Sperrzonen für Naziaufmärsche - Aktive Ignoranz durch die Stadt
Rund 1.200 Neonazis konnten am 2. Februar 2002 Dank der Polizei weitgehend unbehelligt durch Bielefeld marschieren. Dennoch war der Marsch von internen Streitigkeiten überschattet.
Die ostwestfälische Neonaziszene agierte mit einer umfangreichen Kampagne gegen die sogenannte Wehrmachtsausstellung. Seit Mitte 2001 bereitete ein rechtes Bündnis die Verbreitung von Flugblättern und Plakaten vor, und die Burschenschaft Normannia-Nibelungen beteiligte sich durch eine Veranstaltung mit Franz Uhle-Wettler. Nachdem zwei regionale Aufmärsche im Vorfeld an Verboten gescheitert waren, folgten am 2. Februar rund 1.200 Neonazis dem Aufruf des örtlichen Landesverbandes der NPD. Der überwiegende Teil der Teilnehmer kam jedoch aus den Freien Kameradschaften - auch elf Kreisverbände der DVU waren vertreten.1
Der letzte Marsch von NPD und freien Kameraden?
Offen wurden hierbei die Widersprüche zwischen NPD und Freien Kameraden ausgetragen. Anlass war das Outing der V-Leute in der NPD, vor allem das des nordrhein-westfälischen NPD-Kaders Udo Holtmann. Noch vor der Kundgebung ergriff Steffen Hupka das Wort und griff aufgrund seines Ausschlussverfahrens aus der NPD die Parteiführung scharf an. Die NPDler unternahmen über einen eigenen Lautsprecherwagen Störversuche, indem sie zuerst Volkslieder abspielten und dann zur Gegenrede ansetzten. »Freie Kameraden« umstellten den NPD-Wagen und brachten ihn zum Schweigen. Der Zwischenfall zeigt die anhaltenden Spannungen von Teilen der NPD und den Freien Kameradschaften um den Führungsanspruch. Wenige Tage zuvor hatte das »Widerstandsbüro« der örtlichen Kameradschaft erklärt, der Aufmarsch werde »wohl für geraume Zeit der letzte Marsch sein, bei dem sich die NPD in NRW auf die Unterstützung freier Aktivisten verlassen« könne. Insbesondere die Tatsache, dass die V-Leute der Parteiführung teils bekannt waren, wurde als Verrat an der Basis gewertet. Der Text endete kategorisch: »Keine Absprachen mit Verrätern und ihren Helfern«.2
Ablehnung und Aktive Ignoranz der Ausstellung durch die Stadt
Gegen die NPD protestierten rund 10.000 Menschen, die einem breit unterstützten Aufruf des DGB folgten. Mit einem Sternmarsch sollte der Neonaziauflauf durch die Bielefelder Innenstadt verhindert werden. Dies erlaubte den Neonazis im Osten der Stadt umso unbehelligter marschieren zu können. Bielefeld ist bislang die einzige Stadt, in der die sogenannte Wehrmachtsausstellung aufgrund einer privaten Initiative gezeigt wird, die weder finanzielle noch politische Unterstützung durch die Stadt erhält. Die Ratsmehrheit aus CDU, FDP und einer ultrarechten »Bürgergemeinschaft für Bielefeld« (BfB) hatte es abgelehnt, die Ausstellung auch nur zu begrüßen. Die Reaktionen bestanden aus klarer Ablehnung durch die BfB und aus aktiver Ignoranz durch die CDU. Damit hatte gerade diese Koalition dazu beigetragen, ein für die Neonazis politisch günstiges Klima zu schaffen, auch wenn der CDU-Oberbürgermeister den Aufruf gegen den Neonaziaufmarsch unterschrieb.
Polizei dominiert Gegenaktionen
Polizeistrategie im Vorfeld des Aufmarsches war der Versuch, die Diskussion in Bielefeld durch permanente Pressearbeit zu dominieren. An AnwohnerInnen waren Flugblätter verteilt worden, und der Polizeipräsident selbst stand im Viertel zu Gesprächen bereit. Allein zehn Polizeiteams waren abgestellt worden, um Veranstaltungen an Bielefelder Schulen abzuhalten, was wohl eine Reaktion auf die Vortrags- und Gesprächsangebote von AntifaschistInnen an SchülerInnenvertretungen und Jugendzentren war. Massiv waren Polizeibeamte auch auf Gegenkundgebungen vertreten und versuchten diese durch das Verteilen von Flugblättern und Buttons inhaltlich und optisch zu dominieren. Ziel war es letztendlich, den Neonazis jeden Protest in Sicht- und Hörweite zu ersparen und keine Blockaden zuzulassen.
