"Budapest-Komplex": Hanna in Untersuchungshaft
Nürnberger Solikreis (Gastbeitrag)Im Nürnberger Kiez Gostenhof fällt an vielen Orten der Slogan „Free Hanna!“ auf. Man sieht ihn auf Plakaten in Kneipen, an Häuserwänden, auf Transparenten in Fenstern. Gemeint ist Hanna S., die derzeit nicht zu Hause bei ihren Freund*innen sein kann, sondern in der JVA Nürnberg in Untersuchungshaft sitzt. Der jungen Frau wird die „Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung“ und „gefährliche Körperverletzung in zwei Fällen“ vorgeworfen.
Überstellung von Nürnberger Antifaschistin nach Ungarn befürchtet
Hanna wurde am 6. Mai 2024 in ihrer Wohnung von einem martialischen Polizeiaufgebot des LKA verhaftet, direkt dem Haftrichter in Karlsruhe vorgeführt und dann eingesperrt. Seitdem fehlt sie. An der Uni, in ihrem Job, überall, wo man sie kennt und schätzt. Und warum? Hintergrund ist der „Tag der Ehre“ in Budapest am 10. und 11. Februar 2023. Wie jedes Jahr rund um den 11. Februar trafen sich zahlreiche Neonazis aus ganz Europa in der ungarischen Hauptstadt, um an einer „Gedenkveranstaltung“ teilzunehmen. Sie ließen ihre historischen Vorbilder hochleben und feierten die Kriegsverbrecher von der Waffen-SS, die im Februar 1945 in Budapest gegen die Rote Armee gekämpft hatten und anstatt zu kapitulieren, einen sinnlosen Ausbruchsversuch unternahmen. Dabei kamen fast alle Nazi-Soldaten um.
Bestandteil dieses widerlichen „Tages der Ehre“ ist eine „Wanderung“, bei der tausende Neonazis in Waffen-SS Uniformen aufmarschieren. Der Weg führt vom zentralen Kapisztrán-Platz in Budapest über Nacht in das Dorf Szomor. Offiziell handelt es sich um ein „Sportevent“. Immer wieder kam es dabei jedoch zu Übergriffen auf Migrant*innen, Linke, Jüdinnen und Juden, Sinti und Roma sowie queere Menschen.
Organisiert wird der braune Spuk unter anderem vom Neonazi-Netzwerk „Blood and Honour“, das in Deutschland verboten ist, und der „Legio Hungaria“, einer ungarischen Neonazi-Gruppe. Das „Blood and Honour“- Netzwerk, das auch Rechtsrock-Konzerte zum „Tag der Ehre“ veranstaltet, gehörte zum Unterstützungskreis um den rechtsterroristischen „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU). Dieser ermordete zehn Menschen und verübte etliche Bombenattentate. Neonazis aus dem Kreis der „Legio Hungaria“ überfielen 2019 ein jüdisches Gemeindezentrum in Budapest.
Das AIB hat immer wieder über neofaschistische Aufmärsche in Budapest berichtet. Auch darüber, dass sich dagegen immer mehr Widerstand regt. Und hier kommt nun Hanna ins Spiel, denn sie soll im Februar 2023 handfeste Antifa-Arbeit geleistet und Neonazis, beziehungsweise Teilnehmer am „Tag der Ehre“ verprügelt haben. Das nennt sich dann allerdings in der Anklageschrift nicht nur Körperverletzung, sondern auch „Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung“ nach Paragraf 129 StGB. Damit wird der berüchtigte Gummi-Paragraf, der sich eigentlich auf die organisierte Kriminalität bezieht, aber recht dehnbar ist, wieder einmal gegen Linke genutzt. Dieser Paragraf wurde in Nürnberg bereits im Oktober 2023 angewendet, als sechs junge Menschen, die antifaschistische Graffitis gesprüht haben sollen, zu so einer „kriminellen Vereinigung“ stilisiert wurden, weil sie mit den Straßenkunstwerken „die Antifa verherrlicht“ hätten. (vgl. AIB Nr. 142)1
Aber solche unangenehmen Dinge dehnen sich oft aus und ziehen Fäden. So traf es nun Hanna, die angeblich zur „Antifa Ost“ gehören soll, dem behaupteten Zusammenhang, der in Dresden vor Gericht stand und rund um den „Fall Lina E.“ Schlagzeilen machte. Der Anknüp-fungspunkt: Auch hier sollen Menschen militant gegen Neonazis vorgegangen sein und sie körperlich angegriffen haben, allerdings in Deutschland. Lina E. erhielt eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten. Und nun sollen dieselben Leute auch im Ausland aktiv gewesen sein, meint die Staatsanwaltschaft zu erkennen.
Auch zahlreiche weitere Antifaschist*innen werden im Zusammenhang mit dem „Budapest-Komplex“ gesucht. Und so ein Tatvorwurf im Ausland hat zur Folge, dass das betreffende Land beantragen kann, die beschuldigte Person aus Deutschland dorthin auszuliefern. Genau das befürchten nun Hannas Unterstützer*innen: Dass sie nach Ungarn muss, in das autokratische, stramm rechte Reich Orbans, in dem sich Neonazis so wohl fühlen. Darum demonstrieren sie jeden Monat vor dem Nürnberger Knast, rufen „Free Hanna!“, umrunden das graue Gebäude in einer Prozession mit Schildern und Transparenten. Darum verteilen sie Flugblätter, hängen Plakate auf, mobilisieren nach Kräften die Öffentlichkeit, sammeln Stimmen bekannter Personen, die sich gegen eine Auslieferung äußern.
