Skip to main content

Paneuropäischer Kongreß in Westberlin

"AntifaschistInnen Westberlin" (Gastbeitrag)
Einleitung

Die "Paneuropa-Jugend Deutschland e.V." mobilisierte Anfang November 1989 meist ahnungslose Jugendliche zu einer Tagung nach Westberlin. Das AutorInnenkollektiv "AntifaschistInnen Westberlin" hat einen Artikel zu dieser Tagung und den Hintergründen dieser Jugendorganisation verfasst.

Foto: Jakub Hałun, CC; GNU-Lizenz

Anhänger des Paneuropa-Netzwerkes.

Am 4. November 1989 verloren sich einige Dutzend AntifaschistInnen vor dem Reichstag, um gegen den Bundeskongreß der "Paneuropa - Jugend Deutschland e.V." (PEJ) zu protestieren. Der Protestaktion vor dem Reichstag waren massive Proteste auf dem Podium der "Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte" (IgfM) während des letzten Kirchentages vorangegangen. Am Vorabend des Kongreßes war eine Versammlung der PEJ militant verhindert worden, die mitten in Berlin-Kreuzberg stattfinden sollte. Die Scheiben des Veranstaltungslokales gingen zu Bruch und es wurde Reizgas versprüht. So mußte der „Berliner Abend mit gemeinsamen Essen“ ausfallen.

Dieser Kongreß fand unter dem Motto "Deutsche Frage - Europäische Antwort" im "geteilten Berlin" statt, weil, wie im Programm lapidar aber prophetisch verkündet wurde, "die deutsche und europäische Wiedervereinigung … plötzlich brennend aktuell" wurde, habe es die PEJ es für bedeutsam erachtete, sich an diesem geschichtsträchtigen Ort "mit dieser historischen Chance der Paneuropa-Bewegung" zu befassen. Daß sich hinter solchen Worthülsen nicht nur eine mit reaktionären Elementen durchtränkte Ideologie, sondern ein weitreichendes Netz politischer Aktivität der schwarz-braunen Europastrategen Deutschlands verbirgt, wird deutlich, wenn man den Kontext dieses Kongresses genauer unter die Lupe nimmt.

Die "Paneuropa - Jugend Deutschland e.V."

1975 waren europaweit Paneuropa-Jugend-Organisationen gegründet worden. Bundes-Vorsitzender der "Paneuropa-Jugend Deutschland" (PEJ) wurde Bernd Posselt. Die Habsburg-Tochter Walburga von Habsburg, Helmut de Craigher, Jaroslav Bocek und Olaf Kappelt wurden seine Stellvertreter. Die PEJ erhielt laut Presse-Recherchen eine Art "Starthilfe" von der "Studiengesellschaft für staatspolitische Öffentlichkeitsarbeit e.V." und siedelte sich in München an.

Offiziell ist die PEJ die "Jugendorganisation" der "Paneuropa Union Deutschland e.V.", d.h. der deutschen Sektion der "Internationalen Paneuropa Union" (PEU), einer schon 1923 gegründeten antikommunistischen bis rechten Vereinigung.

Die PEJ gehört zu einer Vielzahl von rechten und/oder antikommunistischen Vereinigungen, die scheinbar vereinzelt aktiv und daher auch scheinbar unbedeutend sind. Wirklich sind sie aber nur Teile eines Organisationszusammenhanges, durch den wenige, aber politisch einflußreiche Funktionäre ihre Macht entfalten.

1973 gelangte mit Präsidentschaft von Otto von Habsburg ein Mann an die Spitze der PEU, der zentraler Repräsentant eines rechten Politiker-Netzwerkes in Europas ist. Durch die Bedienung seiner Klientel, die sich zu großen Teilen aus den revanchistischen Vertriebenenverbänden rekrutiert, mit einflußreichen Positionen in der PEU, wurde diese zu einem einflußreichen Machtzentrum ausgebaut. Schon 1979 saßen ca. 40 PEU-Mitglieder im Europaparlament. Unter ihnen auch der Spitzenkandidat der CSU Otto von Habsburg. Europaweit hatte die PEU 1980 200.000 Mitglieder, darunter auch Faschisten aus Italien und Spanien.

