Die „Aryans“ in Halle (Saale) vor Gericht
Nachdem am 1. Mai 2017 Mitglieder der neonazistischen Kameradschaft „Aryans“ aus Hessen im Anschluss an einen blockierten Aufmarsch der Partei „Die Rechte“ in Halle (Saale) Teilnehmende des Gegenprotestes mit Autos gejagt und eine unpolitische Wandergruppe angegriffen hatten, wurde im Februar 2019 nun das Urteil gegen die zwei Angeklagten Carsten M. und Martina H. gesprochen. Im Zuge der Ermittlung war bekannt geworden, dass ein hessischer Polizeibeamter interne Informationen an die Angeklagte weitergegeben hatte. Der Generalbundesanwalt ermittelt gegen die Gruppierung wegen der Bildung einer terroristischen Vereinigung.
Bundesweit hatte „Die Rechte“ für ihren Aufmarsch zum „Arbeiterkampftag“ nach Halle mobilisiert, dem Aufruf gefolgt waren etwa 500 TeilnehmerInnen. Diese trafen auf breiten Gegenprotest, der sowohl von dem lokalen Bündnis „Halle gegen Rechts“ als auch der antifaschistischen Kampagne „Nice to beat you“ organisiert worden war. Insgesamt beteiligten sich etwa 4.000 Menschen daran. In großen Teilen scheiterten die Rechten schon daran, überhaupt zu ihrer Kundgebung zu kommen, da sie sich weigerten die Kontrollstellen der Polizei zu passieren. Ihnen blieb eine Kundgebung am Hauptbahnhof, an dem ihr Aufmarsch eigentlich starten sollte. Pläne für Kundgebungen an anderen Orten scheiterten auch daran, dass die Polizei alle weiteren Anschlussversammlungen in Sachsen-Anhalt untersagt hatte.
Noch während die Teilnehmenden des Gegenprotestes nach den erfolgreichen Blockaden abreisten, kursierten in sozialen Netzwerken die ersten Bilder eines gewalttätigen Angriffs von den „Aryans“ auf Menschen in der Nähe einer der Informationsstände von „Halle gegen Rechts“. Die Bilder zeigen zwei schwarze Autos, einen Mann mit Schlagwerkzeug in der Hand und - so die Formulierung im Prozess - „wutverzerrtem Gesicht“: Carsten M., Mitglied der „Aryans“. Schon im Verlauf des Tages war die Gruppe aufgefallen, bekleidet mit uniformen Oberteilen mit den Aufdrucken „Aryans - Support your race“ und einer 88. Noch am Bahnhof skandierten sie in Richtung des Gegenprotests „Ohne Polizei wärt ihr alle tot“. Erste Zeug_innen berichteten, dass die Gruppe sie mit Autos gejagt hat. Mehrere Personen erzählten, wie sie von Steinen und Pfefferspray verletzt und auch direkt geschlagen wurden. Antifaschistische Homepages veröffentlichten die Namen der aus Hessen stammenden Angreifer.
Die Staatsanwaltschaft Halle erhob ihre Anklage nur vor dem Amtsgericht, das lediglich Freiheitsstrafen bis zu vier Jahren verhängen kann. „Typisches Alltagsgeschäft“ sei der Fall, zitierte die „Süddeutsche Zeitung“ dazu aus den Akten. Dass nun mehrere Tage vor dem Landgericht Halle verhandelt wurde, liegt an der Nebenklage, die entsprechende Anträge gestellt hatte und zudem, ein seltener Vorgang, die Abberufung der zuständigen Staatsanwältin forderte. Im Prozess trat diese nicht auf, da sie laut Landesregierung in anderen Verfahren gebunden sei.
An fünf Verhandlungstagen sagte eine Reihe von Zeug_innen aus, von denen zwei auch als Nebenkläger am Prozess beteiligt waren. Einer der beiden war am 1. Mai mit einer Wandergruppe unterwegs, organisiert von befreundeten Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die sich seit einigen Jahren am 1. Mai in Halle treffen. Protest und Gegenprotest waren ihnen bekannt, aber sie hatten sich für die Wanderung entschieden, sagte der Zeuge im Prozess aus. Ein Teil hatte bereits einige Biere getrunken, als die Gruppe gegen Mittag in der Nähe des Holzplatzes in Halle an einem Infostand des Gegenprotests vorbeikam. Laut den Berichten sind dann plötzlich zwei Autos herangefahren, Schreie und die Detonation eines Böllers waren zu hören. Dann flogen Steine (Gleisschotter), Jägermeisterflaschen und es wurde Reizgas aus einem der Autos gesprüht. Die Angreifenden hielten an, Carsten M. stieg aus und griff die Wanderer mit einem Schlagwerkzeug an, das sich als ummanteltes Starkstromkabel herausstellte. Mehrere Personen wurden durch die Schläge, Würfe und das Reizgas verletzt.
