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1.000 Kreuze für das Leben?

Autonome Neuköllner Antifa (ANA) – Teil des Berliner Bündnisses »1000 Kreuze in die Spree«
Einleitung

Christlich-fundamentalistische Organisationen führen regelmäßig in mehreren deutschen Städten so genannte »Märsche für das Leben« durch (vgl. AIB Nr. 85). Nach eigener Aussage wollen sie so den »Opfern« von Schwangerschaftsabbrüchen in der BRD gedenken. Ihre antifeministischen Inhalte erweisen sich dabei immer wieder als anschlussfähig an völkisches und anderes regressives Gedankengut.

Christlich-fundamentalistische Organisationen führen regelmäßig in mehreren deutschen Städten so genannte »Märsche für das Leben« durch (vgl. AIB 85: »Lebensschützer«). Nach eigener Aussage wollen sie so den »Opfern« von Schwangerschaftsabbrüchen in der BRD gedenken. Ihre antifeministischen Inhalte erweisen sich dabei immer wieder als anschlussfähig an völkisches und anderes regressives Gedankengut.

Die 2007 gegründete Organisation »EuroProLife« veranstaltete im Jahr 2010 bereits  »1000 Kreuze Prozessionen« in Münster, Fulda und Salzburg und kündigt auf ihrer Homepage noch weitere Aufmärsche in München und Berlin an. Der Münchener Dachverband europäischer »Lebensschutzgruppen« gibt an, mit den Märschen die »Kultur des Todes« überwinden zu wollen. Dieses Vorhaben, das Schwangerschaftsabbrüche als unmenschlich und unmoralisch stigmatisiert, wird demografisch begründet. Deutschland werde nur eine Zukunft haben, wenn es gelänge, eine »Kultur des Lebens« aufzubauen. Unter dem Vorwand einer vermeintlichen »Verwundung« der Mütter in Folge eines Schwangerschaftsabbruches, sollen diese ganz im Sinne der »christlichen Werte« wieder ihrer vermeintlichen Bestimmung zugeführt werden, dem Gebären und Aufziehen von Kindern. Für die »Lebensschützer« steht fest: Bei Schwangerschaftsabbrüchen handelt es sich unabhängig von der Situation der Mutter und den Umständen der Zeugung, zweifelsfrei um »Mord«. Die Inszenierung ihrer Aufmärsche ist stets dieselbe, schwarz gekleidete Teilnehmer_innen ziehen mit 1000 weißen Holzkreuzen schweigend durch die Straßen.

Der Berliner »Bundesverband Lebensrecht« wirbt auf dem offiziellen Einladungsplakat für den am 18. September 2010 in Berlin geplanten »1000 Kreuze-Marsch« u.a. mit dem Slogan »[…] für ein Europa ohne Abtreibung und Euthanasie«. Eine bewusste Verwendung der Bezeichnung für den nationalsozialistischen Mord an Menschen mit Behinderung im Zusammenhang mit Schwangerschaftsabbrüchen dürfte kein Zufall sein. Auch sonst hat die Organisation im Umgang mit rechtskonservativen Akteur_innen offenbar kaum Berührungsängste. Der Bundesvorsitzende des Verbandes, Martin Lohmann, gehört zu den Erstunterzeichnern des »Manifestes gegen den Linkstrend«.

Es handelt sich dabei um eine Petition, initiiert aus dem Graubereich zwischen rechtem CDU-Flügel und der »Neuen Rechten.« In ihr wird, neben der Forderung nach einem »konsequenten Lebensschutz«, unter anderem auch gegen »Geschlechterumerziehung« und die »Gefahr der Islamisierung« gewettert. Zu den weiteren Erstunterzeichnern gehören Professor Dr. Klaus Hornung, ehemaliger Präsident des rechtskonservativen Studienzentrums Weikersheim und Kolumnist der rechten Wochenzeitung »Junge Freiheit« sowie der Politiker Rene Stadtkewitz, dem wegen seinem Engagement für die rechtspopulistische Bürgerbewegung Pax Europa nach dem Partei- auch der Ausschluss aus der CDU-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus droht.  Unterzeichnerin ist auch die Vorsitzende der Stiftung »Ja zum Leben«, die Unterstützerin des Berliner »1000 Kreuze Aufmarsches« ist. Wenig überraschend also, dass an den Märschen, wie 2008 in München, auch waschechte Neonazis unbehelligt teilnehmen konnten.1

