Neuer Rasen, gleiches Spiel
Antifa-Arbeit war schon immer durch verschiedenste gesellschaftspolitische Ansätze geprägt, die sich zum Teil gegenüberstanden oder in der Praxis ergänzten. Neben den ProtagonistInnen eines klassischen autonomen oder »revolutionären« Antifaschismus, gab es immer auch einen bürgerlichen Antifaschismus. Selbst von einem staatlichen Antifaschismus war während des rot-grünen »Antifasommers« die Rede. Haben wir uns schon oft und ausführlich mit den meisten Facetten des linksradikalen Antifaschismus auseinandergesetzt, wollen wir uns diesmal dem Wandel und Problemen eines zumeist humanistisch begründeten Antifaschismus widmen.
Als im Sommer 2000 eine Bombe, vermeintlich gezündet von Neonazis, mehrere jüdische Aussiedler erheblich verletzte, platzte Kanzler Gerhard Schröder der Kragen. »Wir brauchen einen Aufstand der Anständigen«. Denkwürdige Worte, deren Ernsthaftigkeit AntifaschistInnen jedoch schnell bezweifelten. Was auch immer ein »Aufstand der Anständigen« auch sein sollte, er war so plötzlich beendet, wie er ausgerufen wurde. Jedoch mit teils fatalen Folgen. Auf der einen Seite interessierte sich auf Regierungsebene nach einiger Zeit kaum noch einer der Aufständigen für die Thematik der rechten Agitation auf deutschen Strassen. Vielmehr stand der staatliche Antifaschismus von Anfang an gleichberechtigt neben rassistisch und nationalistisch motivierten Einwanderungs- und Standortdebatten.
Auf der anderen Seite standen die Leute, die bereits vor dem Sommer 2000 »anständig« waren, in einem fahlen Lichte da. Von einem Großteil der sie umgebenden Gesellschaft wurden sie als unverbesserliche Zeigefingererheber und von Teilen der autonomen Antifa-Szene als staatstragende Moralapostel gesehen. So hat Schröders Aufstand den Kreis derer, die schon immer aus humanistischen Beweggründen gegen Neonazis agierten, kräftig dezimiert.
Die Gründe hierfür sind vielschichtig. So sehen viele keinen Sinn mehr in Eigeninitiativen gegen Neonazis, da der Kampf gegen Rechts inzwischen als eine Staatsaufgabe angesehen wird. Auch der Faktor, dass sich schwerlich Erfolge einstellten – das NPD-Verbot als medienwirksamstes Projekt scheiterte sogar – führten sicherlich zu einem hohen Grad an Frustration und Verunsicherung. Schon ab dem Jahr 2002 trat aber auch ein gewisser Gewöhnungseffekt ein. Man schien vielerorts einfach des Empörens überdrüssig geworden zu sein. Gerade diese Empörung war es aber oft, die ausgereicht hat, Menschen gegen Faschisten auf die Strasse zu bringen. Ziemlich schnell reichte das bloße Auftreten nicht mehr aus und es musste schon Gewalt mit im Spiel sein, um sich überhaupt noch empören zu können. Da Gewalt – egal von wem – aber als grundlegendes gesellschaftliches Problem begriffen wurde und wird, stellen die gängigen Gleichsetzungen von Rechts und Links inzwischen das Hauptproblem für AntifaschistInnen dar. Aus Projekten gegen Rechts wurden Projekte gegen Extremismus und Gewalt.
Die Senkung der gesellschaftlichen Hemmschwelle gegenüber staatlicher Repression fällt demzufolge auch auf autonome AntifaschistInnen zurück. Denn der staatliche Antifaschismus bezeichnet nicht mehr als die aktionistischen Maßnahmen von Regierung, Gerichten und Polizei gegen rechtsextreme Straftaten. Doch hierdurch wurden schon immer nur die illegalen Ausdrucksformen einer Ideologie und nicht deren Inhalte angegangen. Auch wenn das konsequente staatliche Vorgehen gegen Neonazis für Antifaschisten auf den ersten Blick eine Arbeitsentlastung zu sein schien, überwiegen inzwischen die Nachteile. Eine Strategie des »anständigen Sommers« zielte darauf ab, sich mit seinen Inhalten und seiner politischen Praxis an eine Zivilgesellschaft zu richten. Da diese imaginäre Zivilgesellschaft aber in großen Teilen des Landes nicht vorhanden war, sollten BürgerInnen motiviert werden, die Gesellschaft aktiv zu gestalten. Im Zuge dessen wurden staatliche Fördertöpfe eingerichtet, die Initiativen und Organisationen unterstützen sollten, die sich »gegen Rechts« engagierten. Auf diese Weise sollte die Entwicklung und Festigung einer demokratischen Kultur erreicht werden.
