„Öffentliche Solidarität ist nötig“ - Der Prozess gegen Hanna in München
Solikreis München„Ich komme mal zu Ihnen.“ Der vorsitzende Richter Stoll steht von seinem Platz auf, läuft um die Richterbank herum und stellt sich neben den Stuhl des Polizeibeamten im Zeugenstand. „Nein, also beim besten Willen, auch von hier kann ich die Beschuldigte nicht erkennen.“ Der Beamte hingegen ist sich ganz sicher, dass es sich auf den Bildern um Hanna handelt. Es ist erst der zweite Prozesstag, doch Szenen wie diese sollten sich noch des öfteren ereignen.

Immer wieder wird in diesem Prozess deutlich, dass es v.a. den Beamt*innen der „Soko LinX“ darum geht, Hanna und weitere Antifas um jeden Preis zu belasten – auch wenn das Bildmaterial dies oftmals nur schwerlich hergibt. Hannas Prozess ist der erste zum „Budapest-Komplex“ in Deutschland. Auch wenn sie in diesem Verfahren formal die einzige Beschuldigte ist, soll hier das Konstrukt der „kriminellen Vereinigung“, der mehr als ein Dutzend Antifaschist*innen angehören sollen, gerichtlich bestätigt werden. Die Beweisaufnahme umfasst alle Taten, die der Gruppe vorgeworfen werden, nicht nur diejenigen, an denen Hanna beteiligt gewesen sein soll. Der Münchner Prozess ist daher für alle Beschuldigten im „Budapest-Komplex“ von großer Bedeutung. Das gefällte Urteil und dessen Begründung dürfte nach Einschätzungen von Anwält*innen den Ton für die kommenden Strafprozesse setzen.
Um die These der kriminellen Vereinigung zu untermauern, nahm die „Soko LinX“ des sächsischen Landeskriminalamt (LKA) einen Großteil des bisherigen Prozesses in Anspruch. Tagelang wurden Ausschnitte von Überwachungskameras aus Budapest vorgeführt. Anhand dessen versuchen die Beamt*innen eine Indizienkette aufzubauen und nachzuweisen, dass eine an einer Stelle unvermummt zu sehende Person die selbe ist, die in Tatvideos vermummt auftritt. Teils sind die aufgestellten Hypothesen mehr als wackelig. So wurden bei drei Personen die exakt gleichen Schuhe als bleibendes Identifizierungsmerkmal benannt. Den Beamt*innen selbst schien dies gar nicht aufgefallen zu sein.
Insgesamt wirft das Vorgehen der „Soko LinX“ viele Fragen auf. So steht der Verdacht im Raum, dass zur Auswertung des 1,5 Terabyte umfassenden Bildmaterials und zur Identifizierung von Personen unzulässige Software eingesetzt wurde. Zeug*innen des LKA konnten u.a. die Herkunft von Markierungen im Bildmaterial nicht erklären. Schlussendlich berief sich selbst der leitende Ermittler Mathe1 darauf, dass er über die verwendete Software nicht sprechen dürfe: „Das ist nicht von meiner Aussagegenehmigung gedeckt.“ Wie genau die Identifizierungen vollzogen wurden, konnte nicht plausibel erklärt werden. Die Identifizierungsvermerke wurden teils von einem Praktikanten ohne jegliche Fachkenntnisse verfasst.
Im Falle von Hanna zeigt sich letztlich anschaulich, dass die „Soko LinX“ zu keinem Zeitpunkt ergebnisoffen ermittelte. Sie hätten Hanna aus einem früheren Verfahren als Kontaktperson eines Beschuldigten gekannt und nach Ansicht der Bilder aus Budapest zunächst nur einen vagen Verdacht gehabt, sie könne dabei gewesen sein. Vergleichsbilder von Hanna, die aus dem Internet, Bahnhofsüberwachung und einer Hausdurchsuchung stammten, wurden daraufhin zusammen mit Bildmaterial aus Budapest einer "Super-Recognizerin" zur Prüfung vorgelegt. Dabei handelt es sich um Beamt*innen, die bei einem polizeiinternen Test Personen besser wiedererkennen können als andere. Daraus wird dann geschlossen, dass sie eine spezielle Begabung hätten und bestimmen könnten, ob verschiedene Aufnahmen dieselbe Person zeigen. Das Vorgehen entzieht sich dabei jeder objektiven Nachvollziehbarkeit. Eine im Prozess befragte "Super-Recognizerin" erklärte, sie könne nicht sagen, woran sie eine Person wiedererkenne, das sei ein Bauchgefühl.
Neben dem Einsatz der "Super-Recognizerin" wurde ein Gesichtsgutachten durchgeführt, das aber nicht bestätigen konnte, dass es sich bei der gesuchten Person um Hanna handelt. Ein weiteres Gutachten mit besseren Vergleichsbildern kam erneut zum Ergebnis, dass Hanna nicht zu identifizieren sei. Markante Pigmentflecken in Hannas Gesicht waren auf den Aufnahmen aus Budapest nicht erkennbar. Dennoch legte man sich darauf fest, dass Hanna die gesuchte Person sei und stützte sich dabei auf Indizien wie eine ähnliche Nasenform.
