Ungarische Neonazis als „Presse“ im Gerichtssaal
"Gruppe für organisierten Antifaschismus" (Wien) (Gastbeitrag)
5. April 2025: Neonazistische Kundgebung vor dem „NS-Pub“ (Nordic Sun Records Pub) in Budapest mit (1) Incze Béla, Légió Hungária-Capo, (2) Lipták Tamás und (3) Nárai Balázs.
Aktuell läuft in Budapest der Gerichtsprozess gegen Maja. Im Februar und März 2025 gab es zwei erste Termine, bei denen Maja vor Gericht erschien. Die Prozessführung ist eindeutig politisch und hat Symbolkraft; Maja ist bereits jetzt vorverurteilt. Die Verharmlosung neonazistischer Gewalt und die Darstellung der angegriffenen, organisierten Neonazis als „Opfer“, bei gleichzeitiger Kriminalisierung von antifaschistischem Aktivismus, zeigte sich am deutlichsten am zweiten Prozesstag, dem 6. März 2025.
An diesem Tag waren mindestens zwei ungarische Neonazis als vermeintliche JournalistInnen im Gerichtssaal: Lipták Tamás und Nárai Balázs. Mit einem vermeintlich journalistischen Auftrag sitzen sie in Budapest im Innenraum des Gerichtssaals. Sie dürfen, anders als normale Besucher*innen, auch während der Verhandlung Foto- und Videoaufnahmen machen. Tamás gilt auch als eines der vermeintlichen Opfer im Budapest-Komplex. Tatsächlich handelt es sich bei ihm um einen zentralen Akteur der ungarischen Neonaziszene.
Tamás ist ein Kader der Neonazi-Gruppe „Légió Hungária“ und war zuvor in leitender Rolle bei der neonazistischen Miliz "HVIM" organisiert. Die „Hatvannégy Vármegye Ifúsági Mozgalom“ (kurz HVIM; deutsch „Jugendbewegung Vierundsechzig Komitate“ oder „64 Burgkomitate“) machte im Jahr 2016 Schlagzeilen, weil sie als illegale Miliz Jagd auf Migrant*innen an der ungarischen Grenze machte. Im Jahr zuvor wurden zwei HVIM-Mitglieder, die einen Terroranschlag geplant hatten, in Rumänien verhaftet. Tatsächlich besteht die Praxis der Gruppe gegenwärtig wohl vor allem im organisieren von nationalistischen Jugendcamps im Sommer. Es ist auffällig, dass einige Kader der „Légió Hungária“ zuvor bei HVIM organisiert waren.
Auch Nárai Balázs ist ein Kader der neonazistischen „Légió Hungária“, der auf eine lange Karriere im ungarischen Neonazismus zurückblickt. Balázs war zuvor bei der neofaschistische Partei Jobbik sowie ebenfalls bei HVIM organisiert.
Die „Légió Hungária“ gilt als eine der zentralen Gruppen hinter den mehrtägigen neofaschistischen Veranstaltungen rund um den jährlichen „Tag der Ehre“. In einem Interview 2023 sprach der „Légió Hungária“-Leiter Béla Incze von engen Beziehungen zu „Combat 18“, dem rechtsterroristischen Arm von „Blood & Honour“, den „Hammerskins“ und „Betyársereg“.
Verbindungen zum Rechtsterrorismus?
Diese Verbindungen zu Kreisen des Rechtsterrorismus sind gefährlich. Wie eng diese mitunter sind, zeigte sich auch am 6. März 2025 im und um das Gericht. Vor dem Gericht versammelten sich früh morgens an die hundert Neonazis der „Betyársereg“, die eine Kundgebung abhielten und solidarische Beobachter*innen bedrängten und bedrohten. „Betyársereg“ machen aus ihren mörderischen Absichten keinen Hehl. Die Gruppe tritt mit T-Shirts mit der Aufschrift „Nur der Tod kann der Lohn für Einwanderer sein“ auf. „Betyársereg“ agieren an der Schwelle von Neonazismus und organisierter Kriminalität; ihr Auftreten erinnert an einen Rocker-Club. Gut dreißig dieser Neonazis gingen mit in den Gerichtssaal. Mit dabei war auch der ungarische Rechtsterrorist György Budaházy, der für zahlreiche Brand- und Sprengstoffanschläge auf linke und liberale Politiker*innen verantwortlich ist, einen Mordanschlag plante und einen Fernsehmacher schwer verletzte. Budaházy wurde eigentlich zu einer 17-jährigen Haftstrafe verurteilt, allerdings 2023 anlässlich eines Papstbesuches von der damaligen ungarischen Staatspräsidentin Katalin Novák persönlich begnadigt (siehe AIB Nr. 141).
Es ist ein besonders absurdes Kapitel dieses traurigen Schauspiels in dem Maja als Schwerverbrecher*in inszeniert vor Gericht steht, während ein verurteilter Rechtsterrorist triumphierend im Zuschauerraum sitzt. Dies zeigt: Antifaschismus ist und bleibt notwendig. Die Notwendigkeit auch militanter antifaschistischer Praxis liegt in diesem staatlichen Versagen im Umgang mit Rechtsterrorismus begründet.
Journalisten? Neonazis!
