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30 Jahre Antifa in Ostdeutschland

Vorbereitungskreises (Gastbeitrag)
Einleitung

In den letzten Jahren wurde die Antifa als linksradikale Bewegung von Akteur_innen aus den 1980er und 1990er Jahren historisiert. Die meisten Veröffentlichungen blicken dabei jedoch vornehmlich aus einer westdeutschen Perspektive auf Bewegung und Szene und nehmen dementsprechend auch vorwiegend deren westdeutsche Teile zur Kenntnis. Dies irritiert vor allem mit Blick auf die 1990er Jahre als Hochphase der autonomen Antifa, die ohne eine Beschäftigung mit den Umbrüchen und Kämpfen nach 1989 eigentlich nicht zu verstehen ist.

Foto: telegraph Archiv

Um die notwendigen Ergänzungen vorzunehmen und die Geschichte der ostdeutschen Antifa zurück in die politischen Debatten zu bringen, erschien im Mai 2017 im Verlag Westfälisches Dampfboot unter dem programmatischen Titel „30 Jahre Antifa in Ostdeutschland — Perspektiven auf eine eigenständige Bewegung“ ein Sammelband, in dem Wissenschaftler_innen und Aktivist_innen verschiedene Aspekte der Entwicklung der ostdeutschen Antifaszene seit 1987 untersuchten (siehe: „Antifa zu sein war kein Hobby sondern Lebensrealität“, AIB Nr. 114).

Auf das Erscheinen des Buches folgte der übliche Veranstaltungs- und Lesemarathon durch linke Buchläden, AJZs und Kneipen. Dabei fiel schnell auf, dass die Herausgeber_innen und Autor_innen offensichtlich einen Nerv getroffen hatten. Häufig waren die Veranstaltungen zum Buch auffällig gut besucht, es gab interessierte Nachfragen und spannende Diskussionen. Aufgrund dieser Resonanz entstand die Idee, eine Tagung zu veranstalten, um die an die Texte im Buch anknüpfenden Fragen weiterzudiskutieren. Der Ort hierfür stand von Anfang an fest: Potsdam, wo sich 1987 die erste ostdeutsche Antifagruppe gegründet hatte. Tatsächlich gelang es innerhalb eines Vierteljahres die Veranstaltung zu organisieren. Dies war möglich Dank der finanziellen Unterstützung durch die Rosa-Luxemburg-Stiftung und das Berliner Netzwerk Selbsthilfe, vor allem aber weil das Potsdamer Kulturzentrum Freiland solidarisch und bereitwillig Infrastruktur und organisatorisches Know How zur Verfügung stellte.

Trotz der knappen Vorlaufzeit fanden sich so am 1. Dezemberwochenende 2017 über zweihundert Menschen in Potsdam ein. Eröffnet wurde die Tagung durch eine Podiumsdiskussion, die noch einmal die politischen und gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen sich Ende der 1980er Jahre in der DDR erste Antifagruppen gründeten, umriss. Die Filmwissenschaftlerin Angelika Nguyen, der Politologe David Begrich, die Historikerin Annette Leo und der freie Autor Dietmar Wolf, alle vier Zeitzeug_innen des Umbruches in Ostdeutschland, erinnerten aus unterschiedlichen Perspektiven an Rassismus und Nationalismus in der DDR. Sie beschrieben wie sich diese in der Endphase der DDR zuspitzten und warum Menschen begannen, sich unabhängig von den Institutionen des dem eigenen Selbstverständnis nach antifaschistischen Staates DDR dagegen zu organisieren.

Höhepunkt des Abends war ein Film, den die Aktivist_innen der Potsdamer Antifagruppe 1987 gedreht hatten. Der Stummfilm, der das politische und soziale Agieren der Gruppen zugespitzt darstellte, war ein besonderes Zeitdokument, kündete das in der offenen, heutigen Antifas kaum vorstellbaren Darstellungsweise zum Ausdruck kommende Selbstbewusstsein doch auch vom politischen Aufbruch, der sich in linken oppositionellen Kreisen in der DDR zu dieser Zeit ereignete.

