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Der Breivik-Prozess

Einleitung

Das Massaker auf der norwegischen Insel Utoya sowie ein Bombenanschlag in Oslo, bei denen insgesamt 77 Menschen ums Leben kamen, sind mittlerweile über ein Jahr her und der Täter Anders Breivik verurteilt. In der norwegischen Gesellschaft scheint sich nun das Gefühl verbreitet zu haben, dass jetzt endlich die Zeit gekommen ist, um die Wunden heilen zu lassen, da das Kapitel zumindest juristisch abgeschlossen ist.

Foto: flickr.com/nrkbeta/CC BY SA 2.0

Anders Breivik wurde am 24. August 2012 für zurechnungsfähig erklärt und zu 21 Jahren Gefängnis mit anschließender Sicherheitsverwahrung, der Höchststrafe im norwegischen Rechts­system, verurteilt. Eine Freilassung nach Verbüßung der Haftstrafe ist somit ausgeschlossen, da Breivik nach Einschätzung der Richter auch nach 21 Jahren weiterhin eine Gefahr für die Gesellschaft darstellt, da er seine Taten ideologisch begründet hatte und dies immer noch tut. Er versteht sich weiterhin als eine Zelle der Tempelritter, die sich gegen Einwanderung und eine  »Islamisierung« des Wes­tens »wehrt«. Die Tempelritterbewegung, in dessen Kontext sich Breivik setzt und als deren Speerspitze er sich ansieht, gibt es nach Ansicht der norwegischen Sicherheitsbehörden nicht. Vielmehr wird Breivik als Einzeltäter interpretiert. Für den Fall, dass Breivik als nicht zurechnungsfähig eingestuft worden wäre, hatte er angekündigt in Berufung zu gehen.

Der Prozess

Der Prozess selbst begann am 16. April 2012 und weckte von Beginn an ein extrem großes, nationales als auch internationales Medieninteresse. Die erdrü­ckende Beweislage und ein geständiger Täter machten die Berichterstattung von Anfang an eher uninteressant und erschwerten es den Medien, spannende Höhepunkte zu liefern. Im Grunde genommen gab es nur drei Situationen, die medial genutzt wurden und somit den Prozess und die Berichterstattung emotional aufladen konnten.
Zu nennen wären hier Breiviks er­s­­­ter Auftritt im Gerichtssaal, den er mit erhobener Faust betrat und somit den ersten Skandal produzierte. Ebenfalls wurden die ersten Begegnungen von Überlebenden mit dem Attentäter Breivik von den Medien umfangreich in Szene gesetzt, wobei das Interesse mit jedem_r neu auftretenden Zeuge_in abnahm. Als Bilder von Breivik in Uniform an die Wand des Gerichtssaals projiziert wurden, entstand ein drittes Moment für ein Medienspektakel, indem ihm in diesem Augenblick die Tränen kamen und er damit eine ers­te, seiner generell spärlichen Gefühlsregungen zeigte.

Auseinandersetzung außerhalb des Gerichtssaals

Auch wenn die Medienpräsenz von Anfang an enorm groß war, blieben  viele Debatten und Auseinandersetzungen, die in Norwegen aufkamen, von der internationalen Presse eher unbeachtet. Im folgenden sollen einige dieser Themen, die besonders intensiv in der Öffentlichkeit diskutiert wurden, hervorgehoben werden. Denn gerade außerhalb des Gerichtsgebäudes lässt sich die eigentliche Auseinandersetzung rund um die Taten Anders Breiviks am ehesten nachzeichnen. Zum einen wurde heftige Kritik an die Polizei gerichtet, die in den Augen Vieler zu langsam reagiert hatte. Dass ein zeitigeres Eingreifen den Tathergang möglicherweise entscheidend verändert hätte, wenn der Polizeieinsatz schneller zu Stande gekommen wäre, ist eine der Auffassungen, die letzten Endes auch vom norwegischen Staatsminister Stoltenberg aufgegriffen wurde, der sich öffentlich für die Fehler der Polizei entschuldigte.

