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Antifaschistischer Widerstand im Herbst 1993

Einleitung

Im Herbst 1993 gab es quer durch Deutschland antifaschistischen Widerstand gegen rechte Umtriebe und neonazistische Akteure.

Bild: Screenshot YouTube, Film "Beruf Neonazi"

Der Münchener Neonazi Bela Althans wurde Ziel antifaschistischer Proteste.

Wolfsburg: Ein Stich ins Wespennest

In niedersächsischen Wolfsburg gibt es einen Ortsteil, in dem sich die Neonazis eingerichtet haben: Detmerode. Im Detmeroder Freizeitheim (Jugendzentrum) treffen und organisieren sich Neonazis aus den Kreisen der FAP und der NPD. Ein kleiner Auszug ihrer neonazistischen Aktivitäten: Circa 50 Neonazis feierten Hitlers Geburtstag unter der Reichskriegsflagge, hier werden überregionale Kontakte gepflegt, wird Propagandamaterial verteilt und werden neue Mitglieder geworben, Gewalttaten werden geplant und ausgeführt, Andersdenkende terrorisiert, angegriffen und zum Teil schwer verletzt. Um diesen Ort einer breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen, wurde von AntifaschistInnen aus Wolfsburg am 8. Oktober 1993 eine Demonstration organisiert. Trotz massiver Provokationen durch die Polizei, die aggressive Leibesvisitationen durchführte und Funkgeräte, Wasserflaschen und Transparente beschlagnahmte, beteiligten sich circa 400 Menschen an der Demonstration, darunter auch viele SchülerInnen und Leute, die nicht politisch eingebunden sind. In der bürgerlichen Presse war hingegen von »linken Chaoten« die Rede. Die Aktion machte deutlich, daß viele nicht gewillt sind, den neonazistischen Terror tatenlos hinzunehmen. In Wolfsburg hat sich aufgrund der Detmerode-Kampagne eine rege Diskussion um den Treffpunkt im Jugendzentrum entfacht. (Quelle: "Presseerklärung des Antifaschistischen Plenums Wolfeburg")

Keine NPD in Erkelenz

Am 2. Oktober sollte eine Demonstration unter dem Motto »Soziale Gerechtigkeit - Soziale Solidarität« in Erkelenz (Nordrhein-Westfalen) durchgeführt werden. Anmelder war der Funktionär der NPD / JN Sascha Wagner. Im Anschluß an die Demonstration sollte eine Gründungsveranstaltung von NPD und JN für Erkelenz stattfinden. Als Redner waren Raoul Wolfgang Willi Nahrath (Ex- Bundesführer der „Wiking-Jugend“) als stellvertretender Landesvorsitzender der NPD und Andreas Storr (Berlin) als JN-Bundesvorsitzender angekündigt. Angesichts 100 AntifaschistInnen, die den Treffpunkt besetzt hielten, war von den Neonazis an diesem Tag nichts zu sehen.

Jülich – Protest gegen die NPD

Am 20. August 1993 wollten die Rheinländer „Jungen Nationaldemokraten“ (JN) erneut eine Veranstaltung in Jülich abhalten. Hierzu mobilisierten sie über das »Nationale Infotelefon« (NIT). Es sollte die RechtsRock-Band »Noie Werte« um Steffen Hammer, Michael Wendland und Oliver Hilburger auftreten. Organisatoren waren Igor R. vom JN-Stützpunkt Jülich und Bernd B. von der lokalen NPD. Es gab eine breit angelegte antifaschistische Gegenmobilisierung zu einer angemeldeten Kundgebung. Die örtliche Polizei behinderte die AntifaschistInnen und forderte die Einwohner Jülichs auf der Demonstration fernzubleiben. Es gab Kriminalisierungs- und Einschüchterungsversuche; polizeiliche Staatsschutzbeamte tauchten bei jugendlichen AntifaschistInnen Zuhause auf, Telefone wurden angezapft, 1000 Polizisten, u.a. aus Aachen, eingesetzt, Vorkontrollen durchgeführt. Eine besondere Blüte aus der staatlichen Hetze gegen die AntifaschistInnen ist die Begründung der Polizei für die Auswahl der zu kontrollierenden Autos: »Verdächtig waren in jedem Fall ältere, ungepflegt aussehende (Wagen-) Typen, meist mit Aufklebern, die mit mehreren, meist langhaarigen, Personen besetzt waren1 Von diesen Einschüchterungen ließen sich immerhin 500 AntifaschistInnen, zum größten Teil aus dem autonomen Spektrum, nicht abschrecken. Die Polizei versuchte die Demonstration, z.T erfolgreich zu spalten. Die Neonazi-Veranstaltung fiel aus; einige Neonazis trafen sich im Haus der Familie Nahrath (Wiking Jugend/NPD).

