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„Kulturkrieg“ in Polen

@kapturak
Einleitung

Ende Oktober 2020 fällt das von der nationalistisch-autoritären PiS-Regierung kontrollierte Verfassungsgericht in Warszawa ein Urteil, dass einem fast vollständigen Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen gleichkommt. Die Folge sind andauernde Proteste mit Großdemonstrationen, Blockaden und Störaktionen in ganz Polen. Ohne die Bedeutung und Komplexität der feministischen Bewegung schmälern zu wollen, soll im Folgenden die Situation der politischen Rechten im Fokus stehen.

Foto: Andrea Andrea; CC BY-NC-SA 2.0; flickr.com

Feministischer Protest in Polen.

Einen ersten Versuch das Recht auf Abtreibung in Polen zu verschärfen gab es bereits 2016. Nach landesweiten Massenprotesten, den sogenannten „Schwarzen Protesten“, nahm die PiS-Regierung jedoch Abstand von dem heiklen Thema. Warum nun doch das unpopuläre Verbot? Entscheidend sind dabei mehrere Faktoren: die Partnerschaft mit der Kirche als machtpolitische Grundlage, ein wachsender fundamentalistisch rechtskatholischer Einfluss sowie die extrem rechte Parteienkonkurrenz.

Kirche, Fundis und extreme Rechte

Seit Jahren durchläuft die polnische Gesellschaft einen tiefgreifenden Säkularisierungsprozess. Eine Mehrheit der Bevölkerung lehnt inzwischen nicht nur das Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen ab, sondern ist für eine generelle Liberalisierung des Abtreibungsrechts. Gleichzeitig bilden PiS und die katholische Kirche einen Abwehrpakt der Reaktion. Die Partei geriert sich als Schutzmacht des Katholizismus in Polen und kann im Gegenzug mit Wahlkampfmobilisierung unter den gläubigen Massen rechnen. So wird etwa regelmäßig die große Nähe zu "Radio Maryja"-Gründer Pater Tadeusz Rydzyk symbolträchtig zelebriert und es fließen große Mengen öffentlicher Gelder an das einflussreiche rechts-katholische Medienimperium.

Einfluss auf die Partei "Prawo i Sprawiedliwość" (PiS) und die polnische Politik im Allgemeinen üben seit geraumer Zeit zudem international vernetzte christliche Fundamentalist_innen aus. Zentral ist dabei die Ordo Iuris-Stiftung, die mittelbar mit der global tätigen, brasilianischen Organisation „Tradition, Family and Property“ (TFP) verbunden und damit Teil einer länderübergreifenden „Lebensschutz“-Bewegung ist. Im Mai 2020 wurde "Ordo Iuris"-Gründer Aleksander Stępkowski zum Vorsitzenden des Obersten Gerichtshofs in Polen ernannt. Auf "Ordo Iuris" geht zum Teil auch die Konzeption sogenannter „LGBT-Ideologiefreier“ Zonen in diversen Gemeinden und Region Polens zurück. Ebenfalls enge Verbindungen zu "Ordo Iuris" unterhält die extrem rechte Parteiformation Konfederacja, die 2019 ins Parlament eingezogen ist und sich seither bemüht, PiS mit Maximalforderungen von rechts unter Druck zu setzen. Wichtiger Ansatzpunkt ist dabei stets das Thema Schwangerschaftsabbruch.

Für "Prawo i Sprawiedliwość" (PiS) gab es somit genügend Gründe, die rechtskatholischen Forderungen sowie die Erwartungen der Stammwählerschaft zu erfüllen und der extremen Rechten den Wind aus den Segeln zu nehmen. Der Zeitpunkt mitten in der Corona-Pandemie und ohne Wahlen in der näheren Zukunft mochte günstig erscheinen. Der Weg über die Hintertür eines Gerichtsverfahrens entzog das Verbot einer vorangehenden öffentlichen Debatte.

Kulturkrieg

Der Versuch die katholische Hegemonie zu sichern, die gesellschaftliche Säkularisierung und Liberalisierung zurückzudrängen sowie eine nationalistisch-autoritäre Ordnung zu etablieren, wird von der polnischen Rechten generell als „Kulturkrieg“ geframet. Dementsprechend folgte zuletzt auch die monatelange LGBT-feindliche Hetzkampagne von Regierung, Medien und Kirche einem äußerlich defensiven Postulat. Behauptet wird ein vermeintlicher Abwehrkampf gegen einen vom Westen herrührenden antichristlichen Moralverfall; häufig verbunden mit dem antisemitisch-antikommunistischen Verschwörungsnarrativ des „Kulturmarxismus“.

