburg eine Sperrzone, die größer als beim Staatsbesuch George W. Bushs 2006 war, was neben der Tatsache, dass Gedenk- und Protestkundgebungen von Überlebenden der Shoah auf dem Heldenplatz sowie eine zivilgesellschaftliche Demonstration untersagt wurden, zu breiter öffentlicher Kritik am Ball wie an den Maßnahmen der Polizei führte. Dass am Balltag selbst zudem Journalist_innen am Betreten der Sperrzone gehindert und von Polizisten verletzt wurden, drängte die Polizeiführung medial in die Defensive. An den zwei großen Gegendemonstrationen nahmen jeweils etwa 3000 Menschen teil, eine deutliche Steigerung zum Vorjahr. Nach der Auflösung der Demonstrationen kam es zu Zusammenstößen mit der Polizei, viele hundert Aktivist_innen drangen in die Sperrzone ein, blockierten Straßen und u. a. Taxis mit anreisenden Gästen, zahlreiche Schaufenster gingen zu Bruch. Insgesamt beteiligten sich etwa 8000 Personen an den Protesten. Wie auch in den Vorjahren wurden im Umfeld der Hofburg mehrere Gruppen von Neonazis gesichtet, die die Demonstrant_innen zum Teil tätlich angriffen. Massenverhaftungen blieben hin­gegen aus, auch wenn Justiz und Polizei entschlossen scheinen, an einem seit den Protesten in Untersuchungshaft befindlichen Aktivisten aus Jena wegen angeblicher Rädelsführerschaft ein Exempel zu statuieren.

Es lässt sich bisher keine verlässliche Zahl der Ballbesucher_innen ermitteln. Schätzungen deuten daraufhin, dass diese 2014 weit unter 800 lag und damit noch einmal deutlich die bereits niedrige Beteiligung im Vorjahr unterschritten hat. Auch deswegen ist die diesjährige Mobilisierung als Erfolg zu werten.2 Durch kontinuierliche Intervention ist es nicht nur gelungen, den Ball in seiner Bedeutung für die extreme Rechte anzugreifen, dem Protest ist es außerdem zu verdanken, dass die Veranstaltung binnen weniger Jahre zu einem zentralen Thema in der österreichischen Öffentlichkeit geworden ist. Dass die unterschiedlichen Bündnisse keinen gemeinsamen Aktionskonsens formulierten, erwies sich dabei nicht als Schwäche, gelang doch ein gleichberechtigtes Nebeneinander ohne größere Konflikte, was schließlich zu einer massiven Behinderung des Balls führte.

Zugleich konnte eine weitergehende Kritik an reaktionären Krisenlösungstendenzen und der Rolle des Balls darin nur punktuell vermittelt werden. Bemerkenswert ist allerdings gerade aus bundesdeutscher Sicht das Wohlwollen, mit dem Teile der Medien, etwa „Der Standard“, dem massenhaften entschlossenen Auftreten von Aktivist_innen begegneten. Auch der in der Wiener Innenstadt entstandene Sachschaden in Höhe von über einer Million Euro führte nicht dazu, die Proteste für politisch unglaubwürdig zu erklären. Dies dürfte auch auf die in Österreich unveränderte politische Polarisierung zwischen Links und Rechts zurückzuführen sein. Gerade mit Blick auf die Nationalratswahlen im letzten September, bei denen die FPÖ mit rassistischer Hetze und einer Inszenierung als soziale Heimatpartei auf 21 Prozent der Stimmen kam, wie auch die anstehenden Europawahlen, bei der die FPÖ in einigen Teilen Österreichs mit bis zu vierzig Prozent der  Wählerstimmen rechnen kann.

Dennoch dominierten nationalistische Interpretationen die öffentliche Debatte um den Ball und ein Imageverlust für Österreich wird befürchtet, die Hofburg als nationaler Repräsentationsraum steht dabei im Mittelpunkt. Eine antifaschistische Intervention ums Ganze steht daher im nächsten Jahr vor einer doppelten Herausforderung: Sie muss die Störung des Balls gemeinsam mit den zivilgesellschaftlichen Akteur_innen organisieren und zugleich die umfassende Kritik an Staat, Nation und Kapital gegen sie verdeutlichen. Für eine solche notwendigerweise doppelte Kritik bietet der Akademikerball auch im nächsten Jahr einen hervorragenden Anlass. Alle Jahre wieder wäre allerdings zu erörtern, ob der Ball mit Blick auf die in Folge der Proteste schwindenden Gästezahlen immer noch zum Symbol eines transeuropäischen Bündnisses aus rechten Eliten, Burschenschaftern und Neonazis taugt – auch um zivilgesellschaftlichen Selbstversicherungsdiskursen nicht in die Hände zu spielen. Wie immer Antifaschist_innen sich entscheiden werden: Angesichts der günstigen Verhältnisse vor Ort bleibt für eine linksradikale Intervention noch reichlich Luft nach oben.

Das kommunistische …ums Ganze!-Bündnis wurde Ende 2006 im Vorfeld des G8-Gipfels in  Heiligendamm gegründet, um linksradikale Gesellschaftskritik überregional zu organisieren und handlungsfähig zu machen. Derzeit sind elf Gruppen im Bündnis organisiert, u.a. TOP B3rlin, die autonome antifa [f] aus Frankfurt, der Antifa AK Köln und the future is unwritten aus Leipzig.