Stören, stoppen, sabotieren
Kampagne NS-Verherrlichung stoppen (Gastbeitrag)Die neue Broschüre der Kampagne „NS Verherrlichung stoppen“

Im Jahr 2024 entstand die Textsammlung über fünf Beispiele antifaschistischer Praxis gegen NS-verherrlichende Aufmärsche in Europa. Anlass dafür ist das 20-jährige Bestehen der Kampagne, die sich gegen den Heß-Marsch 2004 in Wunsiedel erstmals bundesweit gründete.
Seitdem haben sich die Verhältnisse zugespitzt. Extrem rechte Narrative und vermeintliche Lösungsansätze für aktuelle Krisen innerhalb turbo-kapitalistischer Verhältnisse verfangen sich in europäischen Gesellschaften und darüber hinaus. Menschen sind wegen Krieg, Klima und der Suche nach einem besseren Leben auf der Flucht und werden an den europäischen Außengrenzen abgeschmettert. Emanzipatorische Errungenschaften werden in Frage gestellt, feministischen Kämpfen mit großem Widerstand begegnet. Antifaschist:innen geraten in den Fokus von Verfolgungsbehörden und werden gezwungen, nicht auffindbar zu sein oder über Grenzen hinweg in Knäste gesteckt.
Da fällt es manchmal nicht leicht, den Kopf nicht in den Sand zu stecken. Dabei gibt es eine Vielzahl an antifaschistischen Kämpfen in unterschiedlichen und ähnlichen Zeiten, die zeigen: es lohnt sich weiterzumachen. Dem widmet sich die Broschüre mit einer kleinen Auswahl an bereits vergangenen oder laufenden Antifa-Mobilisierungen mit dem Schwerpunkt Widerstand gegen NS verherrlichende Aufmärsche. Was hat sich in der Praxis bewährt und woran lässt sich zukünftig anknüpfen?
Wo fing es an, was ist passiert?
Antifaschist:innen setzten sich bereits seit den 1950er Jahren aktiv gegen NS-Glorifizierung zur Wehr. Anlass waren in der Bundesrepublik der Nachkriegszeit unter anderem Versammlungen von Traditionsverbänden ehemaliger Soldaten, einschließlich der Waffen-SS. Proteste gegen diese Kriegsverbrecher-Treffen wurden vornehmlich organisiert von Überlebenden des NS-Terrors, Gewerkschaften, kommunistischen Gruppen, dem VVN-BdA, Bürgerinitiativen und teilweise der SPD. Die alten SS-Nazis versuchten aufgrund des entstehenden Drucks teilweise mit Namensänderungen oder später auch häufig ohne öffentliche Ankündigungen ihre Treffen durchzuführen. Oft konnten jedoch gut informierte Antifaschist:innen das Versteckspiel im Vorfeld aufdecken. Die zuvor meist unbehelligt stattfindenden Zusammenkünfte wurden dadurch immer mehr verunmöglicht.
NS-verherrlichende Aufmärsche fanden und finden europaweit statt, beinahe überall da, wo die Achsenmächte und ihre Kollaborateure während des Zweiten Weltkriegs wüteten. Trotz eines weit verbreiteten, anhaltenden antislawischen Rassismus, haben sich im Laufe der Jahrzehnte extrem rechte Bündnisse formiert, um auch in Osteuropa NS-Verbrechern zu huldigen. Neben dem Gedenken an lettische Kollaborateure und Angehörige der Waffen-SS in Riga (Lettland) sind auch der „Lukov-Marsch“ in Sofia (Bulgarien) und der „Tag der Ehre” in Budapest (Ungarn) fester Bestandteil einer derzeitigen neonazistischen Lebenswelt.
Strukturen wie „Blood & Honour“, „Hammerskins“ sowie als Parteien getarnte Kameradschaftsstrukturen von „Der III. Weg“ und „Die Rechte“ aus Deutschland beteiligen sich jedes Jahr an diesen Events. Für deutsche Neonazis sind diese internationalen Veranstaltungen von besonderer Bedeutung, denn dort können sie in aller Öffentlichkeit zu den Leitbildern, Parolen, Losungen und Symbolen des NS-Regimes stehen und sich international vernetzen.
