DJV und DJZ: Braune Jugend vor Gericht
In zwei Prozessen werden in Berlin jugendliche Neonazis wegen gewalttätiger Angriffe zu teils mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Bei einigen Akteuren ist eine Überführung in Parteistrukturen zu beobachten.
Der verurteilte DJZ-Aktivist Elias Unger links am Transparent. / Mittig: Selfie in der Parteizentrale: Sebastian Schmidtke posiert bei einer "Rechtsschulung" für "die befreundeten Kameraden um Julian Milz von der DJV (Deutsche Jugend Voran)". Julian Milz (ohne Brille, hinten mittig).
Seit Frühjahr 2024 sorgen neue rechte Jugendgruppen für Aufmerksamkeit (siehe AIB Nr. 146). Insbesondere in den ostdeutschen Bundesländern fallen die Gruppen neben Anti-CSD-Protesten seit Sommer 2024 auch mit Angriffen auf politische Gegner*innen auf.
Im ersten Halbjahr 2025 mussten sich insgesamt fünf Anhänger zweier derartiger Gruppen vor dem Berliner Amtsgericht Tiergarten verantworten, denen verschiedene Gewaltdelikte vorgeworfen wurden. Für antifaschistische Beobachter*innen ergeben sich aus den Prozessen Einblicke in die Strukturen und Wirkungsweisen dieser neuen Neonazi-Jugendgruppen.
Im Publikum sind 18 Neonazis, als das Amtsgericht Tiergarten am 9. April 2025 das Urteil gegen Julian Milz, Leiter der Berliner Neonazigruppe „Deutsche Jugend Voran“ (DJV) fällt. Das Gericht sieht es als erwiesen an, dass Milz in mehreren Fällen an gewalttätigen Angriffen und Bedrohungen beteiligt war. Zwar wird der Haftbefehl gegen Milz aufgehoben (Haftantritt 1. September 2025) und er kommt noch am gleichen Tag aus der Untersuchungshaft frei, doch wird er drei Jahre und drei Monate Haft absitzen müssen. Die Neonazis im Publikum reagieren mit Bestürzung und Tränen.
Das Ziel: „SA-mäßig“ organisiert sein
Milz, zu diesem Zeitpunkt 24-jährig, kommt aus bürgerlichen Verhältnissen in Brandenburg. Sein Vater ist bei der Bundespolizei, die Familie ist seit Jahren zerstritten. Milz ist durch die Abschlussprüfung seiner Lehre gefallen. Bereits im Sommer 2024 wurde er zum Leiter der „DJV Berlin“. In Chats wird deren Ziel deutlich: „SA-mäßig“ solle man organisiert sein, Straßenkampf erproben.
Am 13. September 2024 kommt es zu einem Angriff, den der Betroffene am zweiten Prozesstag schildert: In Berlin-Marzahn wurde er von einer Gruppe Neonazis abgepasst, die sich an seinem Antifa-T-Shirt stören, und schwulenfeindlich beleidigt. Am gleichen Abend wird auf Instagram ein Bild veröffentlicht, auf dem sieben Neonazis mit dem geraubten Shirt in einer nahen Kneipe posieren – unter ihnen Julian Milz. Wenige Tage später identifiziert der „Antifaschistische Monitor Berlin“ mehrere der Täter. Der Betroffene leidet bis heute unter den psychischen Folgen des Angriffs.
Der nächste Vorfall, 19. Oktober 2024, am S-Bahnhof Berlin-Lichtenberg: In der S-Bahn entdeckt eine Gruppe von 19 Neonazis eine Person mit einem Antifa-Button an der Jacke. Die Neonazis, unter ihnen Milz, kommen von einer Neonazi-Demonstration, vermummen sich und greifen mit Fäusten und Tritten an. Die Überwachungskameras der S-Bahn zeichnen alles auf. Dank Gegenwehr können die Neonazis die Jacke nicht erbeuten.
In beiden Fällen handelt es sich nicht um als politische Gegner exponierte Personen, oder um Teilnehmende von Gegenprotest, sondern lediglich um Zufallsbegegnungen mit antifaschistisch eingestellten Menschen. Sie werden willkürlich aus Hass auf politisch Andersdenkende zum Ziel.
