Wer nichts mehr hat, bringt auch Profit
Peter SonntagWie findige Geschäftsleute mit der Not der Geflüchteten Profit machen
Die Zahl der Menschen, die in der Europäischen Union Schutz vor Krieg, Vertreibung, Folter und Tod suchen, steigt. Damit steigt nicht nur die Zahl der benötigten Unterkünfte und Schlafplätze. Es kommen auch eine Menge potenzielle neue Kundinnen und Kunden ins Land. Und damit finden sich diejenigen ein, die aus der Not von Geflüchteten Profit schlagen wollen. Fälle gibt es bundesweit, eine Gesamtschau würde den Rahmen dieses Textes deutlich sprengen. Der zwangsläufig unvollständige Überblick beginnt in Berlin.
Für Schlagzeilen sorgte schon im Sommer ein Vermieter, der eine Vier-Zimmer-Wohnung für schlappe 10.500 Euro im Monat vermietete. Sieben Menschen waren dort untergebracht. Aber auch ein anderes Modell weckt den Ideenreichtum von Geschäftemacher*innen: In Berlin werden Geflüchtete auch mit Gutscheinen für Hostels versorgt. Mit diesen gehen sie zu ihrer Unterkunft, die Rechnung geht an den Bezirk oder das Land Berlin. Rund 1.500 Menschen waren im September nach Angaben des „Tagesspiegel“ in Berliner Hostels untergebracht. Während es auf der einen Seite Hostelbetreiber*innen gibt, die Geflüchtete nicht mehr oder nur noch widerwillig aufnehmen, sehen andere in den 50-Euro-Gutscheinen das lukrativere Geschäft: für Obdachlose bekommen die Betreiber*innen weniger Geld. Die Schwächsten werden so in Konkurrenz zueinander gesetzt. Eine Hostelbetreiberin zeigte sich dagegen äußerst aufnahmefreudig und bot der Stadt im September laut dem Nachrichtenmagazin „Stern“ an, ihre Bettenzahl von 450 auf 870 zu erhöhen, um noch mehr Geflüchtete unterbringen zu können — für 25 Euro pro Nacht. So viel Menschenfreundlichkeit zahlt sich aus — aus Steuergeldern.
Die Nachfrage bei knappem Angebot treibt die Preise in die Höhe. So ist das im Kapitalismus. Beispielsweise in Duisburg wurde ein leerstehendes Bürogebäude bislang für sieben Euro pro Quadratmeter angeboten. Dann wollte es ein Investor kaufen und der Stadt für das Doppelte, 15,25 Euro pro Quadratmeter kalt, vermieten. Auch das berichtete der „Stern“ und zitierte den Grünen-Politiker Gerhard Schwemm: „Das ist für mich moralisch nicht in Ordnung.“ Ein anderes Beispiel aus Nordrhein-Westfalen ist der Marktführer bei der Unterbringung und Rundum-Betreuung von Geflüchteten, European Homecare aus der Ruhrmetropole Essen. Das Unternehmen betreibt Erstaufnahmeeinrichtungen, Gemeinschaftsunterkünfte und Wohnungen für Flüchtlinge, neuerdings auch — Innovation muss sein — sogenannte Mobilheime, die man als bessere Zelte oder schlechtere Container interpretieren kann. 50 Einrichtungen sind es insgesamt, Tendenz steigend. European Homecare bietet auch Kantinenverpflegung an, ferner soziale und medizinische Betreuung, gerne auch kurz vor der Abschiebung. Bei all dem inszeniert sich European Homecare als der „ALDI unter den Anbietern“. Eine Folge des Billigheimer-Ansatzes: Das Wachpersonal verdient so schlecht, dass es Wohngeld beantragen muss, wie im „Handelsblatt“ zu lesen war. Der Staat bezahlt und subventioniert in einem zweiten Schritt also den Billiglohn, der das private Unternehmen besonders konkurrenzfähig macht.
European Homecare — war da nicht was? Richtig, der Skandal über vom Wachpersonal misshandelte Geflüchtete, der im September 2014 für bundesweite Schlagzeilen und manchen Flüchtlingsgipfel sorgte. Die beiden beschuldigten Wachleute wurden unlängst freigesprochen — es galt der Rechtsgrundsatz im Zweifel für den Angeklagten. Aussagen von Flüchtlingen und Polizei hatten sich widersprochen. Neonazis im Wachschutz? Keine Einzelfälle. In Brandenburg fand der Verfassungsschutz heraus, dass von 1.100 registrierten Rechten jeder zehnte im Wachgewerbe arbeitete, berichtete das ZDF-Magazin Frontal21 und fand Fälle in mehreren Bundesländern, bei denen Neonazis in Flüchtlingsheimen arbeiten und die Bewohner*innen vor Neonazis schützen sollen.