In der Situation, die von den Betroffenen als überfallartig und teils bis heute psychisch belastend beschrieben wurde, entstanden Fotos, die maßgeblich zum Beweis der Taten beitrugen. Noch bevor die Polizei vor Ort war, wurden die Angreifenden von einer Gruppe Antifas vertrieben und die Attacken gestoppt. Zuvor hatten die „Aryans“ in der Nähe des Bahnhofs zwei Radfahrer mit ihren Autos gejagt und versucht, ihnen den Weg abzuschneiden und sie ebenfalls mit Steinen beworfen. Daran war nach den Feststellungen des Gerichts auch Martina H. beteiligt, gemeinschaftlich mit anderen Insassen der Autos, die jedoch nicht angeklagt wurden. Zu ihren Fahrzeugen waren die Rechten von der Polizei begleitet worden. Dann endete die Begleitung jedoch und sie konnten sich auf die Jagd machen.
In der Darstellung der als Zeugen geladenen „Aryans“ stellte sich der Tag vollkommen anders dar. Noch am Bahnhof habe Carsten M. eine Flasche an den Kopf bekommen und sei davon verletzt gewesen. Übel sei ihm gewesen und er habe Kopfschmerzen gehabt. Ein ärztliches Attest dazu beruhte nur auf seinen Schilderungen, Verletzungen konnten nicht erkannt werden. Dennoch sah das Gericht hier einen Teil der Tatmotivation, Carsten M. sei wütend gewesen. Schon in dieser Situation, so die „Aryans“, habe es einen wahren Steinhagel von Linken auf sie gegeben. Rund um den Bahnhof habe man sich dann verfahren, bis man von „Linken“ auf Fahrrädern verfolgt worden sei. Am Holzplatz seien sie gelandet, weil sie die Autobahn gesucht hätten, stattdessen habe man sie dort aber erneut massiv mit Steinen angegriffen.
Die Aussagen der ermittelnden Beamten zeigten auf, dass es für dieses Notwehrszenario weder Belege noch Plausibilität mit Blick auf die Route der Rechten gab. Stattdessen wurden bei einer Durchsuchung bei Carsten M. im Main-Kinzig-Kreis (Hessen) reihenweise Neonazidevotionalien, Waffen, Munition, ein Messer direkt neben dem Bett, Verweise auf die „Division Braune Wölfe“ sowie das Tatwerkzeug gefunden, nebst fünf Mobiltelefonen. Ausgewertet wurden auf Anweisung der Staatsanwaltschaft jedoch nur zwei Telefone, das von Martina H. und ihrer Tochter. Dabei hatten Zeugen bereits im Ermittlungsverfahren ausgesagt, Carsten M. als eine Art „Rädelsführer“ wahrgenommen zu haben. Diese Einschätzung bestätigten wiederum andere „Aryans“ mit ihren Aussagen, Carsten M. habe die Gruppe koordiniert.
Die Chats auf Martina H.‘s Handy zeigten nicht nur, dass man sich freute, „Zecken verdroschen“ zu haben. Zugleich wurden Chats zwischen ihr und einem hessischen Polizeibeamten gefunden, den sie weit vor dem 1. Mai 2017 um Informationen aus internen Datenbanken gebeten hatte, unter anderem über Carsten M. Über wen noch konnte sich der Ermittler im Prozess nach eigenen Angaben nicht erinnern.
Carsten M. wurde wegen gefährlicher Körperverletzung zu drei Jahren und sechs Monaten Haft, Martina H. zu einem Jahr und zwei Wochen, ausgesetzt zur Bewährung auf drei Jahre verurteilt. In beiden Fällen wurden Gesamtfreiheitsstrafen gebildet. Offen bleibt, warum nur zwei von mindestens zehn InsassInnen1 der beiden Fahrzeuge angeklagt wurden und ob sie sich in der Nähe des Bahnhofs mit einer ortskundigen Person an einer Eisdiele besprachen, um den Angriff am Holzplatz zu planen. Die Verurteilten haben inzwischen Revision beim BGH eingelegt. Der Generalbundesanwalt ermittelt derweil wegen der Bildung einer terroristischen Vereinigung gegen die „Aryans“.
- 1U.a. Thomas S. und Emanuel B. aus dem Kreis Aschaffenburg (Bayern), Andrew K. und Fabian R. aus dem Rhein-Main-Gebiet (Hessen), Dario C. aus dem Salzlandkreis (Sachsen-Anhalt), Sven von K. und Patrick R.