Folter in türkischen Gefängnissen
Kürşat Istanbullu (Gastbeitrag)Folter und Hinrichtungen sind als Unterdrückungsmethoden seit dem Putsch am 12. September 1980 ein Teil des (politischen) Alltagslebens in der Türkei geworden. Ein Gastbeitrag / Teilabduck von Kürşat Istanbullu aus dem Buch "Gözaltında Kaybolanlar" (Yalçın Yayınları, Istanbul, 1986).
Vor dem 12. September wurde Folter vor allem gegen einzelne Kommunisten und Antifaschisten durch Polizei und Militär angewandt. Nach dem 12. September-Putsch hat die Folter eine neue Form erhalten.
So wird z.B. in Kurdistan die gesamte Bevölkerung eines Dorfes gefoltert. Massenfolterung ist heute an der Tagesordnung. Nach der Festnahme werden fortschrittliche Kräfte zur Polizeistation gebracht. Dort können sie bis zu 49 (?) Tage ohne Kontakt zur Außenwelt und zum Anwalt festgehalten werden. Sie sind dort schwerster Folter ausgesetzt. Folter schwebt gleich einem Damoklesschwert über den Köpfen aller die Widerstand leisten wollen. Diejenigen die vor Gericht ihre Geständnisse die sie unter Folter gemacht haben zurückziehen werden immer wieder zur Folter geholt. Viele werden zu Tode gefoltert oder per Gerichtsurteil offiziell hingerichtet. Insbesondere in den Militärgefängnissen wird systematisch versucht, die revolutionären Gefangenen zu vernichten.
Gegen die Haftbedingungen und die permanente Folter in den Knästen kommt es in den Gefängnissen immer wieder zu Hungerstreiks und anderen Widerstandsaktionen. Alle Versuche und Maßnahmen zur Vernichtung der politischen Gefangenen sind Ausdruck des Klassenkampfes der konterrevolutionären Kräfte für die eigenen Klasseninteressen. Das Regime geht systematisch gegen die werktätigen Massen vor.
Folter das war und ist eine Methode der ausbeutenden und zugrunde gehenden Klassen in der ganzen Welt. Sie haben sie immer in verschiedener Weise und Stärke gegen die gegen Ausbeutung und Unterdrückung kämpfenden Klassen eingesetzt. Das tun sie auch heute noch. In den vom Imperialismus abhängigen, unterentwickelten Ländern, in denen sich der Feudalismus noch aufrecht erhält, wird Folter verbreiteter und brutaler angewandt.
In den entwickelten imperialistischen Staaten wird sie verdeckt, „wissenschaftlicher“ und bis jetzt weniger verbreitet angewandt.
Folter das ist keine Methode, um den „Straftäter“ zu bestrafen. Es ist eine Methode, um Aussagen über andere Kämpfer, über Organisationen, bzw. deren Strukturen oder „Geständnisse“ zu erzwingen. Ziel der Folter ist es Informationen über Organisationen und deren Mitglieder zu erhalten, sie zur totalen Resignation zu bringen - sie dazu zu bringen alles was gesagt wird zu unterschreiben. Es ist offensichtlich, dass „Geständnisse“ , die unter Folter herausgepresst werden, nichts mit der Wahrheit zu tun haben.
Es gibt viele Beispiele dafür, dass zwei Menschen für dieselbe Tat ein „Geständnis“ ablegten. So ist es klar, dass Folter nicht angewendet wird, um die „Wahrheit“ zu finden. Folter wird angewendet, um den Widerstand der Kämpfenden zu brechen. Sie sollen so entwürdigt werden, dass sie sich vor sich selbst schämen müssen. Folter wird angewandt, um die Massen einzuschüchtern und sie von Widerstandsaktionen abzuhalten.
Der Tod von Süleyman Cihan
Am 29. Juli 1981 wurden alle Autos die Richtung Istanbul fuhren kontrolliert. Süleyman Cihan1 wurde bei einer Kontrolle des Busses mit dem Kennzeichen 34 UK 975 Büyükçekmece als Süleyman Cihan festgenommen, und zwar mit einem Personalausweis, der im Namen von Oktay Emre ausgestellt worden ist.2
Die Polizisten wussten aber offenbar genau, das es sich bei der Person nicht um Oktay Emre, wie auf dem Ausweis stand, sondern um Süleyman Cihan handelte. Als später der Leichnam zur Untersuchung herausgeholt wurde, stand darauf jedoch die Notiz: „Ausnahmezustand, Dienstunterlage, Polizeipräsidium (politisch), Hz 3680/3l.7.81, unbekannte Person, 25, männlich, verstorben am 30. Juli 1981“. Auf der Spalte für den Namen haben sie „unbekannte Person“ geschrieben. Zu den Personalien des Verstorbenen sei nichts bekannt, außer dass er 25 Jahre alt und männlich ist, (...) In dem Untersuchungsbericht wurden von den Ärzten folgende Befunde festgestellt: „Ich habe den männlichen Leichnam untersucht (…) unter den beiden Achseln nach vorne Verletzungen, Ekchymosen3 , bei der linken Schulter Ekchymosen, bei dem linken Ellenbogen Verletzungen und Ekchymosen, bei dem inneren Teil des linken Ellenbogens und bei den beiden Fußgelenken Ekchymosen, bei dem Penis ein Befund, der nach Brand aussieht (…) festgestellt.“ Bei dem „Gutachten über Besichtigung und Tod“ wird erläutert, dass auf dem Boden „sehr weniges Blut entdeckt“ worden ist. Ferner wird geschrieben, dass durch ein Gutachten festgestellt werden kann, ob der Tod durch ein „Selbst-Hinaus-Sturz“ verursacht worden ist oder aber um Folterspuren zu verheimlichen.