Bei European Homecare hat man sich zwischenzeitlich einen Profi für die PR geholt: Klaus Kocks kommunizierte zuvor für Großkonzerne wie VW oder die Ruhrkohle AG. Auf der Webseite fallen nun Begriffe, die Sympathie wecken sollen: „Familienunternehmen“, „qualitativ beste Leistung“, „effizient“, „schlanke Verwaltung“, „besonders sorgfältige Auswahl seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“ und so weiter. „Wir helfen der Politik in ganz praktischer Hinsicht“, behauptet das Unternehmen, das laut „Die Zeit“ dank der Flüchtlingskrise aus den roten Zahlen kam. So soll European Homecare 2013 — also vor dem ganz großen Boom — 1,4 Millionen Euro Gewinn gemacht haben.
Der Blick schweift weiter durch die Republik und hält im hohen Norden. Hier geht es einmal nicht um Wohngelegenheiten für Geflüchtete. Abzocken und das Ausnutzen beispielsweise mangelnder Sprachkenntnisse oder von fehlendem Wissen über Tarife weckt die Kreativität. Die Hamburger Verbraucherzentrale (vzhh) beobachtet laut einem Bericht der Zeitung „neues deutschland“ mit Sorge, dass Asylbewerber*innen zunehmend bei den für sie so wichtigen Mobilfunkverträgen oder auch Versicherungen über den Tisch gezogen werden. „Drücker wollen ihnen Handyverträge verkaufen, Banken verweigern ihnen ein Girokonto, ihre Rechte als Patienten kennen sie nicht“, heißt es auf der Homepage der vzhh. Der NDR hatte im Juni von einem Fall aus Bremen berichtet, bei dem ein Anbieter die mangelnden Sprachkenntnisse eines Syrers ausnutzte, um ihm statt dem gewünschten günstigen Handyvertrag gleich zwei überteuerte Mobilfunkverträge ohne Kostenbremse anzudrehen. Er stand plötzlich mit einer Rechnung von 700 Euro da und wusste nicht, wie er sie bezahlen soll. Die vzhh hat eine Reihe sinnvoller Informationen zu Mobilfunk, Haftpflichtversicherungen oder zur Befreiung vom Rundfunkbeitrag für Geflüchtete zusammengetragen — auf deutsch, aber das Wissen hilft auch Unterstützer*innen weiter.
Wir blicken uns weiter um. Da hinten liegt Sachsen, der Freistaat, der seit langem durch eine hohe Zahl von Angriffen, Übergriffen und Brandanschlägen auffällt. Nur ein Beispiel: Mitte Juli 2015 griffen bislang Unbekannte zwei Nächte hintereinander das Apart-Hotel in Böhlen, Landkreis Leipzig an, in dem zu der Zeit rund 150 Asylsuchende untergebracht waren. Etliche Scheiben gingen zu Bruch, von Schüssen auf das Gebäude war die Rede. Das Hotel ging jedoch schon im Februar 2015 durch die Medien, als bekannt wurde, dass der Besitzer der Berliner Unternehmer Wolfgang Seifert ist. Jener extrem rechte Seifert, der als früherer Funktionär der Partei „Die Republikaner“ bekannt ist und der in der Vergangenheit eher durch seine Sorge um das deutsche Volk, als durch seine Hilfsbereitschaft für Geflüchtete aufgefallen war. Seiferts Firma „Allround Service GmbH & Co. KG“ soll nach Informationen eines NPD-Insiders als „Quartiermacher“ für den Bundesparteitag der NPD in Berlin-Reinickendorf 2009 gedient haben. Heute vermietet Seifert seine Räumlichkeiten an das Land Sachsen. Beim Geld hört die politisch Gesinnung anscheinend auf. Dies ist jdoch kein Einzelfall. So mietete der sächsische Landkreis Meißen eine Unterkunft von Lars Seidensticker, ehemaliger Geschäftsführer der rechten Partei „Pro Deutschland“ und seit Jahren in der rechten Szene bekannt. Mit 21 Jahren trat er der rechten Partei "Die Republikaner" bei, war Mitglied der extrem rechten DVU, ist außerdem Präsident des revisionistischen „Eigentümerverband Ost“. Der bekennt sich auf seiner Homepage zur „demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes“ und sieht als seine Hauptaufgabe „die juristische Verwirklichung der Eigentumsansprüche der Heimatvertriebenen und deren Nachfahren!“ Und wenn man mit Flucht Geld verdienen kann, umso besser. Einen Widerspruch sieht Seidensticker nicht. „Präsident eines Vertriebenenverbandes und Asylheimvermieter — das passt doch wunderbar“, zitierte die Zeitung „Die Welt“ den 39-jährigen, der nach einem tätlichen Angriff auf einen 17-jährigen bei einer „Pro Deutschland“-Demonstration im Jahr 2013 wegen Körperverletzung zu einer Geldstrafe verurteilt worden war. Es war nicht das erste Mal, dass der Vermieter einer Meißener Asylunterkunft mit dem Gesetz in Konflikt kam.
Die Liste ließe sich fortsetzen. Im Ergebnis zeigt sich: Auch mit denen die so gut wie nichts mehr haben, lässt sich ein Euro machen. Auch das ist die Willkommenskultur in Deutschland.