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»free-gender«

Eike Sanders (apabiz)
Einleitung

Eine neuartige Kampagne der parteifreien neonazistischen Rechten, die explizit gender bzw. Geschlechterverhältnisse und Sexualität zum Thema hat, ist die im Mai 2009 gegründete Initiative »Raus aus den Köpfen – Genderterror abschaffen!«. Auf den ersten Blick reihen sich deren Inhalte in die weitverbreiteten aktuellen Diskurse ein, die vermitteln, dass es jetzt auch mal gut sei mit der Emanzipation und der Gleichstellung. Auf den zweiten Blick wird neben dem sexistischen und homophoben Gehalt der Kampagne auch der neonazistische Hintergrund der Initiative offenbar.

Mareike »Rieke« Bielefeld am Infotisch von »free-gender« am 13. Juni 2009 beim »Tag der nationalen Jugend« in Arnstadt.

Eine neuartige Kampagne der parteifreien neonazistischen Rechten, die explizit gender bzw. Geschlechterverhältnisse und Sexualität zum Thema hat, ist die im Mai 2009 gegründete Initiative »Raus aus den Köpfen – Genderterror abschaffen!«. Auf den ersten Blick reihen sich deren Inhalte in die weitverbreiteten aktuellen Diskurse ein, die vermitteln, dass es jetzt auch mal gut sei mit der Emanzipation und der Gleichstellung. Auf den zweiten Blick wird neben dem sexistischen und homophoben Gehalt der Kampagne auch der neonazistische Hintergrund der Initiative offenbar.

Im Juli 2009 wurde ein Radiogespräch online gestellt, in dessen Einleitung es heißt: »Im Gespräch mit Peter und Martin berichtet Katharina von der Initiative ›Raus aus den Köpfen – Genderterror abschaffen‹, über die Motive der Genderforschung und darüber, was sich hinter dem Begriff ›Gendermainstreaming‹ verbirgt.« Gendermainstreaming ist zum weit verbreiteten Feindbild in der konservativen1 und auch  extremen Rechten geworden. Inhaltlich werden dabei immer seltener diverse Schlagwörter aus der Geschlechterforschung und der Gleichstellungspolitik als das verhandelt, was sie sind. Kunstwörter wie »Genderismus« oder »Zwangs-Genderisierung« (beide Eva Herman) kursieren. Viele haben einen verschwörerischen Unterton, der suggeriert, dass sowohl die Forschung als auch die gleichstellungspolitischen Maßnahmen in Wirklichkeit Teil eines ganzen, meist heimlich von linksradikalen Feministinnen implementierten, tiefgreifenden politischen Programmes seien: »Es will nicht weniger als den neuen Menschen schaffen, und zwar durch die Zerstörung der ›traditionellen Geschlechtsrollen‹«, so schon die Frankfurter Allgemeine Zeitung 2006.

Vom Mädelring Thüringen zu free-gender

Parallel zum gesellschaftlich erstarkenden antifeministischen backlash, der die Gleichberechtigung vollbracht sieht und weitere emanzipatorische und feministische Bestrebungen als Bedrohung der Männlichkeit verdammt, hat sich auch in der extremen Rechten das Feindbild der »Emanzen« und der »politischen Geschlechtsumwandlung« gefestigt. Die Initiative »Raus aus den Köpfen – Genderterror abschaffen!« ist in dieser Form dennoch einmalig. Sie ist den Strukturen des 2004 entstandenen, aber inzwischen inaktiven Mädelring Thüringen (MRT) zuzurechnen, welchem antifaschistische, feministische Analysen als einziger Frauenorganisation das Ziel eines »nationalen Feminismus« zuordneten. So wollte der MRT anfangs noch »eine übertriebene Stilisierung der Mutterrolle vermeiden.«2 Das Postfach in Saalfeld ist identisch und inzwischen zeichnet für »free-gender« die Mittzwanzigerin Mareike (»Rieke«) Bielefeld aus Bad Blankenburg verantwortlich, die vorher »Medienbeauftragte« bzw. führendes Mitglied des MRT gewesen sein soll. Als Adresse ist im Impressum der Internetseite das Neonazi-Zentrum »Braunes Haus« in Jena angegeben.

Während sich der Mädelring als parteifern gerierte und sich mit der Forderung »Deutsche Frauen wehrt euch – gegen das Patriarchat und politische Unmündigkeit« angesichts der männerbündischen und sexistischen Strukturen innerhalb der extremen Rechten ziemlich weit aus dem Fenster lehnte, ist »free-gender« zwar hauptsächlich im Spektrum der »Freien Kräfte« und der «Autonomen Nationalisten« aktiv,3 doch sind hier keine Spuren von Kritik an der eigenen Szene mehr zu finden. Hauptinhalte sind aus der Presse aufgegriffene Meldungen und Artikel, die sich im weitesten Sinne mit den Themen gender, Geschlechterrollen, Familie und »Volkstod« beschäftigen. Sie werden auf der insgesamt eher simplen Seite meist zynisch bis skandalisierend kommentiert.

