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Interview nach "vehicle attack" auf Antifas in Henstedt-Ulzburg

Einleitung

Im Oktober 2020 ist ein Rechter am Rande einer AfD-Veranstaltung in Henstedt-Ulzburg mit seinem Auto in eine Gruppe Antifaschist_innen gefahren. Ein paar Monate nach dem Anschlag haben wir mit den Betroffenen gesprochen.

AIB: Wie geht‘s euch heute?

Tja, was soll ich sagen, mies. Bei mir ziehen sich die Unfallfolgen bis zum heutigen Tag und es ist noch kein Ende in Sicht. Körperteile sind so in Mitleidenschaft gezogen, dass nun noch eine Reha ansteht, in der Hoffnung eine Verbesserung herbeizuführen oder zumindest einen Umgang mit den Schmerzen zu finden. Bisweilen konnte ich die Physiotherapien nicht für Übungen nutzen, da die Schmerzen überwiegen.

AIB: Wie ist der aktuelle juristische Stand?

Wie Axel schon im Interview1 darlegte, gibt es momentan keinerlei Anzeichen dafür, dass etwas geschieht. Bis Stand heute kann ich nur sagen, der Fahrer hat und will nicht aussagen. Uns gegenüber wurde von der Kripo erkl därt, sie wären soweit. Ob der Ball nun ausschließlich nur noch bei der Staatsanwaltschaft liegt, vermag ich nicht zu beurteilen.2

AIB: Wie wurde der Anschlag von Medien, ­Zivilgesellschaft und Politik aufgenommen?

Anfänglich haben wir mit einer Portion Fassungslosigkeit vernommen, dass die Polizei recht miese Pressemitteilungen verteilt hat. Da ging es ausschließlich um einen Unfall und nicht um mindestens drei verletzte Menschen, die von einem Drei-Tonnen-Pick-Up auf dem Gehweg umgefahren wurden, von denen sie bis dahin wussten, da auch sie es waren, die drei Rettungswagen gerufen haben.

In der Definition kannst du bestimmt sagen, das war ein Unfall. Lässt du aber aus, dass die Polizei vor Ort die Einschätzung abgab: „Krass, ihr hättet tot sein können“ und wir alle drei im Rettungswagen abtransportiert wurden, nachdem wir auf dem Gehweg von einem Pick Up umgefahren wurden, dann machst du einen Scheißjob. Bewusst oder nicht, lassen wir mal so stehen. Ich glaube, die Zivilgesellschaft hat es gar nicht ernsthaft vernommen und wenn ja, dann vielleicht mal im kleinen Kreis darüber gesprochen. Ich weiß aus meinem erweiterten „kenne ich Kreis“, dass es dort kaum ein Mensch mitbekommen hat.

Auch in den politischen Ebenen, glaube ich, war es kein Thema, mit dem nach draußen gegangen wurde. Kleine Gemeindefraktionen haben geschrieben, „doof was da passiert ist“, aber das war es auch schon. In Kiel gab es eine Zusammenkunft im Landtag, dort hat die Kripo relativ fix nach der Tat erzählt, was vorgefallen ist. Ende vom Lied: Sie versuchen weiterhin herauszufinden, ob die Faschos angegriffen wurden. Welch fatales Zeichen wieder einmal. Aber leider auch so voraussehbar, so ist es nichts Neues, dass die Cops versuchen die Opfer zum Täter zu machen.

Wie waren eure Erfahrungen mit Solidarität aus antifaschistischen Kreisen?

Was uns sehr gefreut hat waren die vielen Tapeten, Banner, Kleber, Artikel, die sich auf uns bezogen und uns so immens viel Kraft geben, diese ganze Scheiße nicht ganz alleine zu verarbeiten. Menschen aus Frankreich, Spanien, Italien, USA, kennst ja nicht alle, aber sie haben es gehört und sind solidarisch, oder aus Pinneberg, Elmshorn, Itzehoe, Kiel, Lübeck, Münster, Frankfurt, Berlin, Potsdam, Jena, Dresden, Leipzig. Schönes, gutes und wichtiges Gefühl, mal so aus der Betroffenenperspektive gesprochen und wenn ich darf: Lieben Dank an euch da draußen!

Auch über die Florawand habe ich mich gefreut, da ich glaube, dieses verdammte Thema muss oben bleiben. Es darf nicht sein, dass Faschos uns halb oder ganz kaputt machen und nichts passiert. Die Thematik, was Faschos wollen und auch wie sie u.a. Angriffe planen, muss immer im Bewusstsein und auf der antifaschistischen Agenda stehen. Verwundert war ich über die nicht ganz so offenen Debatten, wie wir mit solchen Angriffen von Faschos umgehen. Klar, wir hängen in der Pandemie, vielleicht kommt ja noch etwas. Würde mich freuen, denn am Ende geht es um unsere Leben! Den Text der Antifa Münster: „Warum ist es so leise!?“3 , ich denke der hat schon den Nagel auf den Kopf getroffen. Um es mal zusammenzufassen. Es hätte aus antifaschistischen Kreisen definitiv lauter sein müssen. Es darf einfach nicht sein, wenn Neonazis einen versuchen vorsätzlich aus dem Leben zu reißen, dass wir entweder in die Starre verfallen oder es einfach zur Seite geschoben wird oder eventuell einfach vergessen.

