Ideologische Grenzgänger
Ethnopluralismus wird bei Neonazis salonfähig
Haben wir uns im letzten Antifaschistischem Infoblatt (AIB) dem schleichenden Abschied der Neonazibewegung von einem nationalsozialistischen Kulturbegriff gewidmet, wollen wir in dieser Ausgabe ein ähnliches Phänomen untersuchen. So scheinen sich ausgerechnet in einer Zeit, in der sich die NPD wieder vermehrt Neonazis öffnet, Elemente der sogenannten Neuen Rechten in den Köpfen der Parteiideologen auf Zuspruch zu stoßen. Dieses wollen wir hier am Beispiel des Ethnopluralismus verdeutlichen.
Ungefähr 500 Leute sitzen gelangweilt an Bierzelttischen und starren in der Gegend herum. Nur von Bier ist weit und breit keine Spur. Einige Menschen stehen vor einer kleinen Bühne, die mit verschiedenen Flaggen bunt geschmückt ist. Die Szenerie hat etwas trostloses: Der Platz in der Jenaer Vorstadt ist mit tiefen Pfützen übersäht und für die anwesenden Neonazis viel zu groß. Ein paar Stände bieten rechte CDs und Bekleidung an, laden aber dennoch nur wenig Leute zum Verweilen ein. Lediglich am Würstchengrill bildet sich eine Schlange und es kommt gelegentlich so etwas wie gute Laune auf. Spätestens am benachbarten Getränkestand ebbt diese aber schlagartig wieder ab und der Wirt muss den erbosten Neonazis immer wieder aufs Neue erklären, dass kein Bier ausgeschenkt werden dürfe. Als die gerade spielende Rechtsrockband mit ihrem letzten Stück fertig ist und unter spärlichem Applaus die Bühne verlassen hat, tritt einer von mehreren Rednern dieses Tages an das Mikrofon. Wurden die Vorhergehenden bisher eher mit Desinteresse gestraft, kommt bei den Worten dieses Redners etwas Bewegung in die zuhörende Neonazimenge. Dieser Redner nämlich redet nicht von Deutschland und seinen alten Grenzen, auch nicht von Juden, die die Welt in ihren Händen halten, sondern er redet von Russland. Russland jedoch nicht als Ziel deutschen Großmachtstrebens oder gar als altes Feindbild, sondern Russland als seine Heimat. Der russische Nationalist spricht von den Russen als stolzes und starkes Volk, welches gleichberechtigt zu den Deutschen an einem Europa der Völker mitwirken müsste. Auf Seiten des Publikums regt sich hier bereits erster Unmut und einige drehen sich demonstrativ weg. Als er dann auch noch auf die Verbrechen zu sprechen kommt, welche die deutsche Wehrmacht seinem Volk zugefügt hätte, kommt die Stimmung endgültig auf ihrem Tiefpunkt an und vereinzelte Unmutsbekundungen werden laut. Diese Szenerie ist nicht etwa erfunden, sondern spielte sich so auf dem von der NPD und Freien Kameradschaften am 11. Juni organisierten Fest der Völker in Jena ab. Um dieses Geschehen einordnen zu können, bedarf es eines genaueren Blickes auf die aktuelle ideologische Ausrichtung der Partei. Dann ist schnell festzustellen, dass der russische Redner nicht etwa ein bedauerlicher Irrtum war, sondern mit den Inhalten seiner Rede auf einer Linie mit der aktuellen NPD-Führung liegt. Diese vertritt nämlich schon seit einigen Jahren nicht mehr einen rein biologisch begründeten Rassismus wie es die meisten Neonazis mit ihrem Glauben an die deutsche Herrenrasse tun. Vielmehr hat sich in der NPD in dieser Frage eine Strömung durchgesetzt, die Mitte der 60er Jahre paradoxerweise unter anderem als Abgrenzung zur NPD überhaupt erst entstanden ist. Gemeint ist hier die Strömung der selbsternannten »Neuen Rechten«. Sie entstand in Abgrenzung zur alten Rechten mit ihrem traditionellen NS-Bezug und versuchte sich statt in ideologischen Argumentationen eher in wissenschaftlichen Begründungen. Einer der maßgeblichen Väter dieser Bewegung war Henning Eichberg mit seiner Nationalrevolutionären Aufbauorganisation (NRAO). Trotz ihrer Abgrenzung hatte die »Neue Rechte« auf die NPD einen nicht zu verachtenden Einfluss. Vor allem während ihrer nationalrevolutionären Phase in den 80er und 90er Jahren liebäugelten die Jungen Nationaldemokraten (JN) stark mit den Ansichten dieser Bewegung. Über die damaligen JN-Kader, die um die Jahrtausendwende in der NPD zu Einfluss gekommen