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30 Jahre nach dem Mord an Samuel Yeboah in Saarlouis

Vasilija Schaad
Einleitung

Am 19. September 1991 starb Samuel Kofi Yeboah durch einen rassistischen Brandanschlag auf eine Flüchtlingsunterkunft im saarländischen Saarlouis. Zwei weitere Menschen wurden schwer verletzt. Nachdem die Saarbrücker Staatsanwaltschaft die Ermittlungen nach nur einem Jahr ergebnislos eingestellt hatte, gibt es jetzt, fast 30 Jahre später, einen Verdächtigten: den heute 49-jährigen Peter Werner Schlappal, eine der damaligen Führungsfiguren der örtlichen Neonaziszene.

Der Neonazi Peter Werner Schlappal (2.v.l.) war Ordner bei dieser Neonazi-Demonstration.

Der damals 27-jährige Samuel Yeboah war eines der ersten Opfer rassistischer Gewalt in Westdeutschland nach der Wiedervereinigung. Dass Saarlouis dennoch nicht in einem Atemzug mit Städten wie Rostock-Lichtenhagen, Hoyerswerda, Mölln oder Solingen genannt wird, liegt daran, dass es der Lokalpolitik gelungen ist, die Existenz einer Neonazi-Szene sowie den rassistischen Hintergrund der Tat über Jahrzehnte zu verleugnen. Sogar als die Ermittlungen 2020 wegen „gravierender Anhaltspunkte für einen rechtsextremistischen und fremdenfeindlichen Hintergrund des Anschlags“ an die Generalbundesanwaltschaft abgegeben wurden, verfiel der aktuelle SPD-Oberbürgermeister Peter Demmer in die altbekannten Abwehrreflexe. Anders als in anderen Städten habe es nie eindeutige Beweise dafür gegeben, dass der oder die Täter aus rassistischen Motiven gehandelt hätten, ließ der ehemalige Polizeibeamte in einer Presseerklärung verlauten.

Aus öffentlichen Mitteln finanzierter Aufbau von Neonazi-Strukturen

In den 1990er Jahren gab es im Saarland eine gravierende Zahl extrem rechter Gewalttaten, Brand- und Bombenanschläge bis hin zum rassistischen Mord. Aufklärungsquote: nahezu null Prozent. Insbesondere Saarlouis war de facto über ein ganzes Jahrzehnt hinweg eine Hochburg der militanten Neonazi-Szene. Die Politik hatte diese durch Projekte „akzeptierender Sozialarbeit“ aktiv aufgepäppelt. (Vgl. AIB Nr. 44: „Umgang mit akzeptierender Sozialarbeit vor Ort") Räume und Infrastruktur wurden zur Verfügung gestellt.

Diese Ausgangslage nutzte die rechte Szene, um Nachwuchs zu rekrutieren und sich zahlenmäßig zu verdreifachen. Man propagierte den offenen Terror gegen als „nichtdeutsch“ Gelesene und politische Gegnerlnnen. Insbesondere die von Peter Strumpler angeführte „Kameradschaft Horst Wessel-Saarlautern“, die in der Neonazi-­Szene Südwestdeutschlands eine nicht unbedeutende Rolle spielte, suchte ihren Hegemonieanspruch in Form „national befreiter Zonen“ zu zementieren.

Ungeachtet dessen stand für die Stadt fest, wer das eigentliche Problem sei: Polizei und der grüne Vorstand des Jugend- und Kommunikationszentrums „KOMM“ warfen der Antifa mangelnde Gesprächsbereitschaft vor und drängten mehrfach darauf, sie solle mit den Neonazis und den Ordnungsbehörden in Kontakt treten. Besonders brisant: In den entsprechenden Briefen wird auch darauf verwiesen, dass sich die rechte Szene gegen solche Kontakte nicht sperre, ein vertrauensvolles Verhältnis zur Polizei pflege und mit dieser Absprachen träfe.

Extrem rechte Terrornetzwerke

Die zentralen Führungspersonen aus Saarlouis – zu denen auch Peter Schlappal, der sich inzwischen Peter Schröder nennt zu zählen ist – waren zu Beginn der 1990er Jahre bundesweit gut vernetzt und politisch geschult. Zielstrebig bauten sie politische Strukturen auf: Es gab eine starke Szene aus Aktiven und Sympathisanten der Neonazi-Partei FAP. Demos im Saarland lockten überregionale Neonazikader an, darunter Falco Schüssler (Ex-FAP-Landesvorsitzender Bayern), der als „SS-Siggi“ bekannte Siegfried Borchhardt (Ex-FAP·Landesvorsitzender NRW), Rene Rodriguez-Teufer (Ex-JN-Kader aus Viernheim) oder Christian Hehl (Ludwigshafen).

Nicht einmal 14 Tage nach dem Mord an Samuel Yeboah fand im saarländischen St. Ingbert mit knapp 500 Besuchern eines der größten Open-Air-­RechtsRock-Konzerte im südwestdeutschen Raum statt. Auf der Bühne u.a.: Screwdriver. Deren Sänger gilt als Begründer des extrem rechten „Blood & Honour“-­Netzwerks, aus dessen Umfeld zahlreiche rechte Terrorgruppen hervorgingen. Der darauffolgende Auftritt der Band fand in Cottbus statt. Dort wurde aus der Konzert-Crew heraus ein Mann lebensgefährlich durch Messerstiche verletzt – er wurde für einen „linken Intellektuellen“ gehalten (Vgl. AIB Nr. 123).

