»National Befreite Zonen« – Vom Konzept zum Schlagwort
Ein wichtiger Teil der Strategie der extremen Rechten in Deutschland ist die Besetzung von sozialen Räumen, welche durch Demonstrationen oder gar eine hegemoniale Stellung der extrem rechten Subkultur gezeigt wird. Zum bundesweit bekannten Schlagwort dieser Strategie ist der Begriff der »National befreiten Zonen« (NBZ) geworden, welcher im Jahr 2000 sogar zum Unwort des Jahres gekürt wurde. Allerdings wird der Begriff mittlerweile meist eher symbolisch verwendet und hat sich damit deutlich vom eigentlichen Strategiekonzept der »Befreiten Zonen« entfernt, welches vor mehr als 20 Jahren in den extrem rechten Diskurs Eingang gefunden hat. Um einen Einblick in die Funktionsweise und vor allem die netzwerkartigen Strukturen der extremen Rechten in Deutschland zu bekommen, welche sich von Alt-Nazis über die »Neuen Rechten« bis hin zu den neonazistischen Kameradschaften erstrecken, ist die Beschäftigung mit ideologischen Kontinuitäten ein interessanter Zugang. Dies gilt auch für den Weg, welches das Konzept der »Befreiten Zonen« bis heute zurückgelegt hat bzw. die Wurzeln, aus welchen es entstand. Es gilt als eines der bedeutendsten extrem rechten Strategiekonzepte der letzten Jahre und ist als Begriff »Befreite Zonen« seit 1990 im Theoriediskurs der Szene nachzuweisen. Zuerst tauchte er in der zweiten Ausgabe der Zeitschrift »Einheit und Kampf« vom September 1990 auf, eine überarbeitete Fassung erschien im Juni 1991 in der Zeitschrift »Vorderste Front«, die vom Nationaldemokratischen Hochschulbund, der Studentenorganisation der NPD, herausgegeben wurde.
Die Idee hinter dem Konzept scheint die Anwendbarkeit der Theorie in der politischen Praxis zu sein. Bereits in der Einleitung der Zeitschrift wird die ideologische Position der Autoren definiert: »Eine der Hauptthesen unserer nationalrevolutionären Position lautet, daß Europa unzweifelhaft der Brennpunkt aller zukünftiger politischer Entwicklungen sein wird. Deutschland wiederum liegt im Zentrum unseres Kontinents, weshalb nicht viel Intelligenz dazugehört, um die Vorgänge in unserem Vaterland als besonders wichtig für das weitere Schicksal Europas anzuerkennen.«
Die Urheber bezeichnen sich selbst als »nationalrevolutionär«, eine in Anlehnung an die Theoretiker der Konservativen Revolution ideologische Ausprägung der »Neuen Rechten«. Diese Richtung hat sich bereits in den siebziger Jahren an der »linken/alternativen« Szene der Bundesrepublik orientiert. Und so scheint auch die Inspiration für das Konzept der »Befreiten Zonen« eine Übernahme linker Strukturen zu sein.
Als einer der Haupttheoretiker dieser »neurechten« Ausrichtung kann Henning Eichberg bezeichnet werden. Sein Einfluss zieht sich auch durch weite Teile des Papiers. So heißt es dort: »Befreite Zonen in unserem Sinn sind Bereiche, wo der zentrale Widerspruch unserer Zeit, nämlich der Widerspruch Identität/Entfremdung zugunsten der Identität aufgelöst wird.« Der Hauptwiderspruch besteht in Eichbergs Werken – gerade in den siebziger und achtziger Jahren – immer zwischen »Entfremdung« und »Identität«. Eichberg definierte Identität als »das Eigene, Vertrautheit, eigene Wurzeln haben, sich wiedererkennen, bei sich selbst zu Hause sein«. So werden »Befreite Zonen« weiter beschrieben als »Orte der Geborgenheit, des Dazugehörens, der Wärme, der Solidarität. Sie sind Heimat für die Heimatlosen.« Die Anlehnung an Henning Eichberg ist unübersehbar.
