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(Un-) Freiheit für alle Antifas

Rote Hilfe / 18. März 2025 (Gastbeitrag)
Einleitung

Staatliche Verfolgungswut gegen Antifaschist*innen im „Budapest-Komplex“.

Budapest Soli Bild
(Foto: basc.news)

Staatliche Verfolgungswut im „Budapest-Komplex“

Budapest im Februar 2023: Beim so genannten „Tag der Ehre“ trafen sich – wie schon seit 1997 - Nazis aus ganz Europa, um Geschichtsrevisionismus, Wehrsport und NS-Verherrlichung zu zelebrieren. Am Rande sollen Antifaschist*innen einige Neonazis handfest konfrontiert haben, die sich später als einfache Teilnehmer und Konzertbesucher bejammerten und sich als unschuldige Opfer zu präsentieren versuchten. Seitdem suchen die ungarischen Behörden europaweit derzeit 19 Antifas, die sie der Taten verdächtigen und für die sie sich immer horrendere Strafmaßforderungen mit bis zu 24 Jahren Haft ausdachten.

Deutsches „Spiegelverfahren“

Parallel dazu wurde in Deutschland ein „Spiegelverfahren“ eröffnet, weil unter den Gesuchten in Deutschland lebende Menschen sein sollen. Dafür wurden Informationen mit Ungarn ausgetauscht, die auch aus den Berichten von Johannes Domhöver stammen dürften, der sich im Zusammenhang mit dem „Antifa-Ost-Verfahren“ den Behörden als Kronzeuge angedient hatte.

Wie im eben erwähnten Verfahren wurde auch im „Budapest-Komplex“ die Existenz einer „kriminellen Vereinigung“, abzielend auf Körperverletzungsdelikte ganz allgemein, als bereits gesichert angesehen und zum Gegenstand von Verfolgung gemacht.

Weitere Aussagen und vermeintliches Wissen dürften ebenfalls hin- und hergewandert sein: auch weil unter den Beschuldigten Antifaschist*innen sind, gegen die auch im „Antifa-Ost-Verfahren“ ermittelt wird, oder weil es Ähnlichkeiten im Vorgehen gegeben haben soll. Ob hier eine oder gleich mehrere Vereinigungen tätig gewesen sein sollen, bleibt vorerst noch offen - ebenso wie die Frage, ob nicht doch nur Platzwunden zu einem Staatsakt aufgebauscht worden sind.

Nacht-und-Nebel-Aktion gegen Maja

Eine Berliner Genossin, Tobi und Ilaria wurden schon im Februar 2023 in Budapest verhaftet, andere beschuldigte Antifas blieben verschwunden. Maja wurde im Dezember 2023 in Berlin auf brutale Art und Weise festgenommen und nach längerer juristischer Auseinandersetzung im Juni 2024 im Zusammenwirken zwischen Berliner und Dresdner Verfolgungsbehörden bei Nacht und Nebel nach Ungarn verbracht - mit besonderer Eile, denn eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) am nächsten Tag sollte nicht abgewartet werden. Das BVerfG hatte die Auslieferung auch zunächst aufschieben wollen, die endgültige Entscheidung Anfang 2025 fiel dann sehr deutlich aus: Majas Menschenrechte wurden und werden fortdauernd verletzt.

Dass Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit in politischen Verfahren in Ungarn und die Menschenrechtskonformität der (Untersuchungs-) Haftbedingungen offenkundig sind, erkannten auch Gerichte in Mailand und Paris. Sie lehnten im Fall der ebenfalls beschuldigten Antifas Gabriele und Gino die Auslieferung ab, auch im Hinblick auf die überzogenen Strafmaßforderungen und ein wahrscheinlich nicht den grundsätzlichen Anforderungen genügendes Strafverfahren. Dieser Eindruck dürfte sich ab Ende Januar 2024, nach den ersten Prozesstagen von Tobi und Ilaria, die teils unter entwürdigenden Bedingungen unter dem Druck eines Verzichts auf ein rechtsstaatliches Verfahren stehen, noch verstärkt haben.

