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Die Antifa-Bewegung in den USA vor und nach Trump

Spencer Sunshine
Einleitung

Die antifaschistische Bewegung in den USA hat sich seit der Amtsernennung von Trump dramatisch verändert. Einst ein winziges Netzwerk von ein paar hundert Aktivist_innen, die selbst in radikalen Kreisen ignoriert wurden, zählt die Antifa-Bewegung heute tausende von Anhänger_innen und ist seitdem Gegenstand nationaler Berichterstattung durch die Medien. Von der Rechten als Teil einer politischen Verschwörung umgedeutet, nutzte Trump während seines Präsidentschaftswahlkampfes Angriffe auf die Antifa als Wahlkampfmittel.

Foto: David Geitgey Sierralupe; CC BY 2.0, flickr.com

Obwohl es in den USA schon immer eine militante Opposition gegen organisierte (neo)faschistische Gruppen gab, war der unmittelbare Vorläufer der Antifa-Bewegung die „Anti-Racist Action (ARA)“, die in den 1980er und 1990er Jahren aus der Punk- und Skinhead-Szene entstand. Die ARA, die um 1997 mit etwa 200 Gruppen ihren damaligen Höchststand erreichte, verschwand mit dem Rückgang der Neonaziwelle von der Bildfläche. Viele verbliebene Aktivist_innen schlossen sich daraufhin dem militanten Flügel der Antiglobalisierungsbewegung an.

Bis 2015 blieb der Antifaschismus ein winziger Randbereich der radikalen Linken. Er besaß nicht die Qualität einer Massenbewegung und fokussierte sich auf direkte Aktionen in Kleingruppen. Dabei haftete dem Antifaschismus der Ruf an, aus wütenden Männern zu bestehen, die sich gerne prügeln.

In den späten ’00er und frühen ’10er Jahren begannen Teile der Szene den Begriff „Antifa“ (statt ARA) zu verwenden. Auf der Grundlage dezentralisierter aufständisch-anarchistischer Organisationsstrukturen arbeiteten sie daran, den antifaschistischen Ansatz zu verändern: Sie öffneten ihn geschlechtsspezifisch, holten ihn aus der subkulturellen Isolation heraus und brachten ihn in Einklang mit der Antira-Bewegung, in dem sie sich auf Themen wie Immigrantenrechte und Black Lives Matter bezogen. Sie konzentrierten sich mehr auf Bildungs- und Forschungsarbeit, verschoben die Betonung der Gewalt in Richtung Theorie und setzten ihren Schwerpunkt mehr auf internationale Verbindungen und die Unterstützung von Gefangenen.

Einige der neuen Strukturen, die unter anderem in New York City und Portland entstanden, arbeiteten an der Vertreibung antisemitischer Positionen in der Linken und beschäf-tigten sich mit kryptofaschistischen Cross-Recruiting-Aktivitäten.1

Viele Themen in den USA wurden direkt von den Diskussionen der linken Szene in Deutschland beeinflusst. Auch die Spaltung des Anti-Deutsch/Anti-Imp-Flügel war in den Köpfen der Menschen präsent, aber es gab den starken Willen, sie nicht zu wiederholen. Der Wechsel zwischen ARA und Antifa wurde 2013 symbolisch vollzogen, als das ARA-Netzwerk zusammenfiel und durch das Antifa-Netzwerk TORCH abgelöst wurde. Jedoch gab es bis 2015 auf nationaler Ebene nur etwa zwanzig antifaschistische Gruppierungen unterschiedlicher Ausprägung. Die organisierte weiß-nationalistische Bewegung war seit Mitte der 1990er Jahre weitestgehend in der Versenkung verschwunden, doch mit der Wahl Barack Obamas 2008 explodierte eine neue Welle des Rechtspopulismus und Gruppen wie die „Tea Party“ sowie eine Vielzahl von Milizen entstanden. Diese „moderatere“ Far Right wuchs weiter, weitestgehend unbeachtet von der Linken. In den ‘00er Jahren keimte ein neuer Typus eines intellektuelleren weißen Nationalis-mus auf, zu dem auch der 2010 gestartete Blog „Alternative Right“ von Richard Spencer gehört.

Unterstützt durch den frauen-feindlichen Online-Content, der auf „4chan“ verbreitet wurde, wurde die „Alt Right“ zu einem facettenreichen Spektrum von Neonazis, organisierten Rassisten und anderen extrem rechten AkteurInnen, die durch eine gemeinsame Ästhetik und Herangehensweise vereint wurden. Trumps Angriff auf mexikanische Einwanderer, die er 2015 als Kriminelle und Vergewaltiger verunglimpfte, bescherte ihm fast die einhellige Unterstützung der weißen Nationalisten, die schnell zum aggressiven Arm seiner UnterstützerInnen wurden.

Daneben entstand ein breites Spektrum neuer extrem rechter Gruppierungen, das von Rechtspopulisten bis zu terroraffinen Neonazis reichte. Als Gegenwehr entstanden bis 2016 neue Antifa-Strukturen. Ein Wendepunkt für die antifaschistische Bewegung wurden die Black Bloc Proteste bei Trumps Amtseinführung am 20. Januar 2017, die mit über 200 Verhaftungen endeten. Obwohl es sich eigentlich um traditionelle anarchistische Proteste zur Amtseinführung handelte, wurden die Proteste als „antifaschistisches“ Ereignis gelabelt, was zu einem explosionsartigen Zuwachs in der Bewegung führte.