Als sich nun der aktuelle feministische Protest direkt gegen Kirchen und katholischen Klerus richtete, erklärte man im rechten Lager schnell den Moment einer konkrete Materialisierung jenes imaginierten Kampfes für gekommen. So wandte sich etwa der Vorsitzende der PiS-Partei Jarosław Kaczyński mit einer Videobotschaft an seine Anhänger*innen: „Wir müssen die polnischen Kirchen um jeden Preis schützen. Ich rufe alle dazu auf, an der Verteidigung der Kirche teilzunehmen. [...] Das ist ein Angriff der Polen vernichten soll. [...] Der Angriff soll zu einem Triumph jener Kräfte führen, deren Herrschaft im Grunde die Geschichte der polnischen Nation, wie wir sie bislang kennen, beenden wird.

Der Organisator des in Warschau jährlich stattfindenden extrem rechten „Unabhängigkeitsmarschs“ Robert Bąkiewicz rief zum Schutz der Kirchen gar eine sogenannte „Nationalwehr“ ins Leben und erklärte: „Wir befinden uns mitten in einer linken, neo-bolschewistischen Revolution, wie man sie aus den Ländern des Westen und aus Südamerika kennt. [...] Diese Menschen wollen uns zerstören und zermalmen. [...] Wenn nötig, werden wir sie zu Asche zermalmen und diese Revolution zerstören.“ Eine ähnliche Initiative ging von der extrem rechten Organisation „Allpolnische Jugend“ (Młodzież Wszechpolska) aus, die unter der Losung „Selbstverteidigung der Gläubigen“ vor den Kirchenportalen mit Zustimmung der Pfarrhäuser Wehrbereitschaft inszenierte.

Zudem organisierte die Hooliganszene landesweit Wachkommandos an den örtlichen Gotteshäusern.

Hooligans für Tradition und gegen PiS

Beim passiven Gebäudeschutz blieb es keineswegs. Mit einer Serie von gewalttätigen, bewaffneten Angriffen auf die feministischen Demonstrationen setzten rechte Hooligans in verschiedenen Städten in Polen die Kampfrhetorik in Taten um. Auch der „Unabhängigkeitsmarsch“ am 11. November 2020 – seit 2010 einer der größten extrem rechten Aufmärsche Europas – stand ganz unter dem kultur-kriegerischen Vorzeichen. „Unsere Zivilisation, unsere Grundsätze“ lautete das offizielle Motto in diesem Jahr. Auf dem Marsch kam es nicht nur zu heftigen Auseinandersetzung mit der Polizei. Mit Feuerwerkskörpern wurde auch eine Wohnung in Brand gesetzt. Auslöser des Angriffs waren eine Regenbogenflagge sowie das Symbol des feministischen Protests gegen das Abtreibungsverbot.

In den von PiS kontrollierten staatlichen Medien wurden die Ausschreitungen auf dem Marsch, der Logik des postulierten Abwehrkampfes gemäß, als Reaktion auf die feministischen Proteste dargestellt.

Trotz der vermeintlich einheitlichen Schlagrichtung treten gegenwärtig auch immer wieder die inneren Gegensätze der polnischen Rechten hervor. Harsche Angriffe gegen PiS erfolgten angesichts eines angeblich überzogenen Polizeieinsatzes auf dem „Unabhängigkeitsmarsch“, wohingegen die Regierung den feministische Protest gewähren lasse. Unzweideutig sind auch die vielfach gegen die Regierungspartei gerichteten Parolen auf dem Marsch aus der Masse der Hooligans, die den großen, gewaltbereiten Kern der Demonstration bilden.

Doch gerade im Kontext der Proteste gegen das Abtreibungsverbot sorgte die Positionierung der Hooliganszene für Irritationen. Die organisierten Anhänger_innen verschiedener Klubs veröffentlichten ähnlich lautende Erklärungen, in denen Solidarität mit dem Kampf „der Frauen“ bekundet, zugleich aber die Angriffe auf Kirchen verurteilt und zum Traditionsschutz aufgerufen wurde. PiS erklärte man genauso den Kampf wie Linken oder Anarchist_innen.

Diese diffuse Mischung aus inszenierter Männlichkeit, vermeintlich apolitischem Autonomieanspruch und Anti-Parteienhaltung sollte keineswegs dazu verleiten, bei den Hooligans eine Partnerschaft für emanzipatorische Kämpfe zu sehen. Die polnische Hooliganszene ist generell nationalistisch geprägt, pflegt ein enges Verhältnis zur katholischen Kirche und ist in lokalen Variationen vielfach direkt mit extrem rechten Strukturen verbunden. Der klubübergreifend organisierte brutale Angriff auf die LGBT-Pride in Białystok 2019 ist nur ein besonders gravierendes Beispiel für die in der Szene dominierende Gesinnung.

Die aufgestachelte Hooliganszene, die Attacken der extrem rechten Konfederacja und der Druck von Klerus und Fundamentalist_innen bieten auch zukünftig Konfliktpotential. Die Fortsetzung des selbsternannten „Kulturkriegs“ bleibt für PiS ein Balanceakt am rechten Rand, während die Regierung zugleich mit dem dauerhaften Protest einer zunehmend kirchenkritischen Bevölkerung und einer wachsenden feministischen Bewegung rechnen muss.