Swipe nach rechts – Wie online entstandene rechte Jugendgruppen gegen CSDs mobilisieren
*AZE – ANDERE ZUSTÄNDE ERMÖGLICHENAntifeminismus und Queerfeindlichkeit sind schon immer Bestandteil extrem rechter Ideologien gewesen. In der massiven Zunahme der Angriffe auf CSDs im letzten Jahr zeigt sich aber eine neue Qualität. In jüngerer Zeit entstandene Neonazi-Gruppen wie „Jung und Stark“ (JS) und „Deutsche Jugend Voran“ (DJV) haben den Hass auf Queers zu ihrem Hauptmobilisierungsmoment erhoben.

DJV-Akteure beim Neonazi-Aufmarsch gegen den CSD in Oranienburg.
Schon in den Vorjahren gab es vermehrt gewaltsame Angriffe auf CSDs. Trauriger Höhepunkt war der Angriff mit Todesfolge auf Malte C. in Münster im Sommer 2022. Zahlen belegen einen signifikanten Anstieg queerfeindlicher Gewalt, so wurden etwa bei den Berliner Registern für 2023 fast doppelt so viele LGBTQI-feindliche Vorfälle gemeldet wie im Vorjahr. Neben Gewalt bei Zufallsbegegnungen gibt es eine neue Dimension zielgerichteter Mobilisierung gegen queere Sichtbarkeit, die sich in den organisierten Anreisen von Neonazis zu CSDs zeigt. So etwa am 8. September 2024 in Halle oder am Pfingstwochenende in Hannover: „Nach der Demonstration wurden Teilnehmer:innen von jungen Männern mit Tritten und Schlägen attackiert. Eines der Opfer erlitt schwere Verletzungen, drei andere wurden leicht verletzt. […] In Hannover wurde eine Gruppe Jugendlicher auf dem Rückweg vom CSD beleidigt und angegriffen. Die Angreifer waren selbst Jugendliche und malträtierten ihre Opfer mit Schlägen und Tritten gegen den Kopf. Ein 17-jähriger transgeschlechtlicher Mann musste daraufhin in ein Krankenhaus eingeliefert werden.”1
2024 gab es eine Vielzahl angemeldeter rechter Gegendemonstrationen zu CSDs, die eine größere Mobilisierung ermöglichten. Laut „CeMAS – Center für Monitoring, Analyse und Strategie“ gab es rechte Aufmärsche in 27 deutschen Städten, zu denen teils bundesweit mobilisiert wurde.2 Die größten fanden in Sachsen statt. Während Störungen von CSDs 2023 seltener vorkamen und meist vom „Der III. Weg“ initiiert wurden, traten 2024 besonders neugegründete extrem rechte Jugendgruppen wie DJV und JS in Erscheinung. Das junge Alter der Mitglieder dieser parteiungebundenen Gruppen ist auffällig. Anders als andere extrem rechte Bewegungen setzen DJV und JS ihren Schwerpunkt auf Queerfeindlichkeit.3
Berlin als Startpunkt, Bautzen als Erfolgserlebnis
Die erste wahrnehmbare Aktion der DJV und JN war eine Störung des Berliner CSDs am 27. Juli 2024. An dieser geplanten Aktion waren etwa 30 Neonazis beteiligt, die militant auftraten. „Danach waren Personen aus dem DJV-Spektrum wöchentlich auf Neonazi-Protesten gegen CSD-Demonstrationen in unterschiedlichen Städten in Sachsen und Sachsen-Anhalt anwesend.”4 Dabei übernahmen sie meist strukturelle Aufgaben wie Ordnungsdienste.
Am 10. August fand in Bautzen der 2024 größte extrem rechte Aufmarsch gegen einen CSD unter dem Motto „Gegen Gender-Propaganda und Identitätsverwirrung!!! ” statt. Es kamen circa 700 Neonazis. Präventiv sagten die Veranstalter*innen des CSDs die Abendveranstaltung ab, da die Polizei die Sicherheit der Teilnehmer*innen nicht garantieren konnte oder wollte. Anwesend waren DJV, JS, JN, „Elbland Revolte“ und „Pforzheim Revolte“. Auch die extrem rechte Kleinstpartei „Freie Sachsen“ hatte mobilisiert. Mitglieder der Berliner Sektionen von JS und DJV waren anwesend, darunter Julian M. (DJV), Nick Thomas Christopher W. (DJV) und Carsten G. (JS).
Am 24. August fand eine Demonstration gegen den Magdeburger CSD statt, zu der etwa 400 Neonazis aus verschiedenen Bundesländern anreisten. Dabei waren Aktive aus dem Berliner DJV- und JS-Umfeld, die auch Infrastrukturaufgaben übernahmen. So traten etwa Christopher W., Philippe B., Leon und Michele als Ordner*innen auf, Julian M. und Leon agierten auch am Megaphon. Bei der Mobilisierung gegen den Oranienburger CSD am 21. September handelte es sich um die erste von DJV Berlin angemeldete Demonstration und „die dritte eigene öffentliche Aktion der Gruppe“.4 Da nur 52 Neonazis teilnahmen, teils aus anderen Bundesländern, ist anzunehmen, dass die Gruppe seit dem Sommer keinen nennenswerten Zulauf zu verzeichnen hat.4 Auch wenn das Mobilisierungspotential zumindest in Berlin und Umland auf geringem Niveau bleibt, sind die Mitglieder von DJV und JS umtriebig.
