„Ein echter Krieg gegen die Migranten“
„Ein echter Krieg gegen die Migranten“1
Die Entrüstung, die nach dem sogenannten ‚Türkei-Flüchtlingsdeal’ langsam in den Medien anrollte, als vom türkischen Präsidenten die ‚westlichen Werte’ als rhetorische Firnis vorgeführt wurden, ist mindestens naiv — wahrscheinlich aber heuchlerisch. Es ist zwar durchaus möglich, dass die ‚Entrüsteten’ tatsächlich aus dem tiefen Tal der Ahnungslosigkeit stammen und bisher nie, nirgends, nichts von der Außenpolitik der EU vernommen haben, wahrscheinlich ist es nicht. Selbstverständlich ist es begrüßenswert, dass sich überhaupt eine Entrüstung äußert — nur scheint diese nicht den Umstand zu betreffen, dass es sich beim türkischen Präsidenten um einen Despoten handelt, sondern eher um die Arroganz mit der dieser die EU vorführt. Das wird eventuell von einem us-amerikanischen Präsidenten oder der NSA hingenommen, aber doch nicht von einem Türken. Der Verdacht liegt nahe, dass ein Großteil der Aufregung von einem soliden rassistischen Reflex herrührt und der amoralische Deal lediglich den Anlass bot.
Wäre das Unterschreiten einer ‚flüchtlingspolitischen’ Schmutzgrenze tatsächlich der Grund, wäre zu dem am 28. November 2014 vereinbarten, nach der somalischen Hauptstadt ‚Khartoum process’ genannten Vereinbarung zwischen der EU und Ägypten, Äthiopien, Eritrea, Dschibuti, Kenia, Somalia, Sudan, Südsudan sowie Tunesien nicht nur Entrüstung, sondern ein Aufschrei durch die Medien gegangen. Es reichte nicht einmal zum berühmten Sturm im Wasserglas. Es blieb Pro Asyl überlassen, die Vereinbarung einen „Pakt mit Despoten“ zu nennen2 — der Rest war Schweigen.
Das erklärte Ziel dieser Vereinbarung ist unter anderem die ‚Stärkung der institutionellen und personellen Kapazitäten der eritreischen Regierung bei der Migrationskontrolle’3 . Wichtig ist zu wissen, dass Eritrea kein Transit- oder Zielland von Migrant*innen oder Geflüchteten ist, also keiner Unterstützung bei der Versorgung oder Unterbringung Geflüchteter bedarf. Das Gegenteil ist der Fall: Die Anerkennung des politischen Asyls eritreischer Geflüchteter in der BRD liegt seit Jahren bei über 90 Prozent, da Folter, Zwangsarbeit, willkürliche Verhaftungen, Mord und Totschlag Mittel der alltäglichen Unterdrückung der Bevölkerung sind. Auch in Sachen Pressefreiheit belegt Eritrea nach ‚Reporter ohne Grenzen’ souverän den Platz 180 von 180.4
Selbst Eritreer*innen, die es geschafft haben zu flüchten, werden durch Bedrohung ihrer Angehörigen zu einer ‚Exilsteuer’ erpresst. Der Sinn des Pakts liegt also nicht in der Hilfe bei der humanitären Versorgung von Geflüchteten, sondern ist die Unterstützung des Regimes bei der Misshandlung, Ausbeutung und Terrorisierung der Bevölkerung durch Verhinderung von deren Flucht. Dass im deutschen Bundestag5 zwar mahnende Worte gesprochen werden, in denen gefordert wird, die Stärkung dieses Regimes zu vermeiden, faktisch aber genau das Gegenteil getan wird6 , entspricht den außen- und entwicklungspolitischen Prinzipien der Bundesrepublik.
Eritrea ist hier nur ein Beispiel. Die Lage im Sudan oder Südsudan unterscheidet sich nicht wesentlich. Dort sind Völkermord und Kriegsverbrechen feste Bestandteile der ‚Politik’. Keines dieser Länder ist ein Ziel- oder Transitland von Geflüchteten, sondern die Bevölkerung versucht vor den mordenden Milizen und Armeen zu fliehen. Dies zu verhindern, ist die Zielsetzung des Pakts, ergo der EU und soll mittels der Einrichtung von „regionalen Trainingszentren zur Schleuserbekämpfung“ und der „Verbesserung des Grenzmanagements“ erreicht werden. Kurz zusammenfassen lässt sich der Pakt folgendermaßen: Die EU sorgt dafür, dass den Mörderbanden ihre Opfer nicht durch Flucht abhanden kommen. Eigentlich wäre der Straftatbestand Beihilfe gegeben, wenn „einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat“ Hilfe geleistet wurde.
Im Krieg gegen die Geflüchteten kämpft die EU auf allen Ebenen. Die Parole unter der dieser Krieg geführt wird, ist der ‚Kampf gegen die Schleuserkriminalität’. Nun sind die Zeitgenoss*innen, die zu den zu bekämpfenden Verursacher*innen der Fluchtbewegungen umdefiniert werden, also diejenigen, deren Geschäft das Überwinden von Wüsten, Meeren, Grenzen und Zäunen ist, in der Regel keine selbstlosen Idealisten, sondern sicherlich oft weniger sympathische Charakteren. Zu erwähnen wird bei diesem Thema jedoch stets vergessen, dass die Grundlage ihres Geschäftsmodells Kriege, Unterdrückung, Armut, Verfolgung usw. sind. Durch diese werden die Menschen dazu getrieben, ihre Länder zu verlassen. Und für viele, wenn nicht die meisten dieser Gründe sind die Staaten der EU direkt und ursächlich verantwortlich. Konsequenterweise müsste daher die EU nach den Forderungen ihrer Sonntagsreder*innen, die Fluchtursachen zu bekämpfen, die Wirtschafts- und Außenpolitik sowie die ‚Entwicklungspolitik’ der EU-Staaten bekämpfen, um der ‚Schleuserkriminalität’ die Existenzgrundlage zu entziehen.
