AfD: Außenseiter in Europa
Ulli Jentsch (Gastbeitrag)Die AfD und die europäischen Rechtsparteien
Das hatten sich die Spitzen der AfD sicherlich anders vorgestellt, als Ende April 2024 der große Auftakt für die EU-Wahlkampagne ohne ihren Spitzenkandidaten Maximilian Krah stattfand. Krah hatte sich zuvor beim Bundesvorstand erklären müssen: Ihm war, genauso wie dem Listenzweiten Petr Bystron, die Annahme von Geld aus Russland von der Internet-Plattform „Voice of Europe“ vorgeworfen worden. Später war auch noch Krahs Mitarbeiter in Brüssel, Jian G., verhaftet worden. Er wird der Spionage für den chinesischen Geheimdienst beschuldigt und kam in Untersuchungshaft. Der Schwung aus dem Vorjahr, als es für die AfD kurz so aussah, als könne sie ihren nationalen Erfolg auf die europäische Bühne heben, ist komplett dahin.
Die Vorwürfe der möglichen Bestechung oder der möglichen Spionage, aber zumindest der engen Zusammenarbeit mit fremden Mächten, trifft die AfD international durchaus. Die Reaktion der politischen Konkurrenz ist entsprechend laut und polemisch, manche halten es allerdings für besonders gelungen, den völkischen Aufpeitschern ausgerechnet „Landesverrat“ vorzuwerfen.
Nachdem Krah den Massenmördern der SS bescheinigt hatte, dass „nicht jeder, der eine SS-Uniform trägt, automatisch ein Verbrecher“ gewesen sei, hat der französische „Rassemblement Nationale“ (RN) unter Marine Le Pen Konsequenzen gezogen und die Zusammenarbeit mit der AfD beendet. Die Bundesführung der AfD stellt sich weiter demonstrativ vor das Duo Krah und Bystron, obwohl beide aus dem Wahlkampf raus sind und Krah auch aus dem AfD-Bundesvorstand. Der nächste AfD-Parteitag Ende Juni 2024 in Essen dürfte hier weiteren Klärungsbedarf haben.
Endlich in Brüssel ankommen?
Noch ein Dreivierteljahr vorher konnte die AfD vor Kraft kaum gehen und alles sah nach einem Durchmarsch aus. Der EU-Wahlkampf sollte der erfolgreiche Auftakt für das Wahljahr 2024 sein mit den folgenden Landtagswahlen in drei Bundesländern als dessen Höhepunkte. An zwei Wochenenden Ende Juli und Anfang August 2023 hatte die AfD insgesamt fünf Tage lang ihren Europa-Parteitag mit der Nominierung der Kandidat*innen in Magdeburg abgehalten. In den Wahlumfragen stand man bei Spitzenwerten und konnte auf bis zu 20 Sitze im EU-Parlament hoffen.1
Entsprechend legten sich die Bewerber*innen ins Zeug und übertrafen sich gegenseitig mit radikalen Parteitagsreden. MEP Christine Anderson forderte den sofortigen Dexit, Irmhild Boßdorf die „millionenfache Remigration“, beide wurden mit vorderen Listenplätzen belohnt. Petr Bystron (Platz 2) machte die „Globalisten“ in Brüssel als Feinde Deutschlands aus und Maximilian Krah wurde emotional, als er das Brauchtum „deutscher Märchen und deutscher Lieder“ beschwor. Am Ende hatte sich, trotz kleiner Zugeständnisse an die Bundesführung, die härtere Linie des Höcke-Flügels personell und konzeptionell durchgesetzt. Kritiker wie der zweite Kandidat um den Spitzenplatz, Norbert Kleinwächter, gingen leer aus. Die als „Transatlantiker“ geschmähten Russland-kritischen AfD-Politiker*innen haben weiter an Einfluss verloren.
AfD in Europa ausschließlich radikal
Während andere europäische Rechtsparteien schon seit langem erfolgreich auf EU-Ebene sind, war die AfD-Delegation in Brüssel2 fast immer zerstritten, die Verbindung zur Parteiführung gestört. Zuletzt putschte Christine Anderson intern und ließ sich, entgegen der Aufforderung des Bundesvorstandes, zwölf Wochen vor den Neuwahlen als neue Delegationsleiterin wählen. Dass Maximilian Krah zum EU-Spitzenkandidaten gekürt wurde, war umstritten, aber die Bundesspitze und der sächsische Landesverband standen hinter ihm. Krah hatte sich in den Vorjahren mehrere Aktionen geleistet, für die er von der eigenen EU-Fraktion suspendiert worden war. 2023 zog der damalige Delegationsleiter Nicolaus Fest in einer internen Auseinandersetzung mit Krah den kürzeren, musste als Leiter gehen und inzwischen auch die AfD verlassen.
