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1.Mai 1999: Kein NPD Aufmarsch in Bremen

Einleitung

Zum zweiten Mal, seitdem 1996 die NPD/JN die Koordination der Neonaziaufmärsche am 1. Mai übernahm, endete dieser Tag für die Neonaziszene als Fiasko. Breite Antifa-Mobilisierungen, gerichtliche Verbote, interne Querelen und polizeiliche Nadelstiche - die ca. 1.500 Nazis, die am 1. Mai auf den Autobahnen unterwegs waren, bewegten sich zwischen Baum und Borke.

Die Neonazis um Jens Pühse aus der NPD-Führung konnten am 1. Mai 1999 in Bremen keine Großdemonstration durchführen.

1.Mai 1999: Tag der Arbeit für die Polizei

Die Hoffnung der NPD-Führungsspitze, an den Mobilisierungserfolg vom 1. Mai 1998 anknüpfen zu können, als ca. 4.000 Neonazis am Leipziger Völkerschlachtsdenkmal aufmarschierten, zerschlugen sich frühzeitig. Der Konflikt zwischen dem NPD-Bundesvorstand und dem Landesverband Sachsen machte den Neonazis einen ersten Strich durch die Rechnung. Sachsens NPD-Chef Jürgen Schön wollte sich seinen momentanen Kurs, die "rechten Schlägertrupps" kurz vor den Landtagswahlen auf "volksnahe Biedermänner" zu trimmen, nicht durch imageschädigende Bilder von gröhlenden Jungglatzen und Randaleszenen vermasseln. So wich die NPD-Führung vom geplanten Aufmarschort Leipzig nach Bremen aus und verkaufte diese Entscheidung dem Fußvolk als sinnvolle Wahlkampfhilfe für den personell und strukturell schwachen Bremer Landesverband. Der Bremer NPD nützte dies nichts, sie erhielt bei den Wahlen am 6. Juni 1999 gerade einmal 0,3 Prozent der Stimmen.

Antifaschistische Bündnisse und Verbote

In Bremen reagierten AntifaschistInnen schon frühzeitig auf die Ankündigung des u.a. vor den Werkstoren von Daimler-Chrysler geplanten Aufmarsches. Im Bündnis »Kein Naziaufmarsch in Bremen« engagierten sich rund 40 Gruppen und Initiativen, darunter auch die IG Metall Betriebsgruppen von Daimler-Chrysler und den Bremer Stahlwerken, die mit dem »weicheren« Kurs des DGB nicht einverstanden waren. Die Aktivitäten des Bündnisses und eine gute Öffentlichkeitsarbeit sorgten dafür, daß schließlich auch die etablierten Parteien in Zugzwang gerieten und sich einstimmig für ein Verbot des Aufmarsches aussprachen. Damit war der politische Rückenwind für das polizeiliche Verbot offenbar hoch genug geworden. In der Nacht zum 1. Mai 1999 bestätigte das Bundesverfassungsgericht das Verbot des vom langjährigen Neonazikader1 und neben Helmut Walter zweiten Vorsitzenden der Bremer NPD, Jörg Wrieden, mit 5.000 Teilnehmern angemeldeten Aufmarsches. Das Bundesverfassungsgericht war in seiner Begründung den Einschätzungen des Bremer Innensenats von einem »Polizeinotstand« gefolgt. Informationen aus Kreisen der Sicherheitsbehörden, daß Mitglieder der "Freien Kameradschaften" am Rande des Aufmarsches offenbar »Greiftrupps« zusammenstellen wollten, um AntifaschistInnen, mißliebige JournalistInnen und Polizisten anzugreifen, lieferten einen weiteren Grund für die Gerichtsentscheidung. Ersatzveranstaltungen in Bremerhaven, Hannover und Oldenburg wurden von den Gerichten ebenfalls verboten.

Kopflose Neonazihorden

Die Bestätigung des Verbots durch das Bundesverfassungsgericht hatte die NPD-Führungsspitze offenbar überrascht. Und so scheiterte der Versuch, Spontandemonstrationen durchzuführen, sowohl an Kompetenzgerangel zwischen den Kadern - insbesondere der "Freien Kameradschaften" und der NPD-Führungsriege - als auch an der bundesweit einheitlich agierenden Polizei.

