„Weiß, normal, hetero“: Wenn Neonazis gegen CSDs mobilisieren
Autorinnenkollektiv Feministische Intervention (AK FE.IN) (Gastbeitrag)Trans- und Homofeindlichkeit im Zentrum rechter Raumnahme.

Neonazis demonstrieren am 21. September 2024 in Oranienburg gegen einen CSD.
In diesem Sommer und Herbst (2024) fanden in vielen kleineren und größeren deutschen Städten Christopher Street Day-Paraden (CSD) und Queerprides statt. Einige wurden erstmalig organisiert und viele Prides verliefen störungsfrei, viele aber nicht: Neonazis nahmen die CSDs zum Anlass für Demonstrationen, Aufmärsche und Angriffe. Der Höhepunkt der neonazistischen Mobilisierung war der 10. August 2024 in Bautzen, als sich 700 Neonazis gegen 1.000 CSD-Teilnehmende versammelten. Ab hier schreckte die Öffentlichkeit ein wenig auf, gleichzeitig hatte der Aufmarsch eine verstärkende Resonanz in der eigenen Szene.
Zum Leipziger CSD eine Woche später setzte die Polizei am Bahnhof 400 Neonazis fest, in Magdeburg marschierten 400 Neonazis auf, ebenso in Zwickau, in Görlitz 460, in Dresden waren es 90, in Dortmund 50. Insgesamt stellte die Bundesregierung 22 Mobilisierungen fest, eine Studie des „Center für Monitoring, Analyse und Strategie“ CeMAS fand 27 im Zeittraum Juni bis September 2024. Hinzu kommen viele weitere nicht erfasste Störversuche von Kleingruppen und Einzelpersonen der extremen Rechten am Rand der CSDs, Sachbeschädigungen, Einschüchterungen und Drohungen gegen die CSD-Organisator*innen im Vorfeld, körperliche Angriffe auf An- und Abreisende. Über sie berichten lediglich Lokalzeitungen und/ oder die CSD-Organisator*innen und Teilnehmer*innen selbst.
Obwohl Homo- und Queerfeindlichkeit im Vordergrund dieser Mobilisierungen steht, verharmlost der Begriff „Gegenproteste“ gegen den CSD die tatsächliche Stoßrichtung. Denn Neonazis verfolgen damit eine konsequente Agenda: Die Raumnahme durch reale oder angedrohte Gewalt. Alle, die nicht in ihr rechtes Weltbild und ihre Vorstellung von „Normalität“ passen oder passen wollen, sollen sich im öffentlichen Raum nicht sicher fühlen. Sowohl Konservative als auch Linke sollten deshalb ernsthaft über die politische Bedeutung von Gender-Themen und die Gefährlichkeit einfacher Freund*innen-Feind*innen-Schemata nachdenken.
Rechte Dominanz im öffentlichen Raum
Die Mobilisierungen des militanten Neonazi-Spektrums erreichen zusammengenommen ähnliche Ausmaße wie frühere große Themen der NS-Verherrlichung, etwa das Gedenken an Rudolf Heß oder die Bombardierung Dresdens im 2. Weltkrieg. Die Teilnehmer*innen speisten sich aus parteiunabhängigen Strukturen wie „Deutsche Jugend Voran“ (DJV), Deutscher Störtrupp“ (DST) und „Jung & Stark“ (JS) sowie neonazistischen Kleinstparteien und deren Jugendorganisationen, also den Resten der Partei NPD/Die Heimat und der JN-nahen Struktur „Elblandrevolte“, dem „Der III. Weg“, den „Freien Sachsen“ sowie zahlreichen kleineren lokalen Gruppen und rechten Kampfsportzusammenhängen. Die Teilnehmer*innen traten in nahezu einheitlicher schwarzer Sport- und Szene-Kleidung auf, reisten organisiert in Gruppen an, viele waren sehr jung. Hauptsächlich Männer aus dem gewaltaffinen neonazistischen Spektrum waren präsent, der Frauenanteil dürfte kaum über 10 bis maximal 15 Prozent gelegen haben.
Das Ausmaß der Mobilisierungen ist neu, die Thematik nicht: „Weiß, normal, hetero“ stand auf dem Fronttransparent der Neonazis in Bautzen und Leipzig – wie schon 2017 bei der JN in Braunschweig. Die Mobilisierung des "Der III. Weg" seit 2021 gegen CSDs in Olpe, Weißenfels, Ravensburg, Stuttgart und Reutlingen verliefen ähnlich. Den Neonazis geht es um absolute, gewaltvolle Dominanz über einen (kleinstädtischen) Raum; die Verunmöglichung queerer Sichtbarkeit und Prides ist dabei nur ein Teilziel. Bei den diesjährigen extrem rechten Versammlungen wurden Regenbogenflaggen verbrannt und Slogans wie „Zünd das an“, "Nazikiez, Nazikiez“, „Antifa Hurensöhne“ sowie „Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen“ skandiert. Das gemeinsame Zeigen des „White Power“-Symbols in möglichst viele Kameras zielt auf kulturelle und politische Hegemonie ab – eine „national befreite Zone“. Wer queer, nicht-weiß oder links ist, soll sich nicht nur am Tag der Pride fürchten müssen, sondern 365 Tage im Jahr.