Ausgerechnet Krah mahnte bei einem Streitgespräch in Berlin im Juni 2023 dann das Ende der „Spaltung zwischen den Brüsseler Abgeordneten und den Berlinern“ an, um alles zu tun, damit die AfD in Deutschland erfolgreich bleibt. Brüsseler Realpolitik, wie sie zum Beispiel sein parteiinterner Widersacher Kleinwächter einforderte, dürfe die radikale Linie der Bundespartei nicht konterkarieren. Was in Berlin gilt, müsse auch in Brüssel gelten. Jedoch: das geht in Europa auf Kosten der Machtoptionen der AfD und auch auf Kosten der möglichen Bündnisse.
Seit 2019 gehört die AfD der "Fraktion Identität & Demokratie" an, in der sich die harten EU-Gegner*innen und Putin-freundlichen Parteien zusammengetan haben. Die ID will den gesamteuropäischen Rechtstrend für einen deutlichen Machtgewinn nutzen. Italiens Lega-Chef Matteo Salvini träumte bereits von dem Export des „italienischen Modells“, also des regierenden Dreier-Bündnisses aus Christdemokratie, Konservativen und extremer Rechte, in das EU-Parlament, um die bisherige Koalition von christdemokratischen, liberalen und sozialdemokratischen Parteien ablösen zu können.
Solch ein Bündnis erscheint zwar möglich, aber wenig wahrscheinlich. Die Führung der christdemokratischen Fraktion hatte solch ein Szenario wiederholt zurückgewiesen. Wer sich wie die AfD gegen die EU ausspricht oder der Ukraine die Unterstützung im Verteidigungskrieg gegen Russland verweigert, steht in Brüssel immer noch jenseits der Regierungsfähigkeit. Man beschwört den noch bestehenden ‚cordon sanitaire‘ gegen die Rechtsaußen der ID-Fraktion. Aber ein Bündnis mit Teilen der „Europäischen Konservativen und Reformer“ (EKR), geführt von der italienischen Regierungschefin Giorgia Meloni, wird nicht mehr als Wagnis angesehen.
Die EKR als Königsmacherin
Über die zukünftige Rolle der EKR wird fleißig gestritten. Nichts könnte das zunehmende Gewicht der meist als europa-skeptisch bezeichneten Parteiengruppe und die Dominanz deren Politik deutlicher machen. Eine gemeinsame Erklärung der Fraktionen der Sozialdemokraten, Grünen, Liberalen und Linken im Europaparlament (EP), die sich gegen eine Regierungsbeteiligung durch die extreme Rechte „auf jeder Ebene“ aussprach, wurde von der christdemokratischen Fraktion der „Europäischen Volksparteien“ (EVP) nicht mit unterzeichnet.
Stattdessen halten die Gerüchte an, Ursula von der Leyen (CDU) würde sich ihren nächsten Kommissionsvorsitz zwar nicht mit Stimmen aus der ID, aber aus der EKR sichern wollen, zum Beispiel mit Unterstützung durch Meloni.3
Die Bedingungen, die die EVP für eine mögliche Zusammenarbeit an andere Parteien aus dem rechten Block stellt, sind denkbar gering: man müsse pro-EU sein, auf der Seite Europas und der Ukraine gegen den russischen Angriff stehen sowie die Rechtsstaatlichkeit im eigenen Land garantieren beziehungsweise erhalten. Damit wäre eine Kooperation auch mit anderen Teilen der EKR-Fraktion möglich. Deren Engagement gegen die russische Politik ist sicher unbestreitbar. Und bei der Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit hat die EVP in der Vergangenheit oft genug große Spielräume nach rechts eingeräumt, wie gegenüber dem ungarischen Ministerpräsidenten Victor Orbán. Der hatte sich nach langem Poker bereit erklärt, EU-Hilfen für die Ukraine frei zu geben. Im Gegenzug erhielt Ungarn blockierte Gelder und Orbán verkündet, die Fidesz wolle der EKR-Fraktion beitreten. Das würde diese numerisch stärken, aber Orbán bleibt bei anderen Rechts-Konservativen umstritten und wird als zu Russland-nah gemieden. Doch insgesamt dürfte es vor allem die EKR sein, die im rechten Block nicht nur zahlenmäßig gewinnen wird, sondern auch einen Machtzuwachs erreichen kann.4
Nicht nur die christdemokratische Fraktion hat Schwierigkeiten mit der Ausgrenzung der extremen Rechten: gerade erst hat die niederländische „Volkspartei für Freiheit und Demokratie“ (VVD) von Ex-Ministerpräsident Mark Rutte einer Koalition mit der extrem rechten „Partei für die Freiheit“ (PVV – ID-Fraktion) unter Geert Wilders zugestimmt. Die VVD gehört zu der liberalen Fraktion im Europaparlament.
