Geflüchtete während der Corona-Pandemie
Matthias MonroyAusgangs- und Kontaktbeschränkungen, Grenzschließungen, Reisesperren – die Covid-19-Pandemie bedeutet auch in Deutschland beträchtliche Einschränkungen von Grund- und Freiheitsrechten. Die Corona-Verordnungen der Bundesländer gelten nicht nur für deutsche Staatsangehörige, sie müssen von allen EinwohnerInnen befolgt werden. Viele Maßnahmen treffen aber besonders Geflüchtete.
Am 16. März 2020 hat die Europäische Union ihre Außengrenzen geschlossen. Zwar sollte die Beantragung von Asyl eine der Ausnahmen zur Einreiseerlaubnis darstellen, de facto blieben die offiziellen Grenzübergänge für Asylsuchende jedoch weitgehend unüberwindbar. Auch an den „grünen“ und „blauen“ Grenzen rüstet die EU auf. Die Grenzagentur Frontex hat einige ihrer Einsätze, etwa auf dem Westbalkan, wegen der Coronakrise suspendiert. Die Missionen in Griechenland, das wegen Spannungen mit der Türkei hohe Ankunftszahlen für Geflüchtete verzeichnet, hat Frontex hingegen um zwei „Soforteinsätze“ am Evros-Grenzfluss und in der Ägäis erweitert. Anfang April 2020 haben die beteiligten Regierungen auch den „Malta-Deal“ zur Seenotrettung im zentralen Mittelmeer ausgesetzt. Gerettete werden nicht mehr in die aufnahmewilligen Staaten umverteilt, insgesamt betrifft dies 731 Geflüchtete, die meisten von ihnen sollten nach Deutschland kommen. Malta und Italien haben wenig später ihre Häfen für private Rettungsschiffe komplett geschlossen, nur mit viel öffentlichem Druck konnten in einem Fall Mitte April 150 Gerettete vom deutschen Schiff „Alan Kurdi“ in Malta von Bord gehen, die meisten anderen wurden von der libyschen Küstenwache zurückgeholt - sogar aus Gewässern, für die Malta zuständig ist.
Die ebenfalls ab Mitte März in den meisten Schengen-Mitgliedstaaten eingeführten Kontrollen der Binnengrenzen haben es noch schwerer gemacht, in Ländern wie Deutschland Schutz zu beantragen. Bis Anfang Mai wurden aus unterschiedlichen Gründen mehr als 123.000 Personen an deutschen Grenzen abgewiesen. Dadurch ist auch die Zahl der Asylanträge deutlich gesunken, in den ersten vier Monaten dieses Jahres hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) rund 30.000 Erstanträge registriert, das sind 29 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum. Die Asylagentur EASO hat für die gesamte EU einen noch stärkeren Rückgang verzeichnet, von Februar bis März um 43 Prozent. Einen Tag nach den EU-Grenzschließungen haben die Internationale Organisation für Migration und der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen auch das Resettlement-Verfahren zur Notfallaufnahme von Flüchtlingen aus Ländern wie Libyen oder dem Libanon weltweit ausgesetzt. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hat den Stopp des Resettlements anschließend auf den EU-Türkei-Deal ausgeweitet.
Die weltweit verhängten Einschränkungen in der Coronakrise führen auch bei deutschen Auslandsvertretungen zu Einschränkungen. Dies betrifft unter anderem Familienzusammenführungen, etwa indem Angehörige keine Termine erhalten oder ihre Visa nicht wie zugesagt abholen können. Aber auch mit Visum ist der Grenzübertritt nach Europa erschwert. Zwar gehörte seit den Grenzschließungen in Deutschland die Einreise von Ehepartner*innen zur Ausnahme als „triftiger Grund“, die Bundespolizei entschied hierüber aber in jedem Einzelfall.
Die Schließung der Binnengrenzen hat zudem Auswirkungen auf Rückschiebungen im Dublin-Verfahren, wenn Betroffene in Länder gebracht werden sollen, die für ihren Asylantrag zuständig sind. Die Prozedur muss in einem Zeitraum von sechs Monaten erfolgen, ansonsten geht die Verantwortung für das Asylverfahren nach Fristablauf auf den Staat über, in dem sich die Antragsteller*innen aufhalten. Um dies zu vermeiden, hat das BAMF die Überstellungsfristen in der Coronakrise kurzerhand eingefroren. Die Dublin-III-Verordnung sieht eine solche Aussetzung aber nicht vor, sie widerspricht überdies dem geltenden Beschleunigungsgebot.
Schwerer tat sich das deutsche Bundesinnenministerium mit der Aussetzung von Abschiebungen, die das Bundesinnenministerium erst eine Woche nach Schließung der EU-Grenzen für europäische Länder sowie Afghanistan beschlossen hat. Ein intensiver Reiseverkehr mit Abzuschiebenden sei mitten in der Corona-Krise nicht aufrechtzuerhalten, die für Abschiebungen benötigten Polizist*innen demnach mit „vorrangigen Schutzaufgaben“ für die Bevölkerung befasst. Ein für Mitte April von der Bundespolizei gechartertes Flugzeug, mit dem eine 25-Jährige nach Togo abgeschoben werden sollte, wurde hingegen erst am 3. April „aus organisatorischen Gründen storniert“. Die Pläne hatten für Kritik gesorgt, weil auch in Togo bereits verschärfte Einreisebedingungen galten.
