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Das „Zigeunerlager Lety“ im „Protektorat Böhmen und Mähren“

Einleitung

Zwischen 1933 und 1945 fielen mehr als eine halbe Million Menschen, die als sogenannte „Zigeuner“ verfolgt wurden, dem nationalsozialistischen Rassewahn zum Opfer. Vor allem im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau wurden viele Rom_nja1 und Sint_ezza, die nach dem ­„Auschwitz-Erlass“ vom 16. Dezember 1942 in dieses Lager deportiert wurden, systematisch vernichtet. Bei der vorangegangenen Segregation spielte das „Zigeunerlager Lety“ im „Protektorat Böhmen und Mähren“ eine wichtige Rolle.

  • 1Durchsetzung der Eigenbezeichnung v.a. im deutschsprachigen Raum „Sinti und Roma“, im europäischen Raum „Roma“. Umfasst eine Vielzahl an Teilgruppen der Minderheit  und löst den pejorativen Begriff des „Zigeuners“ ab. Der Begriff „Zigeuner“ wird in diesem Artikel in Quellensprache und distanzierenden Anführungszeichen genutzt.

Nach dem „Münchner Abkommen“ und der Abspaltung der Slowakei marschierte am 15. März 1939 die Wehrmacht in die von den Nazis sogenannte „Rest-Tschechei“ ein. Dort wurde das „Protektorat Böhmen und Mähren“ als formal selbst verwaltetes Gebiet, de facto aber unter Naziherrschaft stehend, errichtet. Am 1. August 1942 wurde das „Zigeunerlager“ in Lety eröffnet. Es unterstand der Landesbehörde Prag und ging aus dem „Anhaltelager Lety“ (März 1942 bis Juli 1942) bzw. dem „Arbeitslager Lety“ (15. Juli 1940 bis März 1942) hervor. Die Etablierung eines „Zigeunerlagers“ aus einem Arbeitslager für vermeintlich „Arbeitsscheue“ reihte sich dabei in den Diskurs von „Zigeunern“ als „asozial“, faul und arbeitsscheu ein.

Bereits seit der Entstehung der ersten Tschechoslowakischen Republik 1918 gab es Forderungen nach der Errichtung von Arbeitslagern für „Zigeuner“, die synonym als „Arbeitsscheue“ bezeichnet wurden.1 Das NS-Regime verfolgte mit Lety das Ziel, „[...] die Zigeuner und Zigeunermischlinge a) aus der Gemeinschaft auszuschalten, b) zur Arbeit, Ordnung und Disziplin zu erziehen.“

Administrativ waren zwei bzw. drei Erlasse maßgeblich: Zum einen der „Grundlegende Erlaß über die vorbeugende Verbrechensbekämpfung durch die Polizei“ vom 14. Dezember 1937, der am 9. März 1942 auf das Protektorat übertragen wurde. Demnach konnten Menschen in unbefristete Vorbeugehaft genommen werden, wenn sie durch „asoziales Verhalten die Allgemeinheit gefährden“ würden.

Die im „Protektorat“ speziell dafür geschaffenen Haftstätten waren die „Zigeunerlager“ in Lety und Hodonín bei Kunstadt, sowie die Zwangsarbeitsstätten Prag-Ruzyně, Pardubice und Brünn. Der „Grundlegende Erlaß über die vorbeugende Verbrechensbekämpfung“ richtete sich, wenn auch nicht explizit, vor allem gegen „Zigeuner“, da die Grenze zwischen als „asozial“ definierten Personen und als „Zigeuner“ verfolgten Menschen fließend war. Oftmals werden beide Termini nebeneinander oder synonym verwendet. Auch wurde schon vor der Machtübertragung davon ausgegangen, dass nicht mehr erklärt werden müsse, wer „Zigeuner“ sei, denn das sei allgemein bekannt und bedürfe keiner genaueren Erläuterung.2 Der genannte Erlass übertrug der Kriminalpolizei Befugnisse, die bisher nur die Gestapo hatte.

Mit der Verordnung zur „Bekämpfung der Zigeunerplage“ vom 10. Juli 1942, die identisch war mit dem gleichnamigen Erlass aus dem Reich vom 8. Dezember 1938, veränderte sich die „Zigeunerpolitik“ von einem „Teilbereich einer rassehygienisch motivierten Bekämpfung der ‚Asozialen‘ insgesamt“ hin zu einer „Verfolgung sui generis“.3

Um diese Verfolgung zu verwirklichen, wurde ein „Tag der Erfassung der Zigeuner“ ausgerufen. Diese Erfassung war angelehnt an den „Festsetzungserlass“ genannten Schnellbrief Himmlers vom 17. Oktober 1939, der im Rahmen der „völkischen Flurbereinigung“ verfügte, dass „Zigeu­ner- und Zigeunermischlinge“ ihren Wohn- bzw. Aufenthaltsort, unter Androhung von KZ-Haft auf Grundlage der „vorbeugenden Verbrechensbekämpfung“, nicht verlassen durften. Im Protektorat wurden letztlich 5.830 Personen als „Zigeuner“ und „Zigeunermischlinge“ und 4.842 Personen als „nach Zigeunerart Umherziehende“ erfasst und zu Teilen in die „Zigeunerlager“ Lety und Hodonín deportiert.

