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Das „Netzwerk Landraum“ von „Ein Prozent“

Timo Büchner
Einleitung

Die "Arbeitsgruppe ‚Netzwerk Landraum‘" von dem rechten Verein „Ein Prozent“ möchte verunsicherte rechte Großstädter dabei unterstützen, sich im ländlichen Raum ansiedeln. Aus dem Kreis entstand der Verein "Landleben19". Der RechtsRapper „Chris Ares“ scheiterte derweil mit der Gründung eines "eigenen Dorfes".

Foto: runtervonderkarte.jetzt

Der RechtsRapper "Chris Ares" wollte ein "patriotisches Hausprojekt" in Weifa (Sachsen) gründen.

Leere Räume für Rechte ?

2007, vor 15 Jahren, schrieb Götz Kubitschek (*1970), Gründer des „Institut für Staatspolitik“ (IfS) und Chefredakteur der Zeitschrift „Sezession“, einen Essay über die Bevölkerungsentwicklung in ländlichen Räumen. Er prognostizierte, „etliche kleine mitteldeutsche Siedlungen werden in den nächsten Jahrzehnten ganz oder teilweise veröden1 . Die Gründe: Abwanderung und Kinderlosigkeit. Insbesondere junge Männer würden in den ländlichen Räumen zurückbleiben. Seine Hoffnung: „Es wird doch in Deutschland Familien und junge Leute genug geben, die sich die leeren Häuser und die jungen Männer vornehmen und etwas aufbauen.“

2015 initiierte Kubitschek gemeinsam mit Jürgen Elsässer ("Compact – Magazin für Souveränität"), Hans-Thomas Tillschneider (AfD Sachsen-Anhalt) und Karl Albrecht Schachtschneider ("Studienzentrum Weikersheim") das extrem rechte Kampagnenprojekt „Ein Prozent für unser Land“. Die Idee des Projekts: Ein Prozent der deutschen Bevölkerung reiche aus, um einen Wandel herbeizuführen, um die kulturelle – und politische – Hegemonie in der Bundesrepublik zu brechen. Ein Blick in die Praxis zeigt, wie die Hegemonie gebrochen werden soll: Das Projekt, ein Verein mit Sitz in Oybin (Sachsen), sammelt Spenden, um Aktionen gegen Migrant:innen und Geflüchtete zu finanzieren und um den „Widerstand“ gegen die deutsche Asyl- und Migrationspolitik zu vernetzen.

Der Verein, der sich als „Deutschlands größtes patriotisches Bürgernetzwerk“ inszeniert, verkündete Ende November 2017 den Start einer „Arbeitsgruppe ‚Netzwerk Landraum‘“2 . Die „Arbeitsgruppe“ suchte „Pioniere“, die von der Stadt in ländliche Räume ziehen wollen, und unterstützte sie in deren „Ansiedlung“ (z.B. Arbeits- und Immobiliensuche). Es heißt in der Ansprache an die „Pioniere“: „Möchten auch Sie  im ländlichen Raum Fuß fassen? Fühlen Sie, dass Sie in Ihrer Großstadt nicht mehr sicher sind? Spüren Sie die verschlechterten Lebensumstände, die seit Beginn der sogenannten Flüchtlingskrise unser Land zum Negativen verändern?“ Die „Arbeitsgruppe ‚Netzwerk Landraum‘“ ist, das wird in der Verkündung deutlich, ein ideologisch – und mehr noch: rassistisch – moti­viertes Projekt.

„Ein Prozent“ betonte, es gehe „keinesfalls darum, geschlossene Siedlungen oder Parallelwelten zu bilden“. Stattdessen werde erwartet, „sich in der ländlichen Struktur aktiv zu engagieren“. Das Konzept des Projekts erinnert an das Konzept völkischer Siedler:innen, an das Konzept der autarken Scholle.

Neben „Pionieren“ wurden „Paten“, „Investoren“ und „Mäzene“ gesucht. Die „Paten“ sollten die „Pioniere“ vor Ort unterstützen, die „Investoren“ und „Mäzene“ sollten die Raumnahme finanzieren. Sie sollten Bauernhöfe und Rittergüter kaufen, um „Mehrgenerationshöfe“, „kulturelle Begegnungsstätten“ und „kombinierte Kultur-, Arbeits- und Wohnstätten“ zu ermöglichen. Bereits in der Verkündung schrieb „Ein Prozent“, man konnte bereits erste Familien in „fünf Zielgebieten“ ansiedeln. Wer die Familien waren und wo die Familien lebten, blieb – selbstverständlich – unerwähnt.

Anfang Februar 2018, nur ein paar Wochen nach der Verkündung des Projekts, zog „Ein Prozent“ eine „Zwischenbilanz“3 : Inzwischen seien 15 Familien im Austausch mit der „Arbeitsgruppe“ gestanden. Die Motivation und Ziele der Familien würden erörtert, Besichtigungen von Immobilien und Wohnungen würden geplant. Drei Familien seien im Dezember 2017 umgezogen, drei weitere Familien stünden vor dem Umzug. Darüber hinaus seien mehrere Immobilien gekauft worden. Neben den „fünf Zielgebieten“ seien zwei weitere „Zielgebiete“ in Planung. Auch in der „Zwischenbilanz“ machte „Ein Prozent“ kein Geheimnis aus der ideologischen Motivation des Projekts. Es hieß, sie wollten „unser ganzes Land Schritt für Schritt zurückholen“.