Während sich Neonazis wenig dafür interessieren, ob eine bürgerliche oder rechte Mitte bei ihren Anti-CSD-Aufzügen auf ihrer Seite ist, sieht die AfD darin Potenzial: Die „Junge Alternative“ aus Oberlausitz schickte wie im Vorjahr Lennard Scharpe (AfD-Stadtrat in Bautzen), um CSD-Teilnehmer*innen zu belästigen und dies für den Youtube-Kanal der Jugendorganisation festzuhalten. Scharpes Hauptargumente lauteten: Diese Veranstaltung wird mit Steuergeldern finanziert; eine CDU-Stadträtin läuft hier mit der Antifa herum; und es sind Kinder im Demonstrationszug, obwohl es um Sexualität geht – was schamlos sei.
Ambiguitätsreduktionen
Neonazis brauchten keine eigene inhaltliche Kampagne, um Teilnehmende verschiedenster Organisationen gegen die CSDs zu versammeln. Sie profitieren dabei von Haltungen, die in großen Teilen der Gesellschaft immer noch verbreitet sind, etwa: „Ich habe ja nichts gegen Schwule, wenn sie das nicht in der Öffentlichkeit machen.“ Laut dem „Sachsenmonitor“ der Landesregierung in Sachsen finden ein Drittel der dort Ansässigen gleichgeschlechtliche Partnerschaften widernatürlich. Die massiven Angriffe auf CSDs in der deutschen Provinz können an endlose und oft inhaltsleere antifeministische und transfeindliche Debatten gegen geschlechtergerechte Sprache, Pronomen und Unisex-Toiletten anknüpfen. Diese Themen sind Teil des rechten Kulturkampfes und haben sich zu einem Code entwickelt: Ohne die eigene Position und deren politische Konsequenzen genau ausbuchstabieren zu müssen, können Menschen sich anhand der bewährten Spaltungslinie als entweder „woke“ oder „normal und vernünftig“ einsortieren. Die Neonazi-Mobilisierungen gegen CSDs ziehen diese Spaltungslinien besonders strikt; nur noch ein „Wir“ gegen „die Anderen“ bleibt übrig.
Bei den jüngsten CSDs in ländlichen Regionen werden Kämpfe verbunden; queer-politische stehen direkt neben antirassistischen sowie antifaschistischen Positionen. Auf der anderen Seite können inzwischen auch Konservative oder FDP-Mitglieder Forderungen nach queeren Rechten unterstützen oder offen homosexuell leben wollen; gleichzeitig haben sie jedoch nichts mit antifaschistischen oder antikapitalistischen Positionen am Hut. Nicht alle queeren Menschen wollen ihre Sexualität politisiert wissen. In der Ambiguitätsreduktion von Neonanis sind sie jedoch sämtlich Ausdruck der von ihnen verhassten „links-grün-versifften“ Gesellschaft.
Queere Sichtbarkeit und Antifaschismus
Angesichts der extrem rechten Gewaltbereitschaft wird es für queere Menschen immer notwendiger, ihre Veranstaltungen zu schützen. In einigen Ländern in Osteuropa haben es die rechtsextremen Mobilisierungen geschafft, dass Behörden CSDs und Prides wegen angeblichen Sicherheitsbedenken verboten haben, nachdem Neonazis die Anlässe dafür lieferten. Insofern ist die Entscheidung der Versammlungsbehörden, Neonazis in Bautzen, Döbeln und Berlin-Marzahn ihren Aufmarsch direkt hinter dem CSD (bzw. der queerfeministischen Demonstration) zu erlauben nicht nur ein Sicherheitsrisiko, sondern ein politisches Statement, das skandalisiert werden muss.
Die 2024 ins Leben gerufenen „Pride Soli Rides“ und andere gemeinsamen Anreiseplanungen von Antifaschist*innen aus Berlin, Leipzig oder Dresden, die auch mit lokalen Informationen und Kontakten organisiert werden, sind erste wichtige Versuche, lokale queere Bewegungen zu unterstützen. Auch Liberale und Konservative, die grundsätzlich queeres Leben und queere Sichtbarkeit akzeptabel finden, können nicht ignorieren, dass diese an vielen Orten nur zusammen mit Antifaschismus gedacht werden können.
Die Massivität der Neonazi-Mobilisierungen diesen Sommer sind medial und politisch viel zu wenig beachtet worden, vielleicht auch, weil eine gesamtgesellschaftliche Stimmung „Gegenproteste“ zu CSDs viel zu normal findet. Sie müssen aber als eine Bedrohung aller derjenigen gesehen werden, die nicht hinter dem Banner „weiß, normal, hetero“ laufen können oder wollen.
Die rechte Raumnahme korrespondiert mit den Wahlergebnissen in drei ostdeutschen Bundesländern, in denen die meisten Parteien immer noch so tun, als sei das Problem nur eine schwierige Koalitionsbildung.
(Dies ist eine aktualisierte Version der Erstveröffentlichung vom 29. September 2024 auf nd-aktuell.de)