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Aggressive Opferrolle: SA-Männer im Bürgerkriegsszenario

Oliver Reschke
Einleitung

Im Sommer 1932 erreichten die politischen Unruhen in der Weimarer Republik ihren Höhepunkt. Fast täglich berichteten die Zeitungen über Ausschreitungen und Zusammenstöße. Jeder gab dem politischen Gegner die Schuld und berief sich auf das Recht zur Notwehr. Am 25. Juni 1932 ereignete sich ein besonders schwerer Zusammenstoß zwischen Nationalsozialisten und "Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold" (Reichsbanner) , der reichsweit riesige Schlagzeilen machte. Das Vorwärts-Gebäude (auch SPD-Parteihauptsitz) in der Lindenstraße 3 war von der "Sturmabteilung" (SA) überfallen worden. Unter den sich wehren­den Reichsbannermännern wurden einige schwer verletzt.

Bundesarchiv, Bild 146-1980-119-18 / CC-BY-SA 3.0

Die inszenierte Beisetzung eines in Berlin ermordeten SA-Mannes in Eberswalde.

Die Gewaltwelle setzte ein, nachdem durch Inkrafttreten der „Notverordnung gegen politische Ausschreitungen“ des Reichspräsidenten das reichsweite SA-­Verbot am 17. Juni 1932 wieder aufgehoben worden war. Die Aufhebung des SA-­Verbotes war in eine Zeit gefallen, in der die Lage sowieso schon äußerst angespannt gewesen war. Die nun verstärkte Präsenz der Nationalsozialisten auf den Straßen wurde von nunmehr täglicher provokatorischer Gewalt der SA begleitet. Die Kommunisten, deren Roter Frontkämpferbund (RFB) weiterhin verboten blieb, reagierten ihrerseits verbittert mit einer Welle von Überfällen auf ihre verhassten GegnerInnen. Die Aufhebung des SA-Verbotes heizte die ohnehin schon angespannte Atmo­sphäre also zusätzlich an.

Besagter Gewaltwelle fiel auch ein SA-Mann des Kreuzberger Sturmes 24 zum Opfer, dessen Fall (wie noch zu sehen sein wird) eine besondere Bedeutung für die nationalsozialistische Bewegung erlangen sollte. Ihre Version über den Tathergang lautete so: „Am 21. Juni 1932 hielt der Sturm 24 im Lokal „Zur Hochburg“, Gneise­naustraße 17 seinen ersten Uniformappell nach dem SA-Verbot ab. Danach machte sich eine Gruppe von 16 SA-Männern auf den Weg um zwei Kameraden, die in einer besonders gefährlichen Gegend wohnten, nach Hause zu bringen.“ In dieser Nacht wären zudem sämtliche „Berliner Kampfbund gegen den Faschismus“-Kampfstaffeln mobil gewesen. Beim Einbiegen von der Gneisenaustraße in die Schleiermacherstraße wäre die SA von zwei Straßenseiten unter Beschuss genommen worden. Der SA-Scharführer Helmut „Bobby“ Köster, von Beruf Kaufmann, brach in den Kopf getroffen vor dem Hause Schleiermacherstraße 23 zusammen. Der Schuss soll aus der „Kommunekneipe“ „Tante Emma“, Gneisenau- Ecke Schleiermacherstraße, abgegeben worden sein. Noch in der Nacht zum 22. Juni 1932 starb Köster im Krankenhaus.

Doch war es die SA, welche den Zusammenstoß bewusst provoziert hatte. Schon den ganzen Nachmittag und Abend des 21. Juni 1932 waren uniformierte SA-Männer die Gneisenaustraße auf und ab gegan­gen, dabei die Aufforderungen der Polizei, sich zu zerstreuen, missachtend. Als nach behördlichen Angaben 20 bis 25 SA-Männer das kommunistische Lokal auf dem Weg in die Schleiermacherstraße passierten, stürmten die Kommunisten aus dem Lokal und bildeten eine Kette über die gesamte Straßenbreite. Die SA-Leute begannen ihre Schulterriemen abzuschnallen, um damit gegen die Gegner loszugehen. Fast zeitgleich fielen dann auch schon die ersten Schüsse, wobei von beiden Seiten geschossen wurde. Elf Kommunisten wurden anschließend verhaftet.

