Italienisch-albanischer Deal gegen Geflüchtete
Christian Jakob (Gastbeitrag)Im September 2023 hatten Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni und ihr albanischer Amtskollege Edi Rama den Deal präsentiert: Italien darf im Hafen des Badeortes Shëngjin und 15 Kilometer weiter nördlich, im Bergdorf Gjadër, zwei Internierungslager einrichten.
Auf Hoher See Gerettete will Italien künftig dorthin, statt auf das eigene Festland bringen. Bewacht von italienischer Polizei sollen 3.000 Menschen dort gleichzeitig in Haft gehalten werden und den Ausgang ihres italienischen Asylverfahrens abwarten. Am Ende soll die Einreise nach Italien oder, wohl häufiger, die Abschiebung stehen. 36.000 Menschen pro Jahr will Italien hindurchschleusen.
Die Zentren sollen von Italien nach italienischem Recht betrieben werden. Albanien soll lediglich für die „externe Überwachung“ zuständig sein. Albanien steht kurz vor der Erweiterung einer Vereinbarung mit der EU zu Einsätzen der Grenzschutzagentur Frontex.
Nach dem Willen von Meloni hätten die Lager schon im Mai 2024 starten sollen. Doch daraus wurde nichts. Erst war von August die Rede, dann gab es technische Probleme bei dem vom Verteidigungsministerium in Rom koordinierten Bauprojekt. Der Boden auf dem früheren Flugplatz der albanischen Armee in Gjadër sei so brüchig, dass man ihn erst einmal konsolidieren musste. Nun wird es wohl erst Ende 2024 etwas mit dem Start.
39 Seiten ist das „Protokoll“ stark, das Rama und Meloni dazu unterzeichneten, die Pläne waren minutiös: Die Leichenhalle soll direkt neben der Pier in Shëngjin entstehen, für die, die auf dem Weg gestorben sind. Für die anderen ist der Parcours genau vorgezeichnet: Warten, Krätze-Screening, medizinische Untersuchung, Warten, polizeiliche Registrierung, Warten, Abtransport in Bussen. 3.500 Quadratmeter groß wird das neue Ankunftszentrum im Hafen der albanischen Kleinstadt Shëngjin, vier Meter hoch der Zaun, auch das ist schon genau in den Plänen festgelegt.
Meloni hatte versichert, dass keine „Minderjährigen, schwangere Frauen und andere gefährdete Personen“ nach Albanien gebracht würden. In den Verträgen mit dem Unternehmen Medihospes für den Betrieb der Lager aber ist von „Aktivitäten für Minderjährige“ die Rede. Italien streitet indes weiter ab, und beharrt darauf, dass nach Albanien „keine besonders Schutzbedürftigen, keine alten Menschen, keine Kinder, keine Frauen“ kämen.
In Gjadër sollen die Verfahren maximal einen Monat dauern. Expert:innen halten es indes für ausgeschlossen, in so kurzer Zeit alles abwickeln zu können. Sicher ist, dass ein Teil der Ankommenden weder anerkannt wird noch abgeschoben werden kann. Die sollen dann nach Italien gebracht werden. Um deren Zahl aber möglichst gering zu halten, will Italien laut einem DPA-Bericht bereits auf den Schiffen der italienischen Behörden im Meer vorsortieren: Nur diejenigen, die aus Ländern kommen, in die man sie aufgrund bilateraler Abkommen auch wieder abschieben kann, werden nach Gjadër gebracht. Die Übrigen kämen direkt nach Italien. Abgewiesene Asylantragsteller will Rom nach maximal 18 Monaten Aufenthalt in Gjadër in ihre Heimatländer abschieben.
Auf den Schiffen der Küstenwache würden auch gesundheitlich „sehr fragile Männer“ sowie Frauen und Kinder samt ihren Ehemännern aussortiert – sie kämen nicht nach Albanien, Familien sollen nicht auseinandergerissen werden. Allerdings: Nach welchem Recht sollen italienische Küstenwächter auf Hoher See Menschen festhalten und entscheiden, wer „vulnerabel“ ist und nach Italien darf und wer nicht? Und: Vom zentralen Mittelmeer sind es nach Shëngjin fast 1 000 Kilometer. Die lange Reise wird die Küstenwache kaum für eine Handvoll Menschen unternehmen. Will Italien aufgegriffene Flüchtlinge so lange auf Hoher See festhalten, bis genug für einen Transport zusammengekommen sind?
Viele hegen auch deshalb Zweifel, ob Italiens Pläne rechtens sind. Sie verstoßen „gegen europäische und internationale Normen, die die Ausschiffung im nächstgelegenen sicheren Hafen vorschreiben, sowie gegen das Recht auf internationalen Schutz und die persönliche Freiheit“, schrieb die sozialdemokratische Fraktion im EU-Parlament.
