Dugin und Russlands „Neue Rechte“
Volkmar WölkAnfang 1996 erschien in dem Mailänder nationalbolschewistischen Verlag „Barbarossa“ der Sammelband: „Nationalkommunismus. Eurasien: Ausblicke auf einen Kontinentalblock“. Unter dem Titelbild stand in kyrillischer Schrift „Euro-sowjetisches Imperium“, darüber eine stilisierte Landkarte die im Osten durch Wladiwostok begrenzt wurde, im Westen durch Dublin. Fast in der Mitte dazwischen war ein dritter Punkt markiert. Dort, wo sich Moskau befindet stand in kyrillischer Schrift: „Drittes Rom“. Drei Fahnen ragten aus dieser Markierung hervor: die alte sowjetische, die des russischen Zarenreiches und eine schwarze mit Keltenkreuz, als traditionelle Fahne des Neofaschismus.
Das „Euro-sowjetische Imperium“ ist eine offenkundige Anknüpfung an den Kontinentalblock-Gedanken der "Konservativen Revolution", propagiert vor allem durch den deutschen Geopolitiker Prof. Karl Haushofer, der noch 1940 einen Kontinentalblock „Mitteleuropa – Eurasien – Japan“ anstrebte, eng verwandt auch mit dem Großraum-Gedanken des Staatsrechtlers Carl Schmitt. Es stellt sich zugleich in eine Reihe mit Vorstellungen historischer Nationalbolschewisten wie Ernst Niekisch, bei dem dieses zu schaffende Reich sich von „Vlissingen bis Wladiwostok“ erstreckte.
Aufgegriffen wurde dieser Ansatz immer wieder auch in der Nachkriegszeit. Ob nun durch den US-Amerikaner Francis Parker Yockey 1948, der behauptete, das Ende des Zeitalters des Nationalismus sei notwendig und an dessen Stelle müsse die „große Synthese“, das Imperium, treten. Auch der Belgier Jean Thiriart wollte 1981 ein „eurosowjetisches Imperium von Wladiwostok bis Dublin“ im Bündnis mit den arabischen Staaten („Eurabien“) schaffen. Der Franzose Henri de Grossouvre, forderte 2002 eine Achse „Paris – Berlin – Moskau“ als „Weg der Unabhängigkeit und des Friedens“.
Gerade innerhalb der "Neuen Rechten" gab es immer eine Strömung, die nicht nur eine Äquidistanz zu den beiden Großmächten USA und UdSSR forderte, sondern stattdessen ein Bündnis Europas mit der Sowjetunion als notwendig ansah. Hierbei handelt es sich keineswegs um eine Minderheitenposition, sondern vielmehr um einen Ansatz, der vom „Altmeister“ dieser ideologischen Strömung der extremen Rechten, Alain de Benoist, bereits 1982 in seiner Schrift „Die entscheidenden Jahre“ deutlich zum Ausdruck gebracht wurde: „Europa ist heutzutage wie zwischen den Backen einer Zange eingeklemmt, zwischen einer Seemacht, deren Mittelpunkt sich im Laufe der Jahrhunderte immer mehr nach Westen verlagerte (England, dann USA); und einer Kontinentalmacht, deren Mittelpunkt sich nach Osten verlagerte (Deutschland, dann Russland). Europa liegt heute in dem dazwischen entstandenen Graben, ohne Form, ohne Identität, ohne Macht, ohne Ziel. Dennoch gehört es letzten Endes zum Kontinent. Als Europäer befinden wir uns auf der Seite der Kontinentalmacht, auf Seiten der Herren des Festlandes gegen den des Meeres. Wir sind die natürlichen Gegner der Seemacht, der amerikanischen Seemacht. Amerika ist kein neues Rom, sondern ein neues Karthago. Wir werden immer für Rom und gegen Karthago sein.“
Schon in diesem Zusammenhang macht es natürlich Sinn, wenn Moskau auch auf dem erwähnten Titelbild als „Drittes Rom“ charakterisiert wird. „Rom“ ist positiv besetzt, als natürlicher Gegner von Karthago/USA. Genau an dieser Stelle gesellt sich allerdings ein religiöser Aspekt hinzu. Das „erste Rom“ ist tatsächlich die Stadt Rom als Zentrum der katholischen Christenheit wie auch des Römischen Reiches. Es wurde in dieser Vorstellung abgelöst durch das zweite Rom, Byzanz/Konstantinopel, als Mittelpunkt des griechisch-orthodoxen Glaubens sowie des Oströmischen Reiches und danach eben durch das „Dritte Rom“, Moskau, das auf der weltlichen Seite für das Zarenreich und auf der religiösen für den heutigen Hort der Rechtgläubigkeit, die russisch-orthodox Kirche steht.
