Auslieferung von Maja: Die (Vor)Verurteilten
Budapest Antifascist Solidarity Committee (Gastbeitrag)Majas Auslieferung nach Ungarn: Wie die "Soko Linx" im Kampf gegen Antifaschist_innen den eigenen Rechtsstaat unterläuft. Ein Gastbeitrag des "Budapest Antifascist Solidarity Committee" (BASC).
28. Juni 2024 - irgendwo in Sachsen: Ein kurzer Blick auf die Uhr, schnell aufstehen. Heute ist es soweit. Seit nunmehr zwei Wochen bereitet sich ein Kriminalhauptkommissar (KHK) -nennen wir ihn Stumpf- auf diesen Tag vor. Die Aufregung hat den sowieso zu kurzen Schlaf eigentlich überflüssig gemacht, doch er ist wacher denn je. Er will nichts verpassen, nichts soll ihm entgehen.
JVA Dresden: Unwesentlich später wird auch Maja in der Dresdner Zelle geweckt. Es ist zu früh, das kann Maja feststellen. Während des Blicks durch die Zelle, in dem Maja erhaschen kann, dass es kurz nach zwei Uhr morgens ist, wird mit strengem Ton mitgeteilt, dass es nun soweit sei. Sofort weiß Maja worum es geht und fordert Kontakt zu den Verteidigern. Wurde doch erst am gestrigen Vorabend die Entscheidung durch das Berliner Kammergerricht getroffen. Die Auslieferung nach Ungarn soll stattfinden. Das, wogegen Maja, die Anwälte, die Familie und Freund_innen in den letzten Monaten mit all ihren Kräften angekämpft haben, soll nun unvermeidlich sein.
Die Anspannung ist auch bei den Bediensteten groß. Alles muss schnell gehen. Die Beamten des LKA Sachsen, die diese Aktion leiten, lassen das auch die Justizbeamt_innen spüren. Die Zeit steht, rast gleichzeitig wie im Flug. Die Anwälte versuchen Maja zu beruhigen, Mut und Hoffnung zuzusprechen und versichern, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, damit das schlimmste aller Szenarien nicht eintritt. Das Telefon klingelt. Die Kollegen sind am Apparat. Die betroffene Person sei nun geweckt und packe gerade ein paar Sachen. Leider ist auch der Anwalt schon wach und spricht etwas von Eilantrag und Verfassungsbeschwerde. Wie damit jetzt umzugehen sei, wolle er wissen. Kurz überlegt Stumpf, doch weiß er schon seit Tagen wie er darauf reagieren wird. Das Telefonat mit der zuständigen Generalstaatsanwaltschaft in Berlin ist kurz. Ein Anwalt habe angerufen. Der wolle irgendwas … Der genaue Inhalt dieser Telefonate wird schwerlich zu belegen sein, doch sind sie an diesem Morgen der Beginn eines Vorgangs, der auch unter renommierten Jurist_innen als Skandal gewertet wird.
Was hier für die beteiligten Beamten wie der Beginn eines Thrillers wirkt, wurde für Maja im Verlaufe des Tages und der weiteren Wochen zum Horrorfilm. Denn kurz nach diesen Telefonaten geht es für Maja in Begleitung der polizeilichen „Soko Linx“ zum bestellten Hubschrauber der sächsischen Antiterroreinheit, um Maja möglichst schnell an die deutsch/österreichische Grenze nach Passau zu bringen. Mit vermuteten Störaktionen wurden die Eile, die Wahl der Transportmittel und die Uhrzeit erklärt, um im gleichem Atemzug aber zu bestätigen, dass es keinerlei Hinweise auf solche Störungen gegeben habe. Um sechs Uhr fünfzig wurde Maja an die österreichischen Behörden übergeben. Zur „Durchlieferung“. Die grausame, kalte Präzision der deutschen Behördensprache lässt auch eine Woche später zusammenzucken, hört man der leitenden Staatsanwältin Herberth dabei zu, wie sie das Vorgehen rechtfertigt. Mit Beginn dieser Durchlieferung hätte auch keinerlei Möglichkeit mehr bestanden, den Vorgang zu stoppen.1 Mit Übernahme der Ungarn wird auch das Menschsein weiter verunmöglicht. Wie bereits bei anderen Festnahmen, wurde auch die Übergabe von Maja für den eigenen YouTube-Kanal inszeniert. Der Moment, in dem sie Maja einen Sack über den Kopf zogen, fehlt in der Erzählung der Ungarn. Von dort ging es nach Budapest, wo Maja unweit vom Gericht in Untersuchungshaft sitzt. 24 Stunden am Tag allein – 23 in der kleinen videoüberwachten Zelle. Die Zusicherungen der Ungarn erwiesen sich in aller Kürze als Lüge. Die hygienischen Zustände sind ebenso schlecht, wie in den Berichten von Ilaria.2 Die Nahrung ist nicht ausreichend, teilweise verschimmelt und das Ungeziefer lebt in den Zellen weiter, auch nachdem mit chemischen Schädlingsmitteln dagegen angekämpft wurde. Die eigene Ohnmacht, die durch die Geräuschkulisse anderer misshandelter Häftlinge noch deutlicher zu spüren sein muss, löst aus der Distanz schon ein schreckliches Unbehagen aus – wir können nicht erahnen, wie es Maja dort ergehen muss. Kontakt gibt es spärlich zum ungarischen Anwalt, aber nicht für die deutschen Vertreter. Der Familienbesuch ist auf zwei Stunden im Monat beschränkt. Die Bemühungen der deutschen Vertretungen in Ungarn halten sich in Grenzen – was bedauerlich ist, sind sie doch eine der wenigen Möglichkeiten, diese Zustände gerichtsfest zu dokumentieren. Das Auswärtige Amt macht von der Kontrollmöglichkeit keinen Gebrauch.