So ließen Polizeikräfte rund 200 Berliner Neonazis, die sich nachts auf den Weg nach Bremen machen wollten, erst gar nicht in ihre Busse steigen und schickten sie nach Hause. Vollends zum Fiasko geriet die Aufmarsch-Infrastruktur, als am frühen Morgen des 1. Mai eine zur NPD-Zentrale umfunktionierte Wohnung von SEK-Beamten gestürmt wurde. Die dort anwesenden zehn NPD-Kader, darunter NPD-Pressesprecher Klaus Beier und Jens Pühse aus dem NPD-Bundesvorstand, wurden mehrere Stunden lang in Sicherheitsgewahrsam genommen.2

Mit der Razzia in der Demo-Zentrale war die Koordinationsstruktur der NPD endgültig lahmgelegt und auf den Autobahnen irrten Neonazi-Gruppen in Bussen und PKWs ohne Orientierung und Führung herum.

Vom Bus auf die Straße ins Polizeigewahrsam ....

Kurze Aufenthalte auf öffentlichen Straßen gelangen den Neonazis am 1. Mai 1999 nur in wenigen Städten: Das größte Kontingent stellte hierbei das "Norddeutsche Aktionsbündnis" um die beiden Hamburger Neonazi-Kader Christian Worch und Thomas Wulff. Zwar waren die beiden an diesem Tag selbst zu Hause geblieben, aber die zweite Führungsriege, darunter u.a. der Hamburger Kader Sascha B., organisierte einen gerade einmal zehnminütigen Aufmarsch von rund 350 Neonazis in Ahrensburg bei Hamburg. Dann griff auch hier die Polizei ein und zwang die Neonazis zurück in ihre Busse. In Henstedt-Ulzburg im schleswig-holsteinischen Kreis Bad Segeberg gelang es einer Gruppe von rund 50 Neonazis u.a. aus Quickborn und Kaltenkirchen, mittags das 1. Mai-Fest der JungsozialistInnen zu sprengen. Aus Angst vor einer Eskalation und mangelndem Polizeischutz brachen die Jusos das Fest kurzzeitig ab. Die "Karlsruher Kameradschaft" schaffte es immerhin bis zur Wewelsburg, der alten SS-Ordensburg bei Paderborn. Eine knappe Stunde trieben sich im Dorfzentrum unterhalb der Burg knapp 50 Neonazis herum, darunter auch Christian H. aus Ludwigshafen. Dann beendete eine Bochumer Polizeieinheit das Treffen und brachte den Bus nach Paderborn zur Personalienfeststellung. Im thüringischen Gera gelang es genau 48 Neonazis, frühmorgens um 8 Uhr mit Reichskriegsflaggen und Trommeln vom Hauptbahnhof bis zum Stadtzentrum zu marschieren. Dann wurde der Marschtrupp in Polizeigewahrsam genommen. Ebenfalls in Gera hatte die Polizei schon nachts um 2 Uhr einen Bus mit Kasseler Neonazis angehalten und wieder nach Hause geschickt. Kurzauftritte von jeweils rund 100 Neonazis gab es an diesem Tag auch noch in Leipzig-Grünau und am Herrmannsdenkmal bei Detmold.

Antifaschistischer Widerstand

AntifaschistInnen freuten sich am 1. Mai vor allem über eine gelungene Spontandemonstration von rund 3.500 Menschen in Bremen, die trotz ebenfalls verbotener Bündnisdemonstrationen durchgeführt werden konnte. Der Ausfall des neonazistischen Großevents hat den ohnehin schon schwelenden internen Konflikten innerhalb der NPD neue Nahrung gegeben und das Fußvolk frustriert. Doch Anlaß zu überschwenglichem Jubel gibt es nicht. Immerhin ist es allemal politisch sinnvoller, wenn Neonazis von AntifaschistInnen gestoppt werden, als wenn Gerichte und Polizei je nach Belieben den »starken Staat« durchsetzen oder auf Laissez-faire setzen. Und der nächste Nazigroßaufmarsch kommt bestimmt.....

  • 1Jörg Wrieden galt 1992 als Landesvorsitzender der "Deutschen Alternative" (DA)
  • 2Der Bayer Jens Pühse stammt aus Bremen und war Ende der 1980er Jahre Schatzmeister des JN-Kreisverbandes Bremen-Stadt.