Protest gegen DLVH in Tuttlingen-Möhringen

Der ehemalige NPD-Bundesvorsitzende und jetziger Beisitzers der "Deutschen Liga", Martin Mußgnug (Tuttlingen) und der Ex-NPD-Funktionär Jürgen Schützinger (Villingen Schwenningen) haben der Partei 1992 ihre Mandate in Baden-Württemberg. Der DLVH waren 1991 ihre Mandate insbesondere durch Übertritte von REP- und NPD-Mandatsträgern zugefallen. Am 28./29. August 1993 fand in der Brauereigaststätte »Krone« in Tuttlingen-Möhringen der Landesparteitag der „Deutschen Liga für Volk und Heimat“ (DLVH) statt. Nur 60-70 AntifaschistInnen reisten an, um gegen den Parteitag zu protestieren. Dieser wurde durch ein massives Polizeiaufgebot geschützt. Die Resonanz der Tuttlinger Bevölkerung auf die AntifaschistInnen wird als gut geschildert. Unter anderem berichteten TuttlingerInnen auch, daß sich in der »Krone« regelmäßig Neonazis treffen würden. (Quelle: TANZ Nr. 1/September 1993)

Leipzig - Demonstration zum 9. November

Am 9. November 1993 gab es in Leipzig ein Demonstration, zu der unabhängige Antifagruppen aufgerufen hatten. Sie stand unter dem Motto »9. Nov. 1938 - 9. Nov. 1993, kein Vergeben! Kein Vergessen! Kein Heitmanns Heil!« Ungefähr 350 Menschen nahmen teil. Zu der anschließenden Kundgebung am Gedenkstein, wo früher die Synagoge stand, kamen dann nochmal circa 100 Menschen von einem Friedensgebet dazu.

Protest in Tübingen

»Faschismus ist keine deutsche Spezialität, aber anscheinend eine europäische« heißt es in einem Appell, den verschiedene linke und antirassistische/antifaschistische Gruppen aus Tübingen gemeinsam mit FreundInnen aus Frankreich verfaßt haben. Der Aufruf steht in Zusammenhang mit einer Veranstaltung am 3. Oktober 1993 und einer Kundgebung am 6. Oktober 1993 in Tübingen gegen den neonazistischen "Grabert-Verlag" von Wigbert Grabert und seinem Ableger dem "Hohenrain-Verlag". Wie im Aufruf geschildert wird, gibt Grabert-Hohenrain seit 40 Jahren (neo)faschistische und geschichtsverdrehende »revisionistische« Literatur heraus. Unter anderem wird der Chefideologe der französischen »Nouvelle Droite«, Alain de Benoist hier verlegt. Ein zweiter Appell, unterzeichnet von der »Tübinger Koordination gegen Neofaschismus, Rassismus und Antisemitismus«, richtet sich gegen die REPs, die im Raum Tübingen auch mit der neofaschistischen »Heimattreue Vereinigung Deutschlands« (HVD) zusammengearbeitet haben sollen.

Berlin - 9. November Gedenken

In Berlin-Moabit fand am 9. November 1993 die, seit drei Jahren traditionelle, Antifa-Demonstration unter dem Motto »Kein Vergeben! Kein Vergessen!« der Antifaschistischen Initiative Moabit (AIM) statt, an der circa 1750 Menschen teilnahmen. Die Demonstration führte an einer ehemaligen Synagoge vorbei, wo eine Schweigeminute gehalten wurde. Danach ging es in die Lehrter Straße 18 , wo die rechte »Junge Freiheit« ihren Sitz hat oder hatte. Dort wurde, unter dem Schutz der Polizei, die vor dem besagten Gebäude standen, eine Zwischenkundgebung durchgeführt. Danach ging die Demonstration am Abschiebeknast vorbei. Dort gab es einen Beitrag zu Übergriffen der Polizei auf Flüchtlinge. Damit auch alle sehen konnten, wie wichtig der Redebeitrag war, griff die Polizei in diesem Moment die Demonstration an. Es gab einige Verletzte und Festnahmen. Nachdem die Polizei sich wieder zurückgezogen hatte, konnte die Demonstration in Richtung Putlitzbrücke weitergehen. An dem Mahnmal zum Gedenken an die deportierten Juden fand die Abschlußkundgebung statt.

Berlin - "Stoppt die Nazi-Zeitungen"

Nach Vorwarnungen an Vertriebe und EinzelhändlerInnen, die neofaschistische und extrem rechte Zeitungen verkaufen, wurden in insgesamt elf Stadtteilen von Berlin verschiedene Aktionen gegen rund 50 Zeitungsläden gestartet. „Antifaschistische FrauenLesbengruppen“ und weitere antifaschistische Gruppen gaben für diese Aktionen, die in der Nacht vom 4. auf den 5. Oktober 1993 durchgeführt wurden, eine Erklärung heraus, in der sie auch auf die seit circa einem Jahr laufende bundesweite Kampagne gegen den Vertrieb verschiedener Neonazi-Zeitungen Bezug nahmen. Erwähnt werden: „Deutsche Nationalzeitung“, „Deutscher Standpunkt“, „Deutsche Stimme“, „Criticon“ sowie die „Junge Freiheit“, die etwas genauer beschrieben wird.

