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AfD und Corona – Im Zweifel für die Bewegung

Robert Fietzke
Einleitung

Als das SARS-CoV-2-Virus im Januar 2020 auch Deutschland erreicht und sich daraufhin bedrohlich schnell verbreitet, stellt das nicht nur Regierende, Gesundheitsämter und Verwaltungen auf eine harte Probe, sondern auch die AfD. Die Partei befindet sich in einer regelrechten Schockstarre. Öffentliche Erklärungen sind entweder rar oder wirken in der Rückschau geradezu grotesk.

Foto: Paul Hanewacker

AfD-Anhänger_innen am 29. August 2020 bei einem „Querdenken“-Aufmarsch in Berlin.

In einer Pressemitteilung vom 12. März 2020 prangert Alice Weidel die Bundesregierung für ihr „Nichtstun“ an, die das „Leib und Leben der Menschen“ gefährde. Sie solle „endlich die entsprechenden Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung“ einleiten.

Wenige Tage später präsentieren Weidel und Parteichef Chrupalla einen „5-Punkte­Plan“, in dem sie einen „Schutzschirm für alle von der Corona­-Krise betroffenen Fami­lien“ oder die „Sicher­stellung der Lebens­mittelversorgung der Bevölkerung“ fordern. Was sich im „Sofort­programm“ jedoch nicht findet, sind die Pandemie relativierende Worte. Stattdessen gibt es sogar Verständnis für die „notwendigen Krisenmaßnahmen“ und Besorgnis über den „Wirtschaftsstandort Deutschland“. Auch andere Ideologieproduzenten der extremen Rechten fahren anfänglich einen ähnlichen Kurs. "PI-News" titelt am 20. März 2020 etwa „Schafft Merkel noch mehr Kranke als Wuhan?“. Das Elsässer-Magazin "COMPACT" empört sich derweil über zu lasche Maßnahmen, fehlende Reisebeschrän­kungen und die „Blockade“ der Kanzlerin, für die selbst „der Schutz von Menschenleben kein wirklich wichtiges Argument zu sein scheint.“ Gleichzeitig wird eifrig Prepper-Literatur mit Titeln à la „Wie überlebe ich in Krisen- und Katastrophenfällen – Das Survival-Wissen der Spezialeinheiten“ beworben. Die extreme Rechte ist sich in dieser Anfangszeit einig: Deutsche Leben retten first.

Noch Anfang April 2020 beschwört Chrupalla den „nationalen Kraftakt“ und wirft der Regierung zu zögerliches Handeln vor. Die Regierung müsse die „sofortige Massen­produktion von Atemmasken, Brillen und Handschuhen“ anordnen und der Bevölkerung sei dringend „empfohlen, diese Siche­rheitskleidung in der Öffentlichkeit aus Rücksicht und Verantwortung für unsere Gesellschaft zu tragen“. Jörg Meuthen frohlockt indes, dass nun „die Stunde der Nationalstaaten gekommen“ sei und kritisiert, „wie schlecht wir vorbereitet sind“. Unter dem Eindruck der sich verschärfenden Lage und der Lahmlegung des öffentlichen Lebens sackt die AfD in den Umfragen allerdings massiv ab und rutscht dabei sogar unter die psychologisch wichtige 10-Prozent-Marke, während der strikte Regierungskurs von einem Großteil der Bevölkerung offensichtlich goutiert wird. Die AfD wirkt zu dieser Zeit orientierungslos und sucht nach ihrer ­Rolle.

Opposition gegen die „Corona-Diktatur“

Zur selben Zeit gründen die Dramaturgen Anselm Lenz und Hendrik Sodenkamp die „Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand (KDW)“, über die ab dem 28. März zu wöchentlichen „Hygienedemos“ vor der Volksbühne in Berlin aufgerufen wird. Es sind die ersten Mobilisierungen gegen die staatlichen Eindämmungsmaßnahmen gegen das Corona-Virus. Die KDW gibt ab Mitte April die gleichnamige Zeitschrift „Demokratischer Widerstand“ heraus. Der Titel der ersten Ausgabe formuliert den grundsätzlichen Anspruch der Initiatoren: „Wir sind die Opposition!“. Neben taktischen Formulierungen, man gehe „für Freiheitsrechte“ und zur Verteidigung „erkämpfter Grundrechte“ auf die Straße, finden sich schon in der ersten Ausgabe allerlei Äußerungen, die Aufschluss über die ideologische Flexibilität geben. Medien seien „gleichgeschaltet“, die Republik ein „de-facto-diktatorisches Hygiene-­Regime“, medizinische Schutzmasken „Maulkörbe“ und staatliche Rettungsschirme „Halt-die-­Fresse-Pakete“. Es ist in dieser Anfangszeit nicht falsch, von einer verschwörungsideologischen „Querfront“ zu sprechen, die hier gegen die staatliche Corona-Politik auf die Straße geht.

Recht früh werden namhafte „Influencer“ aus der rechten Verschwörungs-Community, unter anderem Kayvan Soufi-Siavash ("Ken Jebsen"), Oliver Janich und Martin Lejeune, auf die Hygiene-­Demos aufmerksam und leisten Starthilfe. Die Bewegung wächst schnell und Ende April versammeln sich bereits über 1000 Menschen in Berlin. Unter ihnen befinden sich auch die Holocaustleugner Nikolai Nerling („Der Volkslehrer“) und Gerd Walther. Ein bekannter Autor veganer Kochbücher und Restaurantbesitzer steigt in die Mobilisierung und ideologische Prägung der Bewegung ein: Attila Hildmann. Er bezeichnet Bill Gates als ­„Satanisten und Kinderficker“, warnt vor „Corona-Diktatur“, „Ermächtigungsgesetz“ und „Völkermord“ und ruft schließlich selbst zu Demonstrationen auf. Zehntausende folgen seinem Telegram-Kanal.

