»Antifa-Arbeit mit sozialen Kämpfen verknüpfen«
Das nachstehende Interview haben wir Ende Februar 1990 mit vier Leuten von der antifaschistischen Stadtteilinitiative Neukölln über ihren Ansatz und ihre bisherige Arbeit geführt. Es geht darin unter anderem um ErzieherInnenstreik das Zeitungsprojekt der Initiative und was im "Westberliner Bündnis gegen Faschismus, Rassismus und Sexismus" anders laufen könnte. Wir verbinden damit die Absicht ausführlicher als bisher über praktische Ansätze antifaschistischer Basisarbeit zu berichten und die Leute selbst zu Wort kommen zu lassen. (Die Namen haben wir geändert.)
AIB: Hallo. Wie lange gibt es die Initiative schon und wer arbeitet in ihr mit ?
Gert: Die Initiative besteht seit März 1989. Nach dem Wahlerfolg der Republikaner (REPs) waren viele Leute betroffen davon und wollten nicht einfach hinnehmen, daß hier die Faschisten aufgebaut werden. Es gab drei Kiezpalaver wo unterschiedliche Kräfte aus Neukölln sich zusammengefunden haben. Am Anfang gab es eine ziemlich gute Beteiligung. 100-150 Leute kamen zum ersten Kiezpalaver. Wir haben da erstmal politisch diskutiert und überlegt, was man hier im Stadtteil machen kann. Nach dem dritten Kiezpalaver nahm die Besucherzahl ab. Es wurde Zeit, daß man konkrete Schritte festlegt und ein erstes Treffen für die Initiative einberaumt. Mitarbeiten tun unterschiedliche Leute: Vom Krümelladen, von der Lunte, Schüler von der Fritz Karsen Schule, Leute von der MLPD, von der SEW und hauptsächlich viele einzelne Unorganisierte...
Tom: Und Autonome ...
AIB: Wie sah eure bisherige praktische Arbeit in der Initiative aus?
Tom: Wir sind eine Gruppe, in der sehr unterschiedliche politische Leute beieinander sind. Wir hatten am Anfang ganz viele Schwierigkeiten trotzdem was zusammen zu machen. Nach dem 1. Mai gab es eine große Diskussion darüber, was möglich ist zusammen zu machen und was nicht. Wir haben oft bei Demonstrationen in verschiedenen Blöcken teilgenommen und sind nicht zusammen als Initiative gelaufen. Wir haben es trotzdem geschafft, gemeinsam zu mobilisieren, d.h. ein gemeinsames Flugblatt zu machen und das mit Leuten aus der Initiative und aus anderen Gruppen zusammen zu verteilen.
Gert: Zum REP-Parteitag im letzten Sommer ist zumindest ein Teil der Leute mit einem gemeinsamen Transparent gelaufen.
Tom: Die erste gemeinsame Aktion war die Einrichtung einer Info-Stelle zum 20. April. Wir waren zwar damit relativ überfordert, da es zum Glück aber ohne große Probleme funktionierte, war es dennoch ein Erfolg. Am Anfang wurden auch Arbeitsgruppen gebildet, weil es keine gute Geschichte ist, sich immer nur im Plenum zu treffen. Sie sind aber alle, bis auf eine, oder besser gesagt zwei, eingeschlafen.
Klara: Es gab eine gemischte Anti-Sexismus-Gruppe, wo nur noch Frauen übrig geblieben sind. Die sind aber keine Arbeitsgruppe der Initiative mehr, sondern bereiten jetzt mit anderen Frauen aus gemischten Zusammenhängen Frauen-Kiezpalaver in Neukölln vor. Es ist was eigenständiges geworden, obwohl es Zusammenarbeit und Austausch noch gibt.
Tom: Wir haben jetzt auch eine Männergruppe, die sich mit dem gleichen Thema beschäftigt. Sonst zur Praxis: Wir haben uns an diversen Demos beteiligt.
AIB: Mit eigenen Aufrufen ?
Tom: Im Regelfall schon, weil die vom Bündnis immer so schlecht zu verteilen sind. Wir versuchen so eine Sprache zu benutzen, daß uns auch relativ normale Leute verstehen. Diese Bündnis-Flugblätter sind meist eher an Leute gerichtet, die zur Uni gehen und haben deshalb eine bestimmte Art Sprache und Ansatz. Da steht dann z.B. warum es wichtig ist, wegen irgendeiner Geschichte 1945 heute auf die Straße zu gehen. Das interessiert aber jemanden, den wir versuchen anzusprechen, relativ wenig.
Klara: Als nach dem Sommer letzten Jahres CDU und Republikaner (REPs) ihre Sache gegen das AusländerInnenwahlrecht gestartet haben, wollten wir eine Kampagne dagegen machen. Eine richtige Kampagne ist es zwar nicht geworden, aber was wir hauptsächlich gemacht haben, waren Aktionen gegen Stände von REP und CDU. Das ging sogar soweit, daß hier im Norden von Neukölln nach ein,- zweimal die CDU mit ihren Ständen nicht mehr, aufgetaucht ist. Die wollten wohl nicht zulassen, daß lauter Antifas dann darum stehen. Die REPs haben weitergemacht, aber die hatten nie richtig Zulauf. Wir sind auch oft in den Süden runtergefahren, nach Gropiusstadt und so. Da ist schon eine andere Situation, da schlägt dir manchmal der blanke Hass entgegen. Wir haben da Flugblattaktionen und Aktionen an Ständen gemacht.