Von Wunsiedel bis Sofia
Die Broschüre beginnt mit einem Beitrag über die Wiederbelebung der Kampagne NS-Verherrlichung stoppen! – gegen die Glorifizierung von Rudolf Heß. Im Jahr 1988 fand der erste offizielle Gedenkmarsch deutscher Neonazis für Hitlers Stellvertreter in Wunsiedel (Bayern) statt. Ein Jahr zuvor suizidierte sich der Kriegsverbrecher in einem Gefängnis in Berlin-Spandau. In dem Text geht es um den Mythos Heß, Busfahren als antifaschistische Praxis und die Verbindungen von Neonazi-Demonstrationen zum NSU.
Weiter gibt der AK Bleiburg einen Einblick über die erfolgreiche Intervention gegen ein über mehrere Jahrzehnte stattfindendes Großevent in Bleiburg/Pliberk im Süden Österreichs. Tausende kamen hier zusammen, um den Ustaša und dem faschistischen unabhängigen Staat Kroatien zu huldigen. Seit 2020 findet das bis dahin größte faschistische Treffen Europas in der Form nicht mehr statt, nicht zuletzt wegen jahrelanger antifaschistischer Arbeit.
Der AK „Angreifbare Traditionspflege“ steuert Erfahrungen aus Protesten gegen das geschichtsrevisionistische Kameradschaftstreffen der Gebirgsjäger in Mittenwald bei, wie sich über Stör- und Blockadeversuche, eigene Blumenkränze für NS-Opfer und Deserteure, geschichtspolitische Erinnerungspaziergänge, Hearings mit Überlebenden, gesprühten Parolen am ‚Ehrenmal‘, kreativ gestalteten Tourismus-Broschüren und Farbeiern auf Uniformen ein eigenes Protestdenkmal gebaut wurde.
Die Antifa-Gruppe Autonómia schreibt eine kurze Geschichte über die Mythenbildung des "Tag der Ehre“ und autonomen antifaschistischen Widerstand in Budapest seit 2009. Über die Rolle der Regierung, die Rolle der Zivilgesellschaft und über internationale Solidarität.
Die Genoss:innen der Antifa Sofia schließen ab mit einem Beitrag über den jährlich stattfindenden „Lukov-Marsch“ in Bulgarien, wer dorthin mobilisiert und wie eine kleine aber kontinuierliche antifaschistische Praxis eine Veränderung im öffentlichen Diskurs beeinflussen kann.
Erfolge in Budapest und staatliche Jagd auf Antifas
Die seit 1997 bis heute stattfindende Glorifizierung der SS und ungarischer Faschist:innen am sogenannten „Tag der Ehre“ in Budapest schien für deutsche und ungarische Behörden lange Zeit kaum ein Problem gewesen zu sein. Auch Berichterstattungen über dieses skandalöse Event beliefen sich meist auf übliche, linke Medien. Im Zuge der Gegenproteste 2023 lösten hingegen Angriffe auf Neonazis eine internationale Repressionswelle gegen Antifaschist:innen aus Deutschland, Österreich und Italien aus. Trotz der immensen Repressionen und anderer vergangener Widrigkeiten wie der Pandemie können wir als Kampagne gemeinsam mit den Genoss:innen aus Budapest bedeutsame Erfolge verzeichnen: Die größere Mobilisierung zum Gegenprotest hat im Jahr 2023 zum ersten Mal seit Bestehen des NS-glorifizierenden Events dazu geführt, dass das „Blood & Honour“-Gedenken an den Stadtrand verlegt werden musste und es den europaweit angereisten Neonazis somit nicht möglich war, ein faschistisches Heldengedenken im Városmayor Park oder auf der Budapester Burg durchzuführen. Auch im Februar 2024 konnte an die erfolgreichen Mobilisierungen der vergangenen Jahre angeknüpft werden. Der schwerwiegenden Kriminalisierung antifaschistischer Proteste in Deutschland und Ungarn zum Trotz finden wir es gerade jetzt umso wichtiger, vor Ort zu sein und solidarische Präsenz zu zeigen. Und das auch wieder im Februar 2025.
In Sofia, Budapest oder Dresden. Die vergangenen Jahrzehnte haben gezeigt: Wir brauchen einen langen Atem, um rechten Zuständen entgegenzuwirken. Die Broschüre möchte einen Teil dazu beitragen aufzuzeigen, was andernorts und zu unterschiedlichen Zeiten bereits sichtbar wurde und wird: Antifa wirkt! Dafür ist auch ein internationaler Antifaschismus notwendig und Solidarität mit den von Repression betroffenen Antifas sowie Freund:innen und Familien.