Schon am Eröffnungsabend zeichnete sich ab, was für die ganze Veranstaltung prägend sein sollte: Es waren tatsächlich viele Leute aus unterschiedlichen Generationen und Strömungen der ostdeutschen Antifa da, vor allem aus Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen. Und tatsächlich kam es zwischen Menschen verschiedenen Alters zu einem echten Austausch unterschiedlicher Erfahrungen, der das sonst oft übliche Dozieren der „Alten“ weit hinter sich ließ. Im Mittelpunkt der Diskussionen am nächsten Tag stand die Zeit nach Wende und Wiedervereinigung. In Workshops wurde über die Bedeutung der ostdeutschen Neubauviertel für die Entwicklung der Neonaziszene, die Zusammenhänge zwischen Subkultur, Politisierung und Freiräumen, antifaschistische Praxen in Fanszenen, Kontinuitäten und Brüche des Aktivismus, Antifa und feministische Kämpfe, Ost-West-Konflikte in der Antifa, antifaschistische Kampagnenpolitik, Erinnern und Gedenken als politische Praxis und Strategien antifaschistischer Interventionen diskutiert. Herausragend war der Workshop zum Thema Militanz und Repression, in dem Betroffene staatlicher Repression sich sehr offen und ehrlich über ihre Erfahrungen und die Verletzungen, die Gerichtsverfahren und Knast hinterlassen, austauschten.

Die von den Herausgeber_innen des Buches aufgeworfene These, dass es sich bei der ostdeutschen Antifa um eine eigenständige Bewegung handele, wurde zumindest für die Vergangenheit nicht in Frage gestellt. Während über die Konflikthaftigkeit des Aufeinandertreffens von ost- und westdeutschen Antifas in den 1990er Jahren weitgehend Einigkeit bestand und einige der Konflikte auch noch einmal nachgezeichnet werden konnten, blieb die Frage, ob sich die radikale Linke in Ost und West heute noch strukturell unterscheidet umstritten. Leider gelang es nicht, dies anhand einer vertieften Beschäftigung mit aktuellen Konflikten um unterschiedliche historische Erfahrungen und aktuelle Handlungsbedingungen in der radikalen Linken, wie z.B. in der „Siegerjustiz-Debatte“ in der „Roten Hilfe“, zu klären.

Generell war die Tagung von einem Klima des offenen und freundlichen Umgangs miteinander geprägt. Nach den Konflikten der frühen 2000er Jahre war das Bemühen deutlich erkennbar, konstruktiv miteinander umzugehen und politische Divergenzen nicht zu eskalieren. Unter diesen Bedingungen wurde die Tagung für viele zum großen Wiedersehen in angenehmer Atmosphäre. Gleichzeitig führte dies jedoch auch dazu, dass kaum theoretische Auseinandersetzungen geführt wurden und Widersprüche oft unausgetragen stehen gelassen wurden.

Eine große Leerstelle blieb während der Tagung das Thema Antifasommer / Aufstand der Anständigen. Die gravierenden Auswirkungen, die die seit Ende der 1990er Jahre stattfindende Einbindung antifaschistischer Gruppen und Aktivist_innen in staatliche und sogenannte zivilgesellschaftliche Strukturen hatte, waren zwar in vielen Diskussionen und Gesprächen im Hintergrund präsent. Eine umfassende Analyse dieser Entwicklungen und eine kritische Diskussion, was dies für die aktuellen Entwicklungen bedeutet, fand jedoch nicht statt.

Von einer Vielzahl von Teilnehmer_innen wurde an die Organisator_innen im Anschluss der Wunsch nach einer Fortsetzung der Tagung und einem weiteren Treffen zur aktuellen Situation herangetragen. In diesem Wunsch kam, wie auch in der hohen Teilnehmer_innenzahl, ein neues Bedürfnis nach vertieftem Austausch und Selbstverständigung unter antifaschistischen Aktiven zum Ausdruck. Dieses ist Resultat des massiven gesellschaftlichen Rechtsruckes der letzten drei Jahre, wie auch des in Reaktion darauf erfolgenden Repolitisierungs- und Reorganisierungsprozesses in der linken Szene. Gleichzeitig wird in der Artikulation dieses Bedürfnisses im Zusammenhang mit der Potsdamer Tagung aber auch offenbar, dass es aktuell an überregionalen organisationsunabhängigen Plattformen des Austausches und der Vernetzung fehlt, auf die eine handlungsfähige autonome Antifa aber dringend angewiesen ist. Diesen Mangel werden die Organisator_innen der Potsdamer Tagung nicht beheben können und sehen es auch nicht als ihre originäre Aufgabe an.

Festzustellen bleibt aber, dass die Auseinandersetzung mit der Geschichte antifaschistischen Engagements in Ostdeutschland in den letzten 30 Jahren offensichtlich gerade aktuell Impulse geben kann für die Diskussion darum, wie die in den letzten Jahren neu entstandenen rechten Bewegungen, Organisationen und die sie tragenden gesellschaftlichen Entwicklungen zu verstehen und zu bekämpfen sind. Es bleibt somit zu hoffen, dass die Diskussionen, die in Potsdam oft nur angefangen werden konnten, weitergeführt werden. 

Auf der Seite www.afa-ost.de wird eine umfangreiche Dokumentation der Tagung veröffentlicht.