Das rechte Politiker-Netzwerk betrieb in den 1970er Jahren eine Politik der Auffächerung in unscheinbare Vorfeld-Organisationen: 1972 die "Gesellschaft für Menschenrechte" (GfM), seit 1981 "Internationale Gesellschaft für Menschenrechte" (IGfM), ebenfalls 1972 das "Institut für Demokratieforschung" (IfD), 1975 die "Paneuropa Jugend Deutschland" (PEJ), 1977 die „Ludwig-Frank-Stiftung für ein freiheitliches Europa e.V.“ (LFS), im selben Jahr das „Christlich-Paneuropäisches Studienwerk e. V.“ (Vorsitzender Olaf Kappelt) und das „Brüsewitz-Zentrum“. Mit schwammigen, parolenhaften Programmen und schier unüberschaubaren personellen Verflechtungen wurde ein nebelhafter Raum geschaffen, in dem Wirtschaftsbosse und rechte Ideologen relativ frei kooperieren können.

Einige Beispiele:

Bündnispartner der PEU/PEJ ist u.a. die "Deutschland - Stiftung". Über das Hauptpresseorgan dieser Stiftung "bestehen gute Verbindungen u.a. zum Springer-Verlag, Gerling- Konzern und zur AEG“ heißt es von kritischen FachautorInnen.1

Am 7. Kongress des "Europäisches Dokumentations- und Informationszentrum" (CEDI)2 , dessen Präsident Otto von Habsburg3 heißt, nahmen u.a. Vertreter der "Deutsche Bank AG", der "Allianz-Versicherung" und des "Malteser Hilfsdienst" teil. Zur deutschen Sektion des CEDI gehören laut Presse-Recherchen u.a. Vertreter aus der "Deutsche Bank AG" und der "Siemens AG".

Da es die Funktion der geschaffenen Organisationen zu sein scheint, Deckmantel einer ideologischen Arbeit zu sein, läßt sich ihre politische Bestimmung durch Untersuchung der Aktivitäten ihrer Repräsentanten verdeutlichen. Da die PEU dieses Netz spinnt und in den meisten Fällen die Fäden bei Otto von Habsburg zusammenlaufen, kann er hier als Beispiel dienen.

Otto von Habsburg

Zuletzt tauchte er als designierter Kandidat für das Amt des ungarischen Staatspräsident in den Schlagzeilen auf. Bereits 1973 wurde er im Franco- Spanien für das Amt des Ministerpräsidenten vorgeschlagen. Seine politische Positionen beschreiben Beobachter als „anti-bolschewistisch“ bis "klerikal-faschistisch". Zum Aufstand in Ungarn 1956 äußerte er: "Trotz der bitteren Leiden der Gegenwart wissen wir, daß eine schönere Zukunft angebrochen ist. Wir wissen, daß das Reich des heiligen Stephan frei sein wird. Wir vertrauen auf die Hilfe des Allmächtigen und auf die Gerechtigkeit unserer Heiligen Sache. (...) Es lebe das Vaterland! Es lebe das freie Ungarn!"

Habsburg ist entschiedener Gegner der Befreiungsbewegungen in den afrikanischen Staaten und unterstützt das Apartheidsregime: "Das System der 'großen Apartheid' (...) gibt auch Schwarzen die Möglichkeit, in Spitzenstellungen aufzusteigen". 1978 tritt er für ein neues Ermächtigungsgesetz ein: Im Falle einer atomaren Erpressung durch "Terroristen" soll "alle Macht, ohne Verzug (...) auf neun Monate an eine einzige Person" übertragen (werden). Dieser Mann sollte, "nur für die Zeit des Notstandes, das Recht haben, sämtliche Gesetze zu suspendieren und alle Maßnahmen zu ergreifen, die für die Erhaltung des Lebens der Bevölkerung notwendig sind. (...) Mit dem Staatsnotstand tritt er automatisch an die Stelle des Kanzlers.(...) Es muß den Terroristen klargemacht werden, daß in einem kritischen Augenblick nur ein einziger Finger am Abzug sein wird". Darüber hinaus beinhaltet dieser "Notstandsplan" die Einführung von Schnellgerichten und der Todesstrafe

Was ist die Funktion der Paneuropa -Jugend in diesem braunen Sumpf?