Gert: Im Sommer haben wir auch eigene Stände mit Flugblättern und Literatur gemacht.
Tom: Im Antifa-Bereich sind wir so eine Art Paradiesvogel, weil wir keine "politische Linie" haben. Es gibt halt Gruppen, die "politische Linien" haben und die hatten ganz lange Schwierigkeiten mit uns und auch in der Zusammenarbeit mit anderen Gruppen im Kiez. Mit unserem Entstehen hat sich das ein Stück weit verändert. Für uns war es so ein Durchbruch mit der "Neuköllner Antifaschistischen Zeitung" (NAZ), die wir machen. Es hat funktioniert, daß sich ganz viele Gruppen daran beteiligt haben.
AIB: Was war für euch der Grund euch als bezirkliche Initiative und nicht wie in anderen Bezirken als Bündnis zusammenzusetzen? Seht ihr da einen Unterschied?
Gert: So ein Bündnis, wie du das jetzt meinst, ist mehr so ein Ding von "oben". Aber wir sind halt von "unten".
Klara: Ich glaube, das es in Neukölln gegenüber Kreuzberg oder so ein Vorteil ist, daß hier weder SPD-Spektrum noch "Alternative Liste" drin sitzen. Sonst wäre es hier wahrscheinlich härter abgelaufen oder Parteien-Politik betrieben worden. Manche von denen sind halt so rechts in Neukölln, die haben sich erstmal rausgehalten. Es waren am Anfang auch ziemlich viele Leute dabei, die das erste Mal was gemacht haben - Unorganisierte - aber auch Leute aus Parteien, die aber nicht als Parteien-Vertreter da sitzen und Parteienpolitik betreiben. Das hätten wir auch so nicht zugelassen.
AIB: Ihr habt mal in einer Selbstdarstellung geschrieben, daß antifaschistischer Kampf für euch heißt, auch Kampf gegen Wohnungsnot und Arbeitslosigkeit. Warum ist das für euch wichtig und was bedeutet das konkret?
Klaus: Der Zusammenhang ist ja ziemlich naheliegend: Rassismus und Faschismus wird meist damit betrieben, irgendwelche Schuldigen für die sozialen Mißstände hier zu finden. Wenn man gegen die Faschisten was unternehmen will, muß man die wahren Schuldigen für die Mißstände benennen, muß man klar stellen, daß es eben nicht die Ausländer, die "Fremden" sind. Wir haben die Leute vom Werra-Block1 unterstützt, soweit es ging. Wir haben mit ihnen zusammen plakatiert und Aktionen gemacht. Und dann haben sie in unserer Zeitung, der "Neuköllner Antifaschistischen Zeitung" (NAZ), einen eigenen Artikel geschrieben.
Tom: Zur Zeitung: Das ist nicht so ein Teil was verkauft wird, sondern in Briefkästen gesteckt, auf der Straße und auf dem Arbeitsamt verteilt wird. Die Auflage war 30.000 Stück. Darüber sind ganz viele Menschen zu erreichen.
Gert: Was ich bei der Zeitung noch wichtig fand, war, daß eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit dem REP-Programm drin war.
AIB: Wie sah es mit der Resonanz auf eure Arbeit aus? Habt ihr auch Rückmeldungen von Leuten, die die Zeitung bekommen haben?
Gert: Es sind neue Leute gekommen, auch wegen der Zeitung, wobei wir selbstkritisch sagen müssen, daß wir uns darauf nicht vorbereitet hatten. Einmal ist ein Pärchen gekommen, die waren überhaupt nicht szenemäßig drauf, die hatten wohl noch nie was mit Politik zu tun gehabt. Die Frau sagte: "Die REP's haben ein frauenfeindliches Programm" und sie hatte sich deshalb von der Zeitung angesprochen gefühlt. Da haben einige Leute von uns so reagiert, daß sie die beiden als REP-Spitzel verdächtigt haben, aber die sind nie wieder aufgetaucht. Und ich finde, daraus müssen wir lernen für die Zukunft.
AIB: Bei eurer zweiten Ausgabe der NAZ habt ihr als Schwerpunktthema den ErzieherInnenstreik gehabt. Wie ist es dazu gekommen?
Tom: Ich bin mit einer Erzieherin befreundet, die mir ständig von ihrer Arbeitssituation erzählt. Und da das sowieso in unsere politische Konzeption paßt... (Gelächter). Der konkrete Ansatz ist, daß die ErzieherInnen ihr Streikbüro in der Galerie Olga Benario haben, wo wir uns auch treffen. Und da sind wir auf die Idee gekommen, warum sollen wir nicht eine Sonderausgabe dazu machen?
AIB: Ihr habt ja auch das SPD-Büro in Neukölln besetzt...
Klaus: Ja. Wir haben versucht die Zeitung besser zu verteilen, dadurch daß wir eine Aktion machen. Das halt mal mehr passiert, als daß auf der Straße irgendwelche Leute stehen und einem ein Papier in die Hand drücken.
Tom: Die Besetzung hatte auch ein gutes Medien-Echo, daß wir natürlich mitorganisiert haben. Soweit wir mitbekommen haben, fanden die ErzieherInnen das relativ positiv und hatten keine Kritik an der Aktion. In der ersten Zeit war es auch die einzige Aktion die von Nicht-ErzieherInnen zum Streik gemacht worden ist.
AIB: Stichwort Sexismus. Wo seht ihr Zusammenhänge zum Antifaschismus?
Tom: Wir haben da so unsere Ideen. Sowohl bezogen darauf, die antifaschistische Arbeit mit sozialen Problemen zu verknüpfen, als auch Rassismus und Sexismus in ihrer Funktion als Eckpfeiler der faschistischen Theorie und Praxis zu begreifen. Als Gruppe begannen wir letzten Herbst über Sexismus zu diskutieren. Eine Gruppe Frauen wollte eine Veranstaltung dazu vorbereiten, bestand aber darauf, daß wir Männer uns Gedanken dazu machen. So ist jene Männergruppe entstanden, von der vorhin schon die Rede war. Die Gruppe versucht das Thema Sexismus in die antifaschistische Arbeit alltäglich einzubringen. Das war auch mit ein Grund die NAZ mit dem Schwerpunkt ErzieherInnenstreik herauszubringen.
AIB: Ihr habt euch im Dezember 1989 in einem offenen Brief an das "Westberliner Bündnis gegen Faschismus, Rassismus und Sexismus" gewandt und euren Frust damit zur Sprache gebracht. Worum ging es euch?
Klaus: Das von Sachen, die uns wichtig gewesen wären, z.B. die Arbeit von anderen Stadtteilgruppen und Initiativen, überhaupt nichts mehr rüber gekommen ist. Wir waren da ziemlich lang die einzige Gruppe, die da regelmäßig erschienen ist. Und wenn andere Gruppen erschienen sind, dann haben sie auch nichts von ihrer Arbeit und den Problemen, die sie haben, erzählt.
Tom: Bis auf die Weddinger!
Klaus: Und daß es im Prinzip keinen Austausch von Erfahrungen gegeben hat. Für mich war das so eine berlinweite Initiative, die so einen großen Rahmen eingenommen hat, daß ich mir das nicht mehr zugetraut habe, da mitzureden. Gab es auf den Brief irgendwelche Rückmeldungen und hat sich da für euch was verändert?
Klaus: Nee. Die Leute haben bloß einmal böse geguckt und damit hat es sich gehabt.
AIB: Wie sollte nach eurer Meinung das Bündnis arbeiten?
Klaus: Es müßte zwischen den verschiedenen Stadtteilinitiativen eine bessere Zusammenarbeit geben, wo es auch einen Informationsaustausch gibt.
Tom: Es ist auch immer eine gute Aufgabe für das Bündnis eine Rede für 5.000 Leute zu machen. Nur ich denke, daß ist nicht DIE antifaschistische Arbeit. Solche Sachen haben eine Bedeutung und Wichtigkeit im Bündnis, die mit der Realität ganz wenig zu tun haben. Der wichtigere Punkt liegt eigentlich da, den Faschisten direkt etwas entgegenzusetzen oder Informationsarbeit zu machen und Leute dazu zu kriegen, daß sie sich wehren und sich selber für ihre Interessen einsetzen.
AIB: Ist Nationalismus Thema bei euch in der Initiative?
Tom: Eigentlich noch nicht so richtig.
Klaus: Klar war, das die Gefahr des Nationalismus zunimmt, daß das immer größer wird und das es immer mehr Leute werden. Nicht nur die DDR wollen sie damit einsacken, die Infragestellung der Oder-Neiße-Grenze wird auch zu einem Problem werden.
Gert: Was das für eine Bedeutung in der praktischen Auseinandersetzung hat, zeigt sich in der Anzeige des Senats in der taz, wo der zum Kita-Streik gesagt hat, daß es nicht die richtige Zeit für einen Arbeitskampf im öffentlichen Dienst ist, da wir in nächster Zeit ganz andere Sorgen hätten. Darin drückt sich das allgemeine Klima aus. Die Herrschenden fahren jetzt so einen Kurs, wo sie die Leute ideologisch mit Nationalismus gewinnen wollen, damit die zugunsten des Großmacht-Kurses zurückstecken.
Tom: Ich habe ein bißchen andere Probleme damit. Es gibt ja Ansätze in der Linken zu sagen "Nationalismus kann positiv sein". Warum ist er bei uns negativ, während sie in Nicaragua ihren Sandino hochhalten können? Ich habe einfach kein Verhältnis dazu.
- 1Ein Spekulationsobjekt mit circa 100 leerstehenden Wohnungen in Neukölln. Anmerkung AIB