Es sollte auch in der Diskussion nicht nur um die konkrete Tat gehen, sondern auch darum, wie wir uns vor solchen und ähnlichen Angriffen schützen können. Das schließt auch eine Auseinandersetzung um die eigenen Aktionsformen mit ein, oft gibt es eine Alternative bei der man sich selber leichter schützen kann oder sich und andere nicht so schnell in gefährliche Situationen bringt und die trotzdem effektiv sind. So sind z.B. Materialblockaden weniger gefährdet durch Angriffe, als eine Sitzblockade.

Zum Glück haben wir ja irgendwie eine Art Vertrauen in Menschen, aber in einigen Kontexten geht das nicht. Denn die Schweine wollen uns töten, das ist deren Ideologie und sie schlagen zu, wenn sie können. Wir müssen besser auf uns aufpassen!

Auch habe ich mit einer gewissen Erwartung das letzte AIB geblättert und geblättert und geblättert und leider nichts gefunden. Da sitzt du dann schon zu Hause und denkst dir: „Verdammt, haben wir uns schon so krass daran gewöhnt, dass uns Faschos totfahren wollen!?“ Aber nun räumt ihr uns ja ordentlich Platz ein, vielen Dank dafür!

AIB: Könnt ihr den Anschlag in rechte Angriffe und Aktivitäten in eurer Region einbetten?

Wir beobachten schon eine gewisse Aktivität bei uns in der Region. Das meiste bezieht sich auf Kleber batschen und Versuche, im Netz aktiv zu sein und junge Leute abzugreifen. Dass die jungen Faschos aber eine Affinität zu genau dieser Art von Angriffen haben, das lässt sich nicht abstreiten. Durch die Reihe werden die tödlichen Autoangriffe u.a. in den USA von den Faschos hier abgefeiert. Was uns beschäftigt ist die lange Tradition, die wir auch gerade in unserer Region haben.4

Die Alten gibt es noch immer, sie verstecken sich hinter kleineren selbstständigen Betrieben und halten weiter Kontakt untereinander. Hierbei werden sie mit Sicherheit auch Ratgeber für die Jüngeren sein. Jüngere, die schlagartig aus dem Nichts auftauchen, sitzen auf einmal im Vorstand der NPD-Schleswig-Holstein und versuchen immens Einfluss auf die ganz jungen Menschen zu nehmen. Dass diese Typen vor nichts zurückschrecken zeigen sie auch immer wieder in den sozialen Medien, darunter mindestens auch ein Vorstandsmitglied der NPD Schleswig-Holstein. Es werden Bombenbauanleitungen eingestellt, Videos von tödlichen Angriffen, sich mit Hitlergruß begrüßt und ganz offen zum Mord an Menschen aufgerufen.

Das war ja nicht das erste Mal, dass Rechte Fahrzeuge als Waffe nutzen...

Der aus den USA wohl bekannteste rechte Angriff mit einem Fahrzeug ist sicher der Mord an Heather Heyer in Charlottesville am 12. August 2017. Jedoch ist der Umstand nicht neu und auch nicht weit weg von uns. In Hamburg-Eilbek verfolgten Neonazis 1985 den Bruder und einen Freund von Ramazan Avcı und beschossen die beiden aus dem fahrenden Auto heraus mit Leuchtmunition. Ramazan flüchtete zu Fuß, geriet vor einen PKW und wurde anschließend zu Tode getreten und geschlagen. Oder der Angriff in Riegel / Baden-Württemberg 2011, von dem ihr im Infoblatt berichtet habt5 . Im Vorfeld erläuterte der Täter auf Facebook, er wünsche sich eine Situation, in der er einen politischen Mord als Notwehr tarnen kann. Er verletzte mindestens einen Menschen schwer. Die „Antifa International“ hat allein im Jahr 2020 60 Angriffe mit Kraftfahrzeugen vermerkt, darunter auch den Angriff in Henstedt-Ulzburg auf uns.6

Was erwartet ihr von dem Prozess und viel wichtiger, wie kann man euch unterstützen?

Was soll ich von diesem Prozess erwarten!? Der Typ ist hart daneben abgegangen und hat massiv Grenzen überschritten. Nicht nur mein Leben hat sich in den letzten Monaten radikal verändert. Ich lebe seit dem 17. Oktober 2020 mit Schmerzen, die ich so nicht kenne. Ich glaube nicht an den Knast! Es ist ein Konstrukt, dass auf nichts Gutes aufbaut. Er soll seine Motivation erklären und mir sagen, warum er dieses Mittel gewählt hat und ob diese Art seine Wahl der Mittel bleibt und er diese als politische Agitation einordnet und auch weiter einordnet. Wenn er das tut, dann will ich wissen, wer seine geistigen Idole sind und ganz am Ende interessiert mich sehr die Verbindung zur AfD in Schleswig-Holstein.

Ich spüre bei allen Soliaktionen ein „Ja, das tut gut!“ und ordne dann für mich ein: „Gut, die Menschen beschäftigen sich mit diesem Thema“. Unterstützend finde ich eine erweiterte politische Diskussion darüber, welche Waffen Faschos nutzen und wie wir uns gegen diese Angriffe schützen können.

AIB: Vielen Dank für das Gespräch.