Am 2. August 1942 kamen die ersten 66 neuen Häftlinge im „Zigeunerlager Lety“ an. Bereits in den darauf folgenden Tagen wurde die eigentliche Lagerkapazität von 300 Menschen nicht nur voll ausgeschöpft, sondern das Lager war vollkommen überfüllt. Schlussendlich waren von August 1942 bis Mai 1943 mehr als 1300 Personen in Lety interniert. Über die Hälfte der Gefangenen waren Kinder. Durch die extreme Überfüllung und einen eklatanten Wassermangel, aber auch durch unzureichende Nahrung und katastrophale hygienische Bedingungen, brach schnell eine Typhusepidemie aus, der viele Häftlinge (und auch zwei Gendarmen) zum Opfer fielen.

Die Häftlinge wurden zu schwerer Arbeit beim Straßenbau, im Steinbruch oder in der Landwirtschaft verpflichtet. Die Bewachung des Lagers wurde durch einen Zaun und Wachen mit Hunden sichergestellt. Die Wachmannschaften wurden durch ca. 30 tschechische Gendarmen gestellt, die alle um die Jahrhundertwende geboren wurden. Sie dienten, wie der erste Lagerkommandant Janovský, erst in der Gendarmerie und dann im Militär, traten 1940 in den „politischen Dienst“ ein und waren zu einem Großteil bereits im „Arbeitsstraf- bzw. Anhaltelager Lety“ eingesetzt. Sowohl Janovský als auch die Wachmannschaften werden von Überlebenden als außerordentlich brutal und sadistisch beschrieben.

Nach dem Ausbruch der Typhusepidemie wurde Janovský nach dreijähriger Dienstzeit vom Lagerkommandanten des „Zigeunerlagers Hodonín“, Štefan Blahynka, abgelöst, und zur Landesbehörde Prag zurückbeordert. Die maßgebliche Aufgabe von Štefan Blahynka bestand darin, die zweite Deportation von „Lety“ nach ­Auschwitz vorzubereiten, die schließlich am 4. und 5. Mai 1943 erfolgte.

Während der erste Transport im Dezember 1942 vermutlich nach Auschwitz I (Stammlager) ging, endete der zweite Transport im „Zigeunerfamilienlager Auschwitz“ in Birkenau. In Auschwitz starben über 85 Prozent der dorthin deportierten Rom_nja an den unsäglichen Bedingungen im Lager oder durch direkten Mord. Forschungen gehen von insgesamt etwa 4.500 Rom_nja aus, die aus dem Protektorat kamen. Die letzten 200 Häftlinge aus dem „Zigeunerlager Lety“ wurden, bis auf 15 Personen, die zu Aufräumarbeiten gebraucht wurden, entlassen, da sie sogenannte „Weiße Zigeuner“ waren. Einige wenige wurden in die Zwangsarbeitsanstalten nach Rusin und Pardubitz gebracht.

Von den über 1.300 Häftlingen des „Zigeunerlagers“ in Lety wurden 540 Personen nach Auschwitz deportiert. Im Lager selbst starben 326 Menschen an den Folgen von Unterernährung, Misshandlungen und an den schlechten hygienischen Bedingungen und dadurch ausgelösten Krankheiten. Die übrigen Menschen wurden entlassen oder es gelang ihnen die Flucht.

In der Nachkriegszeit hatte das Gedenken an Roma-Opfer in der kollektiven Erinnerung keinen Raum. Theresienstadt als Vorzugslager und Altersghetto hat einen festen Platz im wissenschaftlichen Diskurs und der öffentlichen Erinnerung. In Lety kämpfen Roma-Aktivist_innen und Freund_innen seit Mitte der 1990er Jahre gegen eine Schweinemastanlage, die seit den 1970er Jahren auf Teilen des ehemaligen Lagergeländes steht. Verschiedene Versuche, die Schweinefarm aufzukaufen scheiterten an (altbekannten) Ressentiments.

Im August 2017 gab es eine Entscheidung unter den Aktionären der Inhaberfirma mit 89 zu 11 Prozent für einen Verkauf und den Entschluss der tschechischen Regierung, den Kaufvertrag zu unterschreiben. Auf eine Unterschrift unter den bereits formulierten Kaufvertrag wird zum Zeitpunkt der Fertigstellung des Artikels noch gewartet. Der Plan ist, die Schweinefarm bis März 2018 aufzulösen und dann abzureißen. Dies kann jedoch nur der erste Schritt sein auf dem Weg für ein würdiges Gedenken an Rom_nja und Sint_ezza als Opfer des Nationalsozialismus.

  • 1Baloun, Pavel; Strobach, Vít: „Wer nicht arbeitete...“ KZ-Leugnung des tschechischen Finanzministers als Spitze des Eisbergs, in: Lotta. Antifaschistische Zeitung aus NRW, Rheinland-Pfalz und Hessen, Nr. 64, Herbst 2016.
  • 2Die Forschung zur Verfolgung von sog. „Asozialen“ und „Kriminellen“ im NS sucht nicht die Trennlinie zwischen als „Zigeunern“ verfolgten und anderen sozialen Außenseitern zu durchbrechen, sondern argumentiert in den Studien getrennt voneinander. Die Nazis hingegen zogen keine Trennlinie zwischen „Asozialen“ und „Zigeunern“.
  • 3Zimmermann, Michael: Rassenutopie und Genozid. Die nationalsozialistische „Lösung der „Zigeunerfrage“. Hamburg 1996, S. 220.