Diese Informationen sind ein Grund anzunehmen, dass es kein Selbstmord war. Ein anderes Detail verstärkt diesen Eindruck, in dem Gutachten steht, dass bei den Fingern Farbspuren entdeckt worden sind, wie die, um Fingerabdrücke zu nehmen. Nach dem Gutachten war es einwandfrei festzustellen, dass die „unbekannte Person“ kein Selbstmord begangen habe und auch nicht lebendig von oben hinausgestürzt worden ist. Die unbekannte Person war weder unbekannt, noch hat sie Selbstmord begangen.
Dass es da bei nicht um eine unbekannte Person handelt, beweist auch ein Schreiben von dem Leiter der 2. Abteilung des Polizeipräsidiums Kadıköy an die Staatsanwaltschaft Kadıköy. „Auf Ihr Schreiben vom 30.7.1981 mit Zeichen H. Hamat Hz. 8l/5681: Die Person, die dem falschen Ausweis nach als Oktay Emre gilt und bei der es sich in Wirklichkeit um Süleyman Cihan, Sohn des Aga's, geboren 1950 in Provinz Tunceli Kreis Ovacık handelt und die beschuldigt wird, die verfassungsmäßige Ordnung zu stürzen, illegale Organisationen zu gründen und den ZK Mitgliedern der TKP/ML TİKKO (Partizan) angehört und am 29.7.1981 gegen 15 Uhr festgenommen wurde (...)“
Auch viele Zeugen, die ebenfalls festgenommen und gefoltert wurden, haben in der Untersuchungshaft gesehen, wie Süleyman Cihan gefoltert worden ist. Die Strafanzeigen dieser Verhafteten und deren Aussagen vor Gericht blieben erfolglos. Eine von ihnen berichtet: "Süleyman Cihan wurde in der Nacht gebracht und an eine Bank gefesselt. Er war wie ein Fleischmasse. Ein Polizist rief immer Süleyman, Süleyman, Süleyman und wollte feststellen, ob er noch lebt. Aber von ihm (Süleyman) kam keine Antwort. Süleyman war anscheinend schon Tod oder kurz vor dem Sterben. Dann haben sie ihn mit der Bank weggeschleppt“. (Aus dem Schreiben von Binali Şahin, an das Justizsekretariat der Ausnahmezustandskommandanturs der 1. Armee). Ebenso haben die Mithäftlinge Alparslan und Sezai Ekinci erklärt, dass Süleyman Cihan lange Zeit bei der 1. Abteilung der Polizei allein gelassen worden ist. Sie haben sein Schreien gehört: „Ich bin Süleyman Cihan, sie werden mich töten, das müsst ihr wissen.“ Sie haben ebenfalls Strafanzeige gestellt, die Geschichte über einen Selbstmord sei erfunden.
Nachdem Süleyman Cihan unter dem Folter ermordet wurde, wurde er in eine Wohnung gebracht. Die Wohnung war nach offiziellen Unterlagen nicht vermietet und leer. Nach Augenzeugenberichten, die ihre Personalien nicht bekanntgeben wollen, weil sie Angst haben, wieder gefoltert zu werden, war Süleyman Cihan schon tot, als er in die Wohnung gebracht wurde. Das medizinische Gutachten ist auch ein Beweis für diese Aussagen. An dem Ort wurde kein Blut gefunden, auch wurden keine inneren Blutungen festgestellt. Der zuständige Staatsanwalt konnte dennoch behaupten, dass die Person Selbstmord begangen habe, um die staatlichen Organe zu verunglimpfen und in Verruf zu bringen.
Foto: anfdeutsch.com
- 1Der 1950 in Dersim geborene Kurde war Lehrer, Funktionär der kommunistischen Partei TKP/ML und von einer Überläuferin denunziert worden. Für die Zeit nach Süleyman Cihans Festnahme, in der er sich auf einer Odyssee durch Folterkammern und Verhörstuben befand, gibt es insgesamt 23 Tatzeugen. Weitere Zeugen sahen, wie sein Leichnam aus einem Istanbuler Hochhaus geworfen wurde. 85 Tage nach Cihans Verschleppung konnte ihn sein Vater auf einem „Friedhof für Namenlose“ ausfindig machen. Als mitverantwortlich gilt Mehmet Ağar. Zum Zeitpunkt von Cihans Festnahme war Ağar Leiter der Abteilung für öffentliche Sicherheit der Istanbuler Polizeibehörde, seine Unterschrift tauchte unter einer Reihe Berichte auf, in denen als Todesursache Selbstmord angegeben war.
- 2Büyükçekmece ist eine Stadtgemeinde (Belediye) im gleichnamigen Ilçe (Landkreis) der Provinz Istanbul in der Marmararegion und gleichzeitig ein Stadtbezirk der 1984 gebildeten Büyükşehir belediyesi İstanbul (Großstadtgemeinde/Metropolprovinz).
- 3Medizinische Fachausdruck für kleine Hautblutung.