Stattdessen werden wohl demnächst zur Verhinderung unerwünschter Migration neue ‚sichere Herkunftsstaaten’ definiert. Über dieses Thema ist es nicht einmal mehr möglich satirische Übertreibungen zu kreieren, seit auch Afghanistan dazu zählt. Hier überholt die Realpolitik der BRD mit Leichtigkeit jegliche Satire. Der Zynismus der dabei verwendeten Argumentation hat die bei Asylthemen offenbar nach unten offene Skala in bisher unerreichte Tiefen getrieben.
Aber was wäre menschenverachtende Politik ohne die Zuverlässigkeit der SPD. Sie hat sich mit Sigmar Gabriel auf Erpressung als Grenzpolitik festgelegt. Das dazugehörige euphemistische Schlagwort heißt „more for more“, das auch im November 2015 beim Beschluss des Treuhandfonds in Valletta für den „Khartoum process“ (1,8 Mrd € für 34 Staaten) propagiert wurde. Hinter diesem Ausdruck steht, dass ein ‚kooperationsbereiter’ Staat mehr Geld erhält. Unter Kooperation ist die Aufnahme abgeschobener Geflüchteter zu verstehen. Sigmar Gabriel sieht dies auch als Grundlage für die ‚Entwicklungshilfe’ der BRD für die Maghreb-Staaten, deren „unkooperatives Verhalten“ bei Abschiebungen ihm ein Dorn im Auge ist. Interessanterweise dürfte es absehbar sein, dass diese Renitenz bei Staaten Schule macht, die sich ohnehin nicht dauerhaft dem Druck der EU widersetzen können. Wenigstens könnten sie durch anfänglich unkooperatives Verhalten den Preis nach oben treiben. Allerdings ist es unwahrscheinlich, dass diese ‚Mehreinnahmen’ den Abgeschobenen oder den Armen dieser Länder zugute kommen.
Und hier schließt sich der Kreis zum Türkei-Deal. Auch Marokko wurde seinerzeit für die Rücknahme von Geflüchteten eine „Mobilitätspartnerschaft“ versprochen. Dieser ‚Deal’ verspricht Erleichterungen bei der Visa-Erteilung für die Einreise in die EU-Staaten. Zeitpunkt? Verhandlungssache. Da ist Erdogans Ankündigung, den Flüchtlingsdeal platzen zu lassen, sollte die EU und allen voran die BRD bei den Reiseerleichterungen für türkische Staatsbürger weiter auf Zeit spielen, nicht verwunderlich.
Zusammenfassend lässt sich sagen: Die Bundesregierung als treibende Kraft der EU-Grenzpolitik agiert vorwiegend in den Kategorien Erpressung, Nötigung und Despotenstabilisierung. Ein Interesse das tausendfache Sterben an den europäischen Grenzen zu beenden ist nicht vorhanden. Das einzige Interesse besteht darin, dem Sterben mehr geografischen Abstand zu organisieren. Dazu sind vor allem Diktatoren, Despoten, Militärregime und Staatsgebilde möglichst frei von Skrupeln oder menschenrechtlichen Relikten dienlich, die dankbar die Aufrüstung ihrer Repressions-, Folter- und Mordorgane durch die EU erhalten.
Dass die Bundesrepublik Deutschland dank ihrer rührigen und die rassistischen „Sorgen“ ihrer Bürger*innen ernstnehmenden Parteien dabei eine maßgebliche Rolle spielt, bedarf eigentlich keiner besonderen Erwähnung mehr — wären da nicht Parteien, wie DIE LINKE oder DIE GRÜNEN, in denen sich zum vorgeblichen antirassistischen und antifaschistischen Anspruch zunehmend Nationalistisches in die Rhetorik mischt. Und das auf breiter Front, wie eine braune Torte im Gesicht der populistischen Politikerin Wagenknecht zeigt. Denn dass eine Partei sich plötzlich geschlossen hinter eine Querfront-Wegbereiterin stellt, die sich noch nicht einmal zu banalen AfD-typischen Dementi-Methoden genötigt sieht, ihre grundrechtswidrige Gastrechtsauffassung und Obergrenzenforderung für Flüchtlinge als aus dem Zusammenhang gerissene paar Zeilen, auf der Maus abgerutschte Fehlklicks oder gar nicht so gemeinte Worte — nach rechtsaußen augenzwinkernd — zu relativieren, gehört in die Abteilung ‚Geschichte wiederholt sich als Farce’.7
- 1Tresor von „Voix des Migrants“, CISPM Berlin (dem Netzwerk in Deutschland der Internationalen Koalition der Sans-Papier MigrantInnen und Flüchtlinge) und des „Watch The Med – Alarmphone“ im Interview, CILIP 109
- 2www.cilip.de/category/archiv/cilip-109
- 3www.proasyl.de/news/pakt-mit-despoten-fluchtverhinderung-um-jeden-preis
- 4http://statewatch. org/news/2015/sep/eu-council-khartoum-plan-of-action-04-2015.pdf, S.6
- 5www.reporter-ohne-grenzen.de/eritrea
- 6Aktuelle Stunde am 10.06.2015
- 7„Hegel bemerkte irgendwo, daß alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen sich sozusagen zweimal ereignen. Er hat vergessen, hinzuzufügen: das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce.“ Nach: Karl Marx/Friedrich Engels — Werke, Band 8, „Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte“, S. 115, Dietz Verlag, Berlin/DDR 1972