Proteste von AnwohnerInnen trotz bedrohlicher Polizeipräsenz
Das Konzept ging nur bedingt auf. Gemäß der sogenannten NRW-Linie im Umgang mit Aufmärschen wurde ein altes Arbeiterviertel im Bielefelder Osten hermetisch abgesperrt und den Neonazis eine Marschroute zugewiesen. Der Marsch begann auf einer ehemaligen Aufmarschstrecke der Nazis aus den 30er Jahren, der früheren »Schlageterstraße«. Die BewohnerInnen hatten entlang der Route Plakate gegen die Neonazis in die Fenster gehängt und mit der Wohnungsbaugenossenschaft »Freie Scholle« für flächendeckende Plakatierung gesorgt. Nur wenigen AntifaschistInnen gelang es, in die »Sperrzone« zu kommen. Eine Gruppe von rund 100 Antifas, die den Aufmarsch der Neonazis am Ostbahnhof blockieren wollten, wurde von der Polizei vertrieben. Es kam es lediglich zu kleineren Störversuchen, wie von einigen antirassistischen Skins, die sich unter die Neonazis gemischt hatten und antifaschistische Parolen riefen. An einer Absperrung wurden Flaschen in Richtung Neonazis geworfen.
Mit einem Sonderzug direkt zum Aufmarschplatz wurde die reibungslose Anreise der Neonazis organisiert. Lediglich Friedhelm Busse, bekannt für volksverhetzende Ansprachen, bekam Redeverbot. Christian Worch und der Anmelder Timo Pradel von der NPD wurden von der Veranstaltung ausgeschlossen, nachdem sie »Ruhm und Ehre der Waffen-SS« skandiert haben sollen. So verblieben die Redner Thomas Wulff, Holger Apfel und Hartmut Wostupasch. Die Neonazis konnten sich ohne Probleme bewegen und Flugblätter an PassantInnen verteilen. Sie wurden von wenig Polizeikräften begleitet, die sich vor allem der Aufrechterhaltung der weiträumigen Absperrung widmeten. Bürgerinitiativen und drei Kirchengemeinden beschwerten sich später in einem offenen Brief: »Die Polizeipräsenz hat auf uns eher bedrohend als beruhigend gewirkt.« Man habe die Situation als »extreme Belastung« empfunden und sich »eingesperrt« gefühlt.
Skinheads gegen Nazis
Ein weiterer Neonaziaufmarsch fand am 2. März 2002 statt. Diesmal mit Christian Worch als Anmelder. Aufgrund der Auseinandersetzungen zuvor waren diesmal nur wenige NPD-Fahnen zu sehen. Lediglich sehr eng mit den Freien Kameradschaften verbundene regionale Verbände waren vertreten. Im Gegensatz zum ersten Aufmarsch hatte die Polizei versucht, die Veranstaltung zu verbieten, war aber in letzter Instanz vor dem Bundesverfassungsgericht gescheitert. Die kurzfristige Entscheidung trug sicherlich zu der Teilnehmerzahl von rund 500 Neonazis bei. Sie hatte allerdings auch Auswirkungen auf die Gegenmobilisierung, die mit rund 3.000 TeilnehmerInnen ebenfalls geringer ausfiel.
AntifaschistInnen konnten diesmal An- und Abfahrt der Neonazis sowie den Marsch selbst stärker stören. Vor allem 30 Sharp-Skins3 gelang es, in die »Sperrzone« zu kommen und sich dort den Neonazis entgegenzustellen. Eine Blockade von TeilnehmerInnen eines DGB-Demonstrationszuges bewirkte eine Verzögerung der Anreise der Neonazis. Für die regionale Neonaziszene waren die Aufmärsche in Bielefeld ein Erfolg. Obwohl die ostwestfälischen Neonazis in der Vergangenheit eine umfangreiche Reisetätigkeit entwickelt haben, konnten sie ihrem Klientel bis dato keine öffentlichen Auftritte bieten.