Aachen: REP-Treffen geplatzt

Am 11. September 1993 wollte der REP-Kreisverband Aachen eine außerordentliche Mitgliederversammlung durchführen. Diese sollte in einem Lokal in Aachen-Burtscheid stattfinden. Besitzer des Lokals ist ein gewisser B.. Die Versammlung musste aber ausfallen, weil die örtliche Antifa für die Durchlüftung der Räumlichkeiten gesorgt hatte. Ansonsten machten die REPs einen traurigen Eindruck. Gerade mal ein Dutzend Leute versuchte zur Versammlung zu gehen, wurde aber von AntifaschistInnen verjagt. Laut Informationen örtlicher AntifaschistInnen steht Kneipier B. auch mit dem, von AntifaschistInnen unterbundenen, Bundesparteitag der FAP 1990 in der Umgebung von Aachen in Verbindung. Ihm gehörte eine weitere Kneipe in Aaachen. (Im Antifaschistischen Infoblatt Nr. 11 von 1990 war allerdings ein anderes Lokal als geplanter Tagungsort angegeben.)

München - Neonazi-Aufmarsch verhindert

Das »Nationale Infotelefon« (NIT) rief für den 30. Oktober 1993 zu einer Demonstration unter dem Motto »Keine Ausländer in der Polizei« und »Gegen ein Ausländerwahlrecht« in München auf. Es stellte sich schnell heraus, daß die Veranstalter aus dem Umkreis von Neonazi-Funktionär Bernd Ewald "Bela" Althans kamen. Das Münchner Antifa-Plenum rief dazu auf, diese Neonazi-Demonstration zu verhindern. Es wurde zu einer Mahnwache am 30. Oktober 1993 vor der Zentralen Flüchtlingsunterkunft mobilisiert. Der geplante Ort wurde nicht zugelassen, da dort die Demonstration der Neonazis lang gehen sollte. Genehmigt wurde eine Mahnwache einige hundert Meter weiter.

Am 29. Oktober 1993 wurden zwei AntifaschistInnen verhaftet und der Infoladen von der Polizei durchsucht. Die Begründung lautete: »Aufruf zu Gewalttätigkeiten«; mit einem Plakat war zur Verhinderung der Demonstration der Neonazis aufgerufen worden.

Auf dem Tegernseer-Platz tauchten am 30. Oktober gegen 13.00 Uhr ganze zehn Neonazis auf. Von den meisten Anwesenden war bekannt, daß sie mit dem AVÖ-Laden in Verbindung stehen. Nach der Umbenennung im September wurde er wegen »Verbreitung Neonazi-Propaganda« geschlossen. Der AVÖ-Laden benutzt die Abkürzung für „Althans Vertriebswege und Öffentlichkeitsarbeit“ oder „Amt für Volksaufklärung und Öffentlichkeitsarbeit“. Unter anderem waren Stephan W., Stefan Jahnel sowie als Anmelder Michael H. anwesend. Jahnel erklärte, daß man zu wenig sei und der „antifaschistischen Übermacht“ weichen müssen. So wurde ihre Kundgebung aufgelöst.

Die circa 250 AntifaschistInnen zogen geschlossen als Spontandemonstration zur Mahnwache. Es kam dabei zu Übergriffen der Polizei, die keine Gelegenheit ausließ, in die Demonstration reinzuprügeln. Vier AntifaschistInnen wurden festgenommen. Das Vorgehen zeigt einmal mehr, wie deutlich Polizei und Staat Positionen beziehen. (Quelle: Presseerklärung des Münchner Antifa-Plenums).

  • 1Nachtrag: Der Hamburger VS-Bericht 1993 dazu: „Auf Einladung der JN hatte die Skin-Band "Noie Werte" (Oi-Musik) im August in Jülich spielen sollen. Für die Veranstaltung, die unter dem Thema "Balladen für Deutschland" stehen sollte, wurde bundesweit geworben. Der Vermieter kündigte den Mietvertrag für den Veranstaltungsraum jedoch, nachdem er den wahren Charakter der Veranstaltung erkannt hatte. Polizeikräfte verhinderten das Treffen und kontrollierten verdächtige Fahrzeuge. Dabei wurden Baseballschläger, Schreckschußpistolen, Knüppel und Reizgas sichergestellt Dies belegt einmal mehr, daß man sich permanent auf Auseinandersetzungen mit dem politischen Gegner aus dem sogenannten antifaschistischen Bereich einstellt.“