Schlappal selbst ist mehrfach im Zusammenhang mit militantem Neonazismus aufgefallen: 1992 beteiligte er sich an einem Überfall auf einen Studenten in Saarbrücken. Bei einem der MittäterInnen fand sich Propagandamaterial des „Nationalen Einsatzkommando“ (NEK). Schlappal erhielt zwei Jahre auf Bewährung. 1996 nahm er an einem Treffen bei Bad Berleburg (NRW) teil, in dem es um die Vorbereitung des anstehenden „Rudolf Heß-Marsches“ ging – gemeinsam mit u.a. dem Saarländer Uli Diehl (vernetzt in den Kreisen der NF, FAP, später der JN und dem „Stahlhelm Bund Deutschland e.V.“) sowie dem damaligen Anführer der „Sauerländer Aktionsfront“ (SAF) Thomas Kubiak. Nach Kubiaks Unfalltod im Folgejahr fand sich Diehl zur Beerdigung ein. Unter den Trauergästen auch Mitglieder des „Thüringer Heimatschutz“, aus dem später der NSU hervorging.

Beim „Rudolf Heß-Marsch“ selbst wurden dann dutzende Neonazis in Gewahrsam genommen. Darunter  Schlappal und die späteren NSU-Mitglieder Beate Zschäpe und Uwe Mundlos. Das ist insofern brisant, da es nicht der einzige Link zwischen dem Saarland und dem NSU ist. Dessen mögliche Beteiligung am Anschlag auf die Saarbrücker Wehrmachtsausstellung im Jahr 1999 war bereits in der Vergangenheit Gegenstand – ergebnisloser – Ermittlungen. Auf den Adresslisten des NSU waren auch saarländische Ziele vermerkt – teilweise markiert.

Spekulationen über V-Leute

Neben der Mordkommission gibt es inzwischen gleich zwei interne Ermittlungsgruppen: sowohl die Polizei als auch der Verfassungsschutz sollen parallel zur Mordermittlung mögliche „Ungereimtheiten“ und „Verfehlungen“ aufarbeiten. Diese hektische Betriebsamkeit der Sicherheitsbehörden macht stutzig, zumal der Verdächtige in der Vergangenheit bereits mit den Behörden zusammengearbeitet haben soll: Im Zusammenhang mit dem oben genannten Aufmarsch in Worms soll Schlappal Aussagen gegen seine „Kameraden“ getätigt haben und von der Gruppe ausgestoßen worden sein.

BeobachterInnen erinnern sich: „Dass er die ‚übliche Abreibung‘ im Nachgang nicht bekam, ließ viele in der Szene stutzig werden. Es hieß, insbesondere Strumpler hätte dies nachdrücklich untersagt.“ Die Selbstinszenierung der Behörden als Aufklärer wirkt vor diesem Hintergrund wie vorauseilende Schadensbegrenzung, drängen sich Spekulationen über die Verstrickungen von V-Leuten doch förmlich auf. Dass Sicherheitsbehörden Quellen- oder Informantenschutz auch bei Mord über die Strafverfolgung stellen, ist spätestens seit dem NSU-Prozess deutlich geworden. Inwiefern stand also die Führungsstruktur der „Kameradschaft Saarlautern“ unter der Führung des saarländischen Verfassungsschutzes, wie hat die Beteiligung der Kameradschaft an der Anschlagsserie ausgesehen?

Nach 30 Jahren der Durchbruch?

Ein konkreter Verdacht – das liest sich zunächst wie ein Durchbruch. Für langjährige Beobachter des Falls ist es jedoch keine Überraschung, dass die Täter in der Neonaziszene zu suchen sind. Neben der Schlappals wurden auch Wohnungen von fünf angeblich „nicht verdächtigen“ Personen durchsucht. Schlappal wurde nicht festgenommen, sondern ist weiter auf freiem Fuß.

Hinzu kommt der noch immer fehlende Aufklärungswille im Land. Die CDU etwa ließ verlauten, man müsse jetzt nicht groß auf Fehlersuche gehen und tut nicht mal mehr so, als habe sie aus dem NSU-Komplex oder ‚wenigstens‘ der Ermordung von Walter Lübcke irgendetwas gelernt.

Die von der Bundesanwaltschaft eingesetzte Sonderkommission Welle soll neben dem Mord an Samuel Yeboah auch die zahlreichen versuchten Brand- und Bombenanschläge jener Zeit aufklären. Die sind jedoch inzwischen nicht nur teilweise verjährt, auch die Aufbewahrungsfrist vieler der betreffenden Akten läuft gegenwärtig ab. Die ersten davon, z.B. die Ermittlungsakten zum Bombenanschlag auf das Saarbrücker PDS-Büro im Jahr 1990, waren schon gar nicht mehr aufzufinden.

Es gilt dringend zu verhindern, dass bei den Sicherheitsbehörden weiter geschreddert wird. Als ein Vertreter der Linkspartei im Innenausschuss auf ebendiesen Umstand hinwies, drohte ihm der Verfassungsschutz mit einer Klage. Na, wenn das kein Aufklärungswille ist.

Weitere Informationen sowie die Broschüre „Kein schöner Land“ sind unter www.antifa-saar.org abrufbar.
Unter www.samuel-yeboah.de wurde ein virtueller Gedenkstein errichtet.
Am 19. September 2021 jährt sich der Mord zum 30 mal. Die Antifa Saar/Projekt AK plant für das entsprechende Wochenende eine Demonstration.