Kulturelle Hegemonie auf kommunaler Ebene
Der zweite Theoretiker, der mit seinen Werken offensichtlich massiven Einfluss auf das Konzept hatte, ist der Gründer der französischen »Neuen Rechten«, Alain de Benoist, der sich hierfür bei dem italienischen Kommunisten Antonio Gramsci bediente und so dessen Konzept in extrem rechte Theoriediskurse einbrachte. Im Konzept der »Befreiten Zonen« ist die »Kulturelle Hegemonie«, die im »vorpolitischen Raum« errungen werden sollte, in einem pragmatischen Ansatz verarbeitet bzw. herunter gebrochen worden. Hier soll es um eine Integration von extrem Rechten in die Bevölkerung gehen, um so Einfluss im »vorpolitischen Raum« zu erlangen. So heißt es dort: »Dann ist es unabdinglich, mit der ansässigen Wohnbevölkerung in intensiven Kontakt zu treten, den Leuten immer und überall zu helfen. […] Beispiele: Alten Leuten kann man beim Ausfüllen von Formularen helfen, sie beim Einkauf unterstützen, man kann Babysitter bei arbeitenden Ehepaaren oder alleinstehenden Müttern spielen, man kann den Garten in Ordnung bringen, die Straßen sauber und durch regelmäßige Nachtpatroullien sicher halten. Man kann gegen den Zuzug eines Supermarkts, die Vertreibung alteingesessener Mieter durch Miethaie, die Schließung des kleinen Eckladens, den Aufmarsch von Scheinasylanten und anderen Lichtgestalten oder den Bau einer Autobahn durch das Wohnviertel protestieren und agitieren. Man muß so handeln, daß man in einem Meer der Sympathie schwimmt, daß die ›normalen‹ Bewohner für uns ›die Hand ins Feuer legen‹.« Dies ist ebenfalls nicht weit weg vom aktuellen Versuch der NPD sich als »Kümmererpartei« darzustellen oder eben Vereine zu unterwandern. Es handelt sich nicht zuletzt um den Versuch eine »Normalität herbeizuführen.«
Insgesamt geht es im Konzept um die Errichtung einer »Gegenmacht«, die es ermöglichen soll den Staat zurückzudrängen, um Raum zu schaffen, in dem man selbst die Kontrolle ausübt und dies auch mit Gewalt: »Einmal ist es die Etablierung einer Gegenmacht. Wir müssen Freiräume schaffen, in denen wir faktisch die Macht ausüben, in denen wir sanktionsfähig sind, d.h. wir bestrafen Abweichler und Feinde, wir unterstützen Kampfgefährtinnen und -gefährten, wir helfen unterdrückten, ausgegrenzten und verfolgten Mitbürgern. Das System, der Staat und seine Büttel werden in der konkreten Lebensgestaltung der politischen Aktivisten der Stadt zweitrangig. […] Wir sind drinnen, der Staat bleibt draußen. […]Befreite Zonen sind sowohl Aufmarsch- als auch Rückzugsgebiete für die Nationalisten Deutschlands. […] Aus militanter Sicht befinden wir uns dann in einer befreiten Zone, wenn wir nicht nur ungestört demonstrieren und Info-Stände abhalten können, sondern die Konterrevolutionäre dies genau nicht tun können. Dazu muß man sich die Orte genau auswählen. Es genügen zehn oder zwölf entschlossene Revolutionäre und WIR bestimmen, was aus militanter Sicht in einer Stadt ist und was nicht.«
Ein weiterer Aspekt von großer Bedeutung ist die ökonomische Unabhängigkeit. Diese Zonen sind »nicht in erster Linie geographisch definiert«: Es geht um den Aufbau von Netzwerken, in denen die politische Arbeit ungestört vorbereitet werden kann: »Errichtung eines unabhängigen Buchladens, wo man auch Bücher und Schriften, Aufkleber und Flugblätter kaufen kann, die man sonst nirgends bekommt. Keine Angst, in jeder Region Deutschlands besteht eine genügend große, freilich oft völlig isolierte Szene, so daß sich ein solcher Laden rechnet. Oder eine Druckerei, eine