Das Ergebnis davon waren nachhaltige Veränderungen in vielen Strukturen. In der Überzeugung, dass auch staatliche Gelder im Kampf für die gute Sache eingesetzt werden können, ließen sich antifaschistische Gruppen ins Vereinsregister eintragen, um so Geldmittel beantragen zu können. Antifaschistisches Engagement und Lohnerwerb schienen nun kompatibel. Die sich anschließende Entwicklung war, dass sich die Projekte zunehmend den verordneten Politikformen der Zivilgesellschaft anpassten und sich personell wie inhaltlich immer mehr von ursprünglichen Ansätzen entfernten. Staatliche Finanzierungsprogramme hatten und haben aber nie im Sinn, ihre schärfsten KritikerInnen auch noch finanziell zu fördern. Dies wurde schnell deutlich, nachdem das Engagement gegen Rechts etwa zwei Jahre nach dem »Aufstand« nachließ und das öffentliche Interesse zurückging. Projekte, die sich als »antifaschistisch« bezeichneten, bekamen nun keine Gelder mehr bewilligt.
Eine Reihe von Projekten tappte daraufhin in die zivilgesellschaftliche Falle und korrigierten ihre Ansätze im Sinne der gesellschaftlichen Förderprogramme. Der Erhalt der eigenen Existenzsicherung verleitete viele dazu, keine öffentliche Kritik an Fördermittelrestriktionen zu üben. Hinzu kamen Distanzierungen von aktiven AntifaschistInnen. Ein Ende dieser Entwicklung ist auch nicht in Sicht. Vielmehr wird auch in Zukunft die Tendenz zunehmen, dass nur noch Projekte gefördert werden, die keine weitergehenden Analysen zu Ursachen und für die Bekämpfung von Rassismus und Rechtsextremismus haben.
Doch nicht nur mit Geldmitteln konnte man zivilgesellschaftliche Ansätze staatlich einfangen. Verlockend war auch die Anerkennung als (regionaler) gesellschaftlicher Akteur, da nur so der zivilgesellschaftliche Zeigefinger öffentlich wahrgenommen wurde. Neonazistische Aktivitäten wurden thematisiert und man begrüßte jede Form der staatlichen Intervention. Das Beispiel Sächsische Schweiz, wo die »Aktion Zivilcourage« in Pirna zu den jüngsten Kommunalwahlen antrat, zeigt hingegen, dass die regionale Präsenz oft wenig tiefgehende Änderungen in braunen Regionen bewirkt. Denn die NPD erhielt in Pirna über 1000 Stimmen mehr als die »Aktion Zivilcourage« und in der gesamten Sächsischen Schweiz konnte die NPD gegenüber 1999 ihre absoluten Stimmen nahezu verdreifachen. Derartige Irrwege eines bürgerlichen Antifaschismus allein auf staatliche Programme zu schieben, würde zu kurz greifen. Schließlich haben auch die einzelnen Akteure und Organisationen des bürgerlichen Antifaschismus mit erheblichen Problemen und veränderten Rahmenbedingungen zu kämpfen.
Traditionell waren und sind Gewerkschaften ein zuverlässiger Partner für antifaschistische Bündnisse, jedoch sind sie heute weitaus weniger in diesem Politikfeld aktiv. Einerseits hat das sicherlich mit der Verschärfung sozialer Kämpfe und der allgemeinen Krise der Gewerkschaften zu tun. Gegenwärtig müssen sie sich mehr auf die Primärinteressen ihrer Mitglieder, die Interessenvertretung der abhängig Beschäftigten, konzentrieren, weswegen andere gesellschaftliche Kämpfe in den Hintergrund rücken.
Andererseits werden gerade bei den Themen Antifaschismus und Antirassismus häufig Unterschiede zwischen den Mitgliedern und den Gewerkschaftsfunktionären deutlich. Verfügen viele Funktionäre noch über ein antifaschistisches/antirassistisches Bewusstsein, so ist dieses an der Basis seltener ausgeprägt. Es ist ja sattsam bekannt, dass rassistische Einstellungen innerhalb der Gewerkschaft über dem gesellschaftlichen Durchschnitt liegen. Unterstützung bekamen diese extrem rechten Einstellungen durch manchen Gewerkschaftsfunktionär. Wenn in Kämpfen um den Erhalt von Arbeitsplätzen keine internationalistischen Antworten propagiert werden, sind extrem rechten Positionen Tür und Tor geöffnet. Nicht zuletzt steckt mancher DGB-Gewerkschafter in der Zwickmühle, dass der langjährige politischer Partner, die SPD, die Regierung stellt. Gerade eine antirassistische Intervention findet ihre Gegner aber in der staatlichen Zuwanderungs- und Flüchtlingspolitik.