Jene Zustände zum Gegenstand einer radikalen feministischen Kritik zu machen, haben sich zwei Bündnisse in Berlin und Münster zur Aufgabe gemacht. Sie prangern Heterosexismus, Rassismus, Holocaustrelativierung und Zwangskollektivierung in der Ideologie der »Lebensschützer« wie der Gesellschaft allgemein an und fordern ein uneingeschränktes Selbstbestimmungsrecht, insbesondere von Frauen über ihren Körper ohne jegliche Bevormundung. Daneben fordern sie die Streichung der Schwangerschaftsabbrüche nach wie vor kriminalisierenden Paragrafen 218 und 219 aus dem Strafgesetzbuch.2

Sie setzen sich darüber hinaus für eine Gesellschaft ein, in der Frauen bei einem Schwangerschaftsabbruch weder gesundheitliche, rechtliche noch ökonomische Nachteile in Kauf nehmen müssen oder moralisch stigmatisiert werden, noch sich etwa bei einer wahrscheinlichen Behinderung des geborenen Kindes, einer moralischen »Verpflichtung« zu einem Schwangerschaftsabbruch ausgesetzt sehen. Sie stehen ein für eine Gesellschaft, in der eine Behinderung weder ein Problem noch ein Defizit darstellt und alle Individuen ihre sexuellen und reproduktiven Rechte, unter Einhaltung der Freiheiten Anderer, verwirklichen können.3 Die in den Bündnissen vertretenen Gruppen tragen ihre Kritik auch praktisch auf die Straße und organisieren Proteste gegen die alljährlichen reaktionären Aufmärsche.

Im vergangenen Jahr wurden in Berlin bereits im Vorfeld des Umzugs Infoveranstaltungen und Flugblattaktionen durchgeführt. Am Tag selbst störten mehr als 500 Menschen die Auftaktkundgebung der »Lebensschützer« durch das Schwenken von Dildos und Regenbogenfahnen vor der Bühne, das Betätigen von diversen akustischen Scherzartikeln und lautstarkes Skandieren von feministischen und antisexistischen Parolen. Der Marsch wurde nach dem Start von einem bunten Wanderkessel aus Gegendemonstrant_innen umgeben, die mit entsprechenden Gesängen und Transparenten ihre Ablehnung des reaktionären Aufmarsches zum Ausdruck brachten und die Teilnehmer_innen zudem großzügig mit Konfetti und Kondomen bedachten. An einer Brücke über die Spree gelang es, den Marsch zeitweise zu blockieren. Nachdem die Blockierer_innen von der Polizei abgedrängt worden waren und der Marsch sich wieder in Bewegung setzte, nutzte etwa ein Dutzend der Mitlaufenden die Gelegenheit, sich aus dem »Trauermarsch« zu lösen und sich ihrer Kreuze symbolisch in der Spree zu entledigen.

Auch in Münster konnten die Fundamentalist_innen ihren »Schweigemarsch« 2009 nicht mehr ungestört durchführen. Nachdem Aktivist_innen bereits den Auftaktgottesdienst erfolgreich mit Flyern, Kondomen und Konfetti gestört hatten, konnte der »1000 Kreuze Marsch« direkt am Auftaktort für etwa zwei Stunden blockiert werden. Schließlich drängte die Polizei die ca. 120 Blockierer_innen ab, kesselte diese ein und nahm ihre Personalien auf. Trotz des repressiven Einschreitens der Polizei, wurde der Marsch auch im weiteren Verlauf von Gegendemonstrant_innen begleitet, denen es beispielsweise gelang, sich mit einem eigenen Transparent an die Spitze des Zuges zu setzen. Trotz der massiven Kriminalisierung der Proteste, so wurden zahlreiche Aktivist_innen im Nachgang mit Strafbefehlen und Prozessen überzogen, organisierte das Münsteraner Bündnis auch im März dieses Jahres wieder Proteste, an denen etwa 200 Demonstrant_innen teilnahmen. Das Berliner Bündnis »1000 Kreuze in die Spree« hat bereits angekündigt, auch am 18. September 2010 den christlichen Fundamentalist_innen und ihren antifeministischen und antiemanzipatorischen Inhalten nicht die Straße zu überlassen. Geplant sind zwei Protest-Kundgebungen am Anfangs- und am Endpunkt des fundamentalistischen Marsches.

Weitere Informationen:
Berlin: no218nofundis.wordpress.com
Münster: gegen1000Kreuze.blogsport.de