Werbeagentur, ein Reiseunternehmen für kleine Geldbeutel. Man kann ›T-Hemden‹ oder Schallplatten verkaufen, es gibt tausend und eine Möglichkeit, aus dem System auszubrechen und Kohle zu verdienen, ohne daß man sich ruiniert oder man zum Hampelmann des Systems wird. […] Hinzu kommt das Stichwort der Vernetzung. Gleichgesinnte Initiativen, die an verschiedenen Orten bestehen, müssen engen Kontakt halten, voneinander wissen, einander helfen. vom Telefonkontakt über das Fax bis zum Computer mit Modem – auch hier gibt es keine Grenzen.«
Das Konzept der »Befreiten Zonen« blieb bis Ende der neunziger Jahre so gut wie unbeachtet. Der Zusatz der »National befreiten Zonen« kam wohl Mitte der 1990er Jahre hinzu. Seit 1999 erfuhr es eine ausführliche Diskussion in der Deutschen Stimme, der Parteizeitung der NPD. Insgesamt wurden in der Deutschen Stimme zwischen 1999 und 2004 vierzehn Artikel dem Konzept gewidmet, wie Uta Döring in ihrer Studie zum Konzept nachwies. Bis heute nehmen extrem rechte Autoren in ihren Artikeln immer wieder Bezug auf das Konzept. Dies geschieht aber häufig in sehr abgewandelter Form und stark reduziert auf den Straßenkampf: Der Begriff wird heute eher als Symbol genutzt, welches politische Botschaften verkürzt und vereinfacht ausdrückt, wie Döring ausführt. Insgesamt ist die Idee der »Befreiten Zonen« ein gutes Beispiel für ein Strategiekonzept, das Eingang in den extrem rechten Diskurs gefunden hat; ursprünglich von Akteuren der »Neuen Rechten« verfasst, wird es mittlerweile weit über diese Kreise hinaus als strategische Grundlage genutzt.
Molau als möglicher Urheber des Konzeptes
Wer die Autoren des Konzeptes sind, ist bis heute nicht geklärt. Doch Vermutungen, dass Andreas Molau zumindest Mit-Autor sein könnte, gibt es an verschiedenen Stellen. Molaus Autorenschaft wäre nicht nur ein weiterer Hinweis auf die enge Vernetzung von einer sich selbst als intellektuell verstehenden »Neuen Rechten« und der militanten Neonazi-Szene als Zusammenspiel in einem bewegungsähnlichen Konstrukt. Sie würde einmal mehr belegen, dass hier die Grenzen fließend sind. Molau gehörte Anfang der 1990er Jahre zum Nationaldemokratischen Hochschulbund (NHB), aus dessen Kreis das Konzept der »Befreiten Zonen« stammt. Der NHB dürfte Anfang der 1990er Jahre deutlich unter 50 Mitglieder gehabt haben, was den möglichen Personenkreis stark einschränkt. Molau beschrieb in einem Interview in der Deutschen Stimme 2009 die Phase seines Studiums in Göttingen (1988–1993): »Nach der Bundeswehr traf ich während meines Studiums im korporativen Bereich viele Gleichgesinnte, und wir hatten schöne Jahre im roten Göttingen, wo wir mit öffentlichen Veranstaltungen und Flugblattaktionen politisch arbeiteten. Mein Versuch, einen NHB-Stützpunkt zu gründen, war nicht sehr erfolgreich.[…]. Ich konzentrierte mich daher auf die publizistische Arbeit. In Göttingen machten wir eine kleine Studentenzeitung, und schließlich stieß ich zur JF1 , wo wir einen Kulturteil etablieren konnten. Begeistert von den Ideen einer Kulturrevolution von Rechts, wollten wir nationales Lebensgefühl suchen und befördern.«
Diese Aussage zeigt zum einen Molaus starkes Engagement im NHB und zum anderen beschreibt es eine Lebensphase, in der Molau die Gelegenheit hatte, funktionierende linke Strukturen zu beobachten, an welchen sich das Konzept der »Befreiten Zonen« orientiert. Außerdem verweist er bereits hier auf seine ideologischen Prägungen und auf das Ziel, »nationales Lebensgefühl [zu] suchen und [zu] befördern«.