Allein in Brüssel
Und die deutsche AfD? Sie spielt bei all diesen Machtoptionen des rechten Blocks gerade keine Rolle und ist in Europa isoliert. Sie gilt als abschreckendes Beispiel für jene, die nach kommenden Wahlen eine realistische Chance auf eine Regierungsbeteiligung haben, allen voran für den „Rassemblement National“. Die französischen Rechtsaußen werden seit der Debatte um das "Potsdamer Treffen" und die dort diskutierte massenhafte Deportation von deutschen Staatsangehörigen nicht müde, ihre Distanz zu solcherart politischen Ideen und auch zur AfD im speziellen auszudrücken. Während sich Alice Weidel noch um die Beruhigung der Situation in persönlichen Treffen mit der RN-Parteispitze bemühte, dürfte die Aufregung in Paris anderen in der AfD, darunter auch den Spitzenkandidat*innen zur EU-Wahl, „bien égale“ sein. Dem Höcke- und Kubitschek-Lager gelten Le Pen und Meloni ohnehin als „Transatlantiker“, die den Ausgleich mit Russland torpedieren. Der AfD wird vermutlich nach den EU-Wahlen nur noch ein Bündnis mit kleineren Rechtsparteien bleiben, die ihre Zuneigung zu Putin teilen.5 Interessant dürfte das weitere Verhalten der „Freiheitlichen Partei Österreichs“ (FPÖ) sein. Sie und die estnische EKRE hatten den Rauswurf der Deutschen aus der ID abgelehnt.
Im Europaparlament hatten die jahrelangen AfD-internen Zerwürfnisse sowie die Nachrangigkeit, mit der EU-Politik durch die Partei behandelt wurde, dazu geführt, dass so etwas wie eine EU-Strategie der AfD gar nicht erkennbar war. Der letzte Parteitag hatte Programm und Personal immerhin deutlicher ausgerichtet. In der Präambel des Wahlprogramms wurde nicht mehr direkt die Abschaffung der EU gefordert, sondern ‚nur‘ eine Ablösung durch einen „Bund Europäischer Nationen“. Dazu gehört allerdings auch die Forderung, das EU-Parlament abzuschaffen. Die AfD kritisiert auch scharf den Europäischen Gerichtshof. Er soll durch einen politisch kontrollierbaren „Kompetenzgerichtshof“ ersetzt werden. Als Grundsatz wird die Nichteinmischung „in innere Angelegenheiten von Staaten durch andere Mächte und nichtstaatliche Akteure“ gefordert. „Dies gilt auch für die Einmischung der EU in die Angelegenheiten der Mitgliedstaaten.“6
Wahlkampf mit der ID
Schon zum Jahresende 2023 - und während des noch anhaltenden Umfragehochs - hatte der Wahlkampf der AfD in Europa begonnen. Selbst der äußerst selten international auftretende Co-Vorsitzende Tino Chrupalla wurde herumgereicht und auf den Bühnen in Brüssel, Mailand und Lissabon mit Applaus durch die Spitzen der ID-Parteien bedacht. Petr Bystron reiste im Januar nach Ungarn, um auf einer Konferenz extrem rechte Parteien in die ID-Fraktion einzuladen, darunter die ungarische Mi Hazánk Mozgalom (MHM – Unsere Heimat), eine kleine Abspaltung der Jobbik, und Vazrazdhane (Wiedergeburt) aus Bulgarien. Allerdings hat auch auf europäischer Ebene die AfD nach den wochenlangen Protesten in den Wahlvorhersagen nachgelassen und sank auf 16 Sitze ab (Stand Mitte April 2024).
Bisher wurde der ID-Fraktion ein Sprung auf mehr als 80 Sitze zugetraut. Damit wäre sie auf Augenhöhe mit den Fraktionen der EKR und der Liberalen, weit hinter der EVP und der Sozialdemokratie. Bei der Neuordnung des rechten Blocks im EP nach den Neuwahlen könnte sie trotzdem leer ausgehen.