Damit begann auch das Auf und Ab des Ansehens der Antifa unter den Liberalen. Es folgten eine Reihe von Zusammenstößen zwischen der radikalen Linken und dem neuen rechten Straßenbündnis aus Neonazis, Rechtspopulisten und Milizen. Die Auseinandersetzungen erreichten am 12. August 2017 ihren Höhepunkt bei der „Unite the Right-Rally“ in Charlottesville, Virginia, dem größten (neo)faschistischen Aufmarsch in den USA in den letzten Jahrzehnten. Das sorgte dafür, dass die Antifa für die nächsten vier Jahre in den Schlagzeilen stand.

Als sich die neue antifaschistische Bewegung als Massenbewegung etablierte, verfestigte sie einige der früheren Positionen, verlor andere und fügte weitere hinzu: Anders als die ARA war die antifaschistische Bewegung dezentralisiert; in vielen Städten existierten weniger organisierte Gruppen als eine Vernetzung durch Doxxing-Knotenpunkte und Sozial Media Accounts. Daneben blieb die Black-Bloc-Taktik ein Mittel der Bewegung. Im Gegensatz zur ARA gab es nun eine weitaus größere Beteiligung von CIS-Frauen sowie von queeren, transsexuellen und nichtbinären Aktivist_innen und Recherche und Doxxing gewannen an Bedeutung.

Allerdings verlor die Antifa ihren kritischen Blick auf Antisemitismus in der Linken sowie ihre internationale Ausrichtung und fokussierte sich zunehmend auf innenpolitische Themen. Die Strukturen konzentrierten sich wieder mehr auf Formen militanter Politik, fügten aber Perspektiven aus anderen radikalen Gruppen hinzu. Dazu gehörte die „Entkolonialisierung“, die auf den rückwirkenden Ansprüchen der amerikanischen Ureinwohner auf früheres Territorium unter ihrer Kontrolle bestand (eine Perspektive, die eindeutig mit der früheren antinationalistischen Einstellung kollidiert).

Die Straßenschlachten gingen weiter. 2019 fanden vor allem in Portland größere Zusammenstöße statt. Dort hatte sich die Antifa-Bewegung zu einem Massenphänomen mit militanten und gemäßigten Fraktionen entwickelt. Interessant ist, dass sich trotz des massiven Wachstums der extremen Rechten keine nationale NGO an der nachhaltigen Organisierung von Basisinitiativen dagegen beteiligt hat, sodass die radikale Antifa-Bewegung die einzige Vor-Ort-Struktur dafür ist.

Leider erleichtert das den Ausschluss der Antifa-Bewegung von der öffentlichen Meinung. In einem Land, in dem es keine bedeutende parteiförmige Linke und keine zivilgesellschaftlichen Strukturen gibt, die eine Brücke zwischen radikaler und gemäßigter Politik schlagen und in dem eine überwiegend negative Meinung über Konfrontationen auf der Straße herrscht, fand die Antifa außerhalb radikaler Kreise kaum Unterstützung. Dennoch war sie durch ihre umfangreiche Recherchearbeit in der Lage mit Journalist_innen und NGO-Gruppen, die die extreme Rechte überwachen, zusammenzukommen.

Zuletzt ist ein neues Segment eingeführt worden: die „Anti-Antifa“-Bewegung. Dieses Denkkonzept, das zuvor auf hartgesottene Neonazis beschränkt war, wurde selbst unter den Mainstream-Konservativen populär. Bestehende Slogans und Bilder wurden überarbeitet und mit älteren, antikommunistischen Anfeindungen, die ihrerseits aus dem Antisemitismus schöpften, kombiniert.

Die Suche nach „der Antifa“ hat ihren Weg in die Strafverfolgungsbehörden des Bundes und die Republikanische Partei gefunden. Trump berief sich wiederholt auf das Konstrukt und hat es zum Inhalt seines Wahlprogramms 2020 gemacht. Es gab wiederholt verbale Ausfälle von Trump und anderen Bundesbehörden, die die Antifa als terroristische Organisation klassifizieren wollten, bis jetzt jedoch ohne Erfolg.

Die Antifa-Bewegung hat sich seit Trumps Amtsantritt stark gewandelt. Ihre Zukunft hängt davon ab, ob Trump im Januar 2021 aus dem Amt scheidet - und wenn, in welche Richtung sich die bürgerliche Rechte entwickelt. Selbst wenn letztere verschwindet, wird sich die Antifa-Bewegung hoffentlich nicht zurückziehen. 70 Millionen Menschen, die im Jahr 2020 für Trump gestimmt haben, zeigen, wie weit verbreitet Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und versteckter Antisemitismus in den USA ist.

  • 1Anwerbeprozess mithilfe von crossmedialem Recruiting bedeutet herauszufinden, für welche Gruppe welche Medien die passenden sind und wie die verschiedenen Gruppen am besten erreicht werden.