»Wahrer Feminismus« war gestern

Die einstigen Protagonistinnen des MRT lehnen heute »Emanzipation« durchweg ab, das Patriarchat gibt es  in ihren Analysen nicht mehr: »Viele Frauen und Familien habt IHR (Feministinnen, E.S.) in den Abgrund getrieben, mit EUREM hanebüchen Auswurf ›Mein Bauch gehört mir‹ und dem dazugehörigen Selbstverwirklichungswahnsinn!«, schreibt eine Autorin, die sich zynisch »eine wahre Feministin« nennt.4 »admin« kommentiert: »Nun, Feminismus ist nicht gleich Feminismus! [...] Es gibt unzählige Richtungen des Feminismus. Der, der wirklich Menschheitszersetzend wirkt, ist unteranderem der Radikalfeminismus, dem auch Alice Schwarzer angehört. Der Ursprung der Frauenbewegung war sinnvoll und notwendig und hatte nichts mit der ›Entwaffnung‹ des Mannes bzw. die komplette Identitätszerstörung eines Geschlechts zu tun.«5   Welcher Feminismus nun aber richtig sei oder war, bleibt unbeantwortet, lediglich am »linksradikalen«, »volkszersetzenden« Feminismus wird sich abgearbeitet. »Zu allererst ist dazu zu sagen, dass Gleichberechtigung natürlich etwas sehr erstrebenswertes ist.«, sagt »Katharina« von free-gender im Radio-Interview. Im nächsten Schritt prangert sie an, dass »diese ganzen Tausenden Mädchen und jungen Frauen davon abgehalten werden sollen, typisch [...] weibliche Berufe zu erlernen, weil man eben der Ansicht ist, dass es [...] für eine wahre Gleichberechtigung wichtig ist, dass Frauen auch männliche Berufe erlernen.« Dabei sieht sie »Interessen, Eigenschaften, Talente und Charaktereigenschaften von Männern und Frauen« als »genetisch festgelegt«.6   Bei free-gender gibt es ungerechte Geschlechterverhältnisse nur noch dort, wo Männer die Opfer sind: »Das Ergebnis dieser haarsträubenden gesellschaftlichen Entwicklung sieht man an fast jeder Ecke, verweichlichte Jungen und Männer.«5  

Wenngleich die Initiative noch relativ jung ist, so stößt sie dennoch auf Resonanz in der neonazistischen Szene. »free-gender« füllt eine Lücke in der extremen Rechten, die die Konzeptlosigkeit der »Autonomen Nationalisten« und die Realitätsferne alter Nazis bislang freigelassen hatten. Bei den »AN« waren Genderkonstruktionen lediglich im Subtext ihrer Propaganda zu finden, die Praxis des jugendkulturellen »anything goes« erlaubte auch eine Teilhabe von Frauen am »soldatischen« Straßenkampf. Die fortschreitende Selbstdisziplinierung der Szene erfolgt nun in Bezug auf gender durch einen inhaltlichen Rückgriff auf völkische Geschlechterrollenbilder: sozusagen ein »antifeministischer backlash« im Neonazismus. Familie wird selbst beim jugendkulturell geprägten Teil der Szene zum Thema, das alle angeht. Abtreibung ist nicht mehr eine persönliche Entscheidung, sondern eine Straftat am deutschen Volke, Sexualaufklärung wird zur »genderschen« Frühsexualisierung und immer wieder wird die Bedrohung der Männlichkeit – aber auch der durch Mutterschaft defininierten Weiblichkeit – durch »das System« heraufbeschworen.

In diesem Sinne reiht sich die Beschäftigung mit gender in den systemoppositionellen Habitus. Gendermainstreaming wird als politisches Werkzeug der BRD verdammt und das Beharren auf traditionelle Geschlechterrollen zur revolutionären Tat: »Ohne die Demontage der Rollenbilder werden die Verfechter der Gender Theorie nie zu ihrem Ziel, die Schaffung eines neuen, noch stärker manipulierbaren, Menschentypus gelangen.«7 Dass aber auch »alte Mädel« wie die Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck-Wetzel (vgl. AIB Nr. 70) es sich nicht nehmen lassen, auf den Zug aufzuspringen, zeigen die aktuellen Ausgaben von Blättern wie »Stimme des Reiches« oder »HNG-Nachrichten«. Allerdings zieht Haverbeck eine Schlussfolgerung, die jungen Neonazis und vor allem spaßorientierten »ANs« wenig schmecken dürfte, nämlich »daß zivilisierte Kulturen sich dadurch auszeichnen, daß sie neben der vorehelichen Keuschheit auch auf absoluter Monogamie bestehen. [...] Die Begrenzung der sexuellen Triebbefriedigung muß als die Ursache des kulturellen Fortschritts betrachtet werden.«

  • 1So maßgeblich Volker Zastrow in der FAZ v. 19.06.2006, der Gendermainstreaming als »politische Geschlechtsumwandlung« umdeutete und seither als Stichwortgeber sämtlicher Kritiker_innen herhält.
  • 2Zitiert am 29.09.2007 von Mädelring Thüringen auf www.feministinnen.de/viewtopic.php?f=1&t=521; zuletzt am 24.2.2010.
  • 3Nach eigenen Angaben: 16.05.2009 in Thüringen; 11.06.2009 im Altenburger Land; 11.07.2009 als »Team Pink« auf dem »Rock für Deutschland« in Gera;  11.11.2009 in Magdeburg, auf dem Thüringen Tag in Pößneck am 12.06.2010
  • 4www.free-gender.de/feminismus/alice-halts-maul-%E2%80%93-die-kleine-abr… #more-326: »Alice halt’s Maul » – Die kleine Abrechnung, erstellt von Eine wahre Feministin am Montag 27. Juli 2009
  • 5 a b ebd.
  • 6Radiogespräch zwischen free-gender (»Katharina«) und spreelichter.info (»Peter« und »Martin«) abgelegt auf: www.spreelichter.info/medien/ 164/slr01_gendermainstreaming.mp3; zuletzt eingesehen am 1. November 2009; Transkription durch Eike Sanders (apabiz) »admin« auf: www.free-gender.de/ masnahmen/manner-an-die-kindergarten-front/#more-1093
  • 7Sie zitiert hier zustimmend den englischen Anthropologen  J.D. Unwin (»sex and culture«, 1934, S. 317)