Schon im März hatte die Kommissarin für Menschenrechte des Europarates, Dunja Mijatovic, dessen Mitgliedsstaaten zur Prüfung der Freilassung abgelehnter Asylbewerber*innen und irregulären Migrant*innen aus der Abschiebehaft aufgefordert. Nach der Europäischen Menschenrechtskonvention könne ihre Inhaftierung nur so lange rechtmäßig sein, wie eine baldige Abschiebung tatsächlich stattfinden kann. Abschiebehaftanstalten böten außerdem schlechte Möglichkeiten für Maßnahmen zum Schutz vor Infektionen. In Deutschland wird dies in den Bundesländern unterschiedlich gehandhabt. Während die niedersächsische Landesregierung das Abschiebegefängnis in Langenhagen bei Hannover bereits am 19. März bis auf Weiteres geschlossen und alle Insassen entlassen hat, musste ein 16-Jähriger aus der Demokratischen Republik Kongo als Einziger in der Hafteinrichtung am Frankfurter Flughafen bleiben. Sein Asylantrag war im sogenannten Flughafenverfahren als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt worden, das BAMF hält ihn trotz seiner urkundlichen Beweise für volljährig.
Der befürchtete Ausbruch von Covid-19 in deutschen Asylunterkünften blieb zunächst aus. Ende März hatten 50 Geflüchtete in Bremen in weitem Abstand zueinander gegen mangelnde Hygienebedingungen demonstriert, wegen Nichteinhaltung von „Mindestabständen“ erhielten sie Strafanzeigen nach dem Infektionsschutzgesetz. Nachdem dann im April bundesweit teils massive Corona-Infektionen in Unterkünften auftraten, haben die Behörden mit Quarantäne reagiert. Zur Durchsetzung der Maßnahmen zeigte der Staat die Zähne: 17 Jugendliche in der Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge in Suhl, die sich „in grober Weise“ den Quarantäneanordnungen widersetzt hätten, wurden unter Zuhilfenahme von Wasserwerfer, Räumfahrzeug und SEK in eine Jugendarrestanstalt gebracht. Sechs Asylsuchende aus Nordrhein-Westfalen wurden von den Behörden zur Durchsetzung ihrer Quarantäne in der Abschiebehaftanstalt Büren eingesperrt.
Ein Tabu wollte Baden-Württemberg brechen, indem die Bundeswehr die Bewachung der unter Quarantäne stehenden Flüchtlingseinrichtung in Ellwangen übernehmen sollte. Fast 400 Soldat*innen hätten dabei Polizeiaufgaben übernommen, 400 weitere sollten Kontaktbeschränkungen im öffentlichen Raum überwachen – ein in Deutschland bisher nie dagewesener Einfall. Die Anträge wurden zurückgezogen, vermutlich weil ein ähnliches Ersuchen aus Thüringen für zehn Soldat*innen zuvor vom Verteidigungsministerium abgelehnt wurde.
Ab Ende April 2020 hatten immerhin viele Klagen gegen die beengte Zwangsunterbringung in den Flüchtlingsunterkünften Erfolg. Das Verwaltungsgericht (VG) Dresden gab einer kurz vor der Entbindung stehenden Asylbewerberin recht, dass diese nicht weiter in der Erstaufnahmeeinrichtung in Dresden wohnen muss. Ähnlich entschied das VG Leipzig im Eilverfahren zugunsten eines Asylsuchenden, wonach die Grundsätze der Sächsischen Corona-Verordnung auch für Asylunterkünfte gelten und dort der Mindestabstand zu anderen Personen eingehalten werden muss. In derselben Woche ordnete das VG Dresden bereits die Entlassung einer 20-jährigen Geflüchteten aus Gaza an.
Während sich in Deutschland seit Ende März ein weitgehend rechtsoffenes Milieu gegen die Corona-Maßnahmen formiert hat, haben linke Aktivist*innen die Einschränkungen weitgehend akzeptiert. Trotzdem haben auch Linke regelmäßig, kreativ und vereinzelt, aber trotzdem massenhaft demonstriert. Im Unterschied zu den „Hygienedemonstrationen“ oder rechten „Spaziergängen“ treibt sie keine angebliche „Merkel-Diktatur“ auf die Straße, sondern die Solidarität mit Geflüchteten. Leider waren die Proteste unter dem Motto „Leave no one behind“ nur wenig erfolgreich. Gerade einmal 47 unbegleitete Kinder und Jugendliche aus griechischen Flüchtlingslagern wurden nach Deutschland gebracht und auf die Bundesländer verteilt. Insgesamt hatten sich zehn EU-Mitgliedstaaten zur Aufnahme bereit erklärt, wegen der Corona-Pandemie ist jedoch auch dieser Prozess ins Stocken geraten.
Der Autor Matthias Monroy ist Wissensarbeiter, Aktivist und Mitglied der Redaktion der Zeitschrift Bürgerrechte & Polizei/CILIP.