Argentinien: Sehnsuchtsort für Ultrarechts
Frederic Schnatterer (Gastbeitrag)
Mit Unterstützern feierte Trump seinen Wahlsieg: Donald Trump (rechts) mit Elon Musk (links) und dem argentinischen Präsidenten Javier Milei auf seinem Anwesen Mar-a-Lago.
Es ist nur eine Episode unter vielen: Mitte November 2024, nur wenige Tage nach dem Sieg von Donald Trump bei der US-Präsidentenwahl, macht sich der argentinische Staatschef Javier Milei auf in die Vereinigten Staaten. Ziel ist ein Treffen des „America First Policy Institute“ in Mar-A-Lago, Florida. Dort gratuliert er Trump überschwänglich zu dessen Wahlsieg und trifft mit Elon Musk zusammen. In einer kurzen Rede behauptet er in Anspielung an den berühmten Satz aus dem Kommunistischen Manifest von Karl Marx, heute gehe „ein anderes Gespenst in der Welt um, das Gespenst der Freiheit“. Der Applaus ist Milei, der seine Rede mit dem mittlerweile ikonischen Ausspruch „Es lebe die Freiheit, verdammt“ beendet, gewiss.
Argentinien hat sich in den vergangenen Monaten zum Sehnsuchtsort für eine wachsende internationale Ultrarechte gemausert. Milei, der seit mittlerweile einem Jahr im Amt ist, wird von so unterschiedlichen Akteur*innen wie der spanischen VOX-Partei, der deutschen AfD, dem US-Milliardär Musk oder marktradikalen Journalist*innen und FDP-Anhänger*innen angehimmelt. Mit dem künftigen US-Präsidenten Donald Trump wird er versuchen, den ultrarechten Backlash international weiter voranzutreiben.
Wie ist es dazu gekommen? Um das zu verstehen, ist zunächst ein Blick nach Argentinien selbst nötig. Dort hat Milei dem Großteil der Bevölkerung den Kampf angesagt – auch wenn er Gegenteiliges behauptet. Er und seine Regierung streichen seit ihrem Amtsantritt am 10. Dezember 2023 den Staat und die öffentliche Grundversorgung radikal zusammen, verscherbeln staatliche Betriebe, öffnen den Markt und die Rohstoffvorkommen für ausländisches Kapital, attackieren gewerkschaftliche und bürgerliche Rechte, leugnen den menschengemachten Klimawandel, schmähen politische Gegner*innen und Staatschefs missliebiger Länder und greifen den Konsens über die Erinnerungspolitik an.
Dass Milei die Präsidentenwahl gewinnen würde, war nur von wenigen vorausgesehen worden. Der Exzentriker, der in den Jahren zuvor als vermeintlicher Wirtschaftsexperte durch die Talkshows des Landes gereicht worden war, geriert sich als Anti-Politiker. Während des Wahlkampfs fuchtelte er mit einer Kettensäge herum, mit der er die „politische Kaste“ ab- und den aufgeblähten argentinischen Staat zersägen wolle. Gegner*innen beschimpfte er als Parasiten, Kommunisten oder Terroristen.
Über einen eigenen Parteiapparat verfügte Milei dabei zunächst nicht. Wirklich bekannt geworden war er während der Corona-Pandemie in den sozialen Medien. Dort polemisierte er gegen die in Argentinien strikten Ausgangsbeschränkungen und andere Maßnahmen, die besonders ohnehin schon prekarisierte Schichten trafen.
Dass es Milei schließlich gelang, die Stichwahl am 19. November 2023 deutlich zu gewinnen, hat mehrere Gründe. Der offensichtlichste: die heftige Wirtschaftskrise, in der sich Argentinien seit Jahren befand. Die damalige Regierung hatte ausgerechnet ihren Wirtschaftsminister Sergio Massa zum Kandidaten gemacht – in einem Land, in dem die Inflationsrate im Jahresvergleich beinahe 140 Prozent betrug. Zudem gelang es Milei, die rechts-konservativen Kräfte um den Expräsidenten Mauricio Macri zu überzeugen, ihn zu unterstützen. Am 10. Dezember 2023 übernahm er mit dem Versprechen, in Argentinien aufzuräumen und der Wirtschaft des Landes wieder auf die Beine zu helfen, das Präsidentenamt.
Seitdem ist ein Jahr vergangen – und Milei sitzt immer noch recht fest im Sattel. Das scheint zunächst erstaunlich, hat seine rigorose Kürzungspolitik doch heftige Auswirkungen auf die Lebensverhältnisse eines großen Teils der Bevölkerung. Der Staatschef verfolgt, so erklärt er mantraartig, das Ziel, die zweitgrößte Volkswirtschaft Südamerikas grundlegend zu sanieren.
Das Land befindet sich seit Jahren in einer Krise. Diese hatte sich in den letzten Jahren der Vorgängerregierung unter Alberto Fernández noch weiter verschärft. Beim Internationalen Währungsfonds (IWF) ist Argentinien extrem hoch verschuldet, seit dieser dem Land 2018 einen Rekordkredit in Höhe von 44 Milliarden US-Dollar gewährte.