Gewaltförmige Lebenswelt
Nicht nur Angriffe auf politische Gegner*innen werden Milz vorgeworfen. Zwei weitere Taten sind Teil der Anklage, in denen er Angehörige seines sozialen Nahfelds bedrohte oder angriff: In einem Fall eine Todesdrohung gegenüber einer Ex-Freundin, im anderen Fall eine Art Scheinhinrichtung auf einem Spielplatz. In Milz Lebens- und Alltagswelt wird Gewalt offenbar als Mittel zum Austragen von Konflikten praktiziert.
Vor Gericht simuliert Milz Reue und räumt alle Taten ein. Doch distanziert er sich nicht von der Szene. „Gegen Extremismus“ seien die DJV-Demonstrationen, das sei nicht rechtsextrem, erklärt er. In Zukunft wolle er aber nur im legalen Bereich politisch aktiv sein. Die Frage, ob er sich vom DJV-Milieu abwenden wolle, quittiert Milz lediglich mit dem Hinweis, es handele sich dabei um seinen privaten Freundeskreis.
Tatsächlich ist Milz unmittelbar nach Entlassung aus der U-Haft wieder fest ins DJV-Umfeld integriert und besucht Neonazi-Veranstaltungen. Ende Juli 2025 wird er am Rande eines Anti-CSD-Protests in Berlin festgenommen. Im August 2025 posiert er auf dem „Compact“-Sommerfest im Shirt der Partei „Die Heimat“, zudem protestiert er gegen den CSD in Bautzen. Die sukzessive Einbindung in Parteistrukturen wäre keine Seltenheit für die Anführer der neuen Neonazi-Jugendgruppen.
Im Sommer 2025 fanden bei Anhängern der DJV polizeiliche Durchsuchungen statt. In der Presse wird daraufhin spekuliert, Milz‘ Entlassung aus der Untersuchungshaft habe vor allem weiteren Strukturermittlungen gedient.
Angriff auf SPD-Wahlkampfstand
Am 7. Mai 2025 beginnt der zweite Prozess am selben Gericht. Wieder führt die Generalstaatsanwaltschaft die Anklage. Dass sich die oberste Landesbehörde zuständig sieht, soll gegenüber der Öffentlichkeit Verfolgungswillen signalisieren. Vier junge Männer zwischen 17 und 20 Jahren stehen vor Gericht, zwei sind Brüder. Alle kommen aus Sachsen-Anhalt, drei aus Halle (Saale). Sie werden dem Umfeld der Neonazigruppe „Deutsche Jugend Zuerst“ (DJZ) zugerechnet.1
Am 14. Dezember 2024 reisen die vier als Teil einer größeren Gruppe aus Halle nach Berlin, um an einer Neonazi-Demonstration in Berlin-Friedrichshain teilzunehmen. In Chats hatte man sich zuvor zu Gewalttaten in „Antifa-Gebieten“ angestachelt. Doch die Reise endet abrupt, weil sich die Neonazis im Zug nicht benehmen: Bier, Likör und Wodka habe man bereits morgens im Zug konsumiert, geben die Angeklagten an. Als einer der vier dann auch noch auf der Toilette raucht, setzt ein Schaffner die ganze Reisegruppe am Berliner Bahnhof Lichterfelde-Ost aus dem Zug.
Für eine kleine Gruppe, die dort just in diesem Moment einen SPD-Wahlkampfstand abgebaut hatte, wird das zum Verhängnis: Die Neonazis erkennen die Wahlkämpfer*innen an den roten Mützen mit Parteiaufdruck als politische Gegner*innen, reißen sie ihnen vom Kopf. Die Lokalpolitikerin Carolyn Macmillan erleidet leichte Verletzungen, doch ihr Mann wird auf den Boden geworfen, die Neonazis treten auf ihn ein. Nur ein Rucksack und eine Sporttasche vor Brust und Bauch verhindern wohl schwerere Verletzungen.
Als einige Streifenpolizisten eintreffen, sind manche Neonazis längst weg. Vor Gericht stehen nunmehr jene, die in der chaotischen Situation verhaftet werden konnten. Diese hatten in der Folge auch Polizeibeamte angegriffen sowie rassistisch und sexistisch beleidigt.