sind, fand auch der Ethnopluralismus Einzug in die offiziellen Betrachtungsweisen der NPD. Auffällig hierbei ist vor allem die Affinität dieser Kader zur Führungsriege der damaligen Nationalistischen Front (NF) und dem Herausgeberkreis um die JN-Zeitung Einheit und Kampf. Zentrale Figur dieser Umorientierung der NPD ist Steffen Hupka, der sowohl eine Führungsrolle in der NF inne hatte als auch zum Herausgeberkreis der Einheit und Kampf gehörte. So war es auch die Einheit und Kampf, in der Jan Zobel und Andre Goertz ihre Idee vom »progressiven Nationalismus« entwickelten, für die der ehemalige FAP Funktionär Goertz später aus der NPD ausgeschlossen wurde. Beim Ethnopluralismus handelt es sich um eine spezielle Form des Rassismus. So wird die Existenz von Völkern nicht mehr nur biologisch begründet, sondern vor allem durch kulturelle Identitäten. Menschen seien untrennbar mit der Region ihrer Geburt verbunden und erbten dadurch die Identität ihres Volkes. Den Begriff Rasse jedoch vermeiden Anhänger dieser Ideologie in ihrer Argumentation. Dieser Logik folgend liegen für die Anhänger dieser Theorie zumindest formell auch keine Wertunterschiede zwischen den einzelnen »Völkern« vor. Lediglich ein gewisser Euro-Zentrismus ist zu erkennen, der sich aber auch kulturell und nicht biologisch herleitet. Doch eine Vermischung der »Völker« wird wie bei den klassischen Rassisten abgelehnt: Sie führe letztlich zu einer Angleichung der Völker auf niedrigstem Niveau. So existieren für die Ethnopluralisten in Europa eine gewisse Anzahl an Völkern, die alle in ihren angestammten Lebensräumen gleichberechtigt leben sollen. Demzufolge spricht die NPD seit einigen Jahren von einem Europa der Völker oder Europa der Vaterländer und vernetzt sich zunehmend mit anderen europäischen Nationalisten. Mit dem Versuch der Etablierung einer »Dresdner Schule« bezieht sich die NPD deutlich auf das gedankengebäude der »Neuen Rechten«, was nicht verwundert, entstammen ihre Vordenke doch eben diesem Milieu. So schreibt Karl Richter von der extrem rechten Zeitschrift Nation & Europa und nunmehr Mitarbeiter der NPD in Sachsen gegen das »egalitär-behaviouristische Welt- und Menschenbild«: »Menschliche Identität gründet im wesentlichen auf der genetischen Mitgift. Die Dominanz genetischer Faktoren war in den sechziger und siebziger Jahren infolge fehlender wissenschaftlicher Nachweise noch heftig umstritten, wurde in den letzten Jahren im Zuge der Entzifferung des menschlichen Erbmaterials und rasanter Fortschritte auf dem Gebiet der Gentechnik jedoch weitestgehend bestätigt.« Dem folgend, fordert die NPD eine »Abstammungsgemeinschaft statt ‘multikultureller Gesellschaft’« und lehnt die Gleichwertigkeit aller Menschen ab.1 Dieser Abschied vom nationalsozialistischen biologisch begründeten Rassismus ist es auch, welcher der Basis anscheinend Kopfzerbrechen bereitet. Die meist zutiefst nicht- und antiintellektuelle Basis will anscheinend nicht nachvollziehen, warum sie nicht mehr an der deutschen Herrenmenschenideologie festhalten soll und stattdessen dem Angehörigen eines »slawischen Volkes« Beifall spenden und ihn als gleichberechtigten Kämpfer für dieselbe Sache akzeptieren sollte. Hier wird die NPD auch in Zukunft massive Erklärungsprobleme haben, während sie gleichzeitig mit ihrer ideologischen Umorientierung und der massenhaften Aufnahme von Neonazis fortfährt. Doch nicht nur der Ethnopluralismus als ein Element der »Neuen Rechten« scheint in der NPD eine unerwartete Heimat gefunden zu haben. In letzter Zeit halten auch andere Themen und Inhalte des ursprünglich nationalrevolutionären Spektrums vermehrt Einzug in das Aktionsrepertoire der NPD, wie beispielsweise die Art der Thematisierung von Globalisierung und Sozialer Frage. Wie die NPD den Spagat zwischen intellektualisierter Bedienung solcher Schwerpunkte auf der einen Seite und Einbindung oftmals dumpfer Neonazis auf der anderen schaffen wird, bleibt abzuwarten.
Mehr zum Thema
- 1NPD Sachsen: »Dresdner Schule«-Anspruch-Inhalte-Strukturen, 06.05.2005