Am 13. November 2024 überschrieb der spanischsprachige Sender CNN einen Onlinebeirag mit der Feststellung: „In Argentinien steigen Armut und Erwerbslosigkeit an, aber es wird weniger protestiert.“ Laut offiziellen Zahlen stieg der Anteil armer Menschen an der Bevölkerung im ersten Halbjahr 2024 von 41,7 auf 52,9 Prozent an. Die sogenannten Piquetes – Straßenblockaden, die seit Jahrzehnten zum festen Repertoire der sozialen Bewegungen in Argentinien gehörten – sind jedoch praktisch verschwunden. Das hat auch mit dem extrem repressiven Kurs zu tun, den die Milei-Regierung und insbesondere seine „Sicherheitsministerin“ Patricia Bullrich fahren. Direkt nach ihrem Amtsantritt hatte sie das „Protocolo anti-piquete“ aufgesetzt – eine Anweisung zum Umgang der staatlichen Einsatzkräfte mit Sozialprotesten. Jegliche Beeinträchtigung des Verkehrs wird seitdem sofort unterbunden. Zumindest, wenn diese von regierungskritischen Akteur*innen ausgeht.
Hinzu kommt: Die Erzählung der Regierung, sie befinde sich auf dem richtigen Weg, verfängt in Teilen der Bevölkerung weiter. Das große Ziel, die horrende Inflation im Land herunterzudrücken, scheint sie zunächst erreicht zu haben. Im Oktober 2024 betrug sie im Vergleich zum Vormonat 2,7 Prozent – der geringste Wert seit drei Jahren. Die Aussichten für einen Großteil der Argentinier*innen ist trotzdem düster. So ging der Konsum parallel zur Inflation stark zurück, unter anderem auch im Lebensmittelbereich. Eine starke und organisierte linke Opposition, die die soziale Misere thematisieren und den in Teilen der Bevölkerung vorhandenen Unmut kanalisieren könnte, ist in Argentinien derzeit nicht in Sicht.
Obwohl Milei und seine Partei „La Libertad Avanza“ selbst über keine Mehrheit im Parlament verfügen, schaffen sie es mit den Rechtskonservativen von Creo, ihre Politik durchzusetzen. Den wichtigsten Erfolg stellte die Annahme des Ley Bases Ende Juni 2024 dar. Es ermöglicht dem Präsidenten, für die Dauer eines Jahres in mehreren Bereichen gesetzgeberisch tätig zu sein. Zudem zielt es auf eine Deregulierung der Wirtschaft, beinhaltet Steuererleichterungen für ausländisches Kapital, vereinfacht die Privatisierung von Staatsbetrieben und weicht die Rechte von Arbeitern auf. Das „Anreizsystem für Großinvestitionen“ (RIGI), das Teil des Ley Bases ist, schreibt die Rolle des Landes auf die eines Rohstofflieferanten für den Globalen Norden fest.
Die brutale Schocktherapie für die argentinische Wirtschaft geht einher mit einer Rechtsverschiebung des öffentlichen Diskurses. Neben dem Kampf gegen Frauen- und LGBTIQ-Rechte, den die Regierung offensiv führt, wird das auch in der Erinnerungspolitik deulich.
Hier versucht die Milei-Regierung, insbesondere in Person der Vizepräsidentin Victoria Vilarruel, die Geschichte umzudeuten. Zwischen 1976 und 1983 herrschte in Argentinien eine brutale Militärdiktatur, die Zehntausende Linke und Andersdenkende verschleppen und ermorden ließ. Es wird geschätzt, dass rund 30.000 Menschen entführt, gefoltert und ermordet wurden. Gerechtfertigt wurde der „Kampf gegen den Kommunismus“, der von anderen Diktaturen der Region, den USA und auch Westdeutschland unterstützt wurde, mit dem Argument, das Land müsse „befriedet“ werden. Demnach sei die Diktatur notwendig gewesen, um das „Chaos“ in Argentinien in Folge von Protesten und der Aktivität mehrerer Guerillagruppen zu beseitigen.
Mit dem Ende der Diktatur schafften es Menschenrechtsorganisationen, eine Art Konsens des „Nie wieder“ (Nunca más) in der argentinischen Gesellschaft zu erkämpfen. Heute jedoch stellt die Milei-Regierung die (geschätzte) Zahl der 30.000 Diktaturopfer öffentlich in Frage, behauptet, der „Terrorismus“ linker Gruppen wie der Tupamarus sei „genauso schlimm“ gewesen, wie der vom Staat ausgehende und streicht Menschenrechtsgruppen, die noch immer dabei helfen, die Zeit der Militärdiktatur aufzuarbeiten, die Mittel.
Darüber hinaus nimmt Villarruel auch in Sachen der internationalen Vernetzung mit anderen ultrarechten Akteur*innen eine Art Vorreiterinnenfunktion ein. Villarruel kommt aus einer bedeutenden Militärsfamilie und ist darüberhinaus gut in ultra-katholische Kreise vernetzt. Heute gehört Milei zum engsten Kreis internationaler rechter Foren wie der Conservative Party Action Conference" (CPAC) oder dem von der spanisch-faschistischen Partei Vox initiierten "Madrid Forum". Im September 2024 fand das „Foro Madrid“ in Buenos Aires statt, im Dezember das CPAC.