Im Prozess verhalten sich die vier Angeklagten unterschiedlich. Ihre Anwälte sind bestrebt, individuelle Tatbeteiligungen herunterzuspielen und die Vorfälle zu entpolitisieren. Philipp B. räumt die Vorwürfe schon bei Prozessbeginn ein. Er kommt, auch aufgrund der geringen Tatbeteiligung, früher aus der Untersuchungshaft frei, die Vollstreckung seiner Jugendstrafe von zweieinhalb Jahren wird ausgesetzt. Die zwei Brüder Pascal K. und Florian K. werden zu einem Jahr und zehn Monaten sowie zwei Jahren und acht Monaten verurteilt, wobei bei Pascal K. die Vollstreckung ebenfalls ausgesetzt wird. Elias Unger, der vom Gericht als Haupttäter angesehen wird, muss eine Haft von zweieinhalb Jahren antreten.
Dem DJZ-Prozess wohnen Angehörige und befreundete Neonazis bei, jedoch deutlich weniger als bei Julian Milz. Manche besuchen beide Prozesse. Zurückhaltung fällt ihnen ebenso schwer wie den Angeklagten: Diese können sich das höhnische Grinsen kaum verkneifen, als Carolyn Macmillan und ihr Mann von dem Angriff berichten. Die Neonazis im Publikum spielen Klatschspiele, brechen in Gelächter aus, weinen beim Urteil.
„Lost Boys“ oder Gesinnungstäter?
Sowohl Julian Milz als auch die vier Angeklagten des DJZ-Prozesses kommen aus einer extrem rechten Lebenswelt. Wer hier Anerkennung will, muss mehr wollen und machen als bloß AfD wählen. Vor Gericht zeigt sich sowohl der Mangel an ideologischer Prägung als auch eine strikte Aktionsorientierung. Die Frage danach, wer vorangeht, wer am „extremsten“ ist, ist wichtiger als Inhalte. Die Hallenser Gruppe DJZ kann etwa nach dem Prozess eher als lockere Gemeinschaft für „Auswärtsfahrten“ charakterisiert werden, denn als strikt organisierte „Kameradschaft“.
Im Prozess um Julian Milz wird die interne Struktur von DJV Berlin deutlich: Trotz einer stark wechselhaften Mitgliederbasis lassen sich rudimentäre Strukturen ausmachen, etwa feste Verantwortliche für Finanzen oder Social Media. Die Alltagspraxis der Gruppe besteht aus Treffen in Kneipen, Privatwohnungen und öffentlichem Raum, Alkohol- und Drogenkonsum und dem Ausleben von Gewalt. Eine gesellschaftliche Stimmung, in der extrem rechte Positionen immer mehr Zuspruch bekommen, sorgt bei ihnen für das Gefühl, ihre Gewalt sei legitim.
Viele der Verurteilten entstammen schwierigen Familienverhältnissen, einige wohnten in Heimen. Alkohol- und Drogenprobleme sind in der Familie über Generationen fortgesetzt und mischen sich mit der Schwierigkeit, Arbeit zu finden und zu behalten. Perspektivlosigkeit und Reifeverzögerungen sind die Folge. Die verharmlosende Bezeichnung als „Lost Boys“ verstellt indes den Blick auf das Gefährdungspotential und verkürzt das politische Problem aufs Pädagogische.
Erzieherische Folgen der Untersuchungshaft bleiben völlig aus: Pascal K. prügelte sich dort beim Kickern, Elias Unger malte Nazi-Slogans in seine Zelle, Milz trat direkt nach seiner Entlassung wieder in führender Funktion bei der DJV in Erscheinung.
Von ihrer politischen und sozialen Anbindung während der Haftzeit wird abhängen, ob sie danach neonazistisch aktiv bleiben. Gerade die Überführung in Parteistrukturen, wie sie bei der DJV zu beobachten ist, zeigt, dass Parteien gezielt versuchen, die Jugendgruppen als Vorfeld aufzubauen, Kader heranzuziehen und diese langfristig an sich zu binden.
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Laut https://lsa-rechtsaussen.net wurden die DJZ-Aktivisten Florian K., Elias Unger und Pascal K. nach dem Überfall in Untersuchungshaft genommen, ein Haftbefehl gegen Florian B. wurde wieder ausgesetzt. Ende Dezember 2024 kam es in der Folge zu Hausdurchsuchungen u.a. bei Tim R. in Schkopau, wie ein von diesem auf Instagram veröffentlichter Durchsuchungsbeschluss offenbart. Weitere Tatverdächtige aus dem DJZ-Kreis waren u.a. John Nicklas Sch. (Halle) und Celine Sch. (Leipzig).