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Gedenkpolitik in Nordhausen

Einleitung

Im thüringischen Nordhausen stand bis vor wenigen Jahren ein Gedenkstein auf dem Bahnhofsvorplatz, der an Albert Kuntz, einen kommunistischen Häftling des nahe gelegenen ehemaligen KZ Mittelbau-Dora erinnerte. Der Platz ist jetzt neu gestaltet, der Stein restauriert worden. Doch zu sehen bekam ihn die Öffentlichkeit nicht wieder. Er soll auf Wunsch der Stadt in die Gedenkstätte verfrachtet oder dem Zeitgeschichtlichen Forum in Leipzig übereignet werden.

Kuntz-Gedenkstein. Nach der Einweihung im Dezember 1946 wurde später das Todesdatum von dem hier falschen 4.4.45 auf das richtige Datum 22.1.45 geändert.

Eine Provinzposse? Ist die Entfernung des Gedenksteines ein weiteres Beispiel für die vielerorts anzutreffende Entsorgung der NS-Vergangenheit in festgelegte, am besten zentral gelegene Erinnerungsorte? Der Stein hat eine widersprüchliche Vergangenheit, aber seine Bedeutungsmacht kann er nur im originären Kontext und am ursprünglichen Standort entfalten. Albert Kuntz war KPD-Funktionär und vor 1933 Abgeordneter des preussischen Landtags gewesen. Er starb im Januar 1945 im Lagergefängnis des KZ Mittelbau-Dora.1 Schon im Dezember 1946 wurde auf dem Bahnhofsvorplatz in Nordhausen ein Gedenkstein errichtet, der an ihn erinnert. Das Gedenken erfolgte hier in der für die spätere DDR üblichen Verengung auf den kommunistischen Widerstandskampf. Der Gedenkstein, auf dem im roten Winkel für politische KZ-Häftlinge Namen, Geburts- und Sterbedatum des Antifaschisten eingraviert sind, hob mit Kuntz aus der Menge der rund 20.000 Todesopfer des Konzentrationslagers einen kommunistischen Häftling hervor. Dennoch ist es kein schlichtes Heldengedenken, sondern das erste Mahnmal, das in der Region Nordhausen überhaupt in Erinnerung an die NS-Verbrechen aufgestellt wurde. Bis weit in die fünfziger Jahre hinein fanden die Gedenkveranstaltungen für die Opfer des Konzentrationslagers auf dem Bahnhofsvorplatz und nicht auf dem KZ-Gelände statt. Auch nach Einrichtung der Mahn- und Gedenkstätte Dora-Mittelbau blieb der Kuntz-Stein ein wichtiger Erinnerungsort. Als der Nordhäuser Bahnhofsvorplatz im Jahr 2000 einer grundlegenden Neugestaltung unterzogen wurde, ließ die Stadtverwaltung den Stein stillschweigend »verschwinden«. Zunächst wurde er zwischengelagert, nach einiger Zeit dann in den Park des Meyerburg-Museums in Nordhausen überführt.2 Dort lag der Stein noch im Sommer 2001. Erst nach vermehrten Protesten, unter anderem vom Thüringer VVN/BdA, verkündete die Stadtverwaltung im Herbst 2001, dass der Stein zum 55. Jahrestag seiner Errichtung, im Dezember 2001, wieder am Ursprungsstandort aufgestellt würde.3 Ergänzend soll eine Informationstafel angebracht werden, die Lebensdaten von Albert Kuntz sowie die Geschichte des Steines in der DDR-Gedenkpolitik enthält.

Steinige Geschichte(n)

Da der Standort des Steines auf dem neu gestalteten Bahnhofsvorplatz gewesen wäre, sollte er zumindest gut restauriert werden. Dabei kam zu der offenbar ohnehin schon unangenehmen DDR-Gedenkkultur, die dem Stein anhaftete, noch eine ältere, um einiges unangenehmere Gedenktradition hinzu: Der 1946 errichtete Gedenkstein hatte bereits vor 1945 dem Gedenken gedient. Wie sich herausstellte, stammte der Stein aus einem Monument, das die Nordhäuser Nationalsozialisten 1933 – unter Verwendung mehrerer Steine aus einem geschliffenen Ebert- Denkmal – zum Gedenken an die NS-»Märtyrer« Horst Wessel und Leo Schlageter aufgestellt hatten. Im Mai 1945 war er auf Befehl der amerikanischen Alliierten geschliffen worden - um nur anderthalb Jahre später dem antifaschistischen Gedenken zu dienen. Ein weiterer Teil des früheren Denkmals ist der heutige Friedensstein in Salza. Bislang ist nicht geklärt, ob es sich hier um eine bewusste Umwidmung eines Denkmals zu Ehren eines Kommunisten handelte, oder ob die Materialarmut ausschlaggebend für die Wahl war. In jedem Fall handelt es sich bei dem Gedenkstein nicht um das Relikt einer 50jährigen, sondern einer wesentlich älteren, epochenübergreifenden Gedenktradition voller Brüche, aus der nicht zuletzt hervorgeht, wie Geschichte immer wieder politisch instrumentalisiert wurde. Genau die Sorge vor »Instrumentalisierung« ist es nun, die die Stadt Nordhausen wiederum als Argument gegen die Wiederaufstellung des Steines vorbringt: Wegen seiner Vergangenheit als NS-Heldendenkmal könne der KZ-Gedenkstein auf dem Bahnhofsvorplatz zum Wallfahrtsort für Rechtsextremisten werden.