Momentan arbeitet die ungarische Staatsanwaltschaft an einer Anklage und lädt Maja zu gelegentlichen Haftprüfungsterminen. Die Erwartungen daran sind gering. Wann genau mit einer Anklageschrift zu rechnen ist, ist ungewiss.
Doch sind die Erwartungen unseres fiktiven KHK eingetroffen? Wahrscheinlich. Für ihn muss dieser Morgen ein voller Erfolg gewesen sein. Man habe es nicht nur geschafft, der Extremist_innen habhaft zu werden, nein – man hat ein Exempel statuiert. Schaut, wie es euch ergehen wird. So und nicht anders ist dieser Einsatz zu verstehen. In Tateinheit mit der Generralstaatsanwaltschaft (GenSta) Berlin wurden hier Fakten geschaffen und der effektive Rechtsschutz ausgehebelt. Hört man Auslieferungsexpert_innen und Jurist_innen zu, wird klar, dass dies eine Zäsur darstellt. Einen Fall, in dem eine Person in weniger als 24 Stunden nach der Entscheidung des Gerichts ausgeliefert wurde, haben auch auf diesem Gebiet erfahrene Jurist_innen noch nicht erlebt. Es ist Ususunter Prozessbeteiligten gewisse Räume zu bieten. Diese wurden hier zugemauert.
Auch muss in Frage gestellt werden, warum die GenSta Berlin nicht von selbst agiert, ist es doch ein mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwartendes Szenario, dass in einem solchen Fall eine Verfassungsbeschwerde eingereicht wird. Die Frage nach Dummheit oder Zynismus, müssen sich die Leser_innen und die Staatsanwaltschaft wohl selbst beantworten. Seitens des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) wurde in Richtung der Berliner GenSta klar kommuniziert. So wird nicht nur in der Begründung, die dem Antrag Majas gegen die Auslieferung Recht zuspricht, darauf verwiesen, dass eine sorgfältige Prüfung der Berliner Kolleg_innen in Frage gestellt wird, sondern sie macht auch unmissverständlich klar, dass die möglichen Folgen einer Inhaftierung in Ungarn schwerer wiegen, als eine im schlimmsten Fall falsche Entscheidung. Auch stellt das BVerfG klar, dass auch dort erhebliche Zweifel an der Vereinbarkeit der Durchführung mit einem effektiven Rechtsschutz bestehen. Letztlich wird sogar die Verhinderung und bei bereits vollzogener Auslieferung die „Rücküberführung“ von Ungarn angewiesen. Inwieweit sich die Behörden um diese gekümmert haben, ist nicht bekannt. In ihrem Interesse scheint es jedenfalls nicht zu sein.
Dass man als Linke vom Staat und seinen Bediensteten wenig zu erwarten hat, brauchen wir hier nicht weiter ausführen. Zu viele von uns wurden aus konstruierten und vorgeschobenen Gründen in den letzten Jahren morgens von vermummten und bewaffneten Gewalttätern aus ihren Betten geholt. Unsere Verwandten, Freund_innen, Kolleg_innen, ja selbst unsere Kinder wurden belästigt und in Mitschuld genommen. „Soll sie mal zeigen, dass sie groß ist“, hieß es während einer Hausdurchsuchung bei der Familie einer gesuchten Person zur 16-jährigen Schwester. Ein kürzlich erschienener Dokumentarfilm gibt einen Einblick in das skrupellose Vorgehen des sächsischen LKA um die „Soko Linx“, die immer mehr die Funktion einer politischen Polizei übernehmen, wenn es gegen linke Aktivist_innen geht.
Die Beteiligten dieses Skandals mögen einen Erfolg feiern, aber unsere Solidarität bleibt ungebrochen. Wir stehen weiter an der Seite von Maja, Hanna und all denen, die von den Behörden in die Illegalität getrieben wurden. Antifaschismus ist notwendig. Die Mittel vielfältig. Free All Antifas.
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„Die Frage, wie, zu welchem Zeitpunkt und mit welchem Verkehrsmittel die Vollstreckung vollzogen wird, liegt nicht bei uns (...)“ wird Simone Herbeth als ständige Vertreterin der Generalstaatsanwältin in Berlin zitiert. Vgl.: Auslieferung von Maja T.: Warum Sachsen enschieden hat, nicht auf das Bundesverfassungsgericht zu warten, 7. Juli 2024, mdr.de
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de.wikipedia.org/wiki/Ilaria_Salis