Bei seiner Erklärung zur Kandidatur um den NPD-Parteivorsitz im Jahre 2009 wurde Molau betreffend seiner ideologischen Wurzeln noch deutlicher. Hier schrieb er: »Ich stehe für einen modernen europäischen Nationalismus im Sinne Henning Eichbergs und Alain des Benoists […]«. Im laufenden Wahlkampf um den Parteivorsitz der NPD veröffentlichte Molau ein weiteres Konzeptpapier, welches die »Ausbildung eines nationalen Milieus« forderte. Darin heißt es: »Angesichts sich auflösender Bindungen an Parteien und traditionelle Vereine sind politische Organisationsformen neben der NPD im nationalen Spektrum zu begrüßen. […] Freie Kräfte, darunter sind konservative Vortragskreise ebenso zu verstehen wie Kameradschaften und NPD müssen sich vernetzen, ihre Arbeit koordinieren. […] Die Erringung der politischen Macht muß von der Kommune an konsequent vorangetrieben werden. […] Es gibt keine Volksfront, aber wir können an einer »Graswurzelrevolution« arbeiten, um ein nationales Milieu zu schaffen.«
Die »Schaffung eines nationalen Milieus« ähnelt in seiner Zielsetzung deutlich dem »Befreiten Zonen«-Konzept. Darüber hinaus ist das Konzept der »Befreiten Zonen« maßgeblich auch durch die Strategien und den Sprachgebrauch von Mao Tse Tung geprägt, worauf Döring hinwies. Auch Molau knüpfte sprachlich immer wieder an Mao an. So sagte er im Interview mit der Deutschen Stimme 2009: »Wahre Revolutionäre bewegen sich im Volk wie Fische im Wasser. Deshalb ist es auch nicht ehrenrührig, wenn man daran erinnert, daß der Köder dem Fisch bzw. Wähler gefallen muß und nicht dem Angler.«.
Noch 2008 nahm Molau selbst in einer Rede beim Sommerfest der NPD-Nordrhein-Westfalen in Wattenscheid auf das Konzept Bezug: »Da heult der Herr Laschet vor kurzem rum, es gäbe auch hier in Nordrhein-Westfalen – vielleicht ist das ja dem ein oder anderen auch schon aufgefallen – sogenannte No-Go-Areas für Schwarze. ‚No-Go-Areas‘, also Gebiete, in die sich Schwarze, also Maximalpigmentierte – Neger darf man ja nicht mehr sagen – in die sie sich nicht mehr herein trauen würden. […] Ja, liebe Freunde, wir würden uns ja freuen, wenn es so wäre, wir wären ja froh, wenn es Räume in Nordrhein-Westfalen oder Deutschland geben würde, wo mal keine Schwarzen da wären. Das wäre doch tatsächlich mal etwas. […] Wir müssen den Leuten sagen: Wir wollen Deutschland zu einer ›National Befreiten Zone‹ machen.«
Dies sind eine ganze Reihe an Hinweisen, dass Molau zumindest Mit-Autor des ohne Autorenkennung veröffentlichten Konzeptes sein könnte. Er selbst hat sich dazu nie geäußert. Viel wichtiger aber; die Beschäftigung mit dem Papier zeigt den bewegungsförmigen Charakter der extremen Rechten in Deutschland. Es wird deutlich, dass es sich hier um ein Gebilde handelt, an welchem vom »neurechten Publizisten« bis zum Mitglied einer neonazistischen Kameradschaft, ein breites Spektrum an Personen beteiligt ist. Aber es zeigt auch, wie theoriearm die extreme Rechte ist. Außer einem Erneuerungsversuch der »Neuen Rechten«, in dem die Texte der sogenannten Konservativen Revolution »wiederentdeckt« wurden, entwickelte sich bis heute kaum wirklich Neues.
- 1Gemeint ist die rechte Wochenzeitung Junge Freiheit (JF).