Das Projekt ist auch in Italien umstritten. Die Opposition in Rom zweifelt etwa die Rechtmäßigkeit des italienisch-albanischen Pakts an und sprach von einem „italienischen Guantánamo“. „Amnesty International“ fürchtet negative Auswirkungen auf das Recht „auf Leben und körperliche Unversehrtheit“. Im Januar 2024 erklärte EU-Kommissarin Ylva Johansson, sie „prüfe die Auswirkungen“ des Protokolls und werde „mit den italienischen Behörden in Kontakt bleiben“.
Italien indes hält das Modell für zulässig, solange Menschen die EU physisch noch nicht erreicht haben. Rom will deshalb ausschließlich Menschen nach Albanien bringen, die außerhalb italienischer Hoheitsgewässer aufgegriffen werden.
Es war ein Coup für Meloni, eine Überraschung für alle anderen. Kein anderer EU-Staat hat bisher einen vergleichbaren Deal mit einem Drittstaat abschließen können. Rama hatte 2018 noch gesagt, Albanien werde „niemals solche EU-Flüchtlingslager akzeptieren“. Dies gelte auch dann, wenn seinem Land als Gegenleistung ein EU-Beitritt in Aussicht gestellt werde. Er sei grundsätzlich dagegen, „verzweifelte Menschen irgendwo abzuladen wie Giftmüll, den niemand will“.
Viele argwöhnen, dass Albanien den Deal gegen Cash verkauft habe. Aus Italien hieß es, Albanien bekomme lediglich eine Kostenerstattung für die Bewachung der Camps sowie bei möglichen Krankenhausbehandlungen der Insassen. Ansonsten fließe kein Geld. Es sei „ein Abkommen der Brüderlichkeit und der Verbundenheit“, so Ministerpräsident Edi Rama. Auch italienische Unterstützung für einen schnelleren EU-Beitritt Albaniens sei „ganz sicher nicht“
zugesichert worden.
Doch seit 2014 ist Albanien EU-Beitrittskandidat, kürzlich begannen die Beitrittsverhandlungen. In einem Rating der sechs Balkan-Kandidaten stand Albanien nur auf Platz vier. Guten Willen zu zeigen, kann da nicht schaden. Italien weist selbstredend zurück, wegen des Flüchtlingsdeals zu Albaniens Gunsten einzugreifen. Bei den Beitrittsverhandlungen „gibt es keine Abkürzungen“, hieß es. Rama schloss indes aus, mit anderen EU-Staaten eine vergleichbare Vereinbarung zu treffen. Es gebe „einzigartige“ Verbindungen zwischen Albanien und Italien. Meloni hingegen sprach von der Vereinbarung als Vorbild. „Tatsächlich glaube ich, dass es zu einem Modell für die Zusammenarbeit zwischen EU-Ländern und Nicht-EU-Ländern bei der Steuerung der Migrationsströme werden kann. Die illegale Masseneinwanderung kann kein EU-Staat allein bewältigen.“
In vielen EU-Hauptstädten sind die Begehrlichkeiten zur Auslagerung des Asylwesens groß. Dass Rama es sich anders überlegte, fachte die Debatte über Asylverfahren in Drittstaaten – auch hierzulande – weiter an. Die Ampel hatte 2023 den FDPler Joachim Stamp als „Migrationsbeauftragten“ ernannt. Der sucht seither erfolglos nach Ländern, in die Deutschland seine Asylverfahren auslagern kann. Beim Albanien-Italien-Deal handele sich um „ein intersssantes Modell“, sagte Innenministerin Nancy Faeser (SPD) im Juni 2024. Drei ganztägige Anhörungen mit mehr als einem Dutzend Experten hat das Innenministerium im Frühsommer zur Frage abgehalten, ob das Modell für Deutschland infrage kommt. Nachdem ihnen die Ergebnisse präsentiert worden waren, votierten die Ministerpräsidenten der Länder dafür, dass die Bundesregierung weiter nach Möglichkeiten sucht, einen entsprechenden Deal abzuschließen.
Beim Treffen der Europäischen Politischen Gemeinschaft – einer Vereinigung von europäischen EU- und Nicht-EU-Staaten Mitte Juli 2024 in Oxford gaben Rama und Meloni gemeinsam einen Workshop zum Thema Migration für die anderen Regierungschefs.
Im Februar 2024 hatte das Parlament in Tirana für das Projekt gestimmt, die rechte Opposition hatte die Abstimmung boykottiert – der Deal schade der „nationalen Sicherheit, der territorialen Integrität und dem öffentlichen Interesse“. Das albanische Verfassungsgericht aber wies eine Klage ab. Die Souveränität des Landes werde durch die Asyl-Lager nicht beeinträchtigt, befand es.
Das UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) kündigte nun an, das Abkommen vor Ort zu „überwachen“ um „sicherzustellen, dass die Rechte und Würde aller Betroffenen gewahrt würden.“ Das UNHCR-Engagement werde auf drei Monate begrenzt sein und beginnen, sobald die Zentren in Betrieb seien. Das UNHCR sei keine Vertragspartei des Abkommens zwischen Italien und Albanien und sei nicht an dessen Aushandlung oder Ausarbeitung beteiligt gewesen.