Die Verbindungen der beiden eingangs erwähnten „Journalisten“ zum militanten, rechtsterroristischen Neonazismus zeigte sich auch bei einer weiteren Veranstaltung in Budapest. Am 15. April 2025 fand im VII. Budapester Bezirk eine Demonstration gegen ein dort ansässiges Neonazi-Szene-Lokal statt. Das Lokal mit dem eindeutigen Namen „NS Pub“ wird vom Rechtsrocklabel „Nordic Sun Records“ betrieben. Die von
Lokalpolitiker*innen organisierte Kundgebung gegen den Neonazitreffpunkt rief auch das einschlägige Neonazi-Klientel auf den Plan1. Ein Foto zeigt die beiden „Journalisten“ Lipták Tamás und Nárai Balázs in "bester Gesellschaft" mit zentralen Akteuren der „Légió Hungária“ und der „Hammerskins“.
Neonazis als vermeintliche Journalisten sind eine Gefahr. Die hier dargelegten Zustände im Kontext von Majas Prozess in Ungarn verdeutlichen zweierlei.
Zunächst stellt die Präsenz zweier Akteure des ungarischen Neonazismus im Gericht, die ständig die Zuschauer*innen fotografieren und filmen, eine konkrete Bedrohung für Majas Angehörige und Unterstützer*innen, aber auch für andere kritische Beobachter*innen des Prozesses, wie Journalist*innen oder Politiker*innen, dar. Dies zeigt ein Blick auf die personellen Überschneidungen der Akteure und ihre Vernetzung zu Personen aus den Kreisen des Rechtsterrorismus sowie deren Taten in der Vergangenheit, etwa die Brand- und Sprengstoffanschläge und der genannte versuchte Mord.
Darüber hinaus sendet das Budapester Gericht mit der Akkreditierung der Neonazis als Journalisten eine klare Botschaft. Die Neonazis werden weiterhin als „normale“,
rechtschaffene Bürger verharmlost, während die beschuldigten Antifaschist*innen als „Terrorbande“ dargestellt werden.
Unter solchen Umständen ist noch einmal das Offensichtliche zu betonen: Von diesem Gericht ist kein faires Urteil zu erwarten.
Die folgenden Prozesstage
Auch bei den darauf folgenden Prozesstagen am 4. und 6. Juni 2025 waren Neonazis vor dem Gericht präsent - allerdings in deutlich geringerer Personenstärke. Der oben vorgestellte Lipták Tamás filmte am 4. Juni erneut Antifaschist*innen ab; am 6. Juni übernahmen dies Nachwuchs-Kader von der HVIM2.
Für alle angesetzten Gerichtstermine hat die örtliche Neonaziszene eine Kundgebung vor dem Gericht angemeldet. Dies ist aufgrund einer Gesetzesänderung nun nur mehr 30 Tage im voraus möglich. Da an allen Terminen versucht wurde, eine antifaschistische Kundgebung so früh wie möglich anzumelden, die Neonaziszene dem allerdings immer zuvorkam, liegt die Vermutung nahe, dass diese über beste Kontakte zur ungarischen Polizei verfügt.
Diese mutmaßliche Nähe schlägt sich auch in den Schikanen durch die ungarische Polizei nieder, die unter anderem am 6. Juni 2025 mit fadenscheiniger Begründung Unterstützer*innen vor dem Gericht kontrollierte und mit Pfefferspray bedrohte. Bisher wurden die Neonazi-Kundgebungen vor dem Gericht abwechselnd von AkteurInnen von „Betyársereg“ (6. März 2025) und HVIM (6. Juni 2025) bespielt. Am 4. Juni 2025 war ein gemischtes Klientel verschiedener Neonazigruppen anwesend, welches der „Légió Hungária“, HVIM und „Blood & Honour“ / „Combat 18“ zuzuordnen ist. Dies verdeutlicht noch einmal die enge Vernetzung in der ungarischen extrem rechten Szene. Hier kam es offenbar zu internen Absprachen zwischen den Gruppen.
Wir möchten an dieser Stelle aber auch betonen, dass diese Zustände kein ungarisches Alleinstellungsmerkmal sind. Eine Neonazi-Szene, die Linke bedroht und ideologische wie personelle Überschneidungen mit den Sicherheitsbehörden hat, haben wir auch in Österreich und Deutschland; ebenso politisch motivierte Schikane gegen Linke durch die Polizeibehörden.
Wir möchten außerdem betonen, dass antifaschistischer Protest in Ungarn notwendig und möglich ist. Das haben die Demonstrationen gegen den „Tag der Ehre“ und die Solidaritätskundgebungen für Maja gezeigt. Die „ungarischen Zustände“ allein sind keine Grund für Antifaschist*innen, sich nicht an Antifa-Demonstrationen in Ungarn zu beteiligen. Viel mehr wollen wir alle Leser*innen dieses Textes ermutigen, dahin zu gehen, wo es unangenehm wird. Denn die von Repression betroffenen Antifaschist*nnen mögen Einzelne sein, doch gemeint sind wir alle. Beteiligt euch an den kommenden Solidaritätsaktionen in Ungarn und macht euch schon jetzt Gedanken über kollektive Anreisen zu den Protesten gegen den „Tag der Ehre“ 2026.