Radikalisierung und Strategiewechsel

In dieser Phase der Hyper-Radikalisierung der Bewegung werden auch immer mehr in Parteien organisierte Kader der extremen Rechten aktiv. Neben Ex-NPD-Chef Udo Voigt und anderen NPD-AnhängerInnenbesuchen auch immer mehr AfD-Mitglieder die Demonstrationen. Es ist insbesondere der Höcke-Flügel, der das Potential der neuen Protestbewegung erkennt. Man teilt sich strategisch auf, schickt Abgeordnete zu den Manifestationen nach Berlin, während andere die lokale Mobilisierung in ihren Regionen verstärken. Am 29. April findet die erste Corona-Kundgebung der AfD Sachsen-Anhalt vor dem Magdeburger Landtag statt. Vor 150 Teilnehmer*innen reden sich Landtagsabgeordnete wie Farle („Bill Gates und die WHO wollen uns zwangsimpfen und damit Milliarden verdienen“) und Tillschneider in Rage: „Wir müssen Öffnungsdiskussionsorgien feiern, dass die Fetzen fliegen. Wir sind eine Bewegungspartei, wir müssen viel öfter demonstrieren“. Im späteren Landtagswahlkampf wird die AfD dann eineindeutig und plakatiert „Stoppt die Corona-Diktatur!“ und „Widerstand an der Wahlurne!“.

Auch in der Bundespartei vollzieht sich der von den ostdeutschen Landesverbänden forcierte Strategiewechsel hin zur Bewegungsdominanz. Chrupalla warnt nun vor „Corona-Panik“ und auch Alice Weidel schwenkt auf die seuchenpolitische Wende um 180 Grad ein. Ihre Kampffelder sind fortan „Kinder-Quälerei“ und „Impfzwang“, bis sie sich, ungeimpfterweise, im November 2021 selbst mit dem Virus infiziert.

Im Zweifel für die Fundamentalopposition

Wie schon 2014, als die rassistische PEGIDA-­Bewegung gerade entstand, entschied sich die AfD letztlich für eine vollumfängliche organisatorische wie ideologische Unterstützung des Vorfelds. Im Unterschied zu Bewegungen im Mobilisierungsthema „Migration“ konkurriert die AfD in der Corona-­Frage jedoch mit anderen Akteur*innen. Mit der FDP gibt es eine einfluss­reiche Partei, die inhaltlich zwar ähnliche Kritik an der bisherigen Corona-Politik der schwarz-roten Bundesregierung übte, dabei aber deutlich moderater auftrat. Mit der neuen „Querdenker“-Partei „Die Basis“ hat die AfD zudem Konkurrenz im eigenen ­Lager bekommen, wenngleich mit eher überschaubarem Erfolg. Die etwas schwächeren AfD-Ergebnisse bei den zurückliegenden Wahlen können als Ausdruck einer marginalen Verschiebung im rechten Lager interpretiert werden.

Eine Umfrage zur Wahlpräferenz von Ungeimpften zeichnet jedoch ein anderes Bild1 . Hier geben 50 Prozent an, die AfD zu bevorzugen, 15 Prozent würden der „Basis“ ihr Votum geben und 10 Prozent der FDP. Der AfD ist es also zumindest auf dem Papier gelungen, das durch die Pandemieleugner-Bewegung freigesetzte Potential mehrheitlich abzuschöpfen. Mit Blick auf die Stabilisierung der Umfragewerte nach dem Strategiewechsel steht einmal mehr der faschistische Höcke-Flügel als Dominante dar.

Die politische Performance der AfD in der Corona-Krise bleibt dennoch voller Widersprüche. Im Versuch, sich auch in der Pandemie-Bekämpfung zur Partei des fundamentaloppositionellen Widerstands gegen das System zu stilisieren, findet sie einerseits dank 2G-Regeln in den Parlamenten nur auf der Tribüne statt und sagt andererseits Parteitage aufgrund zu hoher Infektionszahlen ab.

Zweifelsohne hat sie es aber geschafft, ihre eigene Anhängerschaft „bei der Stange“ zu halten, indem sie auch die Corona-Frage mit Widerstands- und Diktatur-Narrativen auflädt. Dass das verfängt, ist derzeit in Sachsen zu beobachten, wo trotz gigantischer Infektionszahlen Hunderte mit „Spaziergängen“ gegen neue Gesundheitsschutz-Maßnahmen protestieren.

Fraglich bleibt, ob die AfD auch langfristig von dieser Bewegungs-Strategie profitieren kann, wenn etwa katalysierende Effekte wie die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht oder eine ökonomische Krise hinzukommen. Die politische Orientierungslosigkeit in der Anfangszeit scheint jedenfalls vergessen. Die AfD hat sich klar entschieden: Leben retten second - Auch wenn das bedeutet, dass ungeimpfte Sympathisant*innen oder eigene Funktionäre sterben wie im Fall des Böhlener Stadtrats Harald Hänisch.

  • 1Forsa-Umfrage vom 29. September bis 10. Oktober 2021