Ihre Sorge ist nur allzu begründet, denn schließlich wurde Maja T., eine non-binäre Person, die ebenfalls zu den Beschuldigten gehört und in Dresden in Untersuchungshaft saß, am 28. Juni 2024 nach Ungarn überstellt. Und das, obwohl ihre Anwält*innen argumentiert hatten, dass ihr im queerfeindlichen Ungarn als Mensch ohne klar männliche oder weibliche Zuordnung Schlimmes drohe. Ihnen, wie auch allen Antifaschist*innen war klar, dass in Ungarn kein faires Verfahren zu erwarten ist. Ungarn jedoch sicherte freundlich zu, sich an die üblichen EU-Standards in Sachen Haftbedingungen zu halten und die deutsche Justiz glaubte das ganz einfach. Oder tat so. Maja wurde ausgeliefert. Als der Bundesgerichtshof auf Ersuchen der Anwält*innen alles prüfte und urteilte, dass Maja nicht nach Ungarn gebracht werden darf, war es um einige Stunden zu spät. Seither erlebt Maja dort genau das Befürchtete: Maja berichtet von Flöhen, Läusen und Wanzen in der Zelle, von großer Hitze, miesem Essen, Schikanen, Sport-Verbot, permanenter Kameraüberwachung - und vor allem von 23 Stunden täglicher Einzelhaft mit Einzel-Hofgängen.
Kein Wunder also, dass die Sorge ihrer Unterstützer*innen um Hanna groß ist. Zwar hat sich Ungarn noch nicht dazu geäußert, kann aber jederzeit eine Auslieferung verlangen. Und dann kann es unter Umständen schnell gehen. Der "Solikreis Nürnberg" jedenfalls betont, dass Ungarn längst kein „Rechtsstaat“ mehr sei. Hier geht es schließlich um das Land, das selbst von der EU gerügt wird, die in sozialen Fragen ja nun wirklich nicht als progressiv gelten kann. Haushaltsgelder sind nach wie vor eingefroren, weil sich Orban nicht an die vereinbarten rechtsstaatlichen Reformen gehalten hat. Die Gewaltenteilung ist schwer beschädigt, auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte moniert die zunehmende Einschränkung der richterlichen Unabhängigkeit in Ungarn. Amnesty International äußert sich besorgt, weil unliebsame Richter*innen und Staatsanwält*innen immer wieder mit Suspendierungen eingeschüchtert wurden. Kein anderer europäischer Staat wird wegen seines Demokratieabbaus und seiner fatalen „Justizreform“ so kritisiert wie Ungarn.
Darum ist für die Aktivist*innen klar, dass so ein System weder einen fairen Prozess noch menschenwürdige Haftbedingungen garantieren kann - egal, was es verspricht. Was Hannas Untersuchungshaft betrifft: Auch die ist schon weit überzogen. Dafür muss nämlich ein Haftgrund vorliegen, da die Monate im Gefängnis eine große Belastung darstellen. Bei Hanna geht die Staatsanwaltschaft von Fluchtgefahr aus, dass sie also abtauchen könnte. Quatsch, sagen alle, die sie kennen. Sie studiert erfolgreich an der Kunstakademie und wurde auch schon für ihre politische Kunst ausgezeichnet. Sie jobbt in einer Kneipe, ist vielseitig aktiv und fest eingebunden in ein stabiles soziales Umfeld aus Familie und Freund*innen. Versteckt hat sie sich nie.
Deshalb betont der Solikreis hier die extreme Härte, mit der die Strafverfolgungsbehörden gegen die Antifaschistin vorgehen. Egal, was nun wirklich in Budapest passiert ist oder auch nicht. Und so geht es eben weiter mit den Protesten für ihre Freiheit - mit dem Fokus, vor allem eine Auslieferung zu verhindern. Wenn schon ein Verfahren, dann wenigstens hier in Deutschland.
Seite an Seite fordern das vor dem Knast immer wieder Hannas Angehörige, die Omas gegen Rechts, die VVN-BdA, die Nürnberger Juristengruppe bei Amnesty International, die Naturfreunde, die Falken, zahlreiche linke Gruppen, Professor*innen und Studierende der Akademie, Gewerkschafter*innen, Vertreter*innen der Nürnberger Partei die Linke, natürlich der Nürnberger Solikreis und viele weitere Menschen. Ein Lied gibt es für Hanna, Musik, Reden, viele Grußworte und jede Menge Aufmunterung. Auch künftig. Denn gerade jetzt, wo die extreme Rechte die Demokratie massiv bedroht, ist das Vorgehen gegen Hanna völlig unakzeptabel. FREE HANNA!
Nachtrag:
Das Oberlandesgericht München hat die Anklage gegen die Antifaschistin Hanna zugelassen. Die Anklage lautet auf versuchten Mord – eine bewusste Eskalation des Verfahrens. Das Gericht selbst weist in seiner Pressemitteilung vom 3.12. darauf hin, dass auch eine Verurteilung „nur“ wegen gefährlicher Körperverletzung in Frage kommt. Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte bereits beim Haftbefehl gegen Hanna einen entsprechenden Antrag des GBA abgelehnt. Der GBA habe den Haftbefehl auch hier auf versuchten Mord laufen lassen wollen, wohingegen sich der BGH auf den Vorwurf der kriminellen Vereinigung und der gefährlichen Körperverletzung beschränkt habe. Die Begründung des BGH sei gewesen, dass es an dem notwendigen Tötungsvorsatz gefehlt habe.
Infos unter: https://alleantifa.noblogs.org/
Spenden bitte auf das Solikonto: Rote Hilfe Nürnberg, GLS Bank, IBAN: DE85 4306 0967 4007 2383 59, BIC: GENODEM1GLS, Verwendungszweck: „WirsindalleAntifa“