Tatsächlich war Köster aber wohl von seinen eigenen Leuten erschossen worden: Bei der von der Polizei als zuverlässigster Zeuge eingestuften Person handelte es sich um einen Anwohner, der das Geschehen vom Balkon der 4. Etage des Hauses Schleiermacher Straße 21 aus genau beo­bachten konnte und der obendrein NSDAP-­Mitglied (also für eine Falschaussage zuungunsten der Nazis wohl eher unverdäch­tig) war. Nicht zuletzt aufgrund seiner Aus­sagen kamen die Kriminalbeamten zu dem Schluss, dass die Nazis als erste geschossen haben müssen. Auch ist es schon bemerkenswert, dass die Polizei – obwohl sie von Anfang an einseitig gegen die Kommunisten ermittelte und man eine antikommunistische Haltung aus den Akten herauslesen kann – es nicht vermochte, die sofort in U-Haft genommenen Kommunisten trotz aller Anstrengungen der Tat zu überführen. Sie mussten am 17. Januar 1933 wegen mangelnder Beweise aus der Haft entlassen, das Verfahren am 26. Januar 1933 eingestellt werden.

Obwohl also viele Saal- und Straßenschlachten durch die Nazis provoziert wurden, sah die bürgerliche Öffentlichkeit einseitig in den ArbeiterInnen bzw. der KPD die Schuldigen, da sich die Auseinandersetzungen fast ausschließlich in den Arbeiterbezirken abspielten. Die Nationalsozialisten spielten sich als die einzige Kraft auf, die den „Marxismus“ niederringen und wieder Ruhe und Ordnung schaffen könnte.

So nahmen sie den Todesfall Kösters – im Gegensatz zu den Kommunisten, die mindestens genauso viele Opfer im Straßenkampf zu beklagen hatten – zum Anlass, ihren guten Draht zu den Mächtigen des Landes glühen zu lassen. Noch in der Tatnacht gab der Standartenführer Heck der "Standarte 8" ein Telegramm an den Reichsinnenminister Freiherr Wilhelm von Gayl auf, in dem er das achte Todesopfer der Standarte beklagte und behauptete, dass alle durch KommunistInnen ermordet worden wären. Die "Standarte 8" würde nunmehr ein endgültiges Verbot der KPD und rücksichtsloses Durchgreifen der Polizei erwarten, deren Verhalten in allen Fällen jede Tatkraft vermissen gelassen hätte. Die Angaben zu den Opfern der "Standarte 8" waren eine bewusste Fehlinformation. Von den acht Toten der "Standarte 8" waren, nach eigenen Angaben der Nationalsozialisten, nur fünf ermordet worden. Die anderen drei waren durch einen „Unglücksfall“ verstorben.

Zuvor hatte Hitler schon auf einer geheim gehaltenen Zusammenkunft am 21. März 1932 im „Kaiserhof“ seine Presse- und Propagandaobleute dazu angehalten, aus dem Tod von SA-Männern mehr politisches Kapital für die Wahlkämpfe zu schlagen. Jeder Tote der Bewegung wurde fortan im "Angriff"1 Seiten- und Nummernweise ausgeschlachtet, so auch der Tod des SA-Mannes Köster. Bei Köster kam jedoch noch hinzu, dass er der erste „Blutzeuge“ war, der nach Aufhebung des SA-Verbotes und nach Beginn der neuen Gewaltwelle auf dem „Friedhof der Bewegung“ (Alter Luisenstädtischer Friedhof in Berlin-Kreuzberg, Bergmannstraße) beigesetzt wurde. Ein gefundenes Fressen für den Propagandisten Goebbels: Auf der Beerdigung am 25. Juni 1932 putschte er die anwesenden SA-Leute auf. So äußerte er u.a: „Das ist das letzte Opfer, das wir straflos in die Erde legen! […] Mit diesen Zuständen wird jetzt Schluß gemacht! Endgültig! So oder so! Von nun an wird das ein Ende haben: Wir wollen nicht mehr Ambos bleiben – wir wollen Hammer werden!!“ Anschließend zog ein großer Trupp SA, von Goebbels aufgehetzt und von der Aufhebung des SA-Verbotes beflügelt, durch Kreuzberg und verursachte mehrere Zusammenstöße, darunter den o.g. Überfall auf das Vorwärts-Gebäude.

Hinter der Vorgehensweise der SA steckte wie gesehen also Methode: Der Bürgerkrieg wurde geschürt und gleichzeitig stellte man sich selbst als Opfer dar, um damit wiederum einen Vorwand zu haben, gewaltsam gegen seine politischen GegnerInnen vorgehen zu können.

(Eine längere Version dieses Artikels befindet sich auf der Homepage des Autors: www.doktor-oliver-reschke.de/helmut-koester.)

  • 1"Der Angriff" war die "Gauzeitung" der Berliner NSDAP