Auch wenn das Maja wohl vorest nicht zurückbringen wird, sind Auswirkungen auf weitere Auslieferungsverfahren absehbar, zu groß sind die Zweifel des Bundesverfassungsgerichts und auch bis weit ins bürgerliche Spektrum hinein.

Selbstbestimmt gestellt

Diese Entwicklungen dürften vor allem für sieben Antifaschist*innen von Bedeutung sein, die mit EU- und nationalen Haftbefehlen gesucht wurden und sich am 20. Januar 2025 selbst stellten. Sie zu finden hatten die Behörden monatelang mit Observationen und Durchsuchungen, Spitzelanfragen und Druck auf die Familien versucht, waren aber gescheitert. Nele, Paul, Luca, Moritz, Clara, Zaid, Paula und kurz darauf Emmi gingen damit ein Risiko ein, da sie neben der hiesigen Untersuchungshaft und dem Verfahren nun Gefahr laufen, ausgeliefert zu werden.

Eine Verständigung, sich einem deutschen Verfahren zu stellen, wenn auf eine Auslieferung verzichtet werde, konnte zuvor mit den zuständigen Staatsanwaltschaften nicht erreicht werden. Zugleich war es den sieben Antifas wichtig, so ihr Statement zu
ihrer Entscheidung, im Bewusstsein von Solidarität und eigener Handlungsmacht diesen Schritt zu gehen, der auch eine Rückgewinnung politischer und rechtlicher Handlungsmöglichkeiten sein kann. 

Dabei unterscheidet sich ihre Situation: Während es für manche Auslieferungsersuche gibt, bestehen für andere „nur“ nationale Haftbefehle, meist des Bundesgerichtshofs, die dieser aufgrund dringendem Tatverdachts seitens des Generalbundesanwalts (GBA) erlassen hat. Allen wird die Mitgliedschaft in einer inländischen kriminellen Vereinigung vorgeworfen, die in Budapest aktiv gewesen sein soll.

No extradition!

Besonders ist die Lage für Zaid: Hier kann von vornherein kein Vorrang deutscher Strafverfolgungsbehörden nach § 83b IRG geltend gemacht werden, da gegen ihn in Deutschland ermittelt wird. Mittlerweile ist Zaid zum Glück unter Auflagen frei, doch eine Auslieferung nach Ungarn ist nicht vom Tisch. 

Klar dürfte sein, dass es Ungarn in der U-Haft darauf anlegt, Menschen zu einem Deal zu bringen und so den lästigen Schuldnachweis im Prozess zu umgehen. Das hatte sich bei den Verfahren von Ilaria und Tobi gezeigt und entsprechend sind die Bedingungen dort: Ungeziefer, verdorbenes Essen, Überbelegung oder Isolationshaft, Übergriffe, eine unklare Perspektive, wie lange ein Prozess dauern wird, und eine Vorführung vor Gericht an einer Hundeleine sind da nur einige Beispiele. Für Menschen, die nicht der Mehrheitsgesellschaft angehören, verschärft sich die Situation noch einmal.

Es geht um Solidarität

Für die acht Aktivist*innen, die über Deutschland verteilt auf die Entscheidung über ihre Zukunft warten, bedeuten diese Wochen deutschen Knastalltag, Vorbereitung auf Prozesse und Durchsicht von Ermittlungsakten.

„Diese Nacht wird keine kurze sein“ titelt Zerocalcare in seinem Comic über Ilarias Situation in Ungarn - etwas, das unsere Gefangenen derzeit ebenso erleben. Der Knast ist ein Nicht-Ort der Zeitlosigkeit, der Leere und ein absolutes System in jeder Hinsicht: Es soll trennen, ausliefern, kleinmachen oder brechen. Für die draußen ein Leben, für drinnen nur Stillstand, Stille und Fragen. Gegen dieses Prinzip müssen wir ankämpfen und das Mittel ist unsere Solidarität.

Dabei geht es nicht um die Frage unserer Positionierung zu den strafrechtlichen Vorwürfen, nicht darum, eine Militanzdebatte zu führen – diese kann ohnehin nicht in den Gerichtssälen oder Besuchsräumen stattfinden. Vielmehr geht es jetzt um Solidarität, die daran ansetzt, dass die Genoss*innen Teil unserer Bewegung sind, sich gerade deswegen der Repression ausgesetzt sehen und so manche*r in Feuilleton und auf Twitter sie deswegen gern im Knast sehen mag. 