Jürgen Pomorin schrieb am 1. August 1980 in der Zeitschrift "TAT": "Die Jugendorganisation der Paneuropa – Union (PEJ) kann allerdings im Gegensatz zur PEU nicht unter den Vertriebenenverbänden und Landsmannschaften landen. Sie ist so rechts, daß sogar die revanchistische 'Deutsche Jugend für Europa' (früher DJO – Jugend des Ostens) einen Unvereinbarkeitsbeschluß gefaßt hat. Im Mai 1980, bei den Europatagen der PEU, kann ich die profaschistischen Tendenzen selbst miterleben. Nach etlichen Flaschen Wein fallen im gemütlichen Kreis alle Hemmungen. 'Wir füllen unser Schwimmbad mit dem Blut der SPD', singen meine Tischnachbarn mit lauter Stimme in einer Weinkneipe in Passau. 'Unser Lieblingslied" wird mir versichert."

Der PEJ Kongress in Westberlin

Die im Reichstag stattfindenden Veranstaltungen waren eine Art Agitation von circa 340 Schülern und Schülerinnen aus der BRD. Sie wurden mit einem preiswerten Wochenende in Berlin für 30,- DM geködert, um sie dann mit Vorträgen berieseln zu lassen. Die Palette der Vorträge reichte von "Deutsche Geschichte in der Mitte Europas", "Mitteleuropa im Umbruch" über die "Konzepte für eine Neuordnung Mitteleuropas" bis zu "Was kommt nach der Teilung ? - Gesamtdeutschland und Paneuropa".

Bei Gesprächen während der Gegen-Kundgebung wurde berichtet, sie wären zur Teilnahme an den Vorträgen verpflichtet, da sie sonst 90,- DM Strafe zahlen müssten. Dazu habe es eine Art Vertrag gegeben. Hierbei fiel allerdings auf, daß der von der PEJ betriebene Aufwand und die damit verbundenen Kosten unverhältnismäßig hoch erschienen, wenn es nur um die politische Belehrung von 340 Schülern und Schülerinnen gegangen wäre. Wichtiger war offenbar die Staffage für einen Jugendverband, der den Namen wohl nicht wirklich zu Recht trägt.

Die Rednerlisten der PEJ - Kongresse unterscheiden sich meistens kaum von denen der PEU. Im Reichstag sprachen folgende Vertreter rechter Politiker-Netzwerke:

- Prof. Dieter Blumenwitz: Er reiste 1979 nach Chile um das rechte Regime von Augusto Pinochet bei der Erarbeitung der diktatorischen chilenischen Verfassung zu unterstützen. 1980 unterstützte er gutachterlich die chilenische rechte Sekte "Colonia Dignidad" im Prozess gegen die Menschenrechtsorganisation "Amnesty International", die gegen die rechte Sekte Vorwürfe wegen Menschenrechtsverletzungen und Folter erhoben hatte. Er soll selbst Gast der Siedlung gewesen sein. 1985 erhielt er den "Orden al Mérito de Chile". In Deutschland hatte er 1981 die "Plakette für Verdienste um den deutschen Osten und das Selbstbestimmungsrecht" des "Bund der Vertriebenen" (BdV) erhalten, in dessen Kreisen er ebenfalls wirkt.

- Hartmut Koschyk: Dieser war Bundesvorsitzender der Gruppe "Schlesische Jugend" und ist mittlerweile Generalsekretär des "Bundes der Vertriebenen" (BdV). Auch in der "Jungen Union" und der CSU ist er politisch tätig.

- Siegbert Alber: Der "Junge Union" und CDU-Politiker ist Vizepräsident des Europaparlamentes und der PEU - Deutschland.