Um den Verdacht zu erhärten, schrecken die Behörden vor kaum einer Methode zurück. So ordnete das Gericht gegen den starken Protest der Verteidigung einen 3D-Körperscan von Hanna an. Hanna leistete bei der Durchführung keinen Widerstand, wirkte aber auch nicht mit. Wie sie selbst im Prozess eindrücklich schilderte, wurde ihr daraufhin gewaltsam entgegen der richterlichen Anordnung sämtliche Oberbekleidung vom Leib gerissen. Anschließend wurden Aufnahmen von ihr angefertigt. Mit diesen will Dirk Labudde vom „Forensic Science Investigation Lab“ der Hochschule Mittweida nun eine Art 3D-Exoskelett erstellen und prüfen, ob Bewegungsabläufe von vermummten Personen aus den Tatvideos zu Hanna passen. Dass die Verlässlichkeit dieser Methode wissenschaftlich mehr als fragwürdig ist, scheint genauso wie der massive Eingriff in Hannas Intimsphäre keine Rolle zu spielen.
Der entwürdigende Körperscan ist nur eines von vielen Beispielen, wie psychischer Druck auf Hanna aufgebaut wird. Obwohl sie zu keinem Zeitpunkt untergetaucht war, sitzt sie nun seit über einem Jahr in Untersuchungshaft. Pro Monat darf sie nur zweimal je eine Stunde Besuch von maximal zwei Personen empfangen und zwei Mal 30 Minuten telefonieren. Obwohl der bei der entsprechenden Tat Geschädigte nach dem Angriff selbstständig aufstand und im wesentlichen Platzwunden und Prellungen davontrug, lautet die Anklage u.a. auf versuchten Mord. Ein völlig aus der Luft gegriffener Vorwurf, der wohl insbesondere als Botschaft an die Untergetauchten gedacht war: Wir lassen Budapest niemals verjähren! Doch auch auf Hanna erhöht dies freilich gerade im Hinblick auf ein mögliches Strafmaß den Druck.
Allgemein wird sie wie eine Top-Terroristin behandelt. Für den Prozess wurde sie extra nach München verlegt, damit sie an den Verhandlungstagen in einen an das Gefängnis angegliederten Hochsicherheitsgerichtssaal gebracht werden kann. Auch unter den Mitgefangenen wurde im Vorfeld ihrer Verlegung Misstrauen gegenüber Hanna geschürt. So beklagte Hanna am zweiten Prozesstag: „Meine Zelle in der Frauenhaftanstalt wurde drei Wochen freiggehalten, bereits das sorgte für viele Fragen und Gerüchte. Geäußert wurde: Da kommt eine Terroristin, die ist schlimmer als der IS. Mehrfach hörte ich auch den Namen Beate Zschäpe.“ Kurz gesagt: Die Justizbehörden tun alles, um Hanna das Leben so schwer wie möglich zu machen.
Umso bewundernswerter ist ihr Auftreten vor Gericht. In den wenigen Fällen, in denen sie sich selbst äußerte, machte sie einen kämpferischen Eindruck. Und es ist ihr immer wieder anzusehen, wie sehr sie sich über bekannte aber auch unbekannte Gesichter im solidarischen Publikum freut.
Das zeigt auch uns: Solidarische Praxis wirkt, sie ist keinesfalls sinnlos. Wann immer ihr die Möglichkeit habt, die Prozesse zu besuchen: Tut es! Schreibt Briefe, kommt zu den monatlichen Solikundgebungen vor dem Knast, bei denen wir Hanna Grußbotschaften und ihre Lieblingsmusik über die Gefängnismauern schicken! Denn sei es eine ins Gefängnis geschickte Zeichnung oder ein kleines Feuerwerk vor dem Zellenfenster: Mit all diesen kleinen Zeichen geben wir Hanna Kraft, durchzuhalten.
Neben der solidarischen Prozessbegleitung und der Organisation von Kundgebungen versucht der Solikreis die Öffentlichkeit über den Prozess zu informieren und kritische Perspektiven in die Medienberichterstattung einzubringen. Insgesamt müssen wir aber leider ein großes Desinteresse an der auch nach den Maßstäben des bürgerlichen Staates absolut
unverhältnismäßigen Verfolgungswut der Behörden gegenüber Antifaschist*innen konstatieren. Gerade im Vergleich mit Italien ist dies ernüchternd. Dort ist der öffentliche Druck so hoch, dass selbst die Regierung unter Giorgia Meloni keine Beschuldigten nach Ungarn auslieferte. Die italienischen Grünen machten Ilaria, die in Ungarn inhaftiert war, gar zu ihrer Spitzenkandidatin bei der Europawahl und brachten sie damit frei. Davon sind wir in Deutschland weit entfernt. So müssen wir es schon als Teilerfolg werten, dass der kurze Aufschrei nach Majas Auslieferung zumindest mit dazu beigetragen hat, dass Hanna nicht ebenfalls ausgeliefert wurde. Öffentliche Aufmerksamkeit ist notwendig, wenn wir die Beschuldigten nicht völlig der staatlichen Willkür überlassen wollen. Denn wenn uns der „Budapest-Komplex“ eines nochmal anschaulich vor Augen geführt hat, dann das: Wenn er keine Konsequenzen zu fürchten hat, sind diesem Staat im Vorgehen gegen Antifaschismus
alle Mittel recht.
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Daniel Mathe ist stellvertretender Leiter der Soko LinX des LKA Sachsen.