Ein toter Zeuge
Andreas FörsterEs ist der Morgen des 16. September 2013. Am Rande des Stuttgarter Volksfestgeländes Cannstatter Wasen steht ein Auto. Ein junger Mann sitzt darin: Florian H. aus dem 60 Kilometer entfernten Eppingen (Landkreis Heilbronn). Schausteller bauen auf dem Wasen ein Volksfest auf und haben einen guten Blick auf das parkende Fahrzeug.
Einige sehen dann auch, wie plötzlich um 9 Uhr eine Stichflamme auf der Fahrerseite zu sehen ist, dort, wo Florian H. sitzt. Sofort brennt das Auto lichterloh. Nach wenigen Augenblicken gibt es eine Explosion, Teile des Fahrzeugs werden durch die Luft geschleudert. Als die Feuerwehr nach kurzer Zeit eintrifft, gibt es nichts mehr zu retten. Das Auto ist ausgebrannt, darin die verkohlte Leiche von Florian H.
Ein technischer Defekt? Selbstmord? Ein Mordanschlag? Ein Vierteljahr nach dem mysteriösen Geschehen ist die Ermittlungsakte zwar geschlossen, aber ob sich der 21-Jährige tatsächlich auf diese ebenso spektakuläre wie qualvolle Weise das Leben genommen hat, wie es die Polizei meint, bleibt fraglich. Die Familie glaubt nicht an einen Selbstmord aus enttäuschter Liebe, auch weil ein Abschiedsbrief fehlt. Und warum soll H. extra kilometerweit zu dem Volksfestgelände fahren, wo schon am Morgen viele Menschen anzutreffen sind, die seinen Selbstmordversuch vielleicht vereiteln könnten? Auch ist er mit seinem Auto bereits gegen 7 Uhr einer Polizeistreife in der Nähe des späteren Tatortes aufgefallen. War er dort mit jemandem verabredet?
Der Tod von Florian H. hätte wahrscheinlich weniger öffentliche Aufmerksamkeit erregt, wenn es sich bei dem jungen Mann nicht um einen angeblichen Aussteiger aus der Neonazi-Szene in Heilbronn handeln würde. H. befand sich nach LKA-Angaben im Ausstiegsprogramm »Big Rex«. Allerdings hatten die Behörden Hinweise darauf, dass sich der 21-Jährige noch nicht wirklich von der rechten Szene gelöst hatte. Auch wurde H. Ende 2011, Anfang 2012 vom Amtsgericht Heilbronn verurteilt, weil er in der Öffentlichkeit den Hitlergruß gezeigt hatte. Als Strafe sollte er 350 Euro in sieben Monatsraten an einen jüdischen Verein zahlen, geriet damit aber in Verzug.
Um seinen Ausstieg aus der Szene sollte es wohl auch bei der neuerlichen Vernehmung durch das LKA gehen. Schon ein Jahr zuvor hatte er vor den Behörden Angaben über eine angebliche rechte Terrorgruppe im Ländle gemacht, die auch Kontakte zum »Nationalsozialistischen Untergrund« (NSU) unterhalten haben soll. Die Sonderermittlungsgruppe »Umfeld«, die im Frühjahr im Stuttgarter LKA ihre Arbeit aufgenommen hat und mit sogenannten Strukturermittlungen die Neonazi-Szene im Land beleuchten will, wollte H. noch einmal darüber befragen. Die Vernehmung fand jedoch nicht mehr statt – sie war für den Nachmittag des 16. September geplant, an dem H. in seinem Auto verbrannte.
Wenige Wochen nach dem Auffliegen des NSU im November 2011 war bei den baden-württembergischen Behörden ein anonymer Hinweis auf Florian H. eingegangen. H. könnte demnach Kenntnisse über den Mord an der Beamtin Michele Kiesewetter haben. Die 22-jährige Polizistin war am 25. April 2007 mit einem gezielten Kopfschuss am Rande der Heilbronner Theresienwiese regelrecht hingerichtet worden. Die Tat wird dem NSU zugerechnet.
Im Januar 2012 wurde Florian H., der zum Tatzeitpunkt erst 16 Jahre alt war, zum Polizistenmord in Heilbronn befragt. In der Vernehmung bestritt er allerdings, etwas von dem Mordanschlag zu wissen. Dafür gab er jedoch Hinweise auf eine weitere rechtsterroristische Gruppe. Das aber wurde erst kurz vor seinem Tod bekannt – durch den Anfang September veröffentlichten Abschlussbericht des NSU-Untersuchungsausschusses im Bundestag.