Im Frühjahr 2019, ein Jahr nach der „Zwischenbilanz“, sprach Helge Hilse ("Ein Prozent") mit der NPD-nahen Zeitschrift „Umwelt & Aktiv“ über das „Netzwerk Land­raum“4 . Das Interview, das in der Rubrik „Heimatschutz“ erschien, war von biologistischer Sprache geprägt. Hilse erklärte mit Blick auf ländliche Räume: „Wir Deutsche müssen intensiv an unserer Wurzelpflege arbeiten. Es nützt nichts, einen von der Wurzel her absterbenden Baum zurückzuschneiden, sondern es muß [sic!] die Wurzel freigelegt und dort die Heilung angesetzt werden.“ Er sah in der gläubigen, traditionellen Familie und im ländlichen Raum das Fundament einer gesunden „Volksgemeinschaft“. Stolz verkündete er, es würden Menschen aus Osteuropa und den USA anreisen, um das „Netzwerk Landraum“ kennenzulernen und zu unterstützen. Er forderte, man solle in eine „Art ‚Volksaktie‘“ investieren.

Auffällig ist: „Umwelt & Aktiv“ stellte konkrete Fragen, Hilse gab unkonkrete Antworten. Das kann unterschiedliche Gründe haben. Hilse selbst sagte, es sei unklug, Details preiszugeben, da in Deutsch­land „ein Klima der politischen Diskriminierung Andersdenkender herrscht“. Die Preisgabe von Details würde den Hass von „fanatisierten Antideutschen“ hervorrufen. Ein anderer Grund könnte sein: Der Erfolg von „Netzwerk Landraum“ ist bescheiden gewesen. Am 2. Juli 2019, wenige Monate nach dem Interview, verkündete Hilse ein neues Projekt: die Gründung des Vereins „Landleben19“5 . Der Verein hat seinen Sitz, wie „Ein Prozent“, in Oybin. Der Aufruf des Vereins erinnert an den Aufruf der „Arbeits­gruppe ‚Netzwerk Landraum‘“. Es wurde beispielsweise nach „Investoren“ zum „Ackerlandankauf“ sowie zum „Haus- und Hoferwerb“ gesucht. Unter „Spende“ ist eine detaillierte Liste einsehbar. 6 Am Ende der Liste werden, wie bereits im Interview mit „Umwelt & Aktiv“, Spenden als eine „Art ‚Volksaktie‘“ bezeichnet.

Ein patriotisches Dorf ?

An das Konzept des „Netzwerk Land­raum“ knüpfte der RechtsRapper „Chris Ares“ (*1992, aka Christoph Aljoscha Zloch) an. Der RechtsRapper war im Umfeld der extrem rechten „Identitären Bewegung“ (IB) aktiv, die „Bastion EP“ (2017) von „Chris Ares“ und „Komplott“ wurde durch „Ein Prozent“ unterstützt. Zwischenzeitlich plante der RechtsRapper gemeinsam mit seinen Rap-Kameraden „Primus“ und „Prototyp“ den „Neuen Deutschen Standard“ (NDS). Zloch, der in einem „patriotischen Wohnprojekt“ in Sauerlach (Bayern) wohnte, kündigte im April 2020 via Telegram an, er wolle „ein Dorf gründen“ und schaue in den östlichen Bundesländern nach Grundstücken. Das „Dorf“ solle in unmittelbarer Nähe einer Stadt liegen, in der Stadt solle ein „Haus der Patrioten“ entstehen. Kurze Zeit später, im Juni 2020, gab der Rapper nähere Informationen preis: Das „Dorf“ umfasse vier Häuser „zwischen Dresden und Pulsnitz“, ein „Patrioten-Jugendzentrum“ samt Tattoostudio öffne seine Pforten in Bischofswerda (Sachsen). Zur Finanzierung des „Patrioten-Jugendzentrum“ seien „Paten“ nötig. In demselben Monat erklärte er in einem YouTube-Live­­stream: „Aktuell laufen die letzten Vorbereitungen zur Gründung unseres Dorfes“. Es stünden 25 Personen bereit. Die ersten – Zloch und seine Rap-Kameraden – würden zum September 2020 umziehen.

Medialer Druck und zivilgesellschaftlicher Protest verhinderten die Eröffnung des „Patrioten-Jugendzentrums“. Auch das „patriotische Hausprojekt“, das Zloch & Co. starten wollten, scheiterte. Zloch wollte den Ort des „Dorfes“ unter Verschluss halten. Allerdings wurde der Ort rasch publik: Das Haus ist ein ehemaliges Ferienwohnheim in Weifa (Sachsen)7 . Nach internen Konflikten endete Zlochs Traum vom eigenen Dorf in der sächsischen Provinz. Er beendete gar seine Rap-Karriere. Ob er zurückkehren wird, bleibt abzuwarten und zu beobachten.

  • 1Kubitschek, Götz (01.10.2007): Leere Räume – Junge Männer, Sezession
  • 2Ein Prozent (21.11.2017): Kulturraum Land: Investoren und Pioniere gesucht
  • 3Ein Prozent (06.02.2018): ‚Netzwerk Landraum‘ – eine Zwischenbilanz
  • 4Umwelt & Aktiv (2019): Im Gespräch mit Helge Hilse zum Projekt NETZWERK LANDRAUM, Ausgabe 1, S. 33-38.
  • 5Landleben19 e.V. (02.07.2019): Eröffnung!
  • 6Landleben19 e.V. (2022): Spenden
  • 7Runter von der Karte (13.10.2021): Weifa, NDS-Komplex