- Otto von Habsburg: Von Richard Graf Coudenhove-Kalergi, dem Gründer der Paneuropa-Union, wurde Otto von Habsburg 1957 zum Internationalen Vizepräsidenten der PEU ernannt. 1973 übernahm das Amt des Internationalen Präsidenten der Paneuropa-Union. Am 19.August 1989 war Otto von Habsburg Schirmherr eines "Paneuropa-Picknicks" in Sopron (Ungarn), bei dem 700 DDR-BürgerInnen die "illegale Ausreise" nach West-Europa gelang.

Für diesen Kongreß versuchte die "Jugendorganisation" zweimal bei der "Bundeszentrale für politische Bildung" Gelder locker zu machen – allerdings erfolglos. Nicht zuletzt spricht der Reichstag als Veranstaltungsort für sich. Durch seine günstige Lage bot er die Gelegenheit, einen "Gottesdienst für die Opfer des SED- Regimes" mit anschließender Kranzniederlegung an der Mauer abzuhalten.

Die Vereinnahmung der wehrlosen Opfer für die Selbstbeweihräucherung der Revanchisten hat Tradition in PEJ-Kreisen. Die Selbstverbrennung des DDR-Geistlichen Oskar Brüsewitz im Jahre 1976 benutzte man, um zur Gründung eines "Dokumentations- und Informationszentrum für aktive Menschenrechts- und Deutschlandpolitik" aurzurufen. Diesen Aufruf unterschrieben große Teile der CDU, u.a. Blüm, B.Vogel, Stoltenberg, Albrecht, Filbinger (zeitweise Landesvorsitzender der PEU), Launen, Wissmann, Geißler und Strauß. Auf den Einspruch der Witwe des Pfarrers gegen die diese Entstellung des Andenkens ihres Mannes, reagierte Otto von Habsburg zynisch: "Pastor Brüsewitz gehört durch seinen Tod uns allen, denn er hat sich ja nicht wegen seiner Familie verbrannt, er hat ein Fanal und ein Zeichen setzen wollen, um alle Christen zu ihrer Pflicht aufzurufen...". Das "Brüsewitz-Zentrum" entwickelte sich zu einer Art Sammlungsbewegung des Antikommunismus unter dem Mäntelchen von Christentum und Menschenrechten.

Literatur & Quellen:

"Wer mit Wem ? Braunzone zwischen CDU/CSU und Neonazis, ein Nachschlagewerk für Antifaschisten", Hrsg.: KB - Hamburg, 1981;

"Propagandisten des Krieges / Hintermänner der Contra: Internationale Gesellschaft für Menschenrechte", Hrsg.: Arbeitskreis Nicaragua, Wuppertal 1987;

"Einschlägige Beziehungen von Unionspolitikern", Hrsg.: A.Meyer / K.-K.Rabe, Bornheim - Merten 1980;

Zeitschrift "Interim", Hrsg: Unbekannt, Nr.: 79, 80; Berlin, 1989

  • 1Vgl. Arbeitskreis Nicaragua 1987
  • 2französisch: Centre Européen de Documentation et d'Information, spanisch: Centro Europeo de Documentación e Información
  • 3Vgl. Deutscher Bundestag Drucksache 11/72 vom 20.03.1987, Große Anfrage der Fraktion DIE GRÜNEN: „Kuratoriumsmitglied der IGFM ist Otto von Habsburg, Mitglied der Pan-Europa Union und ehemaliger Präsident, heutiger Ehrenpräsident des europäischen Dokumentations- und Informationszentrum (CEDI), das sich in den 50er Jahren um einen Beitritt Franco-Spaniens in die NATO bemühte. Otto von Habsburg unterhält enge Kontakte zum paneuropäischen Brüsewitz-Zentrum, dessen Kuratoriumsmitglied u. a. Graf Huyn ist, Präsidiumsmitglied im Deutsch-Chilenischen Freundeskreis, Teilnehmer an der Konferenz der antikommunistischen Weltliga 1978 in Washington, Mitunterzeichner des Aufrufs der Resistance International zur Unterstützung der Contra, veröffentlicht u.a. in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 29. März 1985 und in „Le Monde" vom 11. April 1985.“