In diesem Bericht gibt der Ausschuss einen Ermittlungsreport des LKA in Stuttgart vom 30. März 2012 wieder. Danach habe H. in seiner Vernehmung im Januar 2012 davon gesprochen, dass es in Baden-Württemberg eine Gruppe namens »Neoschutzstaffel« (NSS) gebe. Diese sei von H. als »zweite radikalste Gruppe« neben dem NSU bezeichnet worden. Den Aussagen des Zeugen zufolge hätten sich auch Aktivisten beider Gruppierungen einmal in Öhringen getroffen, das etwa 25 Kilometer östlich von Heilbronn liegt. Wann dieses Treffen stattgefunden haben soll, wusste H. jedoch nicht. Auch das LKA konnte offenbar nichts Näheres in Erfahrung bringen. Laut dem Ermittlungsbericht konnten die Angaben des Zeugen »nicht verifiziert« werden.
Ob H.s Tod mit seiner neuerlichen Vorladung durch das LKA zu tun haben könnte, bleibt Spekulation. Gleichwohl ist eine mögliche Verbindung zwischen baden-württembergischen Neonazis und dem NSU nicht weit hergeholt.1
Während ihres Lebens im Untergrund unterhielten Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe über Jahre hinweg persönliche Verbindungen in die Region um Heilbronn und Ludwigsburg. Auch weilten sie dort wiederholt zu Besuchen bei Gesinnungsfreunden.
Fotos und Unterlagen, die im Brandschutt des NSU-Unterschlupfs in der Zwickauer Frühlingsstraße gefunden wurden, lassen den Schluss zu, dass es seit Anfang der 1990er Jahre bis mindestens 2004 persönliche Kontakte des Trios in den Raum Stuttgart/ Heilbronn/ Ludwigsburg/ Öhringen gegeben hat. So gibt es ein Foto, das Beate Zschäpe während ihrer Untergrundzeit in Ludwigsburg zeigt. In Zwickau wurden auch Stadtpläne von Heilbronn, Stuttgart und Ludwigsburg gefunden, die erst 2003 hergestellt worden waren. Auch auf der Adressliste, die die Polizei nach dem Untertauchen des Trios im Januar 1998 in der Bombenwerkstatt sicherstellte, waren mehrere Kontaktpersonen aus Baden-Württemberg aufgelistet. Hinzu kommt, dass auch eine ganze Reihe sächsischer und thüringer Neonazis aus dem Umfeld des Trios zeitweise im Ländle lebten.
Eine Kontaktperson von der Adressliste des Trios war der am 30. März 2003 im Alter von 28 Jahren verstorbene Michael Ellinger aus Ludwigsburg. Ellinger war Anfang der 1990er Jahre Mitbegründer der berüchtigten Neonazi-Band »Kettenhund« und galt bei den Sicherheitsbehörden als Aktivposten der rechten Szene in Ludwigsburg. Dort soll er auch einen Partykeller betrieben haben. Angeblich zeigen einige Fotos von Saufgelagen in diesem Keller auch Zschäpe und Mundlos, die Ellinger schon in den 1990er Jahren auf Konzerten in Sachsen kennengelernt hatten. Mundlos selbst hatte in einem Brief nach einem Besuch in Ludwigsburg von der Bewaffnung der Szene geschwärmt: »Wir waren vor allem über die Waffen, die sie haben, erstaunt – fast schon ein kleiner Waffenladen«, schrieb Mundlos Mitte der 1990er Jahre.
Die möglichen Verbindungen des Trios nach Baden-Württemberg sind von dem dortigen Landesamt für Verfassungsschutz angeblich nie wahrgenommen worden. Dabei zählte die Blood&Honour-Sektion in Baden-Württemberg neben Sachsen und Berlin zu den drei stärksten in Deutschland. Insbesondere gab es eine enge Vernetzung mit den sächsischen B&H-Aktivisten, von denen gleich mehrere dem Unterstützerumfeld des NSU zugerechnet werden.
Immerhin hat die Ermittlungsgruppe »Umfeld« des Stuttgarter LKA inzwischen herausgefunden, dass das Trio mindestens 31 Kontakte nach Baden-Württemberg unterhalten haben soll. Landesinnenminister Reinhold Gall wollte dann auch in einer Stellungnahme vom 30. Juli 2013 nicht ausschließen, dass das Trio zeitweise in seinem Bundesland Unterschlupf gefunden hatte. Gleichwohl gehen die Behörden dort bislang davon aus, dass es kein Unterstützernetzwerk für den NSU in Baden-Württemberg gegeben hat.
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- 1Siehe AIB 98: »Die Achse Chemnitz-Ludwigsburg«.