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Von Zweifeln und guten Gründen

Gerd Wiegel
Einleitung

Vom 1. bis 3. März 2016 fand vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in Karlsruhe die mündliche Verhandlung zum NPD-Verbotsverfahren statt. Aus antifaschistischer Sicht waren die drei Tage von Karlsruhe ein ständiges Auf und Ab, denn unabhängig von der Frage, ob man ein staatliches Verbotsverfahren gegen die NPD begrüßt oder nicht, kann sich niemand einen positiven Ausgang für die NPD wünschen. 

Ohne Zweifel hat die Brisanz des Verbotsverfahrens im Vergleich zum ersten Verfahren 2001 nachgelassen. Hatte man es damals mit einer wachsenden und aufstrebenden Partei des Neofaschismus zu tun, die sich gerade eng mit der militanten Kameradschaftsszene verbunden hatte, führt die NPD seit einigen Jahren ein Schattendasein und wird häufig als nicht mehr ernst zu nehmend abqualifiziert. Diese auch in antifaschistischen Kreisen anzutreffende Bagatellisierung der NPD ist durch einen Blick auf die reale Mobilisierungskraft der Partei und ihre Rolle innerhalb der  Neonaziszene nicht zu rechtfertigen. Ohne Zweifel hat die NPD an Schlagkraft verloren. Sieht man sich aber z.B. die Zahlen der rassistischen Mobilisierungen an, wie sie seit 2014 und auch schon davor zu verzeichnen sind, dann spielt die NPD bzw. JN dabei, trotz „Der III. Weg“ und „Die Rechte“, eine führende Rolle. Gute Gründe also, das Verfahren in Karlsruhe aufmerksam zu verfolgen.

Keine formalen Hindernisse

Die drei Verhandlungstage hatten eine klare Gliederung und zeichneten sich durch tägliche Anhörungen von teils mehr als acht Stunden aus. Während es am ersten Tag um mögliche Verfahrenshindernisse ging, stand am zweiten Tag die Frage der Zulässigkeit eines Verbots und am letzten Tag die Begründetheit im Zentrum.
Großspurig war vom Prozessvertreter der NPD, Peter Richter, angekündigt worden, man werde zu Beginn der Verhandlung ein Bombe platzen lassen, die das Verfahren zu Fall bringen könne. Die Bombe entpuppte sich jedoch als Knallfrosch und verfehlte den gewünschten Effekt.

Die Frage der V-Leute und der möglichen Durchdringung der NPD mit staatlichen Spitzeln war Thema des ersten Tages. So wie das Verfahren 2003 an den V-Leuten des Verfassungsschutzes gescheitert war, so wollte es die NPD auch diesmal zu Fall bringen. Allerdings nahm das Gericht die von Richter vorgetragenen Gründe nicht besonders ernst, sondern schenkte den schriftlichen Erklärungen aller Landesinnenminister und des Bundesinnenministers Glauben, alle V-Leute auf Führungsebene (Landes- und Bundesvorstände) seien seit April 2012 abgeschaltet. Für Richter und die NPD reichten diese Erklärungen nicht aus, nur die Offenlegung aller Akten zu den V-Leuten könnten als Beweis anerkannt werden (eine Logik, der man sich nicht völlig verschließen kann). Allerdings gelang es der NPD anders als im ersten Verfahren nicht, V-Leute in Führungspositionen der Partei zu präsentieren. Der von Richter vorgetragene Zusammenstoß eines saarländischen Verfassungsschützers mit dem Auto seiner Mutter im Jahr 2012 erntete nicht mehr als Heiterkeit auf der Richter_innenbank, zumal damals weder die Eröffnung des Verfahrens feststand, noch gar, ob Richter Prozessbevollmächtigter der Partei werde. Ernsthafter wog das Argument Richters, er habe mit seiner Klientin (NPD) keine Prozessstrategie absprechen können, weil sie davon ausgehen mussten, dass diese durch die Überwachung der Partei sofort bei der Gegenseite lande. Daher habe man keinen eigenen Schriftsatz vorbereiten können. Das Gericht räumte der NPD dafür weitere sechs Wochen ein, verkündete aber am nächsten Morgen klar, dass es keine formalen Hindernisse (in Form von V-Leuten)  für das weitere Verfahren gäbe. In Erwartung dieser Entscheidung zog Richter am nächsten Morgen einen Schriftsatz von mehr als 500 Seiten als Erwiderung auf den Verbotsantrag aus dem Hut und übergab ihn dem Gericht.

Zweifel an der Verhältnismäßigkeit

Während also der erste Tag klar an die Seite der Antragsteller ging, entwickelte sich der zweite Tag zum Desaster für die Verbotsbefürworter. Immer wieder bohrten die Richterinnen und Richter bei der Frage der Zulässigkeit und Verhältnismäßigkeit eines Verbotes nach und die Prozessbevollmächtigten des Bundesrates (als Antragsteller) schienen darauf mangelhaft vorbereitet zu sein. Genüsslich zitierte Richter Müller aus einem früheren Buch des Prozessbevollmächtigten Prof. Möllers, der sich dort als strenger Gegner staatlicher Parteiverbotsverfahren zeigte.