Ähnlich den Entwicklungen bei den Gewerkschaften ist auch die Entwicklung der Parteien und ihrer Organisationen in Bezug auf diesen Komplex einzuschätzen. Die rot-grüne Regierungsverantwortung treibt deren regionale Gliederungen und Jugendorganisationen nicht nur bei den Themen Antifaschismus und Antirassismus in massive Rechtfertigungsprobleme. Wenn die Bundesregierung, von den Oppositionsparteien ganz zu schweigen, ihr Modell einer »Zukunftsgerechtigkeit« mit Nationalismus, Rassismus und unsozialer Verwertungslogik rechtfertigt, bleibt für antifaschistische Positionen abseits von populistischem Aktionismus kein Platz mehr.
Auch bei der PDS gibt es eine politische Diskrepanz zwischen der inhaltlichen Ausrichtung von Parteigliederungen und deren Wählerschaft, was bei antifaschistischen Aktionen immer wieder sichtbar wird. Obwohl sich die PDS auf Bundesebene offen antifaschistisch positioniert, fehlt ein solches Bewusstsein häufig an der Basis und bei der Wählerschaft. Gerade an den Orten, wo die PDS die Regierungsverantwortung mitträgt, können sich AntifaschistInnen nicht immer auf eine aktive Unterstützung verlassen. In einer Krise steckt auch ein anderer Bündnispartner, die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA). Hier haben sich zwar nicht die politischen Gewichtungen verschoben, wohl aber die gesellschaftliche Relevanz und Mobilisierungsfähigkeit. War das größte Aktionsfeld der Vorläuferorganisationen des VVN-BdA traditionell die Erinnerungsarbeit und die Arbeit mit ZeitzeugInnen, stellt sich heute das Problem, dass es immer weniger dieser Zeitzeugen gibt. Das Wegbrechen dieser Erlebnisgeneration hat aber nicht nur direkte Einflüsse auf die eigene Arbeit, sondern auch eine erhebliche gesellschaftliche Relevanz. So waren besonders die politisch aktiven Mitglieder dieser Erlebnisgeneration als Mahner und Einhaltsgebieter gegen Geschichtsumschreibungen von Rechts erfolgreich. Mit dem voranschreitenden Wegfall dieser Mitgliedergruppe wird die VVN-BdA also doppelt geschwächt. Auf der einen Seite verliert sie besonders aktive und politisch gewichtige Mitglieder, andererseits erhalten gerade die politischen Strömungen Aufwind, gegen die die VVN sich primär wendet.
Ausblick
Trotz oder gerade wegen dieser oben beschriebenen Entwicklungen stellt sich die Frage, wie und ob eine Zusammenarbeit zwischen den genannten Strömungen und autonomen AntifaschistInnen sinnvoll erscheint. Die Unterschiede zwischen denen, die nationalistische, rassistische und antisemitische Positionen auf Neonazis reduzieren, und denen, die diese Einstellungsmuster als eine Radikalisierung gesellschaftlicher Grundstimmungen verstehen, scheinen unüberbrückbar. Mag jenes auf der ideologischen Ebene zutreffen, haben diese Widersprüche in der antifaschistischen Praxis eines Abwehrkampfes nicht das Gewicht, eine Zusammenarbeit prinzipiell zu unterbinden. Gerade hier bestehen die Chancen, an Widersprüchen im Denken anzusetzen, eigene Inhalte zu vermitteln und neue Mitstreiter zu gewinnen. So ist das Verhältnis von Zugewinn und Zugeständnissen entscheidend. Will man in einem staatlich geförderten Rahmen antifaschistische Politik treiben, muss kontinuierlich reflektiert werden, wie weit man eigene Inhalte zurücksteckt und sein politisches Profil dehnt, um gesellschaftlichen Ansprüchen gerecht zu werden. Die Schmerzgrenze ist überschritten, wenn Initiativen und Projekte nicht mehr in der Lage sind, selbstbewusst ihre antifaschistischen Analysen zu vertreten.
Antifaschismus, der auch die Mitte der Gesellschaft im Blick hat, ist und bleibt eine Minderheitenposition. Auch wenn sie unpopulär ist, bleibt etwa die Forderung nach offenen Grenzen für Flüchtlinge trotzdem richtig. An solchen Punkten hilft es nicht, sich schmollend als eingeschworene Glaubensgemeinschaft in seine politisch-korrekte Ecke zu verkriechen. Vielmehr macht auch in Bündnissen das offensive Propagieren derartiger Positionen Sinn. Mühselige Überzeugungsarbeit und Einflussnahme in die Gesellschaft hinein bleibt auch aus einer gesellschaftlich marginalen Position wichtig und ist eine politische Verantwortung. Die Alternative wäre, »seinen Antifaschismus« als Diskussions-, Dienstleistungs- oder Expertenthema eines kleiner werdenden Teilbereiches einer kleiner werdenden Linken zu pflegen und als einziges Artikulationsmittel in selbstgerechte Besserwisserei zu verfallen. Wichtig bleibt eine antifaschistische Organisierung, die Nazis auch direkt bekämpft und die darüber hinaus eigene Inhalte transportieren kann. Sie muss wahrnehmbar und – bei Bedarf – auch ansprechbar sein.