Der Krieg Russlands gegen die Ukraine ist ein zu bestimmender Faktor in der europäischen Politik, um hier Zugeständnisse aus Gründen der Mehrheitsbeschaffung zu erwarten. Die Augen bleiben daher auf Marine Le Pen gerichtet, die sich einem strategischen Dilemma gegenüber sieht. Sie war selber lange Putin-freundlich, aber wendet sich seit dem Krieg von Russland ab. Während sie in Frankreich noch nie näher an einer Regierungsverantwortung war, steht sie in Brüssel bisher einer Fraktion vor, in der mit der FPÖ, der Lega und der AfD ausgewiesen Russland-freundliche Parteien Mitglied sind. Selbst ohne die Teilnahme der AfD wäre es wohl nicht überraschend, wenn es keine weitere ID-Fraktion im kommenden EU-Parlament geben würde.7 Doch wie eine Zusammenarbeit zwischen Teilen der ID und der EKR aussehen kann, bleibt offen.
Am Ende könnte der Wunsch mancher AfD-Hardliner doch noch wahr werden: die AfD könnte fraktionslos im EU-Parlament bleiben, ohne die wichtigen Gelder aus den Parlamentstöpfen als „Mittelerhöhung“ für die internationale Vernetzungsarbeit verwenden zu können. Aber mit dem guten Gefühl, sich nicht „dem schnöden Mammon“ zu unterwerfen, wie es der bayerische AfD-Bundestagsabgeordnete Martin Sichert auf dem Europa-Parteitag formulierte, und damit den ideologischen „Markenkern als rein deutsche Partei“ zu verlieren.
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Fünf Wochen vor der Wahl stand die AfD bei 16 Sitzen, gleichauf mit SPD und Grünen, hinter der CDU/CSU mit 29 Sitzen. BSW 5, Partei 2, Linke 4, MUT 2, FW 3, FDP 3 Siehe https://europeelects.eu/2024/05/03/april-2024/. Nachtrag: Die AfD konnte 15 Sitze gewinnen (4 mehr als 2019).
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Zuletzt bestehend aus neun Personen: Maximilian Krah, Christine Anderson, Gunnar Beck, Markus Buchheit, Nicolaus Fest, Joachim Kuhs, Silvia Limmer, Guido Reil, Bernhard Zimniok. / Nachtrag: Aktuell vertreten diese Abgeordneten die AfD in Europa: René Aust, Petr Bystron, Christine Anderson, Alexander Jungbluth, Dr. Marc Jongen, Markus Buchheit, Prof. Dr. Hans Neuhoff, Irmhild Boßdorf, Arno Bausemer, Siegbert Droese, Tomasz Froelich, Anja Arndt, Mary Khan-Hohloch, Dr. Alexander Sell,
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Nachtrag: Die EU-Kommissionspräsidentin will den italienischen Politiker Raffaele Fitto zu einem der Vizepräsidenten der EU-Kommission machen. Das kündigte von der Leyen am 17. September 2024 in Straßburg an. Fitto ist Mitglied der Partei von Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, der Fratelli d‘Italia.
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Nachtrag: Bei der Europawahl konnten die Parteien der Fraktion bzw. der EKR-Partei sieben Mandate hinzugewinnen. Zur Konstituierung am 3. Juli 2024 teilte die Fraktion mit, dass ihr in der neuen Wahlperiode 84 Abgeordnete angehören. Vox verließ zwei Tage später die Fraktion und schloss sich der Fraktion "Patrioten für Europa" an.
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Nachtrag: Die entsprechende Fraktion wurde am 10. Juli 2024 unter dem Namen "Europa der Souveränen Nationen" gegründet. Mit derzeit 25 Mitgliedern ist sie eine der kleinsten der acht Fraktionen. Im August 2024 gründeten die beteiligten Parteien eine europäische politische Partei gleichen Namens. Bei der konstituierenden Sitzung wurden René Aust (AfD) und Stanisław Tyszka (NN) zu Ko-Fraktionsvorsitzenden gewählt, als stellvertretende Vorsitzende Sarah Knafo (Reconquête), Milan Uhrík (Republika) und Stanislaw Stojanow (Wasraschdane).
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Online unter afd.de/europawahlprogramm2024
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Nachtrag: Nach der Europawahl wurde die Fraktion nicht wieder konstituiert. Die Abgeordneten der beteiligten Parteien schlossen sich überwiegend der Fraktion "Patrioten für Europa" (PfE) an.