Zu Meinungsunterschieden kam es auch darüber, ob das norwegische Rechtssystem überhaupt in der Lage ist, für eine derartige Tat eine ausreichende Strafe zu verhängen. Im Zuge dieser Auseinandersetzung wurden Stimmen laut, die eine Einführung der Todesstrafe forderten. Die Mehrheit sprach sich jedoch dagegen aus und ist weiterhin der Meinung, dass die rechtsstaatlichen Prinzipien auch für einen Massenmörder zu gelten haben. Diese Diskussion reiht sich in eine gesellschaftliche Debatte darüber ein, ob eine angemessene Reaktion auf die Tat nun Rache oder Vergebung sei. Viele Stimmen sprachen sich dafür aus, dass die Bevölkerung und der Staat nicht überreagieren dürften und Rache vielmehr genau das war, was Breivik heraufbeschwören wollte. Eines der Hauptargumente in dieser Diskussion war, dass es sich um einen Angriff auf die Demokratie handelte und deshalb nur auf demokratische Weise geantwortet werden sollte.

Zurechnungsfähig oder nicht?

Es war schon vor dem Prozessende vorhersehbar, dass Breivik schuldig gesprochen und zur Höchststrafe verurteilt werden wird. Die Frage war nur, ob diese als Haftstrafe abgesessen oder ob er zur Verwahrung in eine geschlossene Psychiatrie überstellt wird. Hierfür spielte die Auseinandersetzung um die Frage der Zurechnungsfähigkeit eine entscheidende Rolle.

Die Diskussion hierum hatte innerhalb der norwegischen Gesellschaft zu einer regelrechten Spaltung geführt. Mit Hinblick auf Breiviks Zurechnungsfähigkeit gab es vor Prozessbeginn zwei Gutachten von jeweils zwei unabhängigen und unterschiedlichen Expertenteams, die auch zu zwei unterschiedlichen Ergebnissen gekommen sind. Schon kurz nach der Tat wurde Breivik zuerst als paranoid und schizophren und damit unzurechnungsfähig erklärt. Als daraufhin ein Aufschrei durch die Bevölkerung ging, wurde ein weiteres unabhängiges Expertenteam bestellt, das Breivik ein weiteres Mal auf seine Zurechnungsfähigkeit untersuchen sollte. Dieses Team erklärte dann, dass der Täter narzisstisch sei und unter einer dissozialen Persönlichkeitsstörung leide, aber zurechnungsfähig sei. Damit wurde es der Richterin übertragen abzuwägen, welche der unterschiedlichen Ergebnisse in der Urteilssprechung zum Ausdruck kommen sollten.

Die Debatte um die Zurechnungsfähigkeit Breiviks riefen zweierlei Reaktionen hervor. Zu behaupten Breivik sei verrückt, entpolitisiere seine Tat und untergrabe damit jedwede Kritik an rechtspopulistischer Politik, wie sie insbesondere direkt nach dem Massaker ausgesprochen wurde. Die andere Reaktion berief sich auf eine emotionale aber auch soziale Ebene, indem die Meinung vertreten wurde, dass eine Einweisung in die Psychiatrie nicht Strafe genug sei und Breivik somit nur geschont würde. Hinzuzufügen bleibt, dass es Breivik selbst nicht gelang, das Gerichtsverfahren als politische Bühne zu nutzen, was unter Anderem daran lag, dass ihm das Wort entzogen wurde, als er sich in einer Ansprache bei allen Nationalisten da­für entschuldigte, dass er nicht noch mehr Leute getötet hat.

Nach der Urteilsverkündung ist die allgemeine Stimmung in Norwegen so zu beschreiben: die Demokratie hat gesiegt und der Rechtsstaat kann gefeiert werden. Mit diesem erleichternden Gefühl soll nun endlich wieder Ruhe einkehren und die Wunden heilen. Dass Breivik als Einzeltäter betrachtet wird und nicht erkannt wird, dass eine rassistische und extrem rechte Politik hier ihre gewalttätige Entsprechung fand, darf aber nicht vergessen werden.