„Alle in schwarz!“: Die Gruppe „Chemnitz Revolte“
Antifaschistische Recherche Chemnitz (Gastbeitrag)Die Chemnitzer rechte Szene hat im Sommer 2024 jungen Nachwuchs erhalten, der Erfahrungen und Selbstbewusstsein mittels Selbstorganisation sammeln konnte, durch Demonstrationen ideologisiert wurde und begierig nach Aktivitäten sucht.

„Neue Deutsche Jugend“ in Chemnitz
Bereits vor der Entstehung der „Chemnitz Revolte“ bildeten sich in Chemnitz erste neue Gruppierungen junger Neonazis. Ende 2023 wurde ein Instagram-Profil mit dem Namen „Neue Deutsche Jugend“ (NDJ) erstellt, auf dem Gruppenbilder von bis zu 20 jungen Neonazis sowie deutliche neonazistische Symbolik zu sehen waren. Obwohl auf dem Profil von „Treffen“ die Rede war, fiel die Gruppe an keinem Punkt durch organisierte Aktivitäten, sondern vor allem durch Pöbeleien in der Chemnitzer Innenstadt auf.
Einige NDJ-Mitglieder tauchten später erneut im Umfeld der „Chemnitz Revolte“ auf. Viele private Accounts verlinkten die „Neue Deutsche Jugend“ in ihren Bildern, und die Gruppe teilte zahlreiche dieser Posts. Heute sind die Gruppenbilder von der Seite gelöscht, und es scheint, dass sich die Gruppe weder tatsächlich organisieren noch einen langen Atem aufweisen konnte.
Montagsdemos und Proteste gegen CSDs als Experimentierfeld
Seit Anfang 2024 folgten zahlreiche Aufmärsche, an denen spätere Mitglieder der „Chemnitz Revolte“ teilnahmen. Die Personen, die sich hier beteiligten, haben sich über das Jahr in unterschiedliche Richtungen entwickelt. Wenige verblieben im Umfeld der „Chemnitz Revolte“. Spätestens ab April 2024 liefen vermehrt junge Neonazis bei den verschwörungsideologisch geprägten Chemnitzer Montagsdemonstrationen mit, die von der Vereinigung „Chemnitz steht auf“ organisiert werden.
Ein Teil der Gruppe um die heutige „Chemnitz Revolte“ sammelte damit bereits weit vor den Protesten gegen die CSDs Demonstrationserfahrung. Mehrere Personen agierten auf den Montagsdemonstrationen sogar als Ordner, unter anderem Kay Ian F., Maximilian W., Oliver L. und Noah Sch. Eine Zeit lang nahm die Gruppe kontinuierlich, wenn auch in unterschiedlicher Stärke, an den wöchentlichen Demonstrationen teil.
Ein Phänomen, das nicht allein bei der „Chemnitz Revolte“ zu beobachten ist, ist das unbedarfte Bedienen an Symbolen etablierter neonazistischer Organisationen, im Chemnitzer Fall an denen der „Jungen Nationalisten“ (JN). Als die „Freien Sachsen“ im Juli 2024 eine Solidaritätsdemonstration mit dem kürzlich zuvor verbotenen „Compact-Magazin“ durchführten, trug Brian B. mit dem bis dahin völlig unbekannten damals 15-jährigen Noah-Noél P. ein selbst gemaltes Transparent mit der Aufschrift „Solidarität mit Compact“. In die untere Ecke hatten sie ein Logo der JN gemalt, ohne dass sie jemals Mitglied dieser Organisation gewesen wären. In den folgenden Wochen trugen Mitglieder der Gruppe offizielle T-Shirts der JN auf den verschiedenen Demonstrationen, bis Noah Sch. mitteilte: „Und KEINER in JN tshirts![sic]“. Offenbar hatte es doch mal ein Machtwort von den tatsächlichen JN gegeben, deren Chemnitzer Ableger sich nie offen mit Symbolen ihrer Organisation zeigt.
Im Sommer 2024 nahmen viele Personen aus dem späteren Umfeld der „Chemnitz Revolte“ an Protesten gegen CSDs teil. Schon im August 2024 fuhren mehrere Personen zum Protest gegen den CSD nach Bautzen. Über 600 Rechte hatten sich dort rund um die JN und „Freie Sachsen“ versammelt – größtenteils ganz in schwarz gekleidet. Diese Gegendemonstration stellte eine Machtdemonstration der rechten Szene dar, deren Bilder einen länger anhaltenden mobilisierenden Effekt für kommende Versammlungen gehabt haben dürften.
Herkunft und rechte Elternhäuser
Auch wenn der Name der Gruppierung suggeriert, dass die Mitglieder überwiegend aus Chemnitz stammen, ist die Zusammensetzung örtlich divers: Die Mitglieder reisen etwa aus Hohenstein-Ernstthal, Stollberg, Lößnitz und Aue an, um mit der Gruppe an Aktionen teilzunehmen.
Die Chemnitzer Mitglieder konnten in mehreren Fällen in ihren rechten Elternhäusern zu aktiven Neonazis heranwachsen. Auch andere Personen aus dem Umfeld der „Chemnitz Revolte“ stammen aus rechten Familien. Daneben scheinen auch andere, etwas ältere Neonazis eine wichtige Rolle für die Gruppe zu spielen, die sich ihrerseits Anerkennung durch die junge aktivistische Gruppe verschaffen. So trat die „Chemnitz Revolte“ wiederholt mit dem als „Wikinger-Nazi“ bekannten, seit Jahren im Stadtbild präsenten Neonazi Julius T., dem durch seinen mit zahlreichen Neonazi-Aufklebern verzierten Elektro-Rollstuhl auffälligen Philipp T. und der kürzlich aus Frankfurt am Main zugezogenen Giulia Hahn („TikTokerin Gigi“, „Eva“) in Erscheinung.
Die Führungspersonen
Der anfängliche „Chemnitz Revolte“-Anführer Noah Sch., genannt „Schuemi“ radikalisierte sich laut Aussagen seines Umfelds innerhalb von einem Vierteljahr. Er vernetzte sich mit anderen Gruppierungen wie der „Deutsche Jugend Voran" (DJV) aus Berlin oder der „Elblandrevolte“ aus Dresden und tauchte als Ordner bei verschiedenen Demonstrationen auf. Schon bald wurde er eine Art Sprecher und Influencer der „Chemnitz Revolte“. Instagram und später auch Telegram waren dabei seine wichtigsten Werkzeuge. Ende September 2024 gründete er den Account der „Chemnitz Revolte“ auf Instagram. Im Oktober 2024 verkündete er, sich aus privaten Gründen zurückzuziehen. Den Instagram-Account und die Führungsrolle übernahm nach dem Rückzug offenbar Stella Sch. Wer beitreten will, wird an sie verwiesen.
Präsenz im Chemnitzer Stadtbild
Neben der Teilnahme an Aufmärschen ist die „Chemnitz Revolte“ vor allem im Chemnitzer Stadtbild präsent. Die Gruppe mit bis zu 25 Personen trifft sich teilweise täglich an öffentlichen Orten, trinkt und pöbelt. Durch ihre permanente Präsenz in der Innenstadt bildet die Fruppe ein Bedrohungsszenario.
Aktionen der „Chemnitz Revolte“
Kurz nach der Gründung der „Chemnitz Revolte“ trat die Gruppe im September 2024 das erste Mal mit einem eigenen „Transparent“ auf. Zur montäglichen Demonstration von „Chemnitz steht auf“ in Chemnitz liefen zahlreiche Mitglieder als eine Art eigener Block mit. Ihr Banner war eine Deutschlandfahne mit der halb leserlichen Aufschrift „Chemnitz Revolte“. Im Oktober 2024 mobilisierte die „Chemnitz Revolte“ unter dem Motto „Gegen Linkswahn und Lügen der Antifa“ und „Alle in schwarz!“ nach Hohenstein-Ernstthal zu ihrer ersten eigenen Demonstration. Mobilisiert wurde in den privaten Storys der jungen Neonazis. Dort fand an diesem Tag das Gedenken an den 1999 durch Neonazis ermordeten Patrick Thürmer statt. Getroffen wurde sich in Chemnitz zu einer gemeinsamen Hinreise, wobei auch Mitglieder der DJV Berlin abgeholt wurden. Zur DJV Berlin pflegt die „Chemnitz Revolte“ engen Kontakt. Der Demonstrationszug lief mit circa 50 Teilnehmenden durch die Hohenstein-Ernstthaler Innenstadt.
Der Hype ist vorüber
Nach dem Rückzug von Noah Sch. scheint der anfängliche Hype um die „Chemnitz Revolte“ langsam abzuflachen. Seitdem die CSD-Saison vorüber ist, treten die Mitglieder kaum noch auf Demonstrationen in Erscheinung. Die Gruppe und ihr Umfeld fällt unterdessen weiter im Chemnitzer Zentrum auf – sei es wie üblich vor dem REWE in der Innenstadt oder auch auf dem Weihnachtsmarkt. Seit Mitte Dezember 2024 tritt die „Chemnitz Revolte“ auch mit einheitlichen Klamotten auf: eine Jacke für Mitglieder, T-Shirts für Anwärter und Nichtmitglieder.
Fazit und Ausblick
Aktuell scheint es der „Chemnitz Revolte“ an einer verbindenden Führungsfigur und weiterführenden Organisierung zu mangeln, was sich in dem kaum wahrnehmbaren öffentlichen und politischen Auftreten widerspiegelt. Für einige Mitglieder fungiert die Gruppe eher als eine Art Freundeskreis, wobei der Eventcharakter wichtiger zu sein scheint als die zugrunde liegende politische Organisierung.
Insgesamt hat die Chemnitzer rechte Szene jedoch im Sommer 2024 jungen Nachwuchs erhalten, der Erfahrungen und Selbstbewusstsein mittels Selbstorganisation sammeln konnte, durch Demonstrationen ideologisiert wurde und begierig nach Aktivitäten sucht. Bislang konnte noch keine etablierte Struktur diesen Antrieb aufnehmen und einbinden. Der Drang nach Eigenständigkeit scheint groß, die Lust auf Eingliederung in andere, hierarchische Struturen klein.
Unabhängig von der Frage, ob die Organisierung der Gruppe langfristig erfolgreich bleibt, haben sich in der Chemnitzer Innenstadt Räume gebildet, in denen sich Menschen durch das Auftreten dieser jungen Rechten bedroht fühlen. Das unwidersprochene Agieren der Gruppe, die Gewalt durch junge Neonazis in anderen Städten und die dem Anschein nach vorherrschende Ignoranz durch Stadtverwaltung, Jugendarbeit und repressive Behörden könnte eine toxische Dynamik hervorbringen. Es ist absehbar, dass die Gruppe auch beginnen wird, Menschen tätlich anzugreifen, wenn sie das nicht schon getan hat.
Einige der Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die sich heute zum größten Teil in Ausbildungsverhältnissen befinden, werden in ein paar Jahren Multiplikator*innen in verschiedenen Bereichen sein und die neue Welle offensiv rechter Jugendlicher wird noch lange in der Gesellschaft spürbar werden.