Der Politikwissenschaftler Jörg Himmelreich meint in diesem Zusammenhang: „So bildet die historische, orthodoxe Herrschaftsideologie auch heute wieder den Goldgrund für Putins autokratisches Regime und seinen wiederbelebten russischen Expansionismus.“ Diesen religiösen Aspekt abzuhandeln bleibt Alexander Dugin, dem ehemaligen Ko-Vorsitzenden der Nationalbolschewistischen Partei vorbehalten. Begonnen hatte er seine Karriere zu Zeiten der UdSSR in der antisemitischen Gruppierung Pamyat. In dem eingangs erwähnten Sammelband schreibt er naheliegend über „Die Metaphysik des Nationalbolschewismus“.
Bereits in der Zerfallsperiode der Sowjetunion waren etliche seiner Artikel in Zeitschriften der „Neuen Rechten“ veröffentlicht worden, so auch in der italienischen „Orion“, geleitet vom Herausgeber des Sammelwerkes Maurizio Murelli, der vom (militanten) Neofaschismus kommend zu einem wichtigen Ideologen der „Neuen Rechten“ geworden war.
Im März 1991 durfte Dugin beim nationalen Kolloquium des GRECE in Paris zum Thema „Das Sowjetreich und die Nationalismen in der Periode der Perestroika“ referieren. Bereits zuvor hatte er als Türöffner für die westeuropäische „Neue Rechte“ in das Russland der Transformationsphase gedient. So organisierte er im August 1992 die Reise einer Delegation nach Moskau, an der neben Alain de Benoist und Jean Thiriart auch der Italiener Carlo Terracciano teilnahmen.
Dugin selbst wird in „neurechten“ Kreisen zumeist als Philosoph vorgestellt, kann allerdings nur auf ein abgebrochenes Studium am Moskauer Luftfahrtinstitut verweisen und hat zu Sowjetzeiten als Straßenreiniger gearbeitet. Das beeinträchtigte jedoch seinen geradezu kometenhaften Aufstieg innerhalb der westeuropäischen „Neuen Rechten“ und den „Nationalrevolutionären“ keineswegs. Seine Thesen haben sich in den vergangenen dreißig Jahren kaum verändert, auch wenn er sich schon längst nicht mehr als Nationalbolschewisten bezeichnet, sondern als eigenständiger politisch-philosophischer Denker („Vierte Politische Theorie“) anerkannt werden will und sich kaum noch auf den esoterischen Faschisten Julius Evola bezieht, sondern nunmehr den russisch-orthodoxen Glauben in den spirituellen Mittelpunkt stellt. Seine Schriften sind eine Variation der gleichbleibenden Themen: Verurteilung der USA und des Liberalismus, Notwendigkeit der Schaffung eines eurasischen Kontinentalblocks.
1992, zur Ära Jelzin, schreibt er in den „Éléments“: „Der ‚amerikanische Traum‘ formt neue Gesichter unserer Verwestlichung. Wenn sich unser Volk dessen bewusst werden wird, wird es reagieren. Und diese Reaktion wird brutal sein.“ Dann 2009 im gleichen Blatt: „Ein Beitritt der Ukraine zur NATO wird automatisch eine Spaltung des Landes zur Folge haben zusammen mit einer möglichen Intervention der russischen Streitkräfte zur Verteidigung der Ihren.“ Und 2016, wieder in den „Éléments“: „Der Kalte Krieg hat sich nie auf eine einfache Gegnerschaft zwischen der ‚Freien Welt‘ und der sowjetischen Welt beschränkt. Es handelte sich auch bzw. vor allem um eine neue Episode eines grundlegenderen Konflikts zwischen der Macht des Meeres, der angelsächsischen Thalassokratie, und der Macht der Erde, der tellurischen eurasischen Macht.“ Nichts Neues also, sondern vielmehr ein Wiederkäuen dessen, was Benoist mehr als 30 Jahre zuvor geschrieben hatte, der wiederum nur eine Variante dessen ist, was Carl Schmitt 40 Jahre vor ihm schrieb.
So wie die westeuropäische „Neue Rechte“ als eine Reaktion auf den Prozess der Entkolonialisierung seit Ende der 1950er Jahre erfolgte, entstand die russische „Neue Rechte“ - deren bekanntester Vertreter Dugin ist - als Reaktion auf den Zerfall der Sowjetunion und dem damit verbundenen Verlust der Weltmacht ersten Ranges. Seine Eurasien-Ideologie soll einen Ausweg daraus aufzeigen. (West-)Europa habe nur dann eine Chance, wenn es sich von den USA löse. Im aktuellen Interview mit den „Éléments“ stellte Dugin die These auf, die USA seien der eigentliche Sieger im Ukrainekrieg. „Europa ist auf der anderen Seite der Verlierer in diesem Schachspiel. Das Spiel Russlands verläuft nicht völlig negativ, wenn es die Hälfte der Ukraine erhält.“ Mit dem Krieg seien die Voraussetzungen für ein „souveränes Imperium“ erhalten worden.“ So sieht sie aus, die „Neue“ Rechte. Kein bisschen neu, nur der schnöde alte Imperialismus.