Dass es letztendlich nur um ein paar bald verheilte Schrammen ging, die die kriegs- und vernichtungsbegeisterten Neonazis erleiden mussten, spielt derzeit fast keine Rolle. Was zählt ist vielmehr der Aspekt, dass Menschen sich getraut haben könnten, Bazis anders als mit Sonntagsreden entgegenzutreten, ihrer realen Gewalt eigene entgegengesetzt haben könnten. 

Faktisch bleibt es die vermutete Infragestellung eines staatlichen Gewaltmonopols, die zentraler Aspekt der Verfolgung ist – wie Ungarn und Deutschland es ausüben und gegen wen, zeigen aktuelle Nachrichten einmal mehr.

Gemeint sind nicht nur einige

Solidarisch zu sein bedeutet also, hier den Angriff beider Staaten in ihrer übergreifenden Logik zu erkennen, die sich noch in den Mitteln unterscheidet. Einer Logik, die auf Ausgrenzung, Ausbeutung und fortgesetzter Herrschaft beruht, die jeden Widerstand als illegitim kriminalisiert und die Menschenrechte der Aktivist*innen unter den Vorbehalt stellt, dass sie den Herrschaftsanspruch nicht grundsätzlich in Frage stellen. Die auch Nationalismus als Lösung ansieht, in der Nazi-Ideologien auf Unterstützung zählen können, weil sie Kontrolle, Herrschaft und Kontinuität der Verwertung ermöglichen, heute genau so wie früher.

Aktuell befinden wir uns in einem trügerischen Schwebezustand, in dem die Repression für die meisten von uns, die nicht in den Knästen sitzen, nicht mehr so deutlich wie noch vor wenigen Monaten sichtbar ist. Doch die Verfolgungsbehörden ermitteln mit Sicherheit weiter und versuchen hierbei möglicherweise auch den Kreis der Beschuldigten noch zu erweitern.

Mit der Anklageschrift des GBA, mit der im Juli 2025 zu rechnen ist, wird das Verfahren dann in eine neue Phase eintreten, in der gegen die Genoss*innen, genau wie aktuell schon gegen Hanna in München, prozessiert werden soll.

Mag den Genoss*innen nun also schon bald auf der Basis von Normen und Normalitäten der Prozess gemacht werden, dann nehmen Staat und Neonazis auf der gleichen Seite Platz, in Ungarn ganz besonders. 

Dabei geht es darum, antifaschistische Praxis ganz grundsätzlich zu bekämpfen, und zwar unabhängig davon, was geschehen sein soll. Es geht um Abschreckung und das Zurückgewinnen der Deutungshoheit über Geschichte und Zukunft, wenn einerseits „Rosen auf den Weg gestreut werden“, andererseits Notwehr gegen Neonazis mit Auslieferung ins Dunkel des ungarischen Knastsystems und Haftstrafen von über 20 Jahren bedroht wird.

Schon deswegen ist es jetzt an uns allen vor den Mauern, mit denen dahinter zusammenzustehen: Gemeint sind nicht nur einige.

Es war und ist eine Stärke der sieben im Januar in Haft gegangenen Genoss*innen zu zeigen, dass es weiterhin möglich ist, selbst zu entscheiden, wann und wie mensch sich einem Verfahren stellt oder entzieht – obwohl teils mehrere Durchsuchungen
bei den Familien stattfanden, intensiv observiert wurde, der so genannte Verfassungsschutz Quellen zu gewinnen versuchte und das Durchleuchten der Strukturen weiter anhält, gerade jetzt noch Unterstützer*innen und andere ins Visier genommen werden.

Solidarisch zeigen kann mensch sich in den kommenden Monaten und Jahren auf viele Arten: Mit Aktionen, Besuchen, Informationen und Berichten, mit Briefen oder mit finanzieller Unterstützung der Inhaftierten und ihrer Familien, in den Medien und nicht zuletzt mit kritischer Prozessbegleitung.

Bis die Genoss*innen wieder frei sind! Free all antifas!