Auch der von den Antragstellern mit einer Studie zu Dominanzbestrebungen der NPD in Mecklenburg-Vorpommern beauftragte Dierk Borstel zeigte sich in seiner Befragung nicht überzeugt von der Angemessenheit eines Verbots, für das er dennoch eine Studie geliefert hatte. Gänzlich zur Farce geriet der Auftritt des unvermeidlichen Eckhard Jesse, der der NPD als politischem Akteur jegliche Bedeutung absprach. Da rollten selbst alle anwesenden Verfassungsschutzchefs mit den Augen. Einzig Andrea Röpke konnte die Bedeutung der NPD an konkreten Beispielen der Nachwuchsarbeit herausarbeiten.

Immer wieder betonten die Antragsteller die kommunale Verankerung der NPD und die damit verbundene Einschüchterung der Zivilgesellschaft. Vom Gericht wurde das jedoch eher als Ausweis fehlenden staatlichen Verfolgungsdrucks denn als objektive Stärke der NPD gewertet. Auf das vorgetragene Argument, die NPD habe immerhin mehr als 300 Kommunalmandate antwortete das Gericht mit der Frage, wie viele solcher Mandate es denn bundesweit gäbe, um die Antwort „50.000“ mit der Korrektur „230.000“ und der Frage, ob man tatsächlich die verschwindend geringe Zahl von 300 Mandaten weiterhin anführen wolle, zu kontern.

Auch die Innenminister Hermann (Bayern) und Caffier (Mecklenburg-Vorpommern) konnten am Morgen des letzten Tages diesen Trend zunächst nicht ändern. Nachdem sie ihre vorbereiteten Sprechzettel zur Gefährlichkeit der NPD verlesen hatten, wurden sie jeweils durch die einfache Frage ausgekontert, wie sich diese Einschätzung mit den jeweiligen Landesverfassungsschutzberichten vertrage, in denen der NPD mehr oder weniger Bedeutungslosigkeit attestiert werde. Schließlich war es ausgerechnet der sächsische LfV-Chef Meyer-Plath, der anhand aktueller Mobilisierungszahlen zur NPD das Bild der Harmlosigkeit der NPD etwas milderte. Vom Gericht wurde moniert, dass sich diese relevanten Zahlen nicht im Antrag fänden.

NPD-Vertreter als beste Zeugen für ein Verbot

So schlecht die Vorbereitung der Antragstellung auf die kritischen Fragen des Gerichts war, so verlässlich ritt sich die NPD wieder selber in die Bredouille, sobald die vom Gericht geladenen NPD-Zeugen zu den Inhalten der Partei und damit zur Frage der Begründetheit des Antrags Stellung nehmen mussten. Zentral war dabei die Frage der gleichen Rechte deutscher Staatsbürger, wie sie vom Grundgesetz garantiert wird. Richter Müller als Berichterstatter des Gerichts ging es immer wieder um die Frage, wie sich aus Sicht der NPD der zentrale Begriff der „Volksgemeinschaft“ definiere, wer zu ihr gehöre und welche Rechte denen verweigert würden, die nach Lesart der NPD nicht zu dieser „Volksgemeinschaft“ gehörten.

Erbärmlich sah der Parteivorsitzende Frank Franz im Zeugenstand aus, der etwas von „Ermessenseinbürgerung“ faselte, die es auch mit der NPD gäbe, um auf die Frage, ob eingebürgerte Landesbewohner zur „Volksgemeinschaft“ gehörten und damit gleiche Rechte wie „Geburtsdeutsche“ hätten, mit Schweigen zu antworten. Mit dem Versuch von Franz, sie gehörten zur „Gemeinschaft der Deutschen“ gab sich Müller nicht zufrieden und sagte, er habe nach der „Volksgemeinschaft“ gefragt, um dann ein Zitat aus einer JN-Schulungsbroschüre zu verlesen: „Ein Afrikaner, Asiate oder Orientale wird nie Deutscher sein können. Deutscher ist, wer deutsche Eltern hat. Deutscher ist man von Geburt oder nicht, aber wird es nicht durch Annahme der Staatsbürgerschaft.“ Franz wollte dieses Zitat nicht kennen und verstieg sich dann zu der Behauptung, auch eingebürgerte Deutsche seien Teil der „Volksgemeinschaft“, was ihm konsequenterweise ein Ausschlussverfahren aus der NPD eintragen müsste.

Weniger Ausflüchte suchte da der „Chef­ideologe“ Jürgen Gansel, der sich als Mann des “rhetorisch scharfen Schwertes“ vorstellte und damit bereitwillig die inhaltliche Begründung eines Verbotes stützte, die die NPD als rassistische und antidemokratische Partei darstellte.

Ganz ohne Zweifel konnte mit dem Verbotsantrag und in den drei Tagen von Karlsruhe die Verfassungsfeindlichkeit der NPD nachgewiesen werden. Ob diese Feststellung jedoch ausreicht, um die Partei zu verbieten, ist nach der mündlichen Anhörung offen. Denn neben der Absicht muss das Gericht der NPD auch die zumindest theoretische Möglichkeit der Umsetzung ihrer Ideologie attestieren. Hier blieben deutliche Zweifel. Mit einem Urteil aus Karlsruhe ist auf jeden Fall in diesem Jahr zu rechnen, wahrscheinlich wird es aber noch bis zum Herbst dauern.