Das zeigt sich auch am Auftauchen des Transparentes mit der Aufschrift „Es gibt nur zwei, Geschlechter“ [Fehler im Original], das sowohl in Leipzig, Magdeburg und Oranienburg zu sehen war – meist getragen von lokalen oder unbekannten Gesichtern, nicht von den BerlinerInnen selbst.
Mit der Pride-Saison 2024 ist diese Form queerfeindlicher Mobilisierung keineswegs abgeschlossen – das wurde durch die Präsenz von zeitweise bis zu 60 Neonazis am Rande der Winter Pride in Neubrandenburg deutlich. Es gilt also, sich für die CSD-Saison 2025 gut vorzubereiten.
Auf den Staat ist kein Verlass
Dem massiven Auftreten gewaltbereiter Neonazis standen bürgerliche CSD-Orgas und die Polizei teilweise unvorbereitet gegenüber. Mancherorts, wie etwa in Bautzen, war die Polizei zwar stark vertreten, entschied sich aber für ein Konzept, das wenig Wert auf den Schutz der CSD-Teilnehmenden legte, und ließ den Neonazi-Aufzug dicht an die Parade heran. Anderenorts, wie etwa in Neubrandenburg, wären die wenigen Kräfte kaum in der Lage gewesen, einen koordinierten Angriff abzuwehren. Der Schutz queerer Menschen ist offensichtlich keine Priorität staatlicher Institutionen.
Es lässt sich vermuten, dass „Der III. Weg“ mit seinen Angriffen auf CSDs den Grundstein für die Mobilisierungen gelegt hat. Es ist aber auch davon auszugehen, dass der Erfolg von Bautzen den Rechten Aufwind gegeben hat – nach Bautzen sind die Teilnehmendenzahlen bei queerfeindlichen Versammlungen teils massiv gestiegen.
Dass Hass auf LGBTQI ein solches Potential entfaltet, ist auch dem gesamtgesellschaftlichen Diskurs geschuldet. Laut einer Umfrage von 2023 halten 30 Prozent der sächsischen Bevölkerung gleichgeschlechtliche Beziehungen für „unnatürlich“.5
Während Proteste wie die „Demo für alle“ in den 2010ern sich vor allem auf Homosexualität fokussierten, ist in den letzten Jahren Transfeindlichkeit in den Vordergrund getreten. Dazu beigetragen hat die unsägliche Debatte um das Selbstbestimmungsgesetz (SG), befeuert von der AfD, aber auch von Union, FDP und BSW. So Beatrix von Storch: „In Ampeldeutschland fehlt Geld für Rentner, Schulen und Bahnschienen; aber die Regierung will jetzt flächendeckende Genderidentitätsberatungsstellen einführen für alle, die nicht wissen, ob sie Männlein oder Weiblein sind“ (Plenarprotokoll Bundestag, 20/136). Auch Merz (CDU) setzte in seinem Wahlkampf auf Transfeindlichkeit und versprach, das SBG rückgängig zu machen. Solche Verlautbarungen dürften den Boden für die Aufmärsche bereitet haben.
Sprechchöre wie „Es gibt kein Recht auf Homopropaganda“, Banner wie „weiß, normal und hetero“ und Demotitel wie „Gegen Gender-Propaganda und Identitätsverwirrung!!!“ – im aktuellen Klima ist es kaum notwendig, diese Schlagworte ideologisch zu unterfüttern. Ihre bloße Nennung genügt, um ein ganzes Arsenal von Schubladen in den Köpfen zu öffnen.
Obwohl Mitglieder von DJV und JS sich auch an den AfD-nahen Aufzügen in Berlin im Winter 2024/25 beteiligten, gehen sie auf Distanz zur Partei. So äußert Leon (JS) im Interview mit dem rechten Youtuber Sebastian Weber, er distanziere sich von der AfD, da Alice Weidel "keine typische Frau sei“, man könne nicht auf LGBTQI-feindliche Demonstrationen gehen und dann eine Partei mit so einer Spitzenfigur unterstützen.
Dass Hass auf LGBTQI gerade unter jungen Rechten mobilisiert, hat sicherlich auch mit dem Versprechen einer starken Männlichkeit zu tun, die sich vermeintlich in Abgrenzung zu Homosexualität zeigt. Das Festhalten an klassischen Rollen braucht die patriarchale zweigeschlechtliche Ordnung – und dies ist anscheinend auch für manche jungen Frauen attraktiv. Mit „Deutsche Mädels Voran“ gibt es einen eigenen Ableger.
Die Aufmärsche bei CSDs im vergangenen Jahr waren größtenteils über lose Online-Vernetzungen beworben worden und vergleichsweise unkoordiniert. 2025 könnte dies anders aussehen, da im letzten Sommer überregional gemeinsame Aktionserfahrungen gesammelt und persönliche Kontakte geknüpft werden konnten. Dass die Polizei nicht bereit ist, CSDs und damit die Leben von Queers zu schützen, ist deutlich geworden. Für Antifas bedeutet das, die CSDs verstärkt in den Blick zu nehmen und sie zu unterstützen und zu schützen.
- 1
https://perspektive-online.net/2023/09/hass-und-gewalt-gegen-csds-die-a…
- 2
https://cemas.io/publikationen/neue-generation-neonazis-mobilisierung-g…
- 3
Vgl.: https://berliner-register.de/artikel/neonazi-aktivitaten-rund-um-die-dj…
- 4a4b4c
https://monitorberlin.blackblogs.org/category/deutsche-jugend-voran/
- 5
Sächsische Staatskanzlei. (2023). Sachsen-Monitor 2023